Das Emporblühen der deutschen Kraftwagenindustrie

[115] Es würde nun weit über den Rahmen meines Erinnerungsbüchleins hinausgehen, wenn ich auf die technische Weiterentwicklung des Motorwagens im allgemeinen und der Benzwagen im besonderen eingehen wollte, auf alle die deutschen Schöpfungen mit französischen Namen (Benz Vis-à-Vis 892, Benz Velo 1893, Benz Phaeton 1893, Benz Dos-à-Dos 1896 mit Zweizylindermotor, Benz Comfortable 1898 [Abb. 28] mit Pneumatiks usw.) bis hinauf zum 200-PS-Weltrekordwagen (Abb. 34) mit 228 Kilometer Stundengeschwindigkeit.

Dagegen sei zunächst noch mit einigen Worten auf den geschäftlichen Entwicklungsgang unserer »Rheinischen Gasmotorenfabrik« eingegangen.

Im Jahre 1890 trat Herr Rose aus dem Geschäft aus und gab mir beim Abschied noch den gutgemeinten, freundschaftlichen Rat: »Lassen Sie die Finger vom Motorwagen.«

Als neue Teilhaber traten um dieselbe Zeit Herr Friedrich von Fischer und Herr Julius Ganß in mein Unternehmen ein, zwei Männer, die, glücklicherweise, statt Mißtrauen den fröhlichen, starken Glauben an die Zukunftsmacht des Motorwagens mit sich brachten. Sie waren gleich mir Feuer und Flamme für die neue Idee und scheuten keine Geldopfer.[115] Beide waren Kaufleute, beide in ihrer Art verschieden, aber beide tatkräftig und tüchtig. Herr von Fischer übernahm mit Umsicht die Organisation des inneren kaufmännischen Betriebs, während Herr Julius Ganß mit weitschauendem Blick in der Organisation des äußeren Verkaufs Hervorragendes leistete. Bald häuften sich die Aufträge in einem solchen Maße, daß trotz rascher Vergrößerung der Fabrikanlage und der Arbeiterzahl die technische Produktion fast nicht mehr Schritt halten konnte mit dem Tempo des Verkaufs. Es war ein Aufsprießen und Aufblühen – wie nach einem warmen Frühlingsregen.

Als Herr von Fischer krank wurde, machte er Herrn Ganß und mir vor seinem Tode noch den Vorschlag, unser Unternehmen in eine Aktiengesellschaft zu verwandeln. So entstand im Jahre 1899 »Benz & Cie., Rheinische Automobil- und Motorenfabrik«, eine Aktiengesellschaft, die sich in der Folge so weiterentwickelte, daß sie in den folgenden Jahren insgesamt 10000 Arbeiter und Beamte beschäftigte. Das Werk besaß ein Areal von über 500000 Quadratmeter und unterhielt 100 Geschäftsstellen im In- und Auslande.

Doch kehren wir nochmals in die Jugendzeit des Automobilismus zurück. Tausende von deutschen Benzwagen wandern in den neunziger Jahren in Frankreich ein, bis – um die Jahrhundertwende – auch in Deutschland das Interesse an der neuen Industrie erwacht und lebendig wird. Der Franzose L. Baudry de Saunier, der ein Werk geschrieben hat über die in Frankreich häufigsten Automobiltypen (1900/01), macht gar kein Hehl daraus, daß das Benzinautomobil in Deutschland geboren und in Frankreich eingewandert ist. Er sagt wörtlich:[116]

»Schon der Umstand, daß der in Deutschland von der Firma Benz & Cie. in Mannheim erzeugte Motor dieses Wagens eigentlich der erste Benzinmotor war, welcher für automobile Fahrzeuge verwendet worden ist, gibt uns Veranlassung, uns in ausführlicher Weise mit diesem Systeme zu befassen. Es war am 25. März1 des Jahres 1886, als die Firma Benz & Co. das erste Patent auf einen Wagen mit Gasmotor nahm. Zwei Jahre später führte Roger denselben in Frankreich ein. Seit dieser Zeit sind unzählige Neuerungen und Verbesserungen an diesem Motorwagen angebracht worden und haben zu dem Ziele geführt, daß derselbe heute bereits als eine der am weitesten verbreiteten Automobiltypen anzusehen ist. Die relative Leichtigkeit des Motors und des übrigen Mechanismus ermöglichte es, daß Wagen für zwei Personen mit dem geringen Gewichte von 300 Kilogramm hergestellt werden können.

Verschiedene Konstrukteure haben Details des ursprünglichen Benzmotors in mehr oder weniger glücklicher Weise modifiziert, die charakteristischen Merkmale der ganzen Anordnung sind aber bei allen diesen Modellen nicht abhanden gekommen. Wer die in diesem Abschnitt enthaltene Beschreibung sich zu eigen gemacht hat, wird bei etwas Verständnis mit allen veränderten, verbesserten und manchmal auch verschlechterten Benzwagen, die ihm unterkommen, umzugehen wissen.«

Für mich aber, der zeitlebens sein Vaterland von Herzen lieb hatte, war es immer eine Lebenserfahrung und eine[117] Lebenserinnerung eigenartigster Tragik geblieben, daß mein Kind in der deutschen Heimat zunächst nur die verständnislose Fremde, in der französischen Fremde dagegen rasch eine sonnige Heimat von fruchtbarster Bodenständigkeit gefunden hatte.

Mehr als ein ganzes Jahrzehnt waren Daimler und ich die einzigen, die sich abmühten, den deutschen Heimatboden auch zum wirtschaftlichen Wurzelboden der neuen Industrie zu machen. Erst als die Deutschen die Erfolge sahen, belebte sich um die Jahrhundertwende das Feld. Da treten weitere einheimische Fabriken auf den Plan. Das Interesse für die neue Industrie erwachte jetzt auch in Deutschland. Immer mehr Fabriken tauchten in der Folge auf. Millionen deutschen Kapitals werden dem Kraftwagen im Glauben an seine große Zukunft zur Verfügung gestellt. Schließlich setzt jene gewaltige Emporentwicklung ein, die in beispiellos raschem Aufschwung den Kraftwagenbau zum hervorragendsten Zweige unserer gesamten Maschinenindustrie werden läßt. Es war wie ein einziger stürmischer Siegeszug hinauf auf die Triumphhöhe deutscher Arbeitstüchtigkeit, deutscher Schöpfungskraft und deutscher Unternehmungslust.

Es kamen die ersten Ausstellungen. Es kamen die ersten Automobilklubgründungen. Es kamen die ersten Rennen.

Freilich sind die Rennen, bei denen »höchste Geschwindigkeit« ausschließlich die Losung war, nie mein Ideal gewesen; auf deutschem Boden konnten sie auch lange nicht recht volkstümlich und heimisch werden – wie in dem geschwindigkeitssüchtigen Frankreich oder in dem geschwindigkeitstollen Amerika. Gewiß hatten die Geschwindigkeitsrennen der reklamefreudigen Franzosen eine ungeheure werbende Kraft.[118] Gewiß haben die Rennen der ersten 10–15 Jahre Schlag auf Schlag umwälzende Fortschritte gezeitigt: Sie entschieden den Streit zwischen elektrischer und Glührohrzündung zugunsten der Elektrizität. Sie verhalfen für immer der Wasserkühlung zum Sieg und zur Vollendung. Sie verdrängten den Riemen als Transmissionsmittel und schufen Zahnräder und Kupplung für die Kraftübertragung. Sie waren eine Materialerprobung, wie sie wirksamer nicht hätte sein können usw. Als aber die Geschwindigkeit eine solche Steigerung erfuhr, daß der Rennerfolg neben der Güte des Wagens vor allen Dingen auch von der knochenriskierenden Waghalsigkeit des Wettfahrers abhängig war, da machte sich der »Landstraßenwahnsinn« unbeliebt bei Behörde und Bevölkerung, ja sogar auch in der Industrie.

Nicht als ob der deutschen Kraftwagenindustrie der Lorbeer der sportlichen Geschwindigkeitsrennen zu hoch gehangen hätte! Schon im ersten Rennen der Welt 1894 siegte ein Wagen mit deutschem Daimlermotor. Wie schon in Irland im Jahre 1903 (IV. Gordon-Bennett-Rennen, 89 Kilometer Stundengeschwindigkeit), so gingen auf französischem Boden im Grand Prix 1908 (111,5 Kilometer je Stunde) und 1914 (105,5 Kilometer je Stunde) deutsche Mercedeswagen aus der Blüte ausländischer Erzeugnisse als triumphierende Sieger hervor. Und ein Benzwagen ist es gewesen, der mit seiner 228-Kilometer-Stundengeschwindigkeit in Daytona (1911) den Weltrekord der höchsten Geschwindigkeit aufstellte.

Aber, wie gesagt, die Höchstgeschwindigkeit sollte nicht das letzte und oberste Endziel der deutschen Automobilentwicklung sein. Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit[119] – das war im deutschen Kraftwagenbau gar bald die Losung und Forderung des Tages.

So ging man dazu über, durch Zuverlässigkeitsfahrten einen möglichst praktischen und zuverlässigen Tourenwagen zu züchten. Ein mächtiger Förderer dieser Bewegung war der englische Porträtmaler Professor Hubert v. Herkomer, ein Kind des Bayernlandes, eines Holzschnitzers Sohn. Der stiftete für Wettfahrten außer dem Bild des jeweiligen Siegers einen wertvollen, selbstentworfenen Preis in Silber. 1905, 1906 und 1907 fanden die Herkomerfahrten statt. Edgar Ladenburg erwarb den Herkomerpreis auf einem Mercedeswagen bei der ersten Herkomerfahrt, mußte ihn aber bei der zweiten Herkomerfahrt abtreten an einen Horchwagen (Dr. Stöß). Mit Hilfe eines Benzwagens (Fritz Erle) eroberte er ihn bei der dritten Herkomerfahrt wieder zurück und wurde damit endgültiger Gewinner.

Dem Prinzen Heinrich von Preußen, einem begeisterten und verständnisvollen Förderer der deutschen Automobilentwicklung, verdanken wir die Fortsetzung der Herkomerschen Zuverlässigkeitsfahrten. In diesen »Prinz-Heinrich-Fahrten« siegten: 1908 Benz, 1909 Opel und 1910 Österr. Daimler.

1

Gemeint ist hier: Das französische Patent Nr. 175029 vom 25. März 1886, das deutsche Patent Nr. 37435 stammt vom 29. Januar 1886.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 120.
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