»Frisch blickt' auch ich als junger Bursch ins Leben,
Keck hatt' ich mir gesteckt das höchste Ziel.«

[29] Endlich gab die Mutter meinem stürmischen Drängen nach. Ich durfte im 17. Lebensjahre das Gymnasium vertauschen mit der Technischen Hochschule. Die hieß damals noch Polytechnikum.

Und nun tat sich hell und licht eine neue Welt vor mir auf, die Welt meiner stillen Jugendhoffnungen und Jugendträume. Es war eine Welt des Frühlings! Herrgott! War das ein Treiben und Sprossen, ein Drängen und Wachsen, ein Blühen und Reisen! Über allem aber stand brennend die Sonne der Begeisterung für das ersehnte Studium. Da wurde entworfen, konstruiert, differentiiert und integriert, daß es eine Freude war.

Am 16. April 1863 starb Professor Ferdinand Redtenbacher, der Begründer des theoretischen Maschinenbaus. Studenten begleiteten ihn hinaus zur letzten Ruhestätte. Ich erinnere mich daran noch genau. Denn zu den Studenten, die den Sarg des verehrten Lehrers trugen, gehörte auch ich.

Redtenbacher war nicht nur ein ausgezeichneter Gelehrter und ein berühmter Schriftsteller, er war vor allen Dingen auch ein gottbegnadeter Lehrer. In seinen Vorlesungen hörte man gleichsam die Maschinen laufen. Als besäße er[29] die Kunst, seiner Mechanik dramatisches Leben einzuhauchen, so begeistert und begeisternd unterrichtete er. Kein Wunder, daß er anzog wie ein Magnetpol. Unter seinen Zuhörern saßen nicht nur junge Leute aus allen Teilen Deutschlands. Auch aus Schweden, Österreich, England und Amerika waren sie gekommen, um den großen Meister zu hören. Heute, wo neben die Kulturmacht der Dampfmaschine die Kulturmacht des Motors getreten ist, ist es besonders reizvoll zu sehen, wie Redtenbacher, überzeugt von der Notwendigkeit eines Ersatzes unserer Dampfmaschine, tastend hinausgreift in die Zukunft. Noch schwebt ihm allerdings nichts Konkretes vor, die »Kapitalerfindung« muß erst kommen. Er schreibt (25. Dezember 1856): »Übrigens muß ich Ihnen gestehen, daß mich diese Steuerungsgeschichten der Dampfmaschinen und die ganze Maschine selbst schon seit langer Zeit nicht mehr interessiert. Auf ein paar Prozent Brennstoff mehr oder weniger kommt es nicht an, und mehr kann man durch derlei Tüfteleien nicht mehr gewinnen. Ich halte es von nun an für lohnender, sich über die Wärme den Kopf zu zerbrechen und unseren jetzigen Dampfmaschinen den Garaus zu machen, und das wird hoffentlich in nicht gar zu ferner Zeit geschehen, indem das Wesen und die Wirkungen der Wärme allmählich zur Klarheit kommen. Die Kapitalerfindung muß freilich erst noch gemacht werden, damit diese kalorischen Maschinen mit Luft oder mit überhitztem Dampf, mit oder ohne Regenerator das zu leisten vermögen, was man sich versprechen darf, und damit namentlich diese Maschinen ein mäßiges Volumen erhalten; aber das alles wird sich wohl finden, wenn man einmal über das innere Wesen der Sache ganz ins reine gekommen ist.«[30]

So sehr ich Redtenbachers Verlust beklagte, in Franz Grashof bekam Redtenbacher einen Nachfolger, der die praktischen Aufgaben der Technik mit der Überlegenheit des mathematischen, streng wissenschaftlichen Meisters zu lösen verstand. Und doch konnte Grashof Redtenbacher nicht in allen Stücken ersetzen. Redtenbachers Stärke lag auf der konstruktiv praktischen Seite des Maschinenbaus. Grashof dagegen war ganz Theoretiker. Seine Lehrweise war klar und exakt, so wohl überlegt jeder Satz und jedes Wort, daß – was er sagte – ohne weitere Überarbeitung »druckfertig« gewesen wäre. Aber da er fast keine Zeichnungen zu Hilfe nahm und zur Veranschaulichung höchstens einmal ein paar Striche machte, war der Unterricht für die Durchschnittsbegabung seiner Zuhörer zu abstrakt. Nur die Begabteren, die zugleich die nötige grundlegende Bildung hatten, konnten Grashof auf die Höhen seines streng wissenschaftlichen Entwicklungsganges folgen und hatten reichen Gewinn. Welch hohe fachwissenschaftliche Anforderungen er an den Techniker stellte, der den Aufgaben der Gegenwart und zugleich jenen der Zukunft gewachsen sein soll, geht aus seinen eigenen Worten am besten hervor:

»Die Schule darf nicht im Schlepptau des praktischen Bedürfnisses, sondern soll diesem möglichst voraus sein. Die von der Schule gewährte wissenschaftliche Ausbildung soll nicht nur den Anforderungen der Technik in ihrer augenblicklichen Entwicklungsphase, sondern möglichst bis zu dem Zeitpunkt genügen, in welchem der von ihr gebildete Techniker nach einem Menschenalter von der Bühne seiner Tätigkeit abtreten wird.«

Mir hat sie genügt. – Mit Dankbarkeit und Verehrung[31] schaue ich daher immer noch zurück auf die zwei ausgezeichneten Lehrer, die dem jungen Studenten einst den wissenschaftlichen Bergstock in die Hand drückten.

Was ich im Gymnasialbetrieb als Mangel empfand und aus eigener Initiative und aus eigenen Mitteln ergänzend hinzufügte, hier, am Polytechnikum war es: das Laboratorium, die Werkstätte.

Ein Werkmeister von altem Schrot und Korn stand der Werkstätte vor. Die Bekanntschaft mit Homer und Cicero hinderte den stud. ing. Benz nicht, an dem einfachen Manne der Handarbeit und Handfertigkeit mit Verehrung emporzuschauen. »Mehr Achtung vor der Hände Werk, vor dem Handwerk« ist immer meine Losung gewesen. Und so waren denn die beiden, der Meister und sein Jünger, gar bald die besten Freunde. Von Didaktik und Heuristik verstand der neue Lehrmeister nichts. Aber das lohende Feuer der Berufsfreudigkeit verstand er in seinem Schüler so aufzuschüren, daß die Flammen der Begeisterung zu allen Fenstern seiner Seele herausschlugen. Daher finden wir diesen auch außerhalb der vorgeschriebenen Unterrichtszeit in der Werkstätte, viele Stunden lang bastelnd und schaffend. Und der wackere Meister konnte nicht müde werden, immer und immer wieder Anregungen und Impulse zu geben zu neuem Gestalten und Schaffen.

So ist dieser praktische Werkstattunterricht nicht nur eine fruchtbare Ergänzung zum theoretischen Unterricht gewesen, sondern zugleich auch ein wertvoller Ersatz für das eine Jahr Fabrikpraxis, das dem fachwissenschaftlichen Studiengang des heutigen Ingenieurs vorauszugehen pflegt. Und doch gab ich mich keineswegs damit zufrieden.[32]

»Keck hatt' ich mir gesetzt das höchste Ziel!« Ein Fahrzeug wie das des Vaters sollte es werden, ohne Pferde – aber auch ohne Schienen. Ein selbstfahrendes Straßenfahrzeug!

Ich fühlte, daß ich tiefer schürfen und tiefer graben müsse, um auf die Schichte zu kommen, die für meine Zukunftspläne und Zukunftshoffnungen Mutterboden werden konnte. So kamen nach vier Jahren akademischem Studium die Wanderjahre.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 29-33.
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