Wir fahren in die Welt!
Die erste Fernfahrt

[88] Sie wurde ausgeführt hinter meinem Rücken, also ohne mich. Und das ging so zu. Fahrende Scholaren haben mir den Wagen entführt. Sie waren zu dreien. Und aufeinander abgestimmt waren sie auch, wie die Saiten einer Zupfgeige. Sie liebten meinen Wagen, wie ich ihn liebte. Aber sie verlangten mehr von ihm als ich. Sie wollten wissen, ob mit dem neuen Wagen eine neue Ära für Landfahrer angebrochen sei und in welchem Umfang er zum Landfahren und Landstreichen benützt werden könne. Bergauf und bergab sollte der entführte Wagen zeigen, was er konnte und nicht konnte – auf einer Strecke von 180 Kilometern.

Das dreiblättrige Kleeblatt mit dem Landstreicherblut im Herzen setzte sich zusammen aus – meiner Frau und meinen beiden Buben.

Es war im Sommer 1888. Die Schulen hatten die Tore geschlossen, und der Glanz der Feriensonne vergoldete die[88] Welt. Ferien und Wandern – sie bilden zusammen nur einen Pendelschlag. So tauchte in dem Kopf meiner Buben-Eugen war 15, Richard 13 Jahre alt – die verwegene Idee auf, eine neumodische Ferienreise zu machen und auf dem Benzinwagen hinauszufahren in die Welt. »Aber wir werden Vaters Erlaubnis nie bekommen«, klagte Richard tiefbetrübt. »Dann wollen wir uns an die Mutter wenden«, entgegnete Eugen, »sie ist wagemutiger als der Vater und wird wohl mit uns gehn.« Und richtig, das Komplott kam zustande. Mutter und Söhne verschworen sich gegen den Vater. Mannheim-Pforzheim wurde als »Reiseweg« ausgemacht zum Besuch von Verwandten. Heimlich rüsteten die Jungen den Wagen, der unbenützt im Schuppen stand. Und eines Abends meldeten sie der Mutter: »Der Wagen ist fahrbereit! Morgen kann's losgehen.«

Jetzt fing die »via triumphalis« an, auch die Mutter zu locken. Sie tat so bei der Bestellung des Haushalts, wie wenn sie anderntags mit dem ersten Zuge hätte eine mehrtägige Reise antreten wollen. Die List glückte. Der ahnungslose Vater schlief noch, als die drei in aller Herrgottsfrühe in höchster Glorie davonknatterten. Eugen saß am Steuer, die Mutter neben ihm und Richard auf dem kleinen Rücksitz. Es dauerte keine Stunde, da war auf dem schönen ebenen Weg Heidelberg erreicht. Auch bis Wiesloch ging noch alles gut. Dann aber, als die Straßen bergig wurden, begannen die Tücken. Die Kraftübertragung war noch nicht für so große Steigungen vorgesehen. Eugen und die Mutter mußten absteigen und den Wagen schieben, während Richard steuerte. Aber auch bergab bekam die Mutter Gewissensbisse. Wenn die einfache Holzbremse mit Lederüberzug plötzlich den Dienst[89] versagte, was dann? Glücklicherweise kam das auf der ganzen Reise nicht vor. Allerdings mußten immer wieder von Zeit zu Zeit neue Lederauflagen bei den Dorfschustern gekauft und neu aufgenagelt werden.

Weiter geht die Fahrt, aber mit dem gemütlichen Kutschieren ist's vorbei. Da die Ketten sich längten und aus den Zahnrädern sprangen, wird vor einer Dorfschmiede haltgemacht. Es kommen die Dörfler und bestaunen den Wagen, als wäre er frisch vom Himmel gefallen. Nachdem die Ketten nachgespannt sind, geht's weiter- bis zur nächsten Panne. Der Wagen streikt, weil der Benzinzufluß verstopft ist. Mutters Hutnadel ist gerade das richtige Operationsinstrument, das den Schaden rasch wieder gutmacht. Bei einer anderen Panne, bei der die Zündung versagte, opferte die »erste Fernfahrerin« selbst ihr Strumpfband als Isoliermaterial.

In W. wird eingekehrt, da die heiße Augustsonne die Fahrer durstig gemacht hat. Wieder zieht der Wagen die Dörfler an und gibt ihnen die schwersten Rätsel auf. Wie ein Wagen ohne Pferde oder sonst ein Zugtier laufen können soll, ist für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Die einen reden von Hexen und Hexenmeistern, andere von einem Uhrwerk.

Die drei Zauberkünstler aber steigen auf und fahren lachend davon. Bald wird die Schwarzwaldstraße so steil, daß sie schieben müssen, stundenlang.

Schon fängt es an zu dämmern. Ohne Laterne wird weitergeschoben, aber nicht nach der Methode Till Eulenspiegels. Ein freudiges Aufatmen geht erst durch die »Schiebenden«, als sie oben auf der Bergeshöhe ankamen und die fallende Straße mit den Lichtern von Pforzheim vor sich[90] sahen. Sie sausen zu Tal, nach Pforzheim hinein. Und obgleich die Buben aussahen wie Mohren in Studentenmützen und auch die Mutter ganz verstaubt war, endet die Fahrt, wie sie begonnen wurde – als Glorienfahrt! Ein Auflauf entsteht, und der Triumphwagen wird angestaunt wie ein neuzeitliches Weltwunder auf Rädern.

Stolz, aber todmüde drahtet die Mutter die gute Ankunft in die Welt: »Pforzheim glücklich angekommen.« Der Vater aber drahtet zurück: »Ketten sofort als Expreß zurückschicken, da sonst Wagen in München nicht laufen kann.« Diese väterliche »Drahtbremse« wirkte wie ein einziger Schlag. Wer mit der Wanderlust des Zigeuners frei und froh »hinaus in die Ferne« gefahren ist, der tritt die Heimreise nicht gern im Eisenbahnwagen an.

Aber die väterliche Bremse war nicht so schlimm gemeint. Nach einigen Tagen schickte der Vater, der auf die Leistungen der heimlichen Ausreißer nach dem ersten Schreck doch einen heimlichen Stolz bekam, eine neue Kette als Ersatz. Dank dieser Kette konnte dann auch die Rückfahrt in automobiler Herrlichkeit und Freude gemacht werden, von einigen »Schieberintermezzi« abgesehen.

Und die Moral von der Geschichte war: »Der Motor ist für Bergtouren zu schwach.« Daher ging der Vater später auf den Reformvorschlag der drei Empiriker gerne ein, eine dritte Übersetzung für Bergfahrten in den Wagen einzubauen.[91]

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 88-92.
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