[355] Die Rüsselstöre (Acipenseridae) haben einen langgestreckten Leib, eine rüsselförmige, mehr oder minder zugespitzte unbewegliche Schnauze mit unterständigem Maule, Kiemendeckel, welche die Kiemenspalte unvollständig bedecken, eine Kiemenhaut ohne Strahlen und eine Bekleidung, welche aus großen, in fünf Längsreihen geordneten Knochenschildern besteht. Die Axentheile des Gerippes bleiben knorpelig; die Wirbelsäule setzt sich bis zur Spitze des oberen verlängerten Lappens der Schwanzflosse fort. Es finden sich außerdem vier knöcherne Kiemendeckel und Kiemenbögen, ein Schulter- und Beckengürtel zur Einlenkung der Brust- und Bauchflossen, Stützen der unpaaren Flossen und zahlreiche Rippen.

Der Kopf ist mehr oder minder vierseitig und entweder in eine schmale oder in eine breite rüsselartige Schnauze verlängert, welche von dem in einen Knorpel verwachsenen Nasen- und Siebbeine und unterhalb vom Pflugscharbeine gebildet wird. Letzteres springt wie eine Leiste vor und trägt auf einem knöchernen Fortsatze vier Bärtel, welche als Tastwerkzeuge dienen und, je nach den Arten, in Form und Stellung verschieden sind. Hinter ihnen liegt der Mund quer in einer Vertiefung, von einem Knorpelvorsprunge gestützt, welcher aus drei durch Gelenke verbundenen beweglichen Stücken besteht; sein oberer Rand wird meist von einer dicken fleischigen Lippe umgeben, welche sich aber gegen den Unterkiefer, gewöhnlich nur an den Mundwinkeln verkümmert, fortsetzt. Die Augen liegen seitwärts im Schädel hinter den Nasenöffnungen und haben häufig bei einem und demselben Stücke ungleichen Durchmesser. Die einzelnen Platten oder Schilder des Oberkopfes entsprechen theils den Deck- oder Belegknochen einer völlig knöchernen Schädelkapsel, theils den unteren Augenrandknochen. Die Kiemen sitzen wie bei den Knochenfischen auf fünf beweglichen Kiemenbögen, sind kammförmig und mit ihren Spitzen frei. An der Innenseite des sie nur theilweise überhüllenden Deckels liegt eine große, ebenfalls kammförmige Nebenkieme und zunächst hinter ihr, am oberen Rande des Deckels, das kleine Spritzloch. Der Verschluß der Kiemenspalte nach abwärts wird durch die Kiemenhaut bewerkstelligt, welche den Deckel halbmondförmig [355] umsäumt und durch keine Strahlen geschützt ist. Fünf Längsreihen von Knochenschildern bekleiden den Leib; eine dieser Reihen verläuft längs des Rückens bis zur Rückenflosse, eine jederseits längs der Seiten bis zur Schwanzflosse und je eine am Bauchrande vom Schultergürtel bis gegen die Bauchflosse hin. Die Schilder bilden längs ihrer Mitte einen mehr oder minder scharfen, oft in eine Spitze übergehenden Kiel und bedingen dadurch eine fünfeckige Gestalt des Rumpfes. Die Haut zwischen den Schilderreihen ist theilweise nackt und glatt, theilweise mehr oder weniger dicht mit kleineren Schildchen oder Knochenkörnern von verschiedener Gestalt und Größe bedeckt, das Schwanzende und der obere Schwanzflossenlappen mit viereckigen flachen, dicht anschließenden kleinen Knochenschuppen bekleidet; zwei große Schilder panzern die Gegend der Schlüsselbeine. Alle Schilder ändern nach dem Alter bedeutend ab; ihre Kämme und Spitzen werden stumpf; die Bauchschilder verschwinden oft fast gänzlich. Damit wird der Durchschnitt des Leibes ein anderer; denn die fünfeckige Gestalt desselben verliert sich mehr oder weniger. In den Flossen stehen dicht gedrängte, gegliederte, meist biegsame, zu beiden Seiten fein gezähnelte Strahlen, und nur die Brustflossen haben einen ersten Knochenstrahl. Sie sind stark und kräftig, die weit hinten eingelenkten Bauchflossen hingegen klein; die Rückenflosse steht weit nach hinten, der Afterflosse gegenüber; die Schwanzflosse zeichnet sich durch ihre Größe aus, und ihr oberer ungleicher Lappen ist sensenförmig gekrümmt. Der kurze, von dem fleischigen Magen durch eine Klappe geschiedene Darmschlauch, die in zwei Haupt- und zahlreiche Nebenlappen zerfallende Leber, die langen Nieren, deren Harnleiter zugleich als Samen- oder Eileiter dienen, die außerordentlich großen Eierstöcke und Hoden, welche sich fast durch die ganze Länge der Bauchhöhle erstrecken, die stets große, einfache, eirunde oder länglichrunde Schwimmblase, der mit zwei Reihen von Klappen besetzte Arterienstiel, die in einer rinnenförmigen Aushöhlung an der unteren Fläche der knorpeligen Wirbelsäule verlaufende große Schlagader und andere Merkmale des inneren Baues verdienen ebenfalls Beachtung.

Die Rüsselstöre gehören dem gemäßigten nördlichen Gürtel der Erde an und verbreiten sich ebensowenig weit nach Norden hinauf als weit nach Süden herab. Sie herbergen im Meere oder in großen Landseen, verlassen diese aber zu bestimmten Jahreszeiten und treten in die einmündenden Flüsse ein, um in ihnen monatelang zu verweilen. Alle gehören zu den Raubfischen und sind sehr gefräßig; doch greifen nur die wenigstens halberwachsenen größere Thiere an, während sich die kleineren mit Würmern, Weichthieren, Fischeiern und dergleichen genügen lassen. Ihre Vermehrung ist außerordentlich stark; gleichwohl nehmen sie von Jahr zu Jahr an Menge ab, weil ihr Fang mit der allen Fischern eigenen unverständigen Rücksichtslosigkeit betrieben wird.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 355-356.
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