Elfte Ordnung: Die Seedrachen[392] (Holocephali)

In den nordischen Meeren lebt ein sonderbarer Fisch, welcher in mehrfacher Hinsicht den Haien ähnelt, aber doch so eigenthümliche Merkmale besitzt, daß man ihn nicht allein zum Vertreter einer besonderen Sippe und Familie erhoben, sondern eine eigene Ordnung für ihn gegründet hat. Verwandte Fische bewohnen das südliche Atlantische und das Stille Weltmeer. Alle Arten kennzeichnender gestreckte, walzige Leib, der dünne, lang ausgezogene Schwanz, der dicke, kegelförmige Kopf, die von einem fingerförmigen Deckelknorpel geschützte einzige Kiemenöffnung, durch welche die vier Kiemenspalten münden, ungewöhnlich große Brustflossen, die beträchtliche, vorne durch säbelförmig gekrümmte Stacheln gestützte Rückenflosse, die sehr lange, zweite Rückenflosse und die zu beiden Seiten des langen Schwanzes angesetzte Schwanzflosse sowie das kleine, quer gespaltene Maul, welches mit einfachen, schnabelförmig vortretenden, hinten platten, vorne zugeschärften Zahnplatten bewehrt ist. Wichtiger noch als diese Merkmale sind andere, innerliche. »Die Seedrachen«, sagt Karl Vogt, »besitzen nur eine ungetheilte Rückensaite mit oberen knorpeligen Bogen und Schaltstücken dazwischen und mit unteren knorpeligen Ansätzen, welche den Querfortsätzen der Fischwirbel entsprechen. Diese Rückensaite setzt sich nach vorne unmittelbar in die dicke, kegelförmige Schädelkapsel fort, deren vorderer Rand die fehlenden Oberkiefer ersetzt, so daß die oberen Zahnplatten unmittelbar auf der unteren Fläche dieses vorderen Randes der Schädelkapsel aufsitzen. Die Augenhöhlen sind ungemein groß, ebenso die Augen; Lider fehlen. Die große, vielfach gewundene Nasenkapsel öffnet sich auf der Unterseite der von vielfachen Schleimgängen durchzogenen Schnauze. Mit Ausnahme dieser Eigenthümlichkeiten stimmt die Anatomie der Eingeweide, namentlich der vielen Klappen des Aortenstieles, der schraubenförmigen Spiralplatten des Darmes usw., mit der Ordnung der Haifische überein.«

In der Vorzeit scheinen die Seedrachen viel reicher an Arten gewesen zu sein als gegenwärtig: ihre versteinerten Zahnplatten finden sich namentlich im Jura in bedeutender Mannigfaltigkeit der Bildung. In unseren Tagen sind sie, wie bemerkt, auf die Mitglieder zweier Sippen beschränkt, über deren Lebensweise uns das nachstehende einigen Aufschluß gibt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 392.
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