Stint (Osmerus eperlanus)

[232] Zu den Lachsfischen zählt auch der Stint oder Spierling (Osmerus eperlanus und spirinchus, Salmo eperlanus, marinus und spirinchus, Eperlanus vulgaris), Vertreter der Stinklachse (Osmerus), von den bisher genannten Arten der Familie unterschieden durch Bezahnung und Beschuppung. Zwischen- und Oberkiefer tragen in einfacher Reihe sehr feine Zähne, die Unterkiefer solche in einer äußeren und größere, derbere in einer inneren Reihe, endlich auch starke, [232] spitzige Zähne auf dem Pflugschar beine, Gaumen und Flügelbeine. Die Schuppen sind mittelgroß, zart und lose eingesetzt. Hinsichtlich der Umrisse des Leibes und Kopfes, der Größe und der Färbung ändert der Stint so bedeutend ab, daß Bloch sich veranlaßt sah, zwei Arten aufzustellen, welche gegenwärtig nicht einmal mehr als Spielarten betrachtet werden. Der Rücken ist gewöhnlich grau, die Seite silberfarben mit bläulichem oder grünlichem Schimmer, der Bauch röthlich. In der Rückenflosse stehen drei und sieben bis acht, in der Brustflosse ein und neun bis zehn, in der Bauchflosse zwei und sieben, in der Afterflosse drei und elf bis dreizehn, in der Schwanzflosse neunzehn Strahlen.


Stint (Osmerus eperlanus). 1/2 natürl. Größe.
Stint (Osmerus eperlanus). 1/2 natürl. Größe.

Die Länge schwankt zwischen dreizehn und zwanzig Centimeter; ausnahmsweise findet man übrigens auch Stücke, welche fünfundzwanzig bis dreißig Centimeter lang sind.

Nord- und Ostsee scheinen diesen Fisch am häufigsten zu beherbergen; doch kommt er noch im Aermelmeere nicht selten vor und hat sich ebenso in den Haffen und größeren Süßwasserseen in mehr oder minder bedeutender Anzahl angesiedelt. Diejenigen, welche im Meere wohnen, unterscheiden sich von denen, welche in Landseen herbergen, nicht allein durch bedeutende Größe, sondern auch durch Eigenheiten ihrer Lebensweise. Die einen wie die anderen treten in Deutschland lückenhaft und in verschiedenen Jahren in erheblich schwankender Anzahl auf. Besonders häufig erscheint der sogenannte Seestint in den Mündungen der Elbe und Weser, selten dagegen an der ganzen holsteinischen, mecklenburgischen und pommerschen Küste, wogegen er im Kurischen Haffe meist in außerordentlicher Menge sich einfindet. Das letztgenannte Haff bevölkert aber auch der sogenannte Flußstint, welcher anderswo nicht in die See geht und insbesondere die Landseen Ostpreußens, Pommerns, Brandenburgs, Mecklenburgs und Holsteins bewohnt. Der eine wie der andere bildet stets zahlreiche Gesellschaften, hält sich während des Winters in der Tiefe der Gewässer verborgen und erscheint erst im März und April in den oberen Schichten der Gewässer, um behufs der Fortpflanzung eine Wanderung in die Flüsse anzutreten. Die Laichgesellschaften wandern nicht so weit wie die größeren Lachse, aber doch immerhin bis in das Herz der Binnenländer, gehen z.B. in der Elbe bis Anhalt und Sachsen, in der Weser bis Minden, in [233] der Seine bis Paris stromaufwärts. In manchen Jahren erscheinen die aus der See kommenden in unschätzbarer Menge in den Flußmündungen und Haffen, zu anderen Zeiten treten sie wiederum nur spärlich auf, ohne daß man hierfür durchschlagende Gründe anzugeben wüßte. Laut Beerbohm ziehen sich andere Fische, Aale und Kaulbarsche ausgenommen, aus dem Kurischen Haffe zurück, wenn die hier lebenden Stinte massenhaft auf den Laichplätzen sich einfinden. Zu Anfang des April legen letztere ihre kleinen gelben Eier auf sandigen Stellen ab und kehren nach dem Meere oder nach den Seen zurück. Bleibender Hochwasserstand befördert gedeihliche Entwickelung der Eier; Zurücktreten der Laichgewässer läßt Milliarden von Eiern nicht zum Ausschlüpfen gelangen. Geht alles gut, so folgen den alten Stinten im August die jungen, verweilen aber, wenn sie der See sich zuwenden, laut Yarrell, noch eine Zeitlang in der Nähe der Strommündungen, mit der Flut in den Fluß emporsteigend, mit der Ebbe gegen das Meer hin zurückkehrend.

Während seines Aufsteigens in den Flüssen wird der Stint oft in unglaublicher Menge gefangen und massenweise auf die Märkte gebracht, findet hier auch trotz seines unangenehmen, dem fauler Gurken ähnelnden Geruches willige Abnehmer, weil sein Fleisch einen trefflichen Geschmack besitzt. Der Fang wird auf sehr verschiedene Weise betrieben und liefert eigentlich immer Ertrag, weil man, dank der unendlichen Menge dieser Fische, jedes engmaschige Netz mit Erfolg verwenden kann. In Pommern bezahlt man das Kilogramm Stinte oft freilich nur mit drei, selbst mit zwei Pfennigen; in allen übrigen Provinzen unseres Vaterlandes aber werthet es zwischen zwölf und zwanzig, hier und da sogar bis dreißig Pfennige und bringt dann dem Fischer guten Gewinn. Allzureichlicher Fang freilich drückt den Preis zuweilen so herab, daß das Kilogramm nicht einmal mit einem halben Pfennige loszuschlagen ist und der schmackhafte Fisch unter solchen Umständen höchstens als Dünger Verwendung finden kann. Einen guten Ertrag der Fischerei erzielt man dadurch, daß man Stinte als Nahrung für werthvollere Edelfische in Zuchtteiche einsetzt. Sie gedeihen hier, wie die in England gesammelten Erfahrungen bewiesen haben, vorzüglich und werden von ihren größeren Verwandten und anderen nützlichen Raubfischen mit Begierde gefressen.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 232-234.
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