Elritze (Phoxinus laevis)

[295] Die Sippe wird vertreten durch eine allerwärts verbreitete, vielnamige Art. »Zu mercken ist, daß die Bambelen mit mancherley Namen genennet werden nach art vnd brauch frembder Nationen. Dann vmb Straßburg werden sie Milling, Mülling, Orlen, Erling, Hägener vnd die aller kleinsten Brechling genandt; die in Meissen vnd Sachsen nennen solche Elderitz, Elritz, Eldrich: Item Pfal, Ofrylls in Beyern; Butt, Bott, Baut, Bitzbaut, werden die glatten Bambelen genandt.« Fügen wir diesen schon unserem Geßner bekannten Bezeichnungen noch Pfell, Pfrul, Haber- oder Haberl-, Hunderttausend- und Sonnenfischl, Seidlfisch, Zankerl, Grümpel, Grimpel, Rümpchen, Gievchen, Maigänschen, Zorscheli, Riedling, Piere, Maipiere, Lennepiere, Pierling, Spirling, Erlkreß, Ellerling, Elring und Wettling hinzu, so haben wir wenigstens die deutschen Namen unserer Elritze (Phoxinus laevis, aphya, chrysoprasius, Belonii und Marsilii, Cyprinus phoxynus, aphya, rivularis und Morella, Leuciscus phoxinus) aufgeführt. Ein derartiger Namenreichthum ist stets ein Beweis für die Volksthümlichkeit oder, was dasselbe sagen will, genaue Bekanntschaft und allgemeine Verbreitung eines Thieres. Die Elritze verdient diese Volksthümlichkeit; denn sie ist wirklich einer unserer ausgezeichnetsten und anziehendsten Fische. Ihre Färbung wechselt außerordentlich. Der Grundton des Rückens erscheint bald ölgrün, bald schmutziggrau und wird durch kleine dunkle Flecke mehr oder weniger getrübt, zuweilen, wenn die Flecke sehr dicht zusammengetreten, förmlich gezeichnet, so daß sich längs der Mittellinie des Rückens ein schwarzer, vom Rücken bis zur Schwanzflosse verlaufender, manchmal aus einer Längsreihe von Flecken bestehender Streifen bemerklich macht; die grüngelben Seiten haben stark metallischen Glanz; das Maul ist an den Winkeln karminroth, die Kehle schwarz, die Brust scharlachroth; außerdem bemerkt man einen goldglänzenden Längsstreifen, welcher hinter den Augen beginnt, zu beiden Seiten des Rückens verläuft und sich bis zur Schwanzwurzel erstreckt; die Flossen haben blaßgelbe Grundfärbung, welche jedoch auf Rücken-, After- und Schwanzflosse durch dunkle Farbstoffanhäufung verdüstert wird und auf den paarigen Flossen und ausnahmsweise auch auf der Afterflosse in glänzendes Purpurroth übergehen kann. Nach Siebold ist diese Farbenpracht nicht von der Laichzeit abhängig, sondern kommt mitten im Winter bei männlichen wie bei weiblichen Stücken zum Vorscheine, wogegen sich gegen die Laichzeit hin bei beiden Geschlechtern ein Hautausschlag in Gestalt von spitzigen Höckern auf der Oberfläche des Scheitels ausbreitet und sämmtliche Schuppen an ihrem Hinterrande mit dicht gedrängten, einen Saum bildenden Körnchen bedecken. Die Rückenflosse spannen drei und sieben, die Brustflosse ein und funfzehn bis sechzehn, die Bauchflosse zwei und acht, die Afterflosse drei und sieben, die Schwanzflosse neunzehn Strahlen. Einzelne Stücke erreichen eine Länge von höchstens zwölf, die Mehrzahl eine solche von kaum neun Centimeter.

Klare Flüsse mit sandigem oder kiesigem Grunde, von ihrem Ursprunge im Gebirge an bis gegen die Mündung hin, gleichviel ob sie groß oder klein, beherbergen die Elritze, manche Bäche sie fast aus schließlich, da sie sich auch auf solchen Stellen, welche von anderen Fischen gemieden werden oder ihnen nicht zugänglich sind, noch regelmäßig aufhält und dem Anscheine nach sehr wohl befindet. Einzeln bemerkt man sie höchst selten, im Gegentheile fast immer in starken Schwärmen, welche sich nahe dem Wasserspiegel umhertummeln, äußerst behend auf-und niederspringen und scheu vor jedem Geräusche entfliehen, ja, so in Angst versetzt werden können, daß sie, wie Russegger sah, tausende von Klaftern tief ins Innere eines Stollens eindringen, dem Abflußwasser desselben folgend. Bei großer Hitze verlassen sie zuweilen eine Stelle, welche ihnen längere Zeit zum Aufenthaltsorte diente, und steigen entweder in dem Flusse aufwärts dem frischeren Wasser entgegen, oder verlassen ihn gänzlich und wandern massenhaft in einem seiner Nebenflüsse zu Berge. Dabei überspringen sie Hindernisse, welche mit ihrer geringen Leibesgröße und Kraft in keinem Verhältnisse zu stehen scheinen, und wenn erst einer das Hemmnis glücklich überwunden, folgen die anderen unter allen Umständen nach. Ein Cornelius befreundeter Beobachter hat diesem folgende Angaben über diese Wanderungen mitgetheilt. In den Rheinlanden werden die Elritzen gewöhnlich [296] Maipieren oder, der Lenne zu liebe, Lennepieren genannt, weil sie sich in diesem Flusse während der Laichzeit in großen Zügen einfinden oder zeigen. Sie erscheinen meist bei mittlerem Wasserstande und heiterem Wetter, weil bei niederem Wasser ihnen die vielen Fabrikanlagen zu große Hindernisse in den Weg legen. Zu genannter Zeit sind die Brücken belagert von der Jugend, welche den Zügen dieser kleinen, hübschen Thiere mit Vergnügen zusieht. Ein einziger Zug mag etwa einen halben Meter breit sein; in ihm aber liegen die Fische so dicht neben und über einander wie die Häringe in einem Fasse. Ein Zug folgt in kurzer Unterbrechung dem anderen, und so geht es den ganzen Tag über fort, so daß die Anzahl der in der Lenne befindlichen Fischchen dieser Art nur nach Millionen geschätzt werden kann. Ihre Nahrung besteht aus Pflanzenstoffen, Würmern und Kerfen, auch wohl aus anderen thierischen Stoffen. So beobachtete ein Engländer einen Schwarm Elritzen, welche ihren Kopf in einem Mittelpunkte zusammengestellt hatten und mit dem Wasser sich treiben ließen, und fand bei genauerer Untersuchung als Ursache dieser Zusammenrottung den Leichnam eines Mitgliedes des Schwarmes, welcher von den überlebenden aufgezehrt wurde. Die Laichzeit fällt in die ersten Frühlingsmonate, gewöhnlich in den Mai, hier und da wohl auch in den Juli. Um diese Zeit werden seichte, sandige Stellen ausgewählt und jedes Weibchen von zwei oder drei Männchen begleitet, welche auf den günstigen Augenblick des Eierlegens warten, um sich ihres Samens zu entledigen.


Strömer (Telestes Agassizii) und Elritze (Phoxinus laevis). 3/4 natürl. Größe.
Strömer (Telestes Agassizii) und Elritze (Phoxinus laevis). 3/4 natürl. Größe.

Aus Versuchen, welche Davy angestellt hat, geht hervor, daß die Jungen bereits nach sechs Tagen aus dem Eie schlüpfen. Im August haben sie etwa zwei Centimeter an Länge erreicht; von nun an aber wachsen sie sehr langsam; erst im dritten oder vierten Jahre sollen sie fortpflanzungsfähig sein.

[297] Ungeachtet der geringen Größe der Elritze wird sie doch überall gern gefangen, weil ihr Fleisch trotz des bitteren Geschmackes viele Liebhaber und dementsprechend willige Abnehmer findet. In der Lenne fängt man sie nach Angabe des oben erwähnten Berichterstatters während der Monate Mai und Juni, wenn sie ihre Wanderzüge bildet, zum Theile mit sogenannten Tütebellen, einem Netze, welches an zwei kreuzweise über einander gebundenen und an dem Ende eines Stockes befestigten Tannenreisern ausgespannt ist. Dieses läßt man an Stellen, wo der Strom nicht zu heftig ist, ins Wasser und zieht es, wenn ein Schwarm sich gerade darüber befindet, rasch in die Höhe. Doch wird solche Fangart nur von der Jugend zum Zeitvertreibe, der hauptsächlichste Fang aber mit Hülfe besonderer Fischkörbe betrieben. Diese Körbe haben vorn eine oder mehrere Oeffnungen, welche ähnlich wie die Drahtmäusefallen beschaffen sind. Die Spitzen der Weiden richten sich nämlich nach innen, so daß die Fische bequem einschlüpfen, aber nicht wieder heraus können. Solche Körbe, welche von den gewöhnlichen Reusen wenig abweichen, befestigt man mitten in der Lenne an ruhigen Stellen, die Oeffnung gegen den Strom gerichtet, und hebt sie, wenn sie sich gefüllt, von Zeit zu Zeit empor, um sie zu entleeren. Da mit der Elritze regelmäßig auch andere, zumal junge Lachsfische, erbeutet werden, schadet der sogenannte Rümpchenfang unserer Fischerei ungemein und sollte unbedingt verboten werden.

Abgesehen von der Küche dient die Elritze den Anglern als beliebter Köderfisch und in Zuchtteichen größeren Raubfischen zur Nahrung, hält sich auch in engerem Gewahrsame ein paar Jahre lang und erfreut hier durch ihre Anspruchslosigkeit, Gewandtheit und Beweglichkeit.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 295-298.
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