Sichling (Pelecus cultratus)

[284] Der Sichling, welcher auch Ziege, Zicke, Sichel, Messer- und Schwertfisch, Messerkarpfen und Dünnbauch genannt wird (Pelecus cultratus, Cyprinus, Abramis und Leuciscus cultratus), der einzige Vertreter dieser Sippe, hat gestreckten, seitlich zusammengedrückten Leib und ist im Nacken stahlblau oder blaugrün, auf dem Rücken graubraun, auf den Seiten mit silbernem Glanze, auf Rücken- und Schwanzflosse graulich, auf den übrigen Flossen röthlich gefärbt. Die Rückenflosse enthält drei und sieben, die Brustflosse einen und funfzehn, die Bauchflosse zwei und sieben, die Afterflosse drei und achtundzwanzig, die Schwanzflosse neunzehn Strahlen. Seine Länge beträgt sechsundvierzig Centimeter, das Gewicht bis ein Kilogramm.

Die Verbreitung des Sichlings ist in mancher Beziehung eine eigenthümliche. Er bewohnt im Norden Mitteleuropas nur die Ostsee und die mit ihr zusammenhängenden großen Süßwasserbecken und steigt von hier aus in den Flüssen empor, lebt aber auch im Schwarzen Meere und wird demgemäß regelmäßig in allen in dasselbe einmündenden Strömen bemerkt. Nach Pallas ist er häufig in den Flüssen und Seen des europäischen Rußland, nach Nordmann in denen der Krim; nach Heckel und Kner erscheint er im Plattensee während des Sommers in großen Zügen und bildet dann zu einer Zeit, in welcher andere Fische selten sind, eine Hauptnahrung armer Leute; nach Siebold verirrt er sich zuweilen bis in die obere Donau, kaum aber auch in deren Zuflüsse. Einen eigentlichen Meerbewohner kann man ihn nicht nennen, einen Flußwasserfisch ebensowenig; es scheint ihm ebensowohl in salzigem wie in süßem Gewässer zu behagen. Zu seinem Aufenthaltsorte wählt er reines, bewegtes Wasser und die Nähe der Ufer. In seinem Wesen und Gebaren und in der Nahrung kommt er mit den anderen Karpfen überein. Die Laichzeit fällt in den Mai, und die Fortpflanzung entspricht dem bereits von den Verwandten gesagten; die Vermehrung aber scheint trotz der mehr als hunderttausend Eier, welche man, nach Bloch, im Roggen eines Weibchens findet, nicht besonders stark zu sein, weil der Fisch, wenigstens in unseren Flüssen, verhältnismäßig selten ist. Als wahrscheinlichen Grund dieser auffallenden Thatsache nehmen Heckel und Kner die völlige Wehrlosigkeit und den starken, verrätherischen Silberglanz an, welche den Sichling wohl zur häufigen Beute von Seethieren und Wasservögeln werden lassen. Auch soll sich die Lebensdauer nur auf vier bis fünf Jahre erstrecken.

Das Fleisch ist gering, weich und grätig, der Fang deshalb nicht lohnend, in manchen Gegenden Deutschlands, namentlich in Oesterreich, auch nicht einmal erwünscht, weil die Fischer unseren Sichling mit demselben Aberglauben betrachten wie die Vogelfänger den Seidenschwanz und auch von ihm sagen, daß er nur alle sieben Jahre erscheine und ein Vorläufer von Krieg, Hunger, Pest und anderen Uebeln sei.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 284.
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