Erste Familie: Welse (Siluridae)

[198] Dieselben Beweggründe, welche die Vogelkundigen veranlaßt haben mögen, mit den größten Raubvögeln, den plumpen und stumpfgeistigen Geiern, die Klasse der Vögel überhaupt zu eröffnen, mögen bei den Fischkundigen, welche unter den Edelfischen die Welse (Siluridae) obenan stellen, maßgebend gewesen sein. Als die ausgezeichnetsten oder edelsten Mitglieder der Ordnung haben wir diese Fische gewiß nicht anzusehen, sondern höchstens als die größten und plumpesten. Ein massiger, ungeschlachter, niemals mit Schuppen, sondern entweder mit nackter Haut oder mit Knochenschildern bekleideter Leib, der große Kopf mit weitem Maule, in welchem Oberkinnlade und Kieferknochen bis auf Spuren verkümmert oder in Bärteln verlängert sind, die an Zahl, Stellung und Länge mannigfach abwechselnden Bartfäden, der aus drei Stücken bestehende Kiemendeckel, welchem der Unterdeckel fehlt, und die mit dem Gehörorgane durch Gehörknöchelchen verbundene Schwimmblase, der weite Schlund und sackförmige Magen sind Merkmale dieser Familie. Bei vielen Arten ist der erste Strahl der Brustflosse sehr stark, gezähnelt und dergestalt auf dem Schulterknochen eingelenkt, daß ihn der Fisch willkürlich bewegen, also dem Leibe nähern oder [198] aufrichten und somit als kräftige, gefährliche Verwundung hervorbringende Waffe benutzen kann; andere Arten besitzen außer der Rückenflosse eine Fettflosse. Sehr eigenthümlich und hinsichtlich seiner Bedeutung noch unerklärt ist eine dicht hinter und über der Wurzel der beiden Brustflossen eingesenkte enge Oeffnung, welche in einen sich weit erstreckenden Hohlraum führt.

Die Welse, eine gegen fünfhundert Arten zählende, in mehr als hundert Sippen zerfällte Familie bildend, bewohnen in großer Mannigfaltigkeit und Menge die Gewässer Amerikas, Asiens, Oceaniens und Afrikas, werden aber in Europa nur durch eine einzige Art vertreten. Sie lieben ruhig fließende oder stehende Gewässer mit schlammigem Grunde, fehlen jedoch auch rascher strömenden nicht, siedeln sich sogar in Gebirgsbächen an und steigen hier ebenso hoch empor wie irgend ein anderer Fisch. Dieser Verbreitung entspricht der Aufenthalt. Während die einen am häufigsten in der Nähe der Strommündungen gefunden werden, woselbst sie auf dem sandigen oder schlickigen Grunde liegen, bemerkt man andere auf felsigem Boden, nach Art der Quappe zwischen und unter Steinen versteckt, und während diese, wie es scheint, bloß in den Flüssen sich ansiedeln, herbergen jene nur in Binnenseen, andere aber bald hier, bald dort. Die großen Arten sind ebenso schwerfällig in ihren Bewegungen wie plump gebaut, die kleineren im Gegentheile rasche und behende Fische, manche insofern vor anderen Klassenverwandten bevorzugt, als sie trotz den Labyrinthfischen und Schlangenköpfen über feuchten, schlammigen und selbst über trockenen Boden Reisen unternehmen, nöthigenfalls auch im Schlamme sich einwühlen und bis zur Wiederkehr des Wassers hier verweilen. Alle ohne Ausnahme gehören zu den Raubfischen. Die meisten liegen bewegungslos auf der Lauer, spielen mit ihren Bart- oder Fangfäden, locken so andere Fische heran und schnappen im rechten Augenblicke zu; einzelne besitzen die Fähigkeit, elektrische Schläge auszutheilen und damit ihre Opfer zu betäuben. Ihre Vermehrung scheint, obgleich die Roggener eine bedeutende Anzahl von Eiern absetzen, verhältnismäßig gering zu sein, das Wachsthum der Jungen langsam vor sich zu gehen, unsere Fische dafür aber ein sehr hohes Alter zu erreichen. Für den menschlichen Haushalt spielen sie bei uns keine bedeutsame Rolle, wogegen sie in einzelnen Gegenden Afrikas, Asiens und Amerikas zu den gemeinsten und geschätztesten Küchenfischen gehören. Das Fleisch der jungen oder kleineren Welse ist allerdings vortrefflich, das der älteren hingegen eigentlich nur für einen außereuropäischen Gaumen geeignet, verlangt wenigstens erst sorgfältige Zubereitung, bevor es genießbar wird.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 198-199.
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