Seepferdchen (Hippocampus antiquorum)

[346] Das Seepferdchen (Hippocampus antiquorum, brevirostris, japonicus und Rondeleti, Syngnathus hippocampus; Abbildung auf Seite 346), Vertreter einer gleichnamigen Sippe (Hippocampus) und Unterfamilie (Hippocampina), welches unser alter Freund Geßner mit vorstehenden Worten beschreibt, hat in dem winkelig gegen den stark zusammengedrückten Rumpf gestellten Kopfe und dem flossenlosen Greifschwanze so bezeichnende Merkmale, daß es schwerlich verkannt werden dürfte. Die Schnauze ist verhältnismäßig kurz, der kleine Mund ziemlich in der Mitte geöffnet, der Kopf durch bartartige und knorpelartige Auswüchse, der Schwanz durch seitlich eingesetzte Stacheln geziert; der Körper trägt breite Schilder, der Schwanz vier flache Ringe mit Höckern und buschigen Fäden. Die allgemeine Färbung ist ein blasses Aschbraun, welches bei gewissem Lichteinfalle ins Blaue und Grünliche schimmert. In der Rückenflosse zählt man zwanzig, in der Brustflosse sieben, in der Afterflosse vier Strahlen. Die Länge schwankt zwischen funfzehn bis achtzehn Centimeter.

Vom Mittelmeere aus, welches man als die eigentliche Heimat des Seepferdchens ansieht, verbreitet es sich im Atlantischen Weltmeere bis zum Busen von Biscaya und noch weiter nördlich, kommt einzeln auch in den großbritannischen Gewässern und in der Nordsee vor und findet sich ebenso in Australien. Wie die verwandte Seenadel hält es sich nur da auf, wo reicher Pflanzenwuchs den Meeresboden bedeckt; denn zwischen diesen Pflanzen sucht und findet es seine Nahrung. Hier sieht man sie fast bewegungslos an den Pflanzen sitzen oder langsam umherschwimmen. Ihre Bewegungen wie ihr Wesen und Gebaren hat Lukis, nach Beobachtung angefangenen Seepferdchen, gut geschildert. »Beim Schwimmen«, schreibt er, »halten sie sich in senkrechter Lage, den Greifschwanz zu der ihm eigenen Thätigkeit bereit; rasch wickeln sie sich mit ihm um das Seegras, und wenn dies geschehen, beobachten sie sorgfältig das Wasser umher, auf Beute spähend, stürzen sich auch, wenn sie solche bemerken, mit vieler Fertigkeit nach ihr. Nähern sich zwei einander, so umwickeln sie sich oft gegenseitig mit den Schwänzen und ziehen und zerren, um wieder loszukommen, heften sich dabei auch meist mit ihrem Kinne an das Seegras, um sich besseren Halt zu verschaffen. Ihre Augen bewegen sich, wie beim Chamäleon, unabhängig von einander, und dieses in Verbindung mit dem Farbenwechsel zieht den Beschauer mächtig an.« Ich glaube, mit vorstehendem im großen und ganzen mich einverstanden erklären, Lukis aber widersprechen zu dürfen, wenn er ferner behauptet, daß kein Bewohner der Tiefe mehr Kurzweil treiben und mehr Verstand zeigen könne als sie. Tausende von ihnen habe ich in den Strandseen um Venedig beobachtet und gefangen, hunderte monatelang gepflegt und beobachtet, aber weder von dem einen noch von dem anderen etwas wahrzunehmen vermocht. Sie selbst sind weder kurzweilige noch verständige, im Gegentheile langweilige und geistlose Geschöpfe; ihre absonderliche Gestalt, ihre ungewöhnliche Haltung, ihre langsame, stetige, gleichsam feierliche Bewegung sowie ihr obwohl beschränkter Farbenwechsel aber fesseln den Beschauer, verleiten vielleicht auch einen ungeübten Beobachter zu ähnlichem Urtheile. Wahrscheinlich bezeichnet man sie und ihr Gebaren am besten, wenn man sie niedliche Fische nennt. Ihre Nahrung besteht vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, in sehr kleinen, dem unbewaffneten Auge unsichtbaren Krebs- und Weichthieren, welche sie von den Blättern der Seegräser und Tange ablesen. Da man denen, welche man gefangen hält, diese winzigen Geschöpfe nur dann in genügender Menge verschaffen kann, wenn man an der See wohnt, verdammt man alle, welche man aus dem Meere nimmt, gleichviel, ob früher oder später, zum Hungertode. Unmittelbar nach dem Fange sterben freilich auch schon viele von ihnen, und wenn ein Gewitter ausbricht, verliert man gewöhnlich alle mit einem Schlage.

Die Fortpflanzung geschieht in derselben Weise wie bei anderen Seenadeln. Das Weibchen legt die Eier auf den Bauch des Männchens; sie kleben hier fest, das Männchen befruchtet sie, und nunmehr bildet sich durch Wucherung der Oberhaut eine Tasche, in welcher sie sich entwickeln und bis zum Ausschlüpfen der Jungen verweilen.

»Das Fleisch der Thieren«, bemerkt Geßner noch, »kompt nit in die Speiß, bey keiner Nation, dann sein brauch soll vergifft sein, schädliche Krankheiten bewegen.« Nicht unmöglich ist, [347] daß die Alten hierüber Erfahrungen gesammelt und die Wahrheit gesagt haben; denn auch bei den Seepferdchen kann die Nahrung recht wohl ihren Einfluß auf das Fleisch äußern. Zum Nutzen der Homöopathen theile ich mit, daß, laut Geßner, »diese Thier angehenckt, sollen bewegen zu vnkeuschheit. Item gedörrt, gepülvert vnd eingenommen, soll wunderbarlich helffen, denen so von wütenden Hunden gebissen sind. Dieses Thier zu äschen gebrandt, mit altem Schmere vnd Saleuter, oder mit starckem Essig aufgeschmiert, erfüllt die Kaalköpff, oder abgeflossen Haar.


Fetzenfisch (Phyllopteryx eques). Natürl. Größe.
Fetzenfisch (Phyllopteryx eques). Natürl. Größe.

Das Pulver der gedörrten Meerpferd genossen, miltert das Seitenwehe oder den stich, vnd in die Speiß genommen, hilfft denen so den Harn nit verhalten mögen.«


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 346-348.
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