Flughahn (Dactylopterus volitans)

[68] Außergewöhnliche Entwickelung der Brustflossen, welche aus einem doppelten Fächer bestehen, deren Vordertheil nur wenige Strahlen enthält, während der hintere von zahlreichen fast leibeslangen Strahlen gespannt wird, kleine Rückenflossen, vor denen sich einige freie, harte Stacheln erheben, unbewehrte Hauptkiemendeckel, aber mit langen Dornen bewaffnete Vordeckel und kleine Pflasterzähne in den Kiefern allein sind die Merkmale der Flatterfische (Dactylopterus), deren bekannteste Art, der Flughahn (Dactylopterus volitans, europaeus, communis und pirapeda, Trigla volitans, tentabunda und fasciata, Polynemus sexradiatus, Gonocephalus macrocephalus), das Mittelländische Meer bewohnt. Seine Verwandtschaft mit anderen Panzerwangen scheint geringer zu sein, als sie wirklich ist, weil sich der Gesammteindruck dieses [68] Fisches von dem seiner Familienangehörigen wesentlich unterscheidet. Die Schnauze ist kurz, sehr steil abfallend, der obere Theil des Schädels platt, nur ein Theil der Backen mit Schuppen bekleidet, der Kiemendeckel klein, abgerundet, die Maulöffnung klein, der Leib ziemlich gestreckt und mit harten, am Rande gekerbten, theilweise auch gekielten Schuppen bekleidet. Ein schönes Hellbraun mit dunkler Marmel- und Fleckzeichnung färbt den Rücken; die Seiten des Kopfes und Leibes sind hellroth, silbern überlaufen, die unteren Theile rosenroth; die großen Brustflossen zeigen auf dunklem Grunde blaue Flecke, Linien und Bänder, die Rückenflossen auf grauem Grunde braunwolkige Flecke, während die Schwanzflosse rothbraun gefärbt und durch Fleckbänder gezeichnet wird. In der ersten Rückenflosse zählt man sieben Stachel strahlen, deren beide ersten von den übrigen getrennt sind und durch Länge und Stärke sich auszeichnen; die zweite wird von acht, die kleine, unter den Brustflossen eingelenkte Bauchflosse von einem und vier, die Brustflossen von sechs und neunundzwanzig bis dreißig, die Afterflosse von sechs, die Schwanzflosse von elf und zwölf getragen. Sehr große Stücke erreichen eine Länge von funfzig Centimeter.

Alle älteren Schriftsteller, welche sich mit Naturwissenschaft befaßten, und alle Reisenden der Neuzeit, welche das Mittelmeer kreuzten, wissen von dem Flughahne zu erzählen; denn er ist, wie es scheint, überall gemein und weiß die Aufmerksamkeit auch des gleichgültigsten Laien auf sich zu lenken. Gleichwohl erscheint es glaublich, daß man ihn oft mit dem Flugfische verwechselt, mit dem er in mancher Beziehung eine ähnliche Lebensweise führen dürfte.

Vom Bord des Schiffes aus gewahrt man in größerer oder geringerer Entfernung einen zahlreichen Schwarm solcher Fische, welcher sich plötzlich aus den Wellen erhebt, mit eigenthümlich schwirrenden Schlägen der großen Brustflossen sehr rasch über das Wasser fortschießt, bis zu einer Höhe von vier bis fünf Meter über die Oberfläche aufsteigt und, nachdem er so einhundert bis einhundertundzwanzig Meter zurückgelegt, wieder in den Wellen verschwindet. Gar nicht selten wiederholt sich dieses Schauspiel rasch nach einander, indem ein Schwarm sich erhebt, vorwärts strebt und einfällt, mittlerweile aber schon ein zweiter begonnen hat, in gleicher Weise dahinzuschwirren, und, noch ehe er versinkt, bereits ein dritter und vierter sich aufgeschwungen hat. Wenn dieses Aufsteigen in einer bestimmten Richtung geschieht, darf man annehmen, daß die Flughähne von Raubfischen verfolgt werden und sich durch ihren Flug oder, richtiger, Sprung über die Wellen zu retten suchen; oft aber sieht man auch, daß sie bald hier, bald dort erscheinen und durchaus keine bestimmte Richtung halten, vielmehr die Kreuz und die Quere durcheinanderfliegen, und darf dann wohl glauben, daß sie spielenshalber, gewissermaßen aus reinem Uebermuthe sich erheben, so wie auch andere Fische über das Wasser emporzuschnellen pflegen. In der Nähe der Küsten ziehen derartige Schwärme sehr bald die Aufmerksamkeit der Möven und Sturmvögel auf sich, welche herbeieilen und nun auch ihrerseits auf jene die Jagd beginnen. Dann wird das Schauspiel im höchsten Grade anziehend, denn die Vögel müssen bei der Schnelligkeit des Fortschwirrens der Flughähne wirklich alle Fluggewandtheit aufbieten, um der ins Auge gefaßten Beute sich zu bemächtigen. Von dem Menschen wird der Flughahn wenig oder nicht verfolgt, weil sein mageres und hartes Fleisch in dem so fischreichen Mittelmeere den Fang nicht lohnend genug erscheinen läßt; doch geschieht es, daß sich zuweilen eine Anzahl in den Netzen verwickelt. Die Nahrung besteht in kleinen Krustern und Weichthieren. Ueber die Fortpflanzung finde ich keine Angabe, wie denn überhaupt die Lebenskunde dieses so gewöhnlichen und auffallenden Fisches noch sehr im argen liegt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 68-69.
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