Seehase (Cyclopterus lumpus)

[126] Der bekannteste Vertreter dieser Sippe ist der Seehase, Seebulle, Bauchsauger, Lump (Cyclopterus lumpus, pavoninus, coeruleus, coronatus und minutus, Gobius und Lepadogaster minutus), ein Fisch von etwa sechzig Centimeter Länge, drei bis vier, in seltenen Fällen sogar sechs bis sieben Kilogramm Gewicht und schwarzgraulicher, nach unten gelblicher, übrigens vielfach abändernder Färbung, dessen erste Rückenflosse gänzlich verkümmert ist. Die zweite wird gestützt durch elf, die Brustflosse durch zwanzig, die Afterflosse durch neun, die Schwanzflosse durch zehn Strahlen.


Unerwachsener Seehase (Cyclopterus lumpus) und Aalmutter (Zoarces viviparus). 1/3 natürl. Größe.
Unerwachsener Seehase (Cyclopterus lumpus) und Aalmutter (Zoarces viviparus). 1/3 natürl. Größe.

Alle nördlichen Meere, namentlich die Nord- und Ostsee, beherbergen den Seehasen, und man muß wohl annehmen, daß er sehr häufig ist, da seine Vermehrung ins erstaunliche gehen kann. Gleichwohl wird er infolge seiner eigenthümlichen Lebensweise nicht oft gefangen. Er ist ein sehr schlechter Schwimmer, welcher sich selten und, wenn wirklich, nur langsam, unter wedelnden Bewegungen seines unverhältnismäßig schwachen Schwanzes bewegt, vielmehr an Felsen und Steinen vermittels seiner Bauchflosse, deren er sich wie eines Schröpfkopfes bedient, festheftet und hier der Dinge wartet, welche kommen. Der Zusammenhang seiner Scheibe mit den Gegenständen, auf denen er sich befestigt hat, ist ein sehr inniger: Hannox berechnete, daß eine Kraft von sechsunddreißig Kilogramm Gewicht erforderlich sei, um einen zwanzig Centimeter langen Seehasen [127] loszureißen; Pennant erfuhr, daß man einen Eimer, an dessen Boden einer sich angesogen hatte, sammt dem Wasser in die Höhe ziehen konnte. An einem anderen beobachtete man eine funfzehn Centimeter lange, auf der Stirne angewachsene Tangranke und glaubte sich, von diesem Funde folgernd, zu der Ansicht berechtigt, daß er wochenlang auf einer und derselben Stelle liegt und sich, wie das Sprichwort sagt, die gebratenen Tauben ins Maul fliegen läßt, d.h. wartet, bis ihm Quallen und kleine Fische, seine Nahrung, mundrecht sich nähern.

Gefangene saugen sich sofort an einer geeigneten Stelle des Beckens, auch an der glättesten Glastafel, fest und verweilen in dieser Stellung stunden- und halbe Tage lang, ohne etwas anderes als ihre Kiemen zu rühren, lassen sich durch ihnen zugeworfenes Futter aber doch bewegen, ihren Platz zu verlassen. Im Becken schnappen sie nach Muschelfleisch und Würmern, verschonen aber kleine Fische fast gänzlich.

Gegen den März hin ändern sich Färbung und Wesen des Seehasen, indem erstere ins Röthliche übergeht, letzteres insofern, als der Fisch jetzt sich aufmacht, um seichtere, zum Laichen geeignete Küstenstellen aufzusuchen. Fabricius gibt an, daß der Lump den felsigen Buchten Grönlands zu Ende des April oder im Anfange des Mai sich nähert, daß die Roggener vorausziehen und die Milchner ihnen unmittelbar folgen, daß erstere ihren Laich zwischen größeren Algen, vorzugsweise in Felsspalten, ablegen, die letzteren diesen befruchten und dann dicht neben oder über den Eiern sich festsetzen. Ich lasse gern dahingestellt sein, ob die Berechnungen, welche man angestellt hat, um die Anzahl der Eier zu ermitteln, richtig sind oder nicht; so viel steht unzweifelhaft fest, daß die Vermehrung eine ganz außerordentlich starke ist. Bei einem Weibchen von drei Kilogramm Gewicht wog der Roggen ein Kilogramm; jedes Eichen aber hat die Größe eines mäßigen Schrotkornes: die Gesammtmasse würde also nur nach hunderttausenden zu berechnen sein. Fabricius erwähnt, daß das Männchen bei den Eiern treue Wacht hält und wirklich erhabenen Muth bekundet, sogar mit dem fürchterlichen Seewolfe anbindet und diesem, entflammt von Vaterliebe, tödtliche Wunden beibringt; Lacepède glaubt sich berechtigt, diese Angabe zu bezweifeln; sie wird aber durch neuere Beobachtungen vollkommen bestätigt. So erzählt Johnston, Berichte der Fischer wiedergebend, daß das Männchen die Eier bedeckt und in dieser Lage verweilt, bis die junge Brut ausschlüpft. Bald, nachdem dies geschehen, heften sich die Jungen an den Seiten und auf dem Rücken des Männchens fest, und nunmehr macht dieses mit der theueren Ladung sich auf, um die Brut in tiefere und sicherere Gründe zu tragen. Gegen Ende des November haben die Jungen eine Länge von zehn Centimeter erreicht.

Eine regelrechte Verfolgung erleidet der Seehase nicht, wenigstens nicht abseiten des Menschen. Nach Couch beißt er zuweilen an die Angel; doch ist dieser Fang immer sehr unsicher. In Grönland und Island erbeutet man ihn mit Netzen oder spießt ihn mit einem gabelförmigen Eisen an, wenn man ihn zwischen den Meerpflanzen liegen sieht. Einen viel schlimmeren Feind als den Menschen hat er an dem Seehunde, welcher ihn sehr gern zu fressen scheint, obgleich er ihn vorher erst mühsam schälen muß. Das Fleisch der Weibchen ist mager und schlecht, das der Männchen fett und schmackhaft, gilt sogar bei den Isländern, namentlich wenn es einige Tage in Salz gelegen, als Leckerbissen und wird als solcher fremden Gästen vorgesetzt. Die britischen Fischer genießen es bloß, so lange der Lump roth gefärbt ist, und unterscheiden deshalb mit aller Bestimmtheit zwei Arten unseres Fisches.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 126-128.
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