Zweite Familie: Seebarben (Mullidae)

[43] Alle Meere des heißen und gemäßigten Gürtels beider Halbkugeln beherbergen schön gestaltete Fische, welche man Seebarben (Mullidae) genannt hat. Ihr nur wenig zusammengedrückter Leib ist länglich, im Schnauzentheile gestreckt, das weit unten liegende Maul klein, das Gebiß [43] verschieden, gewöhnlich schwachzahnig, das Kinn mit zwei am vorderen Ende des Zungenbeines sitzenden, mehr oder weniger langen Bartfäden ausgestattet, der vordere Theil des Kopfes wie die Kehle nackt, der übrige Kopf wie der ganze Leib mit großen, fein gezähnelten Schuppen bekleidet, der Vorderdeckel der Kiemen ganzrandig, der hintere mit einem Deckelchen versehen, die Kiemenhaut, in welcher man höchstens vier Strahlen zählt, bis zum vorderen Ende des Zwischendeckels gespalten, die vordere Rückenflosse in einer Furche eingelassen und durch stachelige, die hintere dagegen durch weichere Strahlen geschützt, die Afterflosse letzterer ähnlich gestaltet, die gegabelte, funfzehnstrahlige Schwanzflosse weit nach hinten beschuppt, die Bauchflosse weit vorgerückt, so daß sie fast unter die Brustflosse zu liegen kommt, die vorherrschende Färbung ein schönes mattes Karminroth. Der innere Bau ist sehr einfach, der Magen eigentlich nur eine Erweiterung der Speiseröhre, der Darmschlauch mäßig lang, die Leber groß und in zwei ungleiche Lappen getheilt; den Pförtner umgeben viele Anhänge; eine Schwimmblase ist nicht vorhanden.

Die Seebarben, höchst gesellige Fische, treten stets in zahlreichen Scharen, gewöhnlich Schwärmen von mehreren tausenden, auf, streichen wenig umher, besuchen aber im Hochsommer flache, sandige Stellen der Küste, oft in zahlloser Menge, um hier zu laichen. Ihre Nahrung, welche aus kleinen Krebs- und Weichthieren wie aus verwesenden Stoffen des Thier- und Pflanzenreiches zu bestehen scheint, erwerben sie sich durch Gründeln im Schlamme, halten sich dabei in wagerechter Lage, wühlen sich oft tief ein und trüben das Wasser flacher Stellen auf weithin. Viele Raubfische gefährden die durchschnittlich kleinen Thiere und ziehen deren Schwärmen wochenlang nach; auch der Mensch verfolgt sie allenthalben und erbeutet sie massenhaft in engmaschigen Netzen. Ihr Fleisch wird sehr geschätzt und höchstens kurz nach der Laichzeit minder geachtet.

Bei den alten Römern standen die Seebarben nicht allein ihres köstlichen Fleisches, sondern auch ihrer prachtvollen Färbung halber in höchstem Ansehen. »Das fleisch der thieren«, sagt Geßner, die alten Berichte wiedergebend, »ist in grosser mächtiger werthe gehalten, von menniglichen hoch gehalten, also daß sie zu zeiten mit gleichem guts reins silbers an dem gewicht sind bezahlt worden: dann nicht allein von seines fleischs wegen sind sie hochgehalten, sonder die augen damit zu belustigen, indem daß man solche lebendig in durchscheinende gläsene geschirr gethan hat, wol verschlossen, zu sehen sein lieblichen todt, wunderbarlich absterben, verwanderung der schönen farben seiner schüppen von einer in die ander, solang biß er gantz abgestorben.« Zur Augenweide der eingeladenen Gäste brachte man in gläsernen Gefäßen Seebarben in das Speisezimmer und übergab sie dann den Frauen, welche sie in ihren Händen sterben ließen, um sich an dem erwähnten Farbenspiele zu ergötzen. Zuerst beobachtete man ihre Bewegungen in den Gefäßen unter lauten Ausrufen der Bewunderung des Schauspieles; später machte man sich wechselseitig auf das lebhafte Feuer der Schuppen, auf den Glanz der Kiemen aufmerksam. Nach erfolgtem Tode der Fische eilte man so schnell wie möglich in die Küche, um sie bereiten zu lassen; denn eine Seebarbe, welche am Morgen gefangen und abgestorben war, galt nicht für frisch: sie mußte lebend den Gästen vorgestellt worden sein. »Nichts schöneres«, ruft Seneca aus, »als eine sterbende Seebarbe! Sie wehrt sich gegen den nahenden Tod, und diese Anstrengungen verbreiten über ihren Leib das glänzendste Purpurroth, welches später in eine allgemeine Blässe übergeht, während des Sterbens die wunderherrlichsten Schattirungen durchlaufend.« Der Seebarben halber legte man unter den Polstern, auf denen die Tischgäste bei der Mahlzeit lagerten, eigene Fischbehälter an und verband diese mit den Teichen außerhalb der Wohnhäuser, in denen man die Vorräthe aufspeicherte. Große Seebarben wurden oft von sehr weit her aus den Meeren gebracht und dann zunächst in jenen Fischteichen aufbewahrt, obgleich sie die Gefangenschaft nicht gut aushielten und von mehreren tausenden bloß wenige am Leben blieben. Cicero schilt die Römer, daß sie solch kindisches Spiel treiben, und sagt, die Reichen glaubten im Himmel zu sein, wenn sie in ihren Fischteichen Seebarben besäßen, welche nach der Hand ihres Herrn schwimmen. Der Preis erreichte in Folge dieser Liebhaberei eine unglaubliche Höhe. Eine Seebarbe von einem Kilogramm Gewichte kostete sehr viel Geld; eine [44] solche von anderthalb Kilogramm zog allgemeine Bewunderung auf sich; eine von mehr als zwei Kilogramm war fast unbezahlbar. Ueber den Preis liegen genaue Angaben vor. So erzählt Seneca, daß Tiberius eine ihm geschenkte Seebarbe von letzterem Gewichte aus Geiz auf den Markt gesandt habe, im voraus die Käufer bestimmend. In der That überboten sich denn auch die von ihm genannten Schlecker Apicius und Octavius, und letzterer erwarb sich den außerordentlichen Ruhm, einen Fisch, welchen der Kaiser verkaufte und Apicius nicht bezahlen konnte, für fünftausend Sestertien oder etwa tausend Mark unseres Geldes zu erstehen. Juvenal spricht übrigens von einer Seebarbe, welche um sechstausend Sestertien gekauft wurde, freilich auch fast drei Kilogramm wog. Unter der Regierung des Caligula kaufte Asinus Celer, laut Plinius, einen dieser Fische um achttausend Sestertien; ja, der Preis stieg noch mehr, so daß Tiberius endlich sich veranlaßt sah, besondere Gesetze zu erlassen, bestimmt, den Preis der Lebensmittel auf den Märkten zu regeln. Nach dem Urtheile der Römer galt die Seebarbe als der beste aller Fische und Kopf und Leber als der feinste aller Leckerbissen. Aber diese Anschauung war nichts mehr oder minder als reine Modesache; denn sie verlor sich später gänzlich.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 43-45.
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