Baumweißling (Pieris crataegi)

Baumweißling (Pieris crataegi) nebst Eiern, Raupe und Puppe. Alles in natürlicher Größe.
Baumweißling (Pieris crataegi) nebst Eiern, Raupe und Puppe. Alles in natürlicher Größe.

[353] Eine vollständig andere Lebensweise führt der Baumweißling (Pieris crataegi), welchen wir in seinen verschiedenen Ständen hier abgebildet sehen. Im Juli erscheint der schwach bestäubte Falter, welchen seine schwarzen Rippen und die Anhäufung gleichgefärbter Stäubchen an ihren Enden charakterisiren. Es muß noch bemerkt werden, daß die anscheinend dickere Rippe als halbe Grenze der Mittelzelle im Vorderflügel von stärkerer Bestäubung herrührt, und daß sie der Regel folgt, welche vorher von der Sippe angegeben wurde. Das Weibchen legt alsbald seine gelben flaschenförmigen Eierchen in Häuflein, größere oder kleinere, wie wir sie auf dem nicht vollständig ausgeführten Blatte in unserer Zeichnung erblicken, an die Blätter der Pflaumen- und Birnbäume, des verwandten Schwarzdorns, am seltensten wohl an den Strauch, welcher dem Falter seinen wissenschaftlichen Namen verliehen hat, an den Weißdorn. Im Herbste kriechen die Räupchen aus, fressen noch, spinnen aber gleich ein paar Blätter an ihrem Zweige zusammen und an diesen fest, damit sie beim Laubfalle sitzen bleiben. In diesem seidenglänzenden Gespinste überwintern sie. Wenn die Bäume ihr Laub verloren haben, fallen diese »kleinen Raupennester« leicht in die Augen. Sobald im nächsten Frühjahre die Knospen grünen, fangen die Räupchen an zu fressen und weiden bald Blätter und Blüten ab, die sich in ihrer Nachbarschaft befinden, oft früher als jene zu ihrer Entwickelung gelangen konnten. Wenn die Raupen größer geworden sind, verlassen sie ihre gemeinsame Wohnung und zerstreuen sich. Die erwachsene Raupe ist feist und glänzend, ziemlich behaart, hat auf dem Rücken schwarze und rothe Längsstreifen, welche mit einander wechseln, und sieht am Bauche aschgrau aus. Ende Juni verpuppt sie sich meist in der Nähe ihres letzten Weideplatzes, verläßt denselben aber auch und kriecht auf andere Gegenstände. Die Abbildung zeigt die Gestalt sowie die regelrechte Anheftung der Puppe, und es sei nur noch bemerkt, daß sie hell gestreift und schwarzfleckig auf einem braungrünen oder gelbgrünen Grunde ist. Nach zwölf bis vierzehn Tagen kommt der Schmetterling daraus hervor, welcher, wie die meisten, bald nach seiner Geburt einen gefärbten Saft aus dem After entleert. Dieser hat beinahe eine blutrothe Farbe, und weil er zu Zeiten in großen Mengen vorkam, so hat dies zu der Sage von dem »Blutregen« Veranlassung gegeben, welcher ein Vorbote [353] für allerlei böse Ereignisse sein sollte. Entschieden ist dieser Schmetterling mit der Zeit seltener geworden, als er früher war. Zu Pfingsten 1829 bot die Heerstraße von Erfurt nach Gotha, wie Keferstein mittheilt, einen eigenthümlichen Anblick. Alle Obstbäume, welche sie beiderseits einfassen, waren weiß, als wenn sie in den schönsten Blüten prangten. Dieses Blütengewand bestand aber aus einer ungeheueren Masse von Baumweißlingen. Seitdem ist diese Art nie wieder in solchen Mengen gesehen worden. Aehnliches kann ich aus meiner Jugendzeit berichten. Im Blumengarten meiner Großeltern traf ich als Kind diese Schmetterlinge in Schrecken erregenden Mengen. Besonders interessant war es, gewisse Gewächse zu sehen, an welchen sie zum Uebernachten des Abends festsaßen und zwar in solchen Massen, daß sie dieselben ganz bedeckten. Auch kleine Wasserpfützen umsäumten sie am Tage zu tausenden, eine Liebhaberei, welche den Pieriden vorzugsweise eigen zu sein scheint und auch von Reisenden aus fernen Ländern über sie berichtet wird. Seitdem sind vierzig und einige Jahre verflossen und ich habe kaum einen Baumweißling wieder im Freien zu Gesicht bekommen; dies gilt aber nicht bloß für die Provinz Sachsen, sondern auch für andere Gegenden. Ein Schmetterlingshändler aus Ungarn theilte mir vor einigen Jahren mit, er habe den Auftrag erhalten, hundert Baumweißlinge nach Amerika zu schicken und daher seinen ihn zu Hause beim Sammeln unterstützenden weiblichen Familiengliedern den Auftrag ertheilt, auf dieselben zu fahnden, er glaube aber nicht, daß sie eine so große Menge zusammenbringen würden. Es scheint mir an diesem Falter der Beweis geliefert zu sein, wie durch allgemeine und gründliche Verfolgung, die sich hier durch Zerstören der Raupennester vornehmen läßt, mit der Zeit aus einem lästigen Ungeziefer eine vom Sammler gesuchte Seltenheit werden könne. Der Ungar zweifelte am Zusammenbringen von hundert Stück und in jener Zeit trat ich an manchem Abende deren achthundert todt, ohne auch nur die geringste Abnahme wahrzunehmen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 353-354.
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