Psyche helix

[390] Eine in mehr als einer Hinsicht höchst interessante Sippe bilden die Sackträger (Psychina), darum so genannt, weil die Raupen in einem Futterale stecken, welches sie sich aus den verschiedensten Pflanzentheilen und in der mannigfachsten Anordnung derselben anfertigen, jede jedoch so eigenartig, daß man den Sack kennen muß, um mit Sicherheit den Schmetterling von einem anderen, ungemein ähnlichen unterscheiden zu können. Eine zweite Eigenthümlichkeit besteht in der Flügellosigkeit der Weibchen, von welchen viele den Sack, in welchem sich die Raupe stets verpuppt, nicht verlassen und viel eher einer Made, als einem vollkommenen Kerfe ähnlich sehen, am allerwenigsten einem Schmetterlinge. Andere haben Beine und Fühler und setzen sich wenigstens auf die Außenseite ihrer Wiege. Die in der Regel zottig behaarten, düstergefärbten und zeichnungslosen Männchen erweisen sich als muntere Gesellen, welche aus weiter Ferne das andere Geschlecht wittern, in hastigem Fluge herbei kommen und womöglich in die Schachtel eindringen, in welche der Sammler ein ihrer Art zugehöriges Weibchen einsperrte.


Ringelspinner (Gastropacha neustria), männlicher Falter, Eiring, Raupe; alles natürliche Größe.
Ringelspinner (Gastropacha neustria), männlicher Falter, Eiring, Raupe; alles natürliche Größe.

Die Fühler sind buschig gekämmt, und zwar in der gewöhnlichen Weise doppelt, Taster und Zunge fehlen oder verkümmern mindestens sehr stark. Die Vorderflügel haben eine, meist nach dem Saume zu gegabelte Innenrandsrippe, die Hinterflügel deren drei und eine Haftborste. Im übrigen unterliegt der Rippenverlauf je nach der Art verschiedenen Abänderungen. Sie fliegen bei Tage und in der Dämmerung und legen ruhend die Flügel dachförmig auf den Hinterleib. Zu den zwei erwähnten kommt noch eine dritte Eigenheit, welche zwar nicht zur Regel wird, aber doch einzelne Arten betrifft. Man hat nämlich jungfräuliche Geburten (Parthenogenesis) bei einigen beobachtet, Fortpflanzung ohne vorangegangene Befruchtung; ja, bei einer, der Psyche helix, welche aus Sandkörnchen einen Sack verfertigt, der einem Schneckenhause der Gattung Helix nicht unähnlich, kannte man das Männchen noch gar nicht, bis Claus (1866) aus tiroler Raupen, welche sich mit Teucrium Chamaedrys und Alyssum montanum füttern ließen, dieselben erzog, nachdem er solche bereits in der Raupe erkannt hatte. Die Säcke beider unterscheiden sich außer durch geringere Größe des männlichen auch noch dadurch, daß bei letzterem die obere seitliche Oeffnung nicht viel über eine einzige Windung von der unteren Eingangsmündung entfernt liegt, während diese Entfernung beim weiblichen Sacke fast deren zwei beträgt. – Mitte Juni waren sämmtliche Räupchen verpuppt, und am 1. Juli erschien das erste, am 10. das zweite Männchen. Durch die großen dunkel chokoladenbraunen Vorderflügel, die dichte Behaarung des 3 Millimeter langen Körpers und durch die große Hinfälligkeit zeichneten sie sich aus; denn sie starben schon am ersten Tage ab. Beobachtungen von [390] jungfräulicher Fortpflanzung wurden außerdem an Psyche unicolor, P. viciella und P. apiformis, an der Talaeporia nitidella, Solenobia lichenella, triquetrella sowie vereinzelt und ausnahmsweise an einigen größeren Spinnern angestellt.

Die Psychenraupen bedürfen bei ihrer Lebensweise zwar der sechs hornigen Brustfüße, welche sie mit den dazu gehörigen Körpertheilen herausstecken, um, ihr kleines Haus mit sich schleppend, an Baumstämmen, Grasstengeln, Holzplanken usw. umherzukriechen und sich Futter zu suchen, die übrigen Füße sind überflüssig und daher zu Wärzchen verkümmert oder spurlos verschwunden. Um sich zu verpuppen, verlassen die meisten Psychinen ihre Futterpflanze und spinnen die vordere Mündung ihres Sackes an einen Baumstamm, einen Breterzaun, einen Stein und dergleichen fest. Sodann kehrt sich die Raupe um, mit dem Kopfende gegen die hinten freie Mündung. Die beiderseits stumpf gerundete Puppe des Weibchens zeigt wenig Bewegung und bleibt, auch wenn der Schmetterling auskriecht, am Grunde des Gehäuses liegen, während die gestreckte, mit Borstenkränzen ausgerüstete männliche sich vor dem Ausschlüpfen bis zur Hälfte aus dem hinteren Ende hervorarbeitet.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 390-391.
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