Gemeiner Todtengräber (Necrophorus vespillo)

[60] Der gemeine Todtengräber (Necrophorus vespillo) hat mit seinen vierzig und einigen Gattungsgenossen, von welchen die meisten in Europa und Nordamerika leben, folgende Merkmale gemein. Die vier letzten der zehn Fühlerglieder bilden einen kugeligen Knopf. Der große, hinten halsartig verengte Kopf duckt sich zum Theil unter das fast kreisrunde, breitrandige Halsschild. Die gestutzten Flügeldecken lassen die drei letzten Leibesglieder frei. Die kräftigen Beine, deren hinterste aus queren, zusammenstoßenden Hüften entspringen, zeichnen sich durch an der Spitze stark erweiterte Schienen aus, und bei den Männchen durch die Erweiterung der vier ersten Glieder an den Vorder- und Mittelfüßen. Von den walzig endenden Tastern übertreffen die der Kiefer jene der Lippe bedeutend an Länge. Die abgebildete Art charakterisiren gebogene Hinterschienen, ein goldgelb behaartes Halsschild, ein gelber Fühlerknopf, zwei orangefarbene Binden der Flügeldecken und schwarze Grundfarbe. Bemerkt sei noch, daß sie einen abgesetzt schnarrenden Laut erzeugen kann, indem der Rücken des fünften Hinterleibsgliedes mit seinen zwei Leisten an den Hinterrändern der Flügeldecken gerieben wird. Wo ein Aas liegt, findet sich der Todtengräber ein, wenn man ihn, das vorherrschend nächtliche Thier, auch sonst wenig zu sehen bekommt. Mit dem Gesumme einer Hornisse kommt er herbeigeflogen und gibt dabei den Flügeldecken eine charakteristische Stellung. Diese klappen sich nämlich von rechts und links in die Höhe, kehren die Innenseite nach außen und stehen, sich mit den Außenrändern berührend, dachartig über dem Rücken. [60] Aus dem einen werden zwei, drei, bis sechs Stück, welche sich dort zusammenfinden und zunächst die zu begrabende Leiche mustern, sowie den Boden, welcher sich nicht immer zu einem Begräbnisplatze eignet. Finden die Käfer alles in Ordnung, so schieben sie sich in gehöriger Entfernung von einander, im sich nicht in den Weg zu kommen, unter jene, scharren die Erde mit den Beinen unter sich weg nach hinten, daß sie rings herum einen Wall um die allmählich durch ihre Schwere einsinkende Maus, die wir beispielsweise annehmen wollen, bildet. Geräth die Arbeit irgendwo ins Stocken, bleibt ein Theil, wie das beinahe nicht anders möglich, gegen andere zurück, so erscheint dieser und jener Arbeiter an der Oberfläche, betrachtet sich, Kopf und Fühler bedächtig emporhebend, wie ein Sachverständiger von allen Seiten die widerspenstige Partie, und es währt nicht lange, so sieht man auch diese allgemach hinabsinken; denn die Kräfte aller vereinigten sich nun an diesem Punkte. Es ist kaum glaublich, in wie kurzer Zeit diese Thiere ihre Arbeit so fördern, daß bald die ganze Maus von der Oberfläche verschwunden ist, nur noch ein kleiner Erdhügel die Stelle andeutet, wo sie lag und zuletzt auch dieser sich ebnet. In recht lockerem Boden versenken sie die Leichen selbst bis zu dreißig Centimeter Tiefe. Der um die Botanik und Oekonomie vielfach verdiente Gleditsch hat seiner Zeit diese Kä ferbegräbnisse lange und oft beobachtet und theilt uns mit, daß ihrer vier in funfzig Tagen zwei Maulwürfe, vier Frösche, drei kleine Vögel, zwei Grashüpfer, die Eingeweide eines Fisches und zwei Stücke Rindsleber begruben. Wozu solche Rührigkeit, solche Eile? Den »unvernünftigen« Geschöpfen sagt es der sogenannte Instinkt, jener Naturtrieb, der uns Wunder über Wunder erblicken läßt, wenn wir ihn in seinen verschiedenartigsten Aeußerungen betrachten. Daß indessen oft mehr als dieser Naturtrieb im Spiele sei und von Unvernunft bei diesen und anderen unbedeutenden Kerfen füglich nicht die Rede sein könne, beweist folgende Thatsache: Todtengräber, denen man ein Aas schwebend über der Erde an einen Faden hingehängt hatte, welcher an einem Stabe befestigt war, brachten diesen zu Falle, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß sie auf gewöhnliche Weise am Aase nichts ausrichten konnten. Sie wissen, um zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage zurückzukommen, recht wohl, daß ihnen andere ihresgleichen, Aaskäfer verschiedener Gattungen, besonders auch große Schmeißfliegen, zuvorkommen könnten, und um ihrer Brut in zärtlicher Fürsorge hinreichende Nahrung und bestes Gedeihen zu sichern, darum strengen sie ihre Kräfte über die Maßen an; denn nicht um sich einen Leckerbissen zu verwahren, wie der gesättigte Hund, welcher einen Knochen versteckt, begraben sie das Aas, sondern um ihre Eier daran zu legen. Als Fresser findet man sie mit zahlreichen Gesinnungs-, wenigstens Geschmacksgenossen: den bereits erwähnten Kurzflüglern, den weiterhin zu besprechenden Silphen, Speckkäfern, Stutzkäfern und zwischen einem unheimlichen Gewimmel widerlicher Fliegenmaden unter größeren, unbegrabenen Aesern, deren Knochen schließlich nur noch allein übrig bleiben. In unserem Bilde »Wirkungen vereinter Kräfte« ist ein solcher Massenangriff auf einen todten Vogel in seinem ersten Beginnen dargestellt, im weiteren Verlaufe würde er sich aus ästhetischen Rücksichten für eine bildliche Darstellung nicht mehr eignen und in dem Bilde »Aasinsekten« findet sich eine Anzahl der bekanntesten Formen vereinigt.

Es ward bisher vorausgesetzt, daß die Bodenverhältnisse für die Beerdigung sich eigneten, dies ist aber nicht immer der Fall. Steiniges, hartes Erdreich, ein Untergrund mit verfilzter Grasnarbe würden den angestrengtesten Arbeiten der kleinen Minirer Hohn sprechen. Sie sehen dies bald ein und wählen auf diese Weise gebettete Leichen für ihre eigene Ernährung und nicht für ihre Brut, haben aber auch in solchen Fällen weitere Beweise für ihre geistige Befähigung abgelegt. Man hat beobachtet, wie sie durch Unterkriechen und Zerren von außen nach ein und derselben Richtung hin den kleinen todten Körper eine Strecke fortbewegt haben, bis er auf einer benachbarten, ihren Zwecken entsprechenden Unterlage angelangt war.

Ist endlich mit größeren oder geringeren Hindernissen, immer aber mit dem Aufgebote aller Kräfte, die Beerdigung bewerkstelligt, so erfolgt die Paarung, und das Weibchen verschwindet wieder in der Erde, wo es unter Umständen fünf bis sechs Tage unsichtbar bleibt. Kommt es dann wieder [61] hervor, so pflegt es kaum mehr kenntlich zu sein, weil es über und über von kleinen, achtbeinigen, röthlichgelben Milben (Gammasus coleopterorum) bewohnt wird. Es hat sein Geschick erfüllt, auf ihm nimmt nun ein anderes Geschöpf Platz und erfreut sich in seiner Weise der Annehmlichkeiten des kurzen Daseins. Wollen wir aber selbst sehen, wie unser beweglicher Käfer mit seinen orangenen Binden und der goldigen Halskrause zu Stande kam, so wird es Zeit, eine unsaubere Arbeit vorzunehmen und die Maus, die er mühsam versenkte, wieder zu Tage zu fördern, in ein Glas mit der nöthigen Erde und zwar so zu bringen, daß sie zum Theil an die Wand des Gesäßes zu liegen kommt, um gesehen werden zu können; denn nach weniger als vierzehn Tagen kriechen die Larven aus den Eiern. Die weitere Beobachtung derselben, wie sie sich unter schlangenartigen Windungen ihres Körpers im Kothe wälzen und an den damit innig verbundenen Erdklümpchen wie die Hunde an einem Knochen herumzausen, bietet zu wenig des Aesthetischen, um eine weitere Ausführung zu gestatten. In kurzer Zeit und nach mehrmaligen Häutungen haben sie ihre vollkommene Größe erreicht, in der wir eine Larve dargestellt haben. Ihre Grundfarbe ist schmutzigweiß, die sechs schwachen, einklauigen Beine, der Kopf mit viergliederigen Fühlern und den mäßigen Kinnbacken sind gelblichbraun, ebenso die kronenförmigen Rückenschilder, welche an den Vorderrändern der Glieder aufsitzen und beim Fortkriechen mit ihren Spitzen zum Stützen und Anstemmen dienen. Vom Kopfe sei nur noch bemerkt, daß hier eine Oberlippe vorhanden ist und die sechs Nebenaugen jederseits dadurch in zwei Gruppen zerfallen, daß sich die beiden unteren weiter von den übrigen entfernen. Zur Verpuppung geht die Larve etwas tiefer in die Erde, höhlt und leimt dieselbe aus und wird zu einer anfangs weißen, nachher gelben und weiter und weiter dunkelnden Puppe, je näher sie der Entwickelung zum Todtengräber entgegenreift. Obschon dieselbe rasch genug vorschreitet, um zwei Bruten im Jahre zu ermöglichen, so dürften solche doch nicht vorkommen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 60-62.
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