Greiskäfer (Dascillus cervinus)

[106] Der Greiskäfer (Dascillus cervinus) ist pechschwarz, sehr dicht und fein grau behaart, so daß nur die Fußklauen und der After, bisweilen auch die Flügeldecken, die Grundfarbe behalten, die fadenförmigen Fühler und Beine sind gelbbraun. Der Kopf ist viel schmäler als das Halsschild, dieses noch einmal so breit wie lang, vorn verschmälert, hinten eng an die fast walzigen Flügeldecken angeschlossen. Die Hüften sind quer und kegelförmig vorragend, die Füße fünfgliederig, die ersten vier Glieder unten lappenartig erweitert. Dieses Merkmal sowie die sichelförmigen, kräftigen Kinnbacken, die zweihäutigen und geschlitzten Lappen an dem Unterkiefer und die viertheilige Zunge charakterisiren die ganze Familie. Der Greiskäfer findet sich auf Dolden und auf verschiedenen Pflanzen hier und da nicht selten. In unserer Gegend ist er mir nie vorgekommen, dagegen lebt er in den Gebirgen Deutschlands und Oesterreichs, in der Niederlausitz, in der Provinz Brandenburg und, wie es scheint, überhaupt in der Tiefebene des nördlichen Deutschland.

Anfangs April des Jahres 1874 wurde mir eine größere Menge lebender Larven zugeschickt, welche in der Niederlausitz zu Schrecken erregenden Mengen an den Graswurzeln einer Wiese aufgefunden worden waren, so daß die noch nicht beobachtete Erscheinung einen bisher unbekannten Kulturenfeind voraussetzen ließ. Ich war der Meinung, die Larve befinde sich im Jugendalter und gehöre einer dem Brachkäfer nahestehenden Art der Blätterhörner an, von welchen bekanntlich viele den Wurzeln der Wiesengräser ihre Nahrung entnehmen. Dieselbe gleicht in Form und Haltung des Körpers dem Engerlinge, zeichnet sich jedoch durch einen großen Kopf und durch ein entschieden schlankeres Ende des abgestutzten Hinterleibes aus, ist überdies überall mit Chitin überzogen. Der Kopf hat ungefähr die Form und die Lage wie beim Engerlinge, keine Augen, viergliederige Fühler, aber wesentlich anders gebildete Kinnbacken: dieselben sind nämlich schwach gebogen und am Ende mit einem einfachen, in der Mitte mit einem zweitheiligen Zahne bewehrt. Der Unterkiefer trägt dreigliederige Taster, zwei längliche Hornladen, die in eine zweitheilige Hakenspitze auslaufen. Die einklauigen Beine sind der Mittellinie der Brust näher gerückt als beim Engerlinge, und so finden sich bei näherer Betrachtung noch weitere Unterschiede zwischen diesen, auf den ersten flüchtigen Blick so ähnlichen beiden Larven. Bei der Uebersendung wurde berichtet, daß sie von den Krähen nicht mehr gefressen würden, daß schon drei Wochen früher nur noch große – durchschnittlich 17 Millimeter lange – gefunden worden seien, diese aber theilweise bis zu 23,5 Centimeter Tiefe. Ich brachte die mit reichlicher Erde und deren Gras eingesandten Larven in ein großes Glasgefäß, säete Gras nach und erzog vom fünften Mai ab einige wenige Greiskäfer, die bis auf einen an den Flügeldecken mehr oder weniger verkrüppelt waren. Der Larvenmenge entsprechend, hätten bei weitem mehr Käfer erscheinen müssen, und da sich beim sorgfältigen Durchsuchen der Erde nur geringe Spuren verkommener Larven erkennen ließen, so nehme ich an, daß diese sich zum Theil aufgefressen haben. Entschieden waren die Eier zu Anfang des vorangegangenen Frühjahres abgesetzt worden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 106.
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