Schwarzer Dickmaulrüßler (Otiorhynchus niger)

[132] Der schwarze Dickmaulrüßler (Otiorhynchus niger) oder der große schwarze Rüsselkäfer, wie er bei den Forstleuten allgemein heißt, ein glänzend schwarzer Käfer mit gelbrothen Beinen, wenn die schwarzen Kniee und Fußglieder ausgenommen werden, dessen Flügeldecken Grübchenreihen und in den Grübchen je ein graues Härchen tragen, mag statt aller die gedrungene Gestalt einer vorherrschend europäischen, dann weiter in den außereuropäischen Mittelmeerländern und Asien vorkommenden Gattung zur Anschauung bringen, welche an Artenzahl (444) von keiner zweiten heimischen erreicht wird.


Liniirter Graurüßler (Sitones lineatus) und einige sehr ähnliche Arten; vergrößert.
Liniirter Graurüßler (Sitones lineatus) und einige sehr ähnliche Arten; vergrößert.

Diese Käfer, in ihren größten Arten vorherrschend den Gebirgswäldern zugethan, zeichnen sich alle aus durch einen nur schwach geneigten Kopf, welcher nicht bis zu dem hinteren Augenrande im Halsschilde steckt und sich nach vorn zu nur kurzem Rüssel verlängert. Der am Vorderrande ausgeschnittene Rüssel erweitert sich seitlich über der sehr weit vorgerückten Einlenkungsstelle der Fühler lappenartig und rechtfertigt auf diese Weise die deutsche Benennung Lappenrüßler oder Dickmaulrüßler, durch welche man den wissenschaftlichen Namen wiedergegeben hat. Seine Grube für die Fühler ist nach dem oberen Augenrande hin gerichtet und viel zu kurz, um den mindestens noch einmal so langen Fühlerschaft aufnehmen zu können. Die Geisel besteht aus zehn Gliedern, von denen die beiden ersten merklich länger als breit sind, die drei letzten aber im engen Anschlusse aneinander den eiförmigen zugespitzten Fühlerknopf bilden. Das Halsschild ist an beiden Enden gerade abgestutzt, an den Seiten mehr oder weniger bauchig erweitert und das Schildchen undeutlich. Die harten Flügeldecken sind breiter als das Halsschild, aber an den gerundeten Schultern wenig vorspringend, bei den schlankeren Männchen schmäler und an der Spitze etwas länger ausgezogen als beim Weibchen. Die Vorderhüften stehen in der Mitte ihres Ringes nahe beisammen, alle Schienen tragen einen nach innen gekrümmten Endhaken und die viergliederigen Füße einfache Klauen. Der Körper ist ungeflügelt. Die gemeinsamen Gattungsmerkmale setzen sich in der düsteren, schwarzen, braunen oder durch [132] Beschuppung grauen Färbung des ganzen Körpers zumeist fort, doch zeichnen sich auch mehrere Arten durch gold- oder silberglänzende Schuppenbekleidung einzelner Stellen vortheilhaft aus. Als Kinder des gemäßigten nördlichen Erdstriches bleiben sie allerdings in dieser Beziehung gewaltig hinter ihren nahen Verwandten auf den Philippinischen Inseln und Neu-Guinea zurück. Dort kommen auch schwarze Dickrüßler (Pachyrhynchus) vor, deren Halsschild und Flügeldecken durchschnittlich noch bauchiger, gleichzeitig aber mit Binden oder Flecken aus azurblauen, gold- oder silberglänzenden Schuppen verziert sind und einen wunderbar schönen Anblick gewähren.

Unsere Art nun, um zu ihr zurückzukehren, findet sich beinahe das ganze Jahr hindurch in den Nadelwäldern der Gebirge, ohne der Ebene gänzlich zu fehlen, ist als flügelloser Käfer an ihre Geburtsstätte gebunden und daher immer da zu finden, wo sie sich einmal eingebürgert hat. Vom August ab und später trifft man den Käfer in seiner Heimat sicher unter Moos, Bodenstreu oder Steinen an, wie halb erstarrt und ungemein träge. Da man nun in seiner Umgebung die Ueberreste seiner Brüder gleichfalls reichlich umherliegen sieht, so kann es zweifelhaft bleiben, ob er den Stein als seinen Leichenstein, oder nur als den Ort betrachtet wissen will, der ihn während seines Winterschlafes schützen soll. Beide Annahmen lassen sich mit einander vereinigen: ist er lebensmüde und will er einen ruhigen Platz haben, an welchem er sein müdes Haupt niederlege, so ist er ein alter Käfer, der seinen Lebenszweck erfüllt hat; will er dort nur den Winter verschlafen, so wurde er im Laufe des Sommers im Schoße der Erde geboren, bekam aber noch Lust, sich draußen in der Welt umzuschauen, ehe der unfreundliche Winter zu einem abermaligen Verkriechen zwingt. Dem sei nun, wie ihm wolle, um die Pfingstzeit sind die Käfer in den Fichtenbeständen am zahlreichsten und benagen junge Stämmchen unmittelbar über der Erde, besonders wenn sie, durch den Graswuchs gedeckt, bei ihrer Arbeit nicht gestört werden. Mit der Zeit rücken sie höher hinauf und lassen sich den jungen Maitrieb gleichfalls schmecken.


Weibchen des großen schwarzen Rüsselkäfers (Otiorhynchus niger), vergrößert und in natürlicher Größe.
Weibchen des großen schwarzen Rüsselkäfers (Otiorhynchus niger), vergrößert und in natürlicher Größe.

Durch die Endhaken der Schienen können sie sich außerordentlich fest halten, so daß der heftigste Wind sie so leicht nicht herabzuwerfen vermag, sowie man sie nur mit einem gewissen Kraftaufwande von dem Finger losbringt, in welchen sie sich beim Aufnehmen sofort einhaken. Während der genannten Zeit erfolgt auch die Paarung. Das befruchtete Weibchen kriecht in die Erde und legt seine zahlreichen Eier ab. Die aus denselben geschlüpften Larven fressen an den Wurzeln der Nadelhölzer in Weise der Engerlinge und werden meist in kleineren Gesellschaften bei einander gefunden. Die Larve ist derjenigen des Hylobius abietis (S. 136) sehr ähnlich, aber auf Querreihen von Dornhöckerchen büschelweise und auffällig behaart. Da man den Sommer über alle Entwickelungsstufen neben einander antreffen kann, so muß die Verwandlung eine ungleichmäßige sein, wenn sie sich auch in Jahresfrist vom Eie bis zum Käfer abspielt. Aus jener Unregelmäßigkeit erklärt sich auch das von Juni bis September beobachtete Hinzukommen neuer Käfer zu den überwinterten und somit ihr Eingangs erwähntes Vorhandensein das ganze Jahr hindurch.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 132-133.
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