Gemeine Skorpionfliege (Panorpa communis)

[497] Einen abermals anderen Formenkreis eröffnet die gemeine Skorpionfliege (Panorpa communis), ein wunderbares Insekt, welches in seiner Körpertracht einigermaßen an einen Glasflügler erinnert und während des Sommers die Gebüsche für die übrigen Kerfe unsicher macht. Seine deutsche Benennung erhielt es, weil das Männchen zwar nicht in einen knotigen Giftstachel endigt, wohl aber in eine geknotete Haftzange, welche in drohender Stellung nach oben gerichtet ist.


Gemeine Skorpionfliege (Panorpa communis). a Legendes Weibchen, b Männchen, c Larve, d Puppe. (a und b kaum vergrößert).
Gemeine Skorpionfliege (Panorpa communis). a Legendes Weibchen, b Männchen, c Larve, d Puppe. (a und b kaum vergrößert).

Die Schlankheit des Körpers, der Beine und Fühler, die schnabelartige Verlängerung des Kopfes und die verhältnismäßig wenigen Queradern in den hinten stumpf gerundeten, kaum von einander verschiedenen vier Flügeln, alles dieses läßt die Abbildung erkennen. Ueberdies verdienen noch die kleinen und gekämmten Fußklauen, die kräftigen Endsporen der Schienen und die deutlichen Nebenaugen der Beachtung. Von oben her bildet das langdreieckige Kopfschild, von unten her der verlängerte Unterkiefer und die damit verwachsene Unterlippe den Schnabel, jene mit fünfgliederigen, diese mit dreigliederigen Tastern versehen; die Kinnbacken erscheinen klein, schmal und zweizähnig. Das 13 bis 15 Millimeter messende Ungethüm verleugnet seine glänzend schwarze Grundfarbe an Schildchen, Beinen, Schnabel und den drei letzten Gliedern des männlichen Hinterleibes, indem die beiden erstgenannten gelb, die letzteren roth sind. In der Gefangenschaft läßt sich die Skorpionfliege mit Aepfeln, Kartoffeln, rohem Fleische füttern, verräth mithin keinen wählerischen Geschmack; in der freien Natur entwickelt sie ihr unerschrockenes Wesen, ihre ungezügelte Frechheit. Denn sie scheut sich nicht, eine vielmal größere Wasserjungfer anzufallen, zu Boden zu werfen und ihr den Schnabel tief in den Leib zu bohren. Lyonet war Zeuge solcher Kühnheit. So frank und frei die Fliege lebt und den Sammler manchmal erschreckt oder täuscht, wenn sie unerwartet zwischen den Blättern herausfährt, so versteckt leben Larve und Puppe, und erst nach vielen Bemühungen gelang es den Forschern, dieselben ausfindig zu machen. Vier Tage nach der Paarung legt das Weibchen, beweglich wie es ist, mittels der vorstreckbaren Leibesspitze, ungefähr 2,25 Millimeter tief, unter feuchte Erde ein Häuflein Eier, größer, als man seiner Persönlichkeit nach vermuthen sollte. Anfänglich sind dieselben weiß, von erhabenen Adern netzförmig überzogen, werden aber allmählich grünlichbraun. Nach acht Tagen bekommen sie Leben. Die Larve (Fig. c), nur am Kopfe und an dem vorderen Brusttheile haarig, ernährt sich von verwesenden Stoffen und erlangt durchschnittlich in einem Monate ihre volle Größe. Der rothbraune, herzförmige Kopf trägt dreigliederige Fühler, zwei hervorquellende Augen und kräftige Freßwerkzeuge, deren Kiefertaster lang hervorragen. Von den übrigen dreizehn haarig bewarzten Leibesringen führen die drei [497] vordersten hornige Brust-, die acht folgenden fleischige, kegelförmige Bauchfüße und alle, mit Ausschluß des zweiten und dritten, je ein seitliches Luftloch. Aus dem Endgliede kann die Larve vier kurze Röhren hervorstrecken, welche eine weiße Flüssigkeit absondern. Trotz ihrer sonstigen Trägheit weiß sie Verfolgungen gewandt zu entgehen. Zur Verpuppung steigt sie etwas tiefer hinab unter die Erde, höhlt diese eiförmig aus und verweilt hier noch zehn bis einundzwanzig Tage, ehe sie sich dazu entschließt, die Larvenhaut abzustreifen und in der liebenswürdigen Gestalt (Fig. d) zu erscheinen, welche wir vor uns sehen. Nach ungefähr weiteren vierzehn Tagen arbeitet sie sich an das Tageslicht und gebiert die Fliege. Weil durchschnittlich neun Wochen zur vollständigen Verwandlung genügen, so werden vom Erscheinen der ersten Skorpionfliegen anfangs Mai zwei Bruten sehr gut möglich, von deren letzter theils Larven, theils Puppen überwintern. Westwood führt in einer Monographie dieser Gattung neunzehn Arten auf, von welchen drei in Europa, sieben in Amerika, zwei auf Java, eine auf Madras und die übrigen in Afrika leben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 497-498.
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