Manna-Cikade (Cicada orni)

[600] Die Mannacikade, kleine Eschencikade (Cicada orni), veranschaulicht hier eine der europäischen Arten, welche bisher noch nicht in Deutsch land beobachtet worden ist, aber in den meisten südlicheren Länderstrecken vorherrschend an der Manna-Esche lebt. Aus den Wunden, welche sie den genannten Bäumen behufs der eigenen Ernährung beibringt, fließt das Manna, ein Zuckerstoff, welcher möglichenfalls auch in anderen Eschenarten enthalten ist, wie er sich im Safte der Rüben, Zwiebeln, des Spargels, Sellerie und anderwärts mehr oder weniger reichlich findet. Obschon das feinste Manna durch die Cikadenstiche erzeugt werden soll, so gewinnt man doch das meiste auf künstlichem Wege, indem man im Juli und August der Rinde wagerechte Einschnitte beibringt, um diese zum Saftausflusse zu veranlassen, und nach den verschiedenen Gewinnungsarten unterscheidet man verschiedene Mannasorten. Daß, beiläufig bemerkt, unser heutiges Manna nicht dasselbe war, mit welchem sich die Kinder Israels vierzig Jahre in der Wüste ernährten, geht schon daraus hervor, daß nirgends von den abführenden Wirkungen desselben die Rede ist, welche nothwendig bei so reichlichem Genusse das heutige Manna hervorgebracht haben müßte. Die eigenthümliche Form des braunen, gelbgefleckten und weißbehaarten Körpers der Mannacikade, die schwach entwickelten, zweizähnigen Vorderschenkel und die elf braunen Punkte auf jedem der [600] wasserhellen Vorderflügel charakterisiren sie. Das »singende« Männchen hebt den Hinterleib ein wenig, um ihn sogleich wieder sinken zu lassen, wiederholt rascher und rascher dieselben Bewegungen, bis der Ton in ein ununterbrochenes Schwirren übergeht, mit welchem der Gesang schließt. »His strident arbusta Cicadis«, sagt Linné von dieser Art, wahrscheinlich derselben, welche auch dem Virgil keine Bewunderung abnöthigen konnte. Von anderen, ihr in der Körpertracht ähnlichen und theilweise schwer unterscheidbaren Arten beanspruchen etwa vier das deutsche Bürgerrecht. Cicada haematodes hat sich bei Würzburg, plebeja bei Regensburg, atra (gleichbedeutend mit concinna) und andere bei Heidelberg, Erlangen, in der fränkischen Schweiz gefunden, C. montana breitet sich über ganz Europa und den Norden Asiens aus; denn sie ward nicht nur in einigen nördlichen Punkten Deutschlands, wie Jena, Naumburg, Dresden, Breslau, beobachtet, sondern auch vereinzelt bei Insterburg in Preußen, bei Petersburg und in Schweden gefangen. An ähnlichen, aber zum Theil größeren Arten hat Amerika, besonders das insektenreiche Brasilien, Ueberfluß.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 600-601.
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