Graue Fleischfliege (Sarcophaga carnaria)

[474] Die graue Fleischfliege (Sarcophaga carnaria) begegnet uns für gewöhnlich nicht in den Häusern, desto häufiger aber vom Mai ab das ganze Jahr hindurch draußen im Freien, an Baumstämmen, auf Blumen, an Wegen und besonders überall da, wo sich verwesende Thier- und Pflanzenstoffe vorfinden. Sie wechselt sehr in der Größe. Das immer kleinere Männchen übertrifft manchmal kaum eine recht feiste Stubenfliege, während das Weibchen in der Regel reichlich 15 Millimeter mißt. Das blaßgelb schillernde Gesicht, der lichtgraue, ebenso schillernde, mit schwarzen Striemen wechselnde Rücken, der braune, schwarz und gelbschillernde, würfelig gezeichnete Hinterleib und die sammetschwarze Stirnstrieme machen sie in Hinsicht auf Färbung kenntlich. Weiter hat die Fliege eine an der Wurzelhälfte dickere, hier dicht befiederte Fühlerborste, gekeulte Taster am kurz vortretenden Rüssel und wenig auffällige Großborsten am gestreckt eiförmigen, beim Männchen fast walzigen Hinterleibe. In den großen Flügeln mündet die erste, offene Hinterrandzelle [474] weit von der Spitze, während die vierte Längsader (Spitzenquerader) winkelig abbiegt und sich als Falte hinter der Beugung noch fortsetzt. Diese und alle ihrer Gattung angehörigen Fliegen legen keine Eier, sondern gebären Maden, welche aus jenen bereits im Leibe der Mutter ausgeschlüpft sind. Schon Réaumur bemerkte diese Thatsachen an der grauen Fleischfliege und untersuchte sie genauer. Der Eierstock erscheint als ein Gefäß, dessen Wandungen wie ein Band geformt und spiralförmig zusammengerollt sind. Wickelt man eines auf, so ergibt sich eine Länge von ungefähr 65 Millimeter, während die Fliege selbst nicht vielmehr als 15 Millimeter mißt. Der Breite nach liegen zwanzig Maden und auf einer Länge von 6,5 Millimeter hundert nebeneinander, mithin in einem Bandstücke von genannter Länge zwanzigmal hundert, was für den ganzen Eierstock zwanzigtausend Larven betragen würde, welche einzeln in einer dünnen Eihaut eingeschlossen und auf diese Weise in Ordnung erhalten werden, am Ende des Eierstockes auch weiter entwickelt sind als an dem von den Eileitern entfernteren Theile. Angenommen, daß nicht die Hälfte der ungeheueren Zahl zur Entwicklung gelangt, wozu eben kein Grund vorliegt, und etwa nur achttausend geboren würden, so ist die Fruchtbarkeit dieser Fliegen immerhin noch eine Schrecken erregende. Die Neugeborenen wachsen wie das ihnen verwandte Ungeziefer sehr schnell und haben nach acht Tagen ihre volle Größe erlangt. Sie sind kegelförmig, schmutzigweiß, mit zwei schwarzen Hornhaken am vorderen, zugespitzten Theile und zwei Fleischspitzchen darüber versehen. Das abgestutzte Hinterende höhlt sich aus, wird von zusammenziehbaren Warzen umgeben und enthält im Innenraume, anscheinend als zwei dunkle Punkte, in Wirklichkeit als dreilapp-herzförmige Flächen, je drei Luftlöcher; noch ein gezähntes Luftloch befindet sich jederseits vorn. In irgend einem Winkel oder flach unter der Erde wird die Made zu einem schwarzbraunen Tönnchen, dessen sehr unebenes Leibesende durch eine scharfgekantete Aushöhlung die entsprechende Stelle der Larve andeutet. Bouché's Erfahrungen stimmen nicht mit denen Réaumurs und Degeers überein, indem er eine Puppenruhe von vier bis acht Wochen, ebenso eine längere Entwickelungszeit der Larve und nur in faulenden Pflanzenstoffen, nicht im Fleische beobachtete und darum eine theilweise Verwechselung mit der blauen Schmeißfliege voraussetzt. Fortgesetzte Beobachtungen an verschiedenen Gemeinfliegen haben außerordentlich verschiedenartige Entwickelungsorte einer und derselben Art erkennen lassen, und selbstverständlich ist trotz ihres Namens die in Rede stehende Art als Larve am wenigsten auf Fleischkost angewiesen, da sie solche im Freien nur sparsam finden würde. Daß Ausnahmefälle vorkommen können, werden wir nachher sehen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 474-475.
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