Rinderbremse (Tabanus bovinus)

[457] Obschon in ihrer äußeren Erscheinung vollkommene Fliegen, haben die Bremsen, Viehfliegen (Tabanidae) die Verwandlungsweise und ihre Weibchen die Blutgier mit vielen Mücken gemein und können Menschen und Thiere arg peinigen. An der hier abgebildeten Rinderbremse (Tabanus bovinus), einer der gemeinsten der vier- bis fünfhundert über die ganze Erde verbreiteten Arten, mag das Wesen der ganzen Familie erläutert werden. Körpertracht und Form der einzelnen Theile ersehen wir aus dem Bilde. An der Seitenansicht des Kopfes ragt die große, häutige Unterlippe als Rüsselscheide weit hervor, kann in der Ruhelage mehr zurückgezogen werden und birgt in ihrem Inneren die Stechborsten, je nach der Art vier bis sechs; was wir noch darüber bemerken, sind die zweigliederigen Kiefertaster. Die vorgestreckten, an der Wurzel sehr genäherten Fühler bestehen aus drei Gliedern; weil aber das dritte manchmal geringelt erscheint, könnte man auch von sechs sprechen. Charakteristisch für die Familie ist der Aderverlauf der in der Ruhe halb klaffenden Flügel. Ihre Randader geht ringsum, die dritte Längsader gabelt sich, und der obere Ast hat manchmal einen rückwärts gerichteten Anhang.


Weibliche Rinderbremse (Tabanus bovinus), mit Seitenansicht des Kopfes; natürliche Größe.
Weibliche Rinderbremse (Tabanus bovinus), mit Seitenansicht des Kopfes; natürliche Größe.

Aus der Mittelzelle strahlen drei und aus der hinteren Wurzelzelle noch eine Längsader nach dem Rande, beide Wurzelzellen sind gleichlang, deutlich getrennt, und die Analzelle (dritte Wurzelzelle) fast bis zum Flügelrande verlängert. Von den fünf Hinterrandzellen schließt sich die erste zuweilen. Obschon deutliche Flügelschüppchen vorhanden sind, werden die Schwinger doch nicht versteckt. An den unbeborsteten Beinen gehören drei Haftläppchen zu den Eigenthümlichkeiten der Familie. Die genannte Art gehört zu den stattlichsten bei uns einheimischen Fliegen, hat unbehaarte Augen, welche bei den Männchen immer auf dem Scheitel zusammenstoßen, keinen Anhang am Vorderaste der dritten Längsader, hellgelbe Schienen und dreieckige Rückenflecke am siebengliederigen Hinterleibe, als dessen Grundfarbe ein düsteres Wachsgelb vorherrscht. Das schmutzige Rückenschild wird durch gelbliche Behaarung ziemlich verdeckt. Die halbmondförmig ausgeschnittenen Fühler sind nie ganz schwarz, die Flügel bräunlichgrau, ihr Geäder gelbbraun. Die gegebene Beschreibung reicht aber noch nicht aus, um mit Sicherheit die genannte von mehreren anderen sehr ähnlichen Arten zu unterscheiden, doch können wir hier nicht weiter in das Einzelne eingehen.

Durch kräftiges Gesumme verkündet die Rinderbremse, wie ihre anderen Gattungsgenossen, ihre holde Gegenwart, ist ebenso schnell wieder ver schwunden, wie sie kam, und umkreist im neckischen Spiele ihre Beute, das Weidevieh, welches bisweilen bluttriefend und schäumend vor Wuth, wenn die unersättlichen Weibchen in Menge ihre scharfen Klingen einschlagen und ihren Heberapparat wirken lassen, den Weideplätzen entläuft. Das Wild sucht schattiges Gebüsch auf, um sich vor diesen Bremsen zu schützen; denn dahin folgen sie nicht, weil sie den Sonnenschein und somit offene Plätze lieben. Es ist interessant, an solchen, z.B. auf einem breiten Waldwege, über dem die Sonne steht und drückende Schwüle verbreitet, ihren wilden Spielen zuzuschauen. Mit starkem, scharfem Gesumme scheinen sie sekundenlang auf einer Stelle in Mannshöhe, auch um das Doppelte höher in [457] der Luft still zu stehen, die Schwingungen der Flügel folgen sich so rasch, daß diese nur bei einer Seitenwendung sichtbar werden; mit einem Rucke aus unseren Augen verschwunden, stehen sie im nächsten Augenblicke wieder an einer anderen Stelle. Mit diesem wunderlichen Tanze verbindet sich ein gar nicht unangenehmes Konzert, wenn zehn und zwölf Stück längs jenes Weges gleichzeitig sich tummeln. Dem Menschen gegenüber zeigen sie sich ungemein scheu und pflegen sich nur dann auf ihn herabzulassen, wenn er bewegungslos stehen bleibt. An rauhen Tagen sitzen sie gern an den Stämmen der Bäume, aber nicht fest; denn wenn man sich einer sehr behutsam naht, um sie zu fangen, huscht sie unter der Hand davon. Auch kann man sie in Menge an schadhaften Eichstämmen den ausfließenden Saft saugen sehen, in der Weise, wie sie zu neun Stück unser Gruppenbild, »Herrschaft der Fliegen«, vorführt.

Die Larve gleicht in Gestalt und Lebensweise denen der Erdschnaken, hält sich, wie diese, gesellig auf Wiesen in lockerer Erde auf, wahrscheinlich von Graswurzeln lebend, und kann sich durch Ausrecken des vorderen Körpertheiles sehr verschmälern. Der kleine, glänzend braune Kopf trägt zwei Fühler, Freßspitzen und zwei nach unten gekrümmte Häkchen, welche wie die seitlichen, am Bauche liegenden Fleischwärzchen das Fortkriechen unterstützen. Die zwölf Leibesringe sehen graulich aus und haben schwärzliche Fugen. Das dicke Schwanzende trägt als Luftlöcher zwei seitliche Fleischzapfen. Im Mai ist nach der Ueberwinterung die Made erwachsen, streift ihre Haut ab und verwandelt sich in eine zolllange Mumienpuppe, die etwa der der Schnaken gleicht, grau von Farbe, am Hinterrande der (acht) Hinterleibsringe mit Fransen grauer Haare, am letzten mit einem Borstenkranze besetzt ist, mit dessen Hülfe sie sich aus der Erde hervorarbeitet. Zwei Höcker vorn dienen ihr zum Athmen. Im Juni schlüpft die Fliege aus, und hat sie ihr Wesen in der oben beschriebenen Weise getrieben, so legt das befruchtete Weibchen seine Eier in Haufen von drei bis vier Hunderten an Grasstengel, woraus sich nach zehn oder zwölf Tagen die jungen Lärvchen entwickeln, wenn nicht kleine Schlupfwespchen, der zu starken Vermehrung dieser Bremse vorbeugend, dieselben schon angestochen hatten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 457-458.
Lizenz:
Kategorien: