Dreizehnte Familie: Echte Schlupfwespen (Ichneumonidae)

[311] Die Familie der echten Schlupfwespen (Ichneumonidae) läßt sich zwar von den voraufgehenden Schmarotzern durch die Flügelbildung leicht unterscheiden, setzt aber die Schwierigkeiten derselben fort, wenn es sich um Erkenntnis der zahlreichen Arten handelt. Die Vorderflügel aller stimmen im Geäder so überein, daß dasselbe nur wenig benutzt werden kann, um die überaus große Zahl der Gattungen von einander zu unterscheiden. Die Grundform, wel che hier vorkommt, wurde auf S. 201, Fig. 3, abgebildet. Danach finden wir zunächst im Vorhandensein zweier rücklaufenden Adern den Unterschied zwischen dieser Familie und den Braconiden, welche in anderer Beziehung zum Theile leicht mit einander verwechselt werden könnten. Ferner verschmilzt hier immer die vordere Mittelzelle mit der ersten Unterrandzelle, und ein kleiner Nervenast deutet oft den Anfang der trennenden Ader an. Somit hat der Vorderflügel einer echten Schlupfwespe ein Randmal, eine Randzelle, drei oder mit Wegfall der mittelsten, der sogenannten Spiegelzelle, nur zwei Unterrand- und zwei Mittelzellen. Ein weiteres, allen Ichneumoniden an die Stirne geheftetes Erkennungszeichen sind die vielgliederigen, geraden Fühler, die durchaus gleich dick sind, mit Ausschluß der immer kräftigeren Wurzelglieder, oder nach der Spitze hin dünner werden; etwas keulenförmige kommen sehr selten vor, eher bei gewissen Weibchen solche, die eine Anschwellung oder Verbreiterung vor der Spitze erleiden. Die drei Nebenaugen, der vorn durch das Kopfschild geschlossene Mund, die fünfgliederigen Kiefertaster und Füße, ein sitzender oder dünngestielter Hinterleib sind Merkmale der Ichneumoniden, welche aber auch vielen anderen Immen zukommen, und so bleiben eben nur die Flügel mit ihrem Geäder das wesentlich Unterscheidende. Wenn dieselben fehlen, was bei gewissen kleinen Arten auch vorkommt, kann unter Umständen ein Zweifel entstehen, wo das betreffende Thier einzustellen sei. Keine Schlupfwespe summt beim Sitzen oder Fliegen, jede kann sich also geräuschlos ihrem Schlachtopfer nähern; nur die größeren Arten werden bisweilen durch einen mehr knisternden Flügelschlag hörbar.

Der Vielseitigkeit in der schmarotzenden Lebensweise wurde bereits oben (S. 196 ff.) gedacht, und die Entwickelung der einen und anderen Art soll bei Besprechung der Sichelwespen zusammengefaßt werden. Daß das Wohnthier erst dann zu Grunde geht, wenn der Schmarotzer seiner nicht mehr bedarf, liegt in der Art, wie er sich von ihm ernährt. Man nimmt nämlich an, daß er von dem Fettkörper zehre, von einer gelben Masse, welche sich meist um den Darmkanal lagert und denjenigen Nahrungsstoff in sich aufgespeichert enthält, durch welchen der Kerf seine volle, vielleicht hauptsächlich seine geschlechtliche Entwickelung erhält. Alle edleren, das Larvenleben bedingenden Theile bleiben unverletzt, so lange der Schmarotzer seine Reife noch nicht erlangt hat.

Es bliebe für die allgemeine Betrachtung nur noch übrig, diejenigen Körpertheile etwas näher ins Auge zu fassen, welche zur Unterscheidung der hunderte von Gattungen und vielen tausende von Arten dienen.

Die Fühler aller folgen demselben Bildungsgesetze: an ein dickes Grundglied, welches manchmal charakteristisch sein kann und ein sehr kleines, zweites, meist nur wenig aus dem ersten hervorragendes Glied reihen sich die übrigen an, welche der Geisel der gebrochenen Fühler entsprechen würden und wenigstens von der Hälfte ihrer Gesammtlänge nach der Fühlerspitze zu immer kürzer werden; bleiben sie bis dahin gleich dick, so haben wir den fadenförmigen, werden sie gleichzeitig auch dünner, den borstenförmigen Fühler. Abgesehen hiervon treten in der Gestaltung der einzelnen [311] Glieder noch zwei Bildungsunterschiede auf: entweder, und dies ist der gewöhnlichste Fall, sind alle vollkommen walzig und dann manchmal schwer zu unterscheiden, oder jedes schwillt nach oben etwas an, und es entsteht ein knotiger Verlauf, der beim Weibchen ringsum, beim Männchen mehr auf der Unterseite bemerkbar wird und an eine stumpfzähnige Säge erinnert. So geringfügig dieser Umstand auch erscheint, so entscheidend wird er doch für den Gesammteindruck, welchen der Fühler auf das Auge des Beschauers macht. Die Weibchen, welche kurze, knotige Glieder in ihren Fühlern führen, ringeln dieselben nach dem Tode immer mehr oder weniger und schmücken sie viel häufiger als das andere Geschlecht mit einem weißen Ringe, oder vielmehr einem Gürtel oder Sattel, insofern die Färbung an der Unterseite verwischt zu sein pflegt. Das Kopfschild, die Zähne der meist in ihrem Verlaufe ziemlich gleich breiten Kinnbacken und die Gestalt des Kopfes, welcher in der Regel breiter als lang, also quergestellt ist, kommen mehrfach in Betracht. Am Brustkasten verdient besonders der Hinterrücken eine nähere Beachtung, ob seine vorn oder oben liegenden Luftlöcher oval oder kreisförmig sind, ob sich ein vorderer, mehr wagerechter Theil von einem hinteren, abfallenden scharf scheidet, oder ob zwischen beiden ein allmählicher Uebergang stattfindet, besonders aber, ob und wie er durch Leisten in Felder getheilt wird. Bei der vollständigsten Felderung, welche möglich ist, kann man sechzehn Felder unterscheiden, welche alle ihre Namen erhalten haben. Auf der Vorderfläche zählt man dann fünf: eins in der Mitte, das »obere Mittelfeld«, als das am meisten charakteristische, und jederseits zwei hintereinander gelegene, weiter folgen symmetrisch auf jeder Seite das in die Quere nicht getheilte, in welchem das Luftloch liegt, dann ein größeres weiter nach unten und ein sehr kleines an der äußersten Ecke. Am abschüssigen Theile liegt das größte in der Mitte als »unteres Mittelfeld« und jederseits noch zwei, welche alle wie breite Strahlen um den Mittelpunkt des Hinterrandes sich ausbreiten, an welchem der Hinterleib befestigt ist. Dieser nun ist den größten Veränderungen unterworfen. Rücksichtlich seiner Anheftung kommen die bereits mehrfach erwähnten Gegensätze zwischen sitzendem und gestieltem Hinterleibe in allen Uebergängen zur Geltung. Beim ersten Ringe handelt es sich wieder darum, ob nur der Vordertheil den Stiel bildet, welcher dann gegen den breiteren hinteren, den sogenannten Hinterstiel, eine Biegung nach unten macht, oder ob das ganze Glied, ohne gebogen zu sein, sich allmählich nach vorn verjüngt. Ein sehr wichtiges Merkmal bildet ferner die Stellung der Luftlöcher an diesem ersten Gliede, welche manchmal unter seitlich heraustretenden, knotigen Anschwellungen sitzen und dann leicht erkannt werden, ohne diese aber versteckter sind. In den seltensten Fällen liegen sie gerade in der Mitte des Gliedes, häufiger davor oder dahinter, dem Endrande (der Spitze) desselben näher gerückt. Oberflächenbeschaffenheit, Vorhandensein oder Abwesenheit von Kielen und Furchen, die Art, wie Hinterstiel und Stiel beim Uebergange ineinander sich in der Seitenlinie verhalten, und so mancherlei anderes bedarf oft einer genauen Prüfung. Diese beschränkt sich aber nicht ausschließlich auf das erste Glied, sondern auf alle folgenden; und da treten zunächst wieder zwei Gegensätze hervor, die recht charakteristisch wären, wenn sie die Natur nur auch scharf inne hielte: ein von oben nach unten mehr oder weniger breitgedrückter (deprimirter) Hinterleib, welcher im allgemeinen einen ovalen Umriß hat, und ein von den Seiten her zusammengedrückter (komprimirter) Leib, welcher in seiner vollkommensten Entwickelung am Rücken einen stumpferen, am Bauche einen schärferen Kiel bekommt, von vorn nach hinten breiter wird und in der Seitenansicht an eine Sichel erinnert. Zwischen beiden Formen liegen viele Uebergänge, die manchmal zweifelhaft lassen, welche der beiden Grundformen anzunehmen sei, dann entscheiden die übrigen Theile, welche ja niemals außer Acht gelassen werden dürfen, und besonders auch die letzte Hälfte des Hinterleibes selbst, der zu den zusammengedrückten zählt, sobald diese darauf hinweist. Sehr charakteristisch wird für viele Weibchen der Hinterleib durch den hervorstehenden, bisweilen sehr langen Legbohrer, von dessen Bau das Nöthige bereits beigebracht worden ist. Seine verhältnismäßige Länge und der Umstand, ob er aus der Spitze oder durch eine Spalte am Bauche beim Gebrauche heraustritt, wird bei der Unterscheidung von großer Bedeutung. Die beiden, stets etwas behaarten Klappen, welche sein[312] Futteral bilden, sind natürlich immer an der Spitze des Hinterleibes angeheftet, aber darum braucht nicht aus dieser gerade der Bohrer selbst hervorzukommen, vielmehr wird häufig ein gut Theil seiner Wurzel durch den Leib selbst umhüllt. In anderen Fällen fehlt jener äußere Schwanz ganz, weil der kurze Bohrer, welcher hier genau dem Stachel der Stechimmen gleicht, im Bauche selbst hinreichenden Platz findet. Die Kennzeichen am Hinterleibe und an den Fühlern prägen sich vorzugsweise bei den Weibchen aus, die daher leichter zu unterscheiden sind, als die viel einförmiger gebauten Männchen. Erwägt man nun noch, daß diese auch in der Färbung bisweilen wesentlich von ihren Weibchen abweichen, und daß man die Thiere nur in sehr seltenen Fällen in der Vereinigung antrifft, welche die meisten während der Nacht oder sonst im Verborgenen vornehmen, so wird man die große Unsicherheit, welche in den verschiedenen Ansichten der Forscher ihren Ausdruck findet, die vielen Namen ein und desselben Thieres und die zweifelhaften Vermählungen, welche an todten Stücken in den Sammlungen vorgenommen wurden, leicht begreiflich finden. Gleichzeitig ergeht an den strebsamen Naturfreund die dringende Mahnung, durch aufmerksame Beobachtung ein Feld ausbauen zu helfen, welches noch sehr der Pflege fähig ist, ein Feld, welchem nur vereinigte Kräfte wirklich ersprießliches abgewinnen können.

Um des mächtigen Heeres dieser Schlupfwespen einigermaßen Herr zu werden, hat man sie in fünf Sippen getheilt, welche zwar in ihren Hauptformen scharf geschieden sind, aber durch dem Ordner immer Schwierigkeitenbereitende Uebergänge theilweise in einander verschmelzen. In die Mitte möchte ich die Ichneumonen (Ichneumones) stellen, als den Kern, die edelsten Formen der Familie. Der niedergedrückte, lanzettförmige Hinterleib ist gestielt, so zwar, daß der Hintertheil des ersten Ringes mit den übrigen höher steht als die Wurzel des Stieles. Die Luftlöcher jenes befinden sich hinter seiner Mitte und liegen einander nicht näher als dem Hinterende des Ringes. Der Bohrer verbirgt sich meist vollständig im Leibe. Die Spiegelzelle ist fünfeckig mit dem Streben, nach dem Vorderrande zu einen Winkel zu bilden. Die Fühler haben etwas geschwollene Glieder, sind beim Männchen immer borstig, beim Weibchen ebenso, oder fadenförmig, und im Tode vorn mehr oder weniger geringelt. Die Felder des Hinterrückens sind hier am vollzähligsten und seine Luftlöcher nur bei den kleineren Arten kreisrund. Die Ichneumonen stellen die buntesten Schlupfwespen, Weibchen, an deren Körper roth, schwarz und weiß oder gelb sich vereinigen, diejenigen reinen Farben, welche in der Familie überhaupt nur zur Geltung kommen; auch nehmen wir hier die größten Geschlechtsunterschiede im Kleide wahr. Die Larven, so weit man sie kennt, zeichnen sich durch eine gewisse Welkheit aus und scheinen nicht zu spinnen, weil ihnen größere Schmetterlingspuppen als Gehäuse dienen. Man erzieht die Wespen nach meinen Erfahrungen nur aus solchen, und zum Ausschlüpfen nagen sie ihnen den oberen Kopftheil weg. Das Weibchen beschenkt daher die Raupe nur mit einem Eie.

Die Cryptiden (Cryptides) haben die Form des gestielten Hinterleibes und die schwachknotigen Fühler mit den Ichneumonen gemein, auch zum Theile die fünfeckige Spiegelzelle, welche hier zum Quadrat hinneigt, und eine weniger vollkommene Felderung des Hinterrückens, unterscheiden sich aber von denselben durch einen in der Ruhelage hervortretenden Bohrer, welcher aus einer Bauchspalte kommt, sowie dadurch, daß die Luftlöcher des ersten Hinterleibsgliedes einander näher stehen als dem Ende desselben; auch kommen hier meist viel schlankere Fühlerglieder vor und vielfach Verdickung vor der Spitze. Die Angehörigen dieser Sippschaft gehen schon viel zu weit auseinander, um mit wenigen Worten vollständig charakterisirt werden zu können; die einzigen, im weiblichen Geschlechte wenigstens flügellosen Ichneumoniden finden wir hier in der Gattung Pezomachus von Gravenhorst vereinigt.

Eine dritte Sippe, die Pimplarier (Pimplariae), kennzeichnet sich im allgemeinen durch einen sitzenden, niedergedrückten Hinterleib, an dessen erstem, nicht gebogenem Gliede die Luftlöcher in oder vor der Mitte stehen und über dessen letztes Glied der weibliche Bohrer oft sehr lang hinausragt. In der Regel ist die Spiegelzelle dreieckig, fehlt aber auch ganz. Die Felderung des [313] Hinterrückens tritt sehr zurück, seine Luftlöcher sind häufiger kreisrund und sehr klein, als länglich, die Fühlerglieder vorherrschend vollkommen walzig und undeutlich von einander geschieden.

Die Sichelwespen (Ophionidae) stimmen in dem meist geradstieligen, von den Seiten zusammengedrückten Hinterleibe überein, aus welchem der Bohrer kaum hervorragt. Die Fühlerglieder sind cylinderisch, bei Hellwigia elegans, einem zierlichen, gelb und braun gefärbtem Wespchen, werden sie um so dicker, je näher sie der Spitze kommen. Die Spiegelzelle ist dreieckig oder fehlt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 311-314.
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