Phygadeuon pteronorum

[320] Den natürlichsten Uebergang von den Ichneumonen zu den Cryptiden bildet die Gattung Phygadeuon, welche aus meist kleineren, untersetzten Wespen besteht. Die weiblichen Fühler setzen sehr kurze, knotige Glieder zusammen, deren längstes drittes höchstens das doppelte seiner Breite erreicht; dieselben rollen sich stark und enden stumpf. Bisweilen strecken sie sich mehr und [320] verbreitern sich vor der Spitze, oder, findet diese Erweiterung nicht statt, so gibt die mehr entwickelte Felderung des Hinterrückens gegen die übrigen Genossen der Sippe ein gutes Unterscheidungsmerkmal ab. Der Bohrer ragt nur wenig über die Spitze des ovalen, gestielten Hinterleibes hervor und kommt aus einer Bauchspalte. Bei den Männchen verbreitert sich der Hinterstiel merklich im Vergleiche zum Stiele und verläuft gleichfalls nicht in derselben Ebene mit ihm. Trotz dieser Formengleichheit mit den Ichneumonen und trotz der Uebereinstimmung beim Verlaufe des Flügelgeäders wird durch die schon oben, bei den Sippenunterschieden angegebene andere Lage der Luftlöcher, durch die glatten, in den Gliedern wenig abgesetzten Fühler auch im männlichen Geschlechte zwischen beiden eine unverkennbare Grenzlinie gezogen. – Zu den größeren und gemeinsten Arten, welche 6,5 bis 8,75 Millimeter in die Länge mißt, gehört das Phygadeuon pteronorum, der gewöhnliche Schmarotzer in den Tönnchen der öfters schon erwähnten Kiefern-Blattwespe (Lophyrus pini). Ratzeburg hatte im Herbste eine Menge Tonnenpüppchen der eben genannten Blattwespe unter Moos gesammelt und in die warme Stube gebracht. Am 24. April des folgenden Jahres erschienen zwei Stück eines kleinen Cryptiden, des Hemiteles areator.


1 Männchen des Ichneumon pisorius und Puppe des Fichtenschwärmers, der es entsprossen. 2 Cryptus tarsoleucus, Männchen. 3 Weibchen von Mesostenus gladiator. 4 Männchen und eierlegendes Weibchen des Ephialtes imperator. Alles natürl. Größe.
1 Männchen des Ichneumon pisorius und Puppe des Fichtenschwärmers, der es entsprossen. 2 Cryptus tarsoleucus, Männchen. 3 Weibchen von Mesostenus gladiator. 4 Männchen und eierlegendes Weibchen des Ephialtes imperator. Alles natürl. Größe.

Die beiden Gespinste, aus welchen sie hervorgekommen waren, wurden einer näheren Untersuchung unterworfen, und merkwürdigerweise befanden sich darin: zunächst der rechte Bewohner, die Blattwespe, deren Flügel nicht ordentlich entfaltet waren, sodann der Phygadeuon vollkommen flugfertig. Wie läßt sich dieser ungewöhnliche Fall erklären? Wahrscheinlich hatte die Blattwespenlarve, als sie vom Phygadeuon angestochen wurde, in ihrer Entwickelung einen so bedeutenden Vorsprung, daß ihre regelrechte Verpuppung und Entwickelung nicht mehr verhindert werden konnte. Die Phygadeuon-Larve hatte denselben Vorsprung, als der Hemiteles ihr sein Ei anvertraute, und es entwickelten sich alle drei, aber auch nur so eben; denn jenen zweien fehlte die Kraft zum Durchbrechen des Gespinstes.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 320-321.
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