Dritte Familie: Ameisen (Formicidae)

[252] Die Familie der Ameisen (Formicina) gehört gleichfalls zu den geselligen Aderflüglern, deren Gesellschaften sich zu gewissen Zeiten aus dreierlei Ständen zusammensetzen, den geflügelten Weibchen und Männchen und den stets ungeflügelten Arbeitern oder verkümmerten Weibchen. Dieselben treten selten bei den europäischen, häufiger bei den ausländischen Arten in zwei bis drei Formen auf, zeichnen sich in der außergewöhnlichen Form besonders großköpfig und sind wohl auch als Soldaten von der gewöhnlichen Form unterschieden worden. Die Ameisenstaaten sind, wie die der Honigbiene, mehrjährig.

Der Kopf der Ameise ist verhältnismäßig groß, bisweilen sehr groß bei den Arbeitern, klein bei den Männchen. An ihm fallen die kräftigen Kinnbacken am meisten in die Augen, welche nur in seltenen Fällen walzig, meist breit gedrückt, und an der Kaufläche schneidig oder gezähnt erscheinen. Unter ihnen verborgen liegen die Unterkiefer mit nur einem Lappen und ein- bis sechsgliederigen, walzigen Tastern. Die Lippentaster bestehen aus zwei bis vier gleichfalls walzigen Gliedern, und die Zunge gelangt nicht zu der Entwickelung wie bei den übrigen geselligen Immen. Von Wichtigkeit für die Eintheilung sind die sogenannten Stirnleisten, die nach außen freien, nach innen mit der Kopffläche verwachsenen leistenartigen Vorsprünge, welche über den Fühlern beginnen und nach hinten und oben gleich-, auseinanderlaufend und geradlinig oder S-förmig gebogen sind. Die Fühler gehören der gebrochenen Form an, wenn auch bisweilen bei den Männchen infolge des kurzen Schaftes weniger deutlich, und ihre neun- bis zwölfgliederige Geisel ist fadenförmig, oder nach der Spitze hin mehr oder weniger keulenförmig angeschwollen. Die drei Punktaugen auf dem Scheitel fehlen den Arbeitern häufig.

Der Mittelleib bietet bei den geflügelten Ameisen keine besonderen Eigenthümlichkeiten, dagegen erscheint er ungemein schmal, nach oben stumpfkantig hervortretend bei denen, wo er nie Flügel zu tragen bekommt, und er ist es hauptsächlich, welcher dem ganzen Körper den Ameisencharakter verleiht, und einen Arbeiter von den anderen Geschlechtern unterscheiden lehrt, selbst wenn diese ihre Flügel verloren haben. Letztere sitzen ziemlich lose und fallen aus, sobald die Paarung erfolgt ist. Ihr Geäder ist dürftig: eine vorn nicht immer geschlossene Randzelle, eine, in seltenen Fällen zwei, geschlossene Unterrandzellen, eine bis zwei Mittelzellen nebst den beiden Schulterzellen bilden den ganzen Reichthum. Die Beine sind schlank, Hüften und Schenkel nur durch einfachen Schenkelring verbunden, wie bei allen Raub- und Blumenwespen, und die Füße fünfzehig. Der dem etwas konkaven ersten Fußgliede der Vorderbeine entgegengestellte Schienensporn ist innerseits borstig bewimpert und bildet sammt dem an gleicher Stelle bewimperten ersten Fußgliede das Werkzeug, mit welchem die Ameise sich reinigt, namentlich Fühler, Taster und sonstige Mundtheile abbürstet.

Der Hinterleib besteht aus sechs, beim Männchen aus sieben Ringen und ist immer in einer Weise gestilt, daß man bei seiner Formbestimmung den Stiel für sich und den Hinterleib für sich, jenen also für ein besonderes Mittelgebilde zu betrachten pflegt, welches dem Hinterleibe entschieden eine große Beweglichkeit verleiht. Das Stielchen ist entweder ein- oder zweigliederig und bildet im ersten Falle einen Knoten zwischen dem Hinterrücken und Hinterleibe, oder einen an den Ecken gerundeten Würfel (Typhlopone), in der Regel aber sitzt auf seiner Oberseite eine von vorn nach hinten gerichtete viereckige, gerundete, oben mehr oder weniger aufgerichtete Querleiste, die sogenannte Schuppe, in selteneren Fällen ist seine ganze Erstreckung platt gedrückt (Tapinoma). Bei einem zweigliederigen Stielchen stellt das zweite Glied einen kugeligen oder nach den Seiten hin verbreiterten, das erste einen gestielten Knoten dar. Der Hinterleib, nur mit einer Ausnahme (Crematogaster) an seinem Unterrande dem Stielchen angewachsen, hat einen kugeligen, ovalen, länglich elliptischen oder herzförmigen Umriß und schnürt sich nur in seltenen Fällen zwischen zwei Ringen ein. Bei den Männchen zeigt die letzte Bauchschuppe (Afterklappe, Ventralklappe) besondere Verschiedenheiten und bedeckt die Geschlechtswerkzeuge, wenn sie klein sind, oder läßt die oft sehr großen theilweise frei. Durch diese Theile, durch den kleinen Kopf, längere und dünnere Beine, [253] schmälere Kinnbacken und infolge der um eines vermehrten Gliederzahl an Hinterleib und Fühlergeisel unterscheiden sich die Männchen leicht von ihren Weibchen, verlieren auch nach dem Schwärmen die Flügel nie, wie diese. Die weiblichen und arbeitenden Ameisen, bissige Geschöpfe, lassen eine kräftige, nach ihnen benannte Säure in die Wunde fließen und zwar aus der zu diesem Zwecke nach vorn gebogenen Hinterleibsspitze, andere führen, wie die Stechimmen, einen Stachel und wehren sich mit diesem. In beiden Fällen erzeugt die der Wunde mitgetheilte Ameisensäure Brennen und schwache Entzündung.

Die wurmförmigen, fußlosen Larven bestehen aus zwölf nicht immer unterscheidbaren Ringen, einem nach unten gebogenen, hornigen Kopfe und sind von weißlicher Farbe. An letzterem unterscheidet man stummelhafte Kinnbacken, fleischige, zu einem Stück vereinigte, vorn ausgerandete Unterkiefer, jederseits mit zwei kurzen Borstenhaaren bewehrt, eine fleischige, zurückziehbare Unterlippe, aber keine Augen. Mit wenigen Abweichungen ist der Körper nach vorn verdünnt, hinten dicker, stumpf gerundet und mit spaltförmiger Afteröffnung versehen. Diese durchaus unselbständigen Larven können sich nicht von der Stelle bewegen und müssen gefüttert werden. Sie sind in ihrer ersten Jugend von allen Ständen übereinstimmend und unterscheiden sich nur später durch unbedeutende Formveränderungen, auffälliger aber durch die Größenverhältnisse. Mag der Unterschied zwischen Männchen und Weibchen im Eie verborgen liegen, der zwischen Weibchen und Arbeitern in ihren verschiedenen Formen bildet sich wahrscheinlich erst im Larvenstande aus, durch welche Verhältnisse aber, wissen wir nicht; denn daß es durch veränderte Kost sei, wie bei der Honigbiene, läßt sich darum nicht annehmen, weil diese immer nur in ausgebrochenen Flüssigkeitstropfen der fütternden Arbeiter besteht: die reife Larve fertigt bei den einen ein längliches, schmutzig weißes oder bräunliches Gespinst, in welchem sie zu einer gemeiselten Puppe wird. Diese eingehüllten Puppen bilden unter dem falschen Namen der »Ameiseneier« als beliebtes Futter für gewisse Stubenvögel einen Handelsartikel. Andere spinnen niemals und wieder andere halten insofern die Mitte zwischen beiden, als sich nackte und eingehüllte Puppen beisammen im Neste finden. In einem solchen Falle ist die Spinnfähigkeit der Larven erwiesen, und anzunehmen, daß diejenigen, welche nicht spinnen, durch die Fütterung oder durch sonstige Verhältnisse nicht hinreichenden Spinnstoff in ihren Drüsen zur Entwickelung bringen konnten. Die mit zweiknotigem Hinterleibsstiele ausgerüsteten Ameisen spinnen als Larven der Regel nach nicht.

Wie alle Aderflügler, so ernähren sich auch die Ameisen nur von süßen Flüssigkeiten, welche ihnen die verschiedensten Gegenstände, Obst, Pflanzensäfte aller Art, Fleisch, saftige Thierleichen, in erster Linie aber die Blatt- und Schildläuse in ihren Exkrementen und erstere außerdem aus den sogenannten Honigröhren liefern. Daher finden sich Ameisen auch immer zahlreich da ein, wo die Blattläuse hausen, und gehen ihnen nach, wo sie sich auf Pflanzen einstellen, nicht diesen letzteren, denen sie nur insofern nachtheilig werden können, als sie durch ihre Erdwühlereien deren Wurzelwerk stören und bloßlegen. Ebenso füttern sie nur mit wasserhellen Tropfen, welche sie aus dem Munde treten lassen, die Larven, die Männchen und Weibchen ihres Nestes, oder einen anderen Arbeiter ihrer Gesellschaft, der sie anbettelt. Vorräthe tragen sie daher nicht ein, wie die Honigbienen und andere gesellige Blumenwespen. Außer der bezeichneten Nahrung bedürfen sie einen gewissen Feuchtigkeitsgrad zu ihrem Gedeihen, und dieser bestimmt auch den Ort ihrer Nestanlage.

Die meisten Ameisennester finden sich in der Erde. Forel hat in jüngster Zeit in den »Neuen Denkschriften der allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften« (Zürich 1874) seine schätzbaren Beobachtungen über die schweizer Ameisen niedergelegt und auch dem Nestbaue einen umfangreichen Abschnitt gewidmet. Er unterscheidet: 1) Erdnester, welche entweder einfach gegraben oder wenigstens theilweise gemauert und mit einem Erdhügel versehen, oder unter einem schützenden Steine angelegt sind. 2) Holznester, welche im noch zusammenhängenden Holze in ähnlichem, zum Theil regelmäßigerem Verlaufe in den dauerhafteren Stoff gearbeitet sind, wie jene in die feuchte Erde. Die festeren Jahresringe bleiben meist als Wände [254] stehen und der Verlauf der Holzfaser bestimmt den Verlauf der Gänge und Hohlräume. Es kommen bei diesem Nestbau bisweilen höchst wunderliche Gebilde zu Stande, wie ein Stammstück im Vordergrunde rechts von dem Ameisenhaufen unseres Bildes zeigt. Gewisse kleine Arten, deren Gesellschaften wenig zahlreich sind und der Gattung Leptothorax angehören, miniren in der dicken Borke alter Bäume wenige flache Kammern, welche unter sich in Verbindung stehen. Da die im Holze nistenden Ameisen gesunde Bäume nie krank machen, wohl aber an den krankenden Stoffwechsel beschleunigen und namentlich die alten Baumstümpfe als die Brutstätten manchen Ungeziefers schneller zur Verwesung bringen, so werden sie von dem Forstmanne als Bundesgenossen angesehen und geschützt. 3) Eingehüllte Nester (nids en carton) werden in der Schweiz nur von Lasius fuliginosus gebaut, einer Art, deren Drüsen vorherrschend entwickelt sind und ein Bindemittel liefern, mit welchem vorherrschend im Holze durch Aufmauern von zusammengekneteten Holzspänchen die inneren Räume aufgebaut werden. Hierher mögen die Nester gehören, welche die sogenannten Comehens auf Portorico oder die nachher zu erwähnenden »stallfütternden Ameisen« anlegen. Erstere bauen gewöhnlich zwischen Baumästen riesengroße Nester wie Bienenkörbe, und überwölben überall, an den Aesten, dem Stamme, den Blättern, an Steinen und an dem Erdboden die zu denselben führenden Straßen mit einer gegen Licht und Regen schützenden Bedeckung, welche eine innere Weite vom Durchmesser einer Federspule hat. Dieselben Comehens dringen aber auch in die Häuser ein, durchbohren hölzerne Geräthschaften und weichen bei ihren Märschen nur dann von der geraden Linie ab, wenn undurchdringliche Hindernisse in den Weg treten. Als vierte Form bezeichnet Forel die Nester von zusammengesetzter Bauart, zu denen die allbekannten aus Pflanzenstoffen, besonders kleinen Holzstückchen zusammengetragenen Haufen unserer rothen Waldameise, die wir später noch näher kennen lernen werden, einen Beleg liefern. Hierher gehören auch die Bauten in alten Baumstümpfen, wo das zersetzte Holz ebenso wie bei den Erdbauten die Erde benutzt wird, um haltbare Gänge und Kammern in dem Mulme herzustellen. 5) Zu den abweichenden Nestern werden diejenigen gerechnet, welche sich unter den vorigen nicht unterbringen lassen, wie diejenigen in Mauerritzen, Felsspalten, menschlichen Wohnungen usw. Diese Andeutungen mögen genügen, um die große Mannigfaltigkeit im Nestbaue zu erkennen; für die bestimmte Ameisenart ist dieselbe nicht charakteristisch; denn es gibt kaum andere Kerfe, welche sich bei Anlage ihrer ausgedehnten Wohnungen so in die Verhältnisse zu schicken wissen, wie die Ameisen. Wenn auch bestimmte Arten fast ausschließlich unter Steinen in die Erde bauen, gewisse (Camponotus) mit Vorliebe im Holze, so richten sich doch die bei weitem meisten heimischen wenigstens nach den dargebotenen Verhältnissen und gehen darin so weit, daß sie verlassene Nester beziehen, daß die Holzbewohner sich in holzigen Gallen verschiedener Gallwespen häuslich einrichten, sobald jene ihre Behausungen verlassen haben.

Je kleiner die Gesellschaft, desto einfacher das Nest; je größer, desto mehr Gänge und Hohlräume dehnen sich in der Ebene und in Stockwerken über einander aus und bilden ineinander verlaufende Irrgänge, welche durch Wände, Pfeiler, Stützen der stehen gebliebenen oder hier und da aufgebauten Stoffe (Erde, Holz) von einander getrennt und gestützt werden. Bestimmte Wege führen nach außen, oft in weitere Entfernungen, und stellen die Verbindung des Nestes mit den Weideplätzen der Bewohner her. Nicht selten findet man größere Bodenflächen mit zahlreichen Nestern einer und derselben Art besetzt, welche alle unter einander in Verbindung stehen, während umgekehrt unter einem Steine zwei bis drei Arten von Ameisen in so naher Nachbarschaft leben, daß sich die Gänge der einen zwischen die der anderen winden und dennoch Scheidewände die einzelnen Baue vollkommen von einander abschließen.

Das Bauen und Erhalten der Nester nicht nur, bei welchen Arbeiten Kinnbacken und Vorderschienen die Hauptrolle spielen, sondern auch die häuslichen Geschäfte fallen den Arbeitern anheim, und diese sind, wie wir sogleich sehen werden, hinsichtlich der Fürsorge für die Brut wahrlich keine leichten. Bei denjenigen Ameisen, deren Arbeiter in verschiedenen Formen auftreten, scheint [255] bis zu einem gewissen Grade Arbeitstheilung einzutreten, wenigstens hat man beobachtet, daß die großköpfigen, sogenannten Soldaten, welche bei den Streifzügen nicht die Vertheidiger, sondern mehr die Ordner und Führer bilden, mit ihren größeren Kinnbacken das Fleisch und die sonstige Beute zerschroten und die zarter gebauten Arbeiter dadurch in die Lage versetzen, ihren Kräften entsprechende Stückchen wegschleppen zu können. Ueberdies können wir oft genug beobachten, daß da, wo für den einzelnen Arbeiter die Kraft nicht ausreicht, ein zweiter und dritter zu Hülfe kommt und mit vereinten Kräften oft unmöglich scheinendes erreicht wird. In der Vereinigung fühlt sich die Ameise überhaupt nur stark und zeigt nur dann ihren vollen Muth und ihre Kampfeslust, wenn sie auf Beihülfe von ihresgleichen rechnen kann; als einzelne oder fern vom Neste weicht sie jedem Zusammenstoße gern aus.

Die Brutpflege erstreckt sich hier auf Eier, Larven und Puppen. Erstere, frisch gelegt, sind länglich, weiß oder lichtgelb, schwellen aber vor dem Ausschlüpfen an, biegen sich an dem einen Ende etwas und werden glasig. Nachdem sie vom Weibchen in einer Kammer auf ein Häufchen gelegt worden sind, werden sie von den Arbeitern wieder aufgenommen, fleißig beleckt, wie es scheint, hierdurch mit einer nährenden Feuchtigkeit versehen, in ein oberes Stockwerk des Hauses aufgehäuft, wenn es warm wird, oder tiefer geschafft, wenn die Witterung rauh und unfreundlich ist. Dasselbe wiederholt sich mit den Larven, die außerdem mit den ausgebrochenen Tropfen gefüttert, beleckt und von dem anhaftenden Schmutze gereinigt werden. Auch die Puppen werden den ihrem Gedeihen entsprechenden Witterungsverhältnissen nach umgebettet, hier- und dorthin getragen, und wer hätte nicht schon gesehen, wie beim Aufheben eines Steines, unter welchem sie während des Sonnenscheines an der Oberfläche des Baues liegen, die sorgsamen Pflegerinnen sogleich heraufgestürzt kommen, eine ergreifen und damit eiligst im Inneren der Gänge verschwinden, um sie vor der Störung von außen zu schützen und in Sicherheit zu bringen. Als Trage dienen bei diesen Arbeiten die Kinnbacken; in der Eile wird auch ein mal eine Bürde verloren, und da sind es die Fühler, welche allein nur das Wiederauffinden vermitteln. Selbst dann noch, wenn die junge Ameise im Begriffe steht, ihre Puppenhülle zu verlassen, sind die Schwestern hülfreich bei der Hand, zerreißen das Gespinst und unterstützen das Befreiungswerk, welches in allen anderen Fällen dem neugeborenen Kerbthiere allein überlassen bleibt. Somit erreicht bei den Ameisen die Brutpflege den höchsten Grad der Entwickelung unter allen gesellig lebenden Hautflüglern. Bedenken wir nun, daß ohne Beihülfe von Flügeln die eigene Nahrung und durch sie der Ueberschuß für die Brut zu bestimmten Zeiten für die zahlreichen Weibchen und Männchen herbeigeschafft werden muß, die alle nicht selbst für ihre Erhaltung sorgen, daß die Anlage, Erweiterung und Erhaltung des Nestes, alle diese mühsamen Verrichtungen dem Arbeiterstande zufallen, so ist es eben nur durch dessen Emsigkeit möglich, den schweren Pflichten nachzukommen, und er würde schließlich der Arbeit unterliegen, wenn nicht durch das Schwärmen der Ueberfüllung des Nestes und einer Ueberbürdung der Arbeiter von der Natur vorgebeugt worden wäre; doch hiervon später.

Im weiteren Verlaufe einer allgemeinen Schilderung des Ameisenlebens können wir uns nur an einzelne, besonders auffällige Erscheinungen halten, da es sich nicht nur bei einer und derselben Art je nach den äußeren Verhältnissen (Oertlichkeit, Jahreszeit, Witterungsverhältnisse usw.), sondern in noch viel höherem Maße bei den verschiedenen Arten außerordentlich mannigfach gestaltet und, wollen wir ehrlich sein, zum großen Theile nur stückweise und noch sehr unvollkommen zu unserer Kenntnis gelangt ist. Zunächst ist die Lebensdauer der verschiedenen Entwickelungsstufen und die Zeit, in welcher die einzelnen im Neste erscheinen, verschieden nach den Arten, nach der Jahreszeit, nach den Jahrgängen. Bei gewissen Arten werden die sämmtlichen Eier im Herbste gelegt und die fruchtbaren Weibchen finden sich im Frühjahre meist nicht mehr im Neste vor (Solenopsis fugax), bei den meisten anderen sind Eier vom Frühjahre an bis zum Herbste im Neste und bedürfen wohl die kürzeste Zeit (vierzehn Tage), um in den nächstfolgenden Entwickelungsstand [256] überzugehen. Bei der oben genannten Art leben die Larven vom Herbste bis zum Juli des nächsten Jahres, während beispielsweise von Tapinoma anfangs April den Eiern entschlüpfte Larven schon vor Ende Mai zu Puppen werden können. Nächst den Eiern bedürfen diese in den meisten Fällen die nächst kürzere Zeit zu ihrer Entwickelung zum vollkommenen Kerfe, obschon auch sie überwintern können. Die Lebensdauer einer vollendeten Ameise läßt sich am schwierigsten feststellen, allenfalls vergleichungsweise behaupten, daß die der Männchen, welche nur der auf bestimmte Zeiten fallenden Fortpflanzung dienen, die kürzeste und die der befruchteten Weibchen länger als die der sich aufreibenden Arbeiter sein werde. Man nimmt an, daß die Stammmütter bis wenig mehr als ein Jahr ihr Leben fristen können. Dieselben leben öfters in Mehrzahl in einem Neste, da sie die Eifersucht der Bienenköniginnen nicht kennen, geflügelte, also noch nicht befruchtete Weibchen und Männchen finden sich meist nur zu bestimmten Zeiten, obschon auch in dieser Beziehung Abweichungen wahrgenommen werden. So haben die Nester von Formica pratensis das ganze Jahr hindurch Männchen und Weibchen neben den Arbeitern, die von Leptothorax zu einer Zeit nur Männchen, zur anderen nur Weibchen.

Die Männchen von Anergates sind ungeflügelt, bei anderen Arten sind sie im Vergleiche zu ihren Weibchen viel zu groß, um von diesen im Fluge getragen werden zu können, in beiden Fällen findet also die Paarung nicht wie gewöhnlich beim Ausschwärmen statt. In solchen Nestern aber, wo zu bestimmten Zeiten, namentlich während des August, geflügelte Männchen und Weibchen im Neste erscheinen, halten sich dieselben eine Zeitlang im Inneren desselben verborgen, letztere betheiligen sich wohl auch insofern an den häuslichen Arbeiten, als sie die Larven und Puppen mit umbetten helfen. Zunächst wird es den Männchen, die zu Luftthieren geboren sind, in den unterirdischen Räumen zu eng, sie lustwandeln auf der Außenfläche des Haufens umher, besteigen Gräser und andere Pflanzen in der nächsten Nachbarschaft und verrathen große Unruhe. Zwischen ihnen erscheinen Arbeiter, fassen sie mit den Zangen und suchen sie in das Nest zurückzubringen. Diese Aufregung währt einige Tage, dann aber bietet sich dem Blicke des Beobachters ein überraschendes Schauspiel, eine Hochzeit der Ameisen dar. Nichts Menschliches gibt einen Begriff von dem wirbelnden Aufbrausen, von dem man nicht weiß, ob es Liebe, ob es Wuth bedeute. Zwischen dem Volke wilder Brautpaare, welche von nichts zu wissen scheinen, irren Ungeflügelte umher und greifen besonders die an, welche sich am meisten verwickelt haben, beißen sie, zerren sie so stark, daß man meinen sollte, sie wollten sie vernichten. Das ist aber nicht ihre Absicht, sie wollen sie vielmehr zum Gehorsam, zu sich selbst zurückbringen. Diese Jungfrauen überwachen also die Liebenden und führen eine strenge Aufsicht über die Vorfeier der Hochzeit, dieses wahre Volksfest. Jetzt grenzt die Wildheit an Raserei: in taumelndem Wirbel erheben sich die Männchen, nach ihnen die Weibchen und in wechselndem Auf- und Absteigen gelangen sie zu bedeutenden Höhen. Die Männchen stürzen sich auf ein Weibchen, von den kleineren bisweilen mehrere gleichzeitig, und verbinden sich mit ihm. Ein höherer Gegenstand dient ihnen gewissermaßen als Wahrzeichen bei diesem Gaukelspiele: ein Baumgipfel, eine Thurmspitze, ein Berggipfel, selbst ein einzelner Mensch in einer ebenen Gegend. So geschah es Huber, dem wir so viel über die Sitten der Ameisen verdanken, daß ein Schwarm sich über seinem Haupte langsam mit ihm fortbewegte. Wie lästig sie bei dieser Gelegenheit werden können, erfuhr ich 1869 in Gesellschaft einiger Damen. Als wir die dunkle Treppe in dem Aussichtsthurme des Kynast hinaufkrochen, warnten herabkommende Reisende wegen eines Ameisenschwarmes vor dem weiteren Vordringen. Wir wollten jedoch den herrlichen Blick auf das Hirschberger Thal von jenem Punkte aus kennen lernen und gingen muthig weiter. Die Tausende von Ameisen, welche sich an uns setzten, namentlich an eine lichtgekleidete Dame, verkümmerten uns den Aufenthalt da oben ungemein; denn hier und da, wo sie auf die bloße Haut kamen, zwickten sie in das Fleisch und bewiesen in jeder Hinsicht eine ungewöhnliche Aufgeregtheit. Dergleichen Erfahrungen kann man ab und zu in der beliebten Reisezeit auf allen Aussichtsthürmen machen, an denen es in den mitteldeutschen Gebirgen nirgends fehlt. [257] Die Ameisenschwärme an einem schönen Augustnachmittage, besonders nach einigen Regentagen, von Lasius flavus, niger, alienus, fuliginosus, Myrmica verschiedener Art, Solenopsis fugax, Tapinoma caespitum und anderen ausgeführt, haben bisweilen die Menschen in Furcht und Schrecken versetzt, namentlich dann, wenn die Schwärme einer größeren Landstrecke sich zu förmlichen Wolken vereinigt und die Spitzen der Kirchthürme als vermeintliche Rauchwölkchen umschwebt haben. Am 4. August 1856 regnete es bei St. Saphorin in der Schweiz Myriaden schwarzer, geflügelter Ameisen. Am 10. August, abends 5 Uhr 20 Minuten bis 6 Uhr, wurde von Wattwyl bis Liechtenstein, der Thur entlang, eine von Südwest nach Nordost ziehende Wolke geflügelter Ameisen von schwarzbrauner Farbe in etwa dreihundert Fuß Höhe beobachtet. Zwischen beiden Orten löste sie sich auf und zertheilte sich auf Bäume, Häuser und Gräser. Im September 1814 berichtet ein englischer Chirurg vom Bord eines Schiffes, daß eine acht bis zehn Fuß breite Kolonne von sechs Zoll Höhe, bestehend aus großen Ameisen, das Wasser auf eine Strecke von fünf bis sechs (englischen) Meilen bedeckt habe. Auch die alten Chroniken erzählen von dergleichen Dingen. Am 2. August 1687, um 3 Uhr nachmittags, schwärmte eine solche Menge von Ameisen über dem Thurme der Elisabethkirche zu Breslau, daß das Volk sie für Rauch ansah und einen Brand fürchtete. Kurz darauf wiederholte sich dieselbe Erscheinung um die übrigen Thürme; es dauerte aber kaum eine Stunde, so fielen sie zu Boden, daß man sie hätte haufenweise aufraffen können. Am 19. Juli 1679, gegen 2 Uhr, ist eine Wolke großer Ameisen über Preßburg geflogen und nach einer Viertelstunde so dicht heruntergefallen, daß man auf dem Markte keinen Fuß vorsetzen konnte, ohne einige Dutzend zu zertreten; sie hatten alle die Flügel verloren, schlichen langsam umher und waren nach zwei Stunden gänzlich verschwunden. Genug der Beispiele. Legen wir uns jetzt die zwei Fragen vor: Wie sieht es während der Schwärmzeit im Neste aus, und was wird aus den Schwärmern?

Bei den schon einige Tage vor dem Schwärmen bemerkbaren Bemühungen der Arbeiter, unter dem geflügelten Volke Ruhe und Ordnung wieder herzustellen, gelingt es doch, ein oder das andere Weibchen und Männchen zurückzuhalten, welche sich in der nächsten Nestnähe paaren. Eins oder einige solcher Weibchen sind es, die sie in das Nest zurückbringen, ihnen die Flügel abreißen, denselben alle Fürsorge erweisen, sie belecken, füttern und in gleicher Weise behandeln, wie wir von den Bienen mit ihrer Königin bereits früher gesehen haben. Diese Stammmutter sorgt nun durch Eierlegen für das Fortbestehen des Nestes. Die Schwärmer gelangen entfernt vom Geburtsneste, wie wir bereits sahen, schließlich wieder auf die Erde, tausende und aber tausende werden eine Beute anderer Kerfe oder solcher Thiere höherer Ordnungen, welche Geschmack an ihnen finden, oder die Männchen sterben nach wenigen Tagen planlosen Umherirrens einen natürlichen Tod, während die nicht verunglückten Weibchen Gründerinnen neuer Nester werden, sicher auf verschiedene Weise bei den verschiedenen Arten, auf welche aber, ist bisher noch bei keiner durch unmittelbare Beobachtung festgestellt worden. Zunächst entledigt sich das befruchtete Weibchen mit Hülfe seiner Beine der Flügel, gräbt sich an einem ihm passenden Plätzchen ein und legt Eier. Es liegt nun nahe, anzunehmen, daß es, wie die Wespen-, die Hummelmutter, für deren Entwickelung zu Arbeiterameisen Sorge trage und diesen die Nestanlage und alles weitere überlasse, für sich selbst nur das Eierlegen in Anspruch nehmend. Nie hat man aber eine vereinzelte Ameisenmutter mit Puppen, nicht einmal mit erwachsenen Larven angetroffen, sondern nur mit Eiern oder sehr kleinen Würmchen, und nie hat es bei den verschiedensten Versuchen in der Gefangenschaft gelingen wollen, durch Vermittelung eines befruchteten Weibchens Arbeiterameisen zu erhalten. Infolge dieser Erfahrungen hat man gemeint, daß Arbeiter derselben Art ein »herabgeregnetes«, befruchtetes Weibchen aufgriffen und mit ihm eine neue Kolonie ins Leben riefen. Hierauf bezügliche Versuche sind aber gleichfalls mißglückt und jenes meist als fette Beute von Arbeitsameisen verzehrt worden. Somit bliebe die Frage über die Entstehung neuer Nester noch eine offene, und es wird bei der Gründung ebensowenig an der größten Vielgestaltigkeit fehlen, wie im übrigen Leben der so höchst interessanten kleinen Wesen. [258] Aus diesem noch einige Züge mitzutheilen, ziehen wir für unsere Zwecke einer Unterscheidung zahlreicher Ameisenarten vor, wollen aber auch die folgenden Mittheilungen nur als eine Skizze betrachtet wissen. Wenn wir schon öfters Gelegenheit fanden, und sie auch im weiteren Verlaufe unserer Darstellung noch finden werden, von Schmarotzern zu sprechen, welche sich in den Wohnungen gewisser Hautflügler einfinden, so darf es nicht Wunder nehmen, daß auch in den Ameisennestern fremde Einwohner vorkommen. Dieselben stehen in sehr verschiedenen Verhältnissen zu den Ameisen, aber entschieden in anderen als jene Schmarotzer.

Zunächst wohnen verschiedene Ameisenarten in einem Neste, eine Erscheinung, welche man mit dem Namen der gemischten Kolonien bezeichnet hat. In denselben sind zwei wesentlich von einander verschiedene Fälle auseinander zu halten. Entweder nämlich lebt die eine Art in ihren drei Formen in dem Neste der anderen und bildet ihren Gast, oder es finden sich nur Arbeiter einer anderen Art vor, welche von den Arbeitern des Nestes im Larven- oder Puppenstande aus einem anderen Neste geraubt worden sind, weshalb man die letzteren Raubameisen genannt hat. Zu den Gastameisen, und zwar bei Formica rufa und congerens, gehört entschieden die kleine, gelbroth glänzende Stenamma Westwoodi (eine Knotenameise), von welcher man, weil man sie nie selbständig gefunden hat, annehmen muß, daß ihr Bestehen von jenen Arten abhängig sei. Eine zweite Art, Asemorhoptrum lippulum, ist gleichfalls für eine Gastameise bei Lasius fuliginosus, bruneus und Formica sanguinea gehalten worden; von Hagens fand sie aber auch in selbständigen Staaten. – Zu den Raubameisen gehört entschieden die später näher zu besprechende Formica sanguinea; sie arbeitet aber gleich ihren Sklaven, wie man die geraubten Arbeiter genannt hat, und es läßt sich somit bei ihr ein Grund für ihr Räuberhandwerk nicht angeben. Anders verhält es sich mit der Amazonenameise (Polyergus rufescens), einer durchaus bräunlichrothen Art des südlicheren Europa, welche jedoch auch bei Kleve, Mombach, Mainz, Soden beobachtet worden ist. Sie raubt die Larven von Formica fusca und cunicularia und zeigt sich dabei ungemein kühn und bissig, ist aber so arbeitsscheu, daß sie verhungern müßte, wenn sie nicht von ihren Sklaven gefüttert würde. Bei zwei an deren, für Raubameisen geltenden Arten (Strongylognathus testaceus und Myrmica atrata) sind die Verhältnisse abermals anders und noch nicht hinreichend aufgeklärt. Die Amazonenameise und erstere der beiden zuletzt genannten Arten haben, abweichend von allen anderen heimischen, walzenförmige und ungezähnte Kinnbacken, entbehren also derjenigen Einrichtung, welche die Kinnbacken der übrigen Arten zu Arbeitswerkzeugen gestalten.

Die Ameisenfreunde (Myrmekophilen) sind weitere Bewohner der Ameisennester und gehören den verschiedensten Kerfordnungen an. Mehrere Forscher haben diesen Gegenstand mit besonderer Vorliebe verfolgt und lange Verzeichnisse von diesen Thieren angefertigt, auch das Verhalten der Ameisen zu ihnen zu ermitteln sich bemüht. Hiernach lassen sich dieselben in drei Gruppen ordnen: 1) Ameisenfreunde, welche nur als Larven oder Puppen unter jenen leben und als unschädliche Gesellschafter geduldet werden. So nährt sich, wie wir früher sahen, die einem Engerlinge ähnliche Larve des gemeinen Goldkäfers (Cetonia aurata) von den vermodernden Holzstückchen des unteren Nesttheiles bei der Waldameise. 2) Ameisenfreunde, welche in ihrem vollkommenen Zustande in den Nestern anzutreffen sind, hier aber nicht ausschließlich. Dahin gehören mehrere Stutzkäfer (Hister), Kurzflügler, diejenigen Blattläuse, welche nicht freiwillig, sondern, von den Ameisen hineingetragen, bei ihnen als »Milchkühe« leben müssen. Der besonderen Vorliebe aller Aderflügler für die Blattläuse wurde früher schon gedacht, sowie der Leidenschaft der Ameisen, jene ihrer süßen Auswürfe wegen allerwärts aufzusuchen. Sie betasten dieselben mit ihren Fühlern, belecken sie und wissen ihnen durch allerlei Liebkosungen auch Saft aus den Honigröhren zu entlocken, sie zu »melken«, wie man dieses Verfahren kurz bezeichnet hat. Um dies bequemer haben zu können, entführen sie die wehrlosen, schwachen Thierchen in ihre Nester und legen dabei weniger mütterlichen Sinn, als ganz gemeine Selbstsucht an den Tag. Bei den [259] in Baumstämmen nistenden Arten, wie Lasius fuliginosus und brunneus, wohnt häufig eine Blattlaus, Namens Lachnus longirostris, welche mit ihrem den Körper dreimal an Länge übertreffenden Schnabel an dem jungen Holze des Baumes saugt; in unterirdischen Ameisennestern erhalten wieder andere Blattlausarten ihre Nahrung aus den Wurzeln der Gräser und anderer Pflanzen in nächster Nachbarschaft. Oft umgeben Ameisen eine Gesellschaft von Blattläusen mit einem Gehäuse von Erde oder anderen Baustoffen, tragen auch ihre Larven in dasselbe, oder setzen eine Blattlausgesellschaft durch einen bedeckten Gang mit ihrem Neste in Verbindung. Solche bezeichnet von Osten-Sacken als »stallfütternde« Ameisen und erzählt von einer kleinen röthlichen Art der Gattung Formica, mit braunem Hinterleibe, welche in der Nähe von Washington eine schwarze Lachnus-Kolonie an einem Wachholderzweige ummauert hatte. Das röhrenförmige Futteral bestand aus einer graubraunen, filzartigen Masse, die sich als zusammengebackene Härchen, wahrscheinlich Bastschnitzeln, von harzigem Geruche ergab. Es war etwa sechsunddreißig Centimeter lang und ein Drittel dieser Erstreckung breit, als es zur näheren Untersuchung abgebrochen wurde. Bei einer anderen Gelegenheit fand derselbe Forscher in Virginien an einem dicht mit Blattläusen besetzten Asclepiasstengel ein zerbrechliches, kugelförmiges Gehäuse von ungefähr 2,19 Centimeter Durchmesser, welches einer schwarzen Ameise seinen Ursprung verdankte. In heißen Ländern, wo Blattläuse fehlen, vertreten die ihnen verwandten kleinen Eikaden deren Stelle. 3) Ameisenfreunde, welche auf allen ihren Lebensstufen ausschließlich in den Nestern bestimmter Ameisen leben, ohne welche sie überhaupt nicht bestehen würden. Hierher gehören der gelbe Keulenkäfer (S. 57) mit seinen Verwandten und noch zahlreichere Staphylinen. – In Deutschland kennt man über dreihundert Kerfarten aller Ordnungen, welche zu einer oder der anderen dieser drei Gruppen zählen, hauptsächlich jedoch den Käfern angehören, unter diesen allein einhundertneunundfunfzig Staphylinen. Die meisten leben bei Lasius fuliginosus (150 Arten) und Formica rufa (100 Arten), von den wenigsten kennt man indessen zur Zeit noch die näheren Beziehungen, in welchen sie zu ihren Wirten stehen.

Das geschäftige Treiben der Ameisen hat ihnen vor tausenden anderer Kerfe von jeher die regste Theilnahme derer abgenöthigt, welche überhaupt Sinn für solche Dinge haben, wie uns die zum Theil treffenden Bemerkungen der griechischen und römischen Naturforscher aus dem grauen Alterthume beweisen. Das Leben der Ameisen ist nach Plutarch gewissermaßen der Spiegel aller Tugenden: der Freundschaft, der Geselligkeit, Tapferkeit, Ausdauer, Enthaltsamkeit, Klugheit und Gerechtigkeit. Kleanthes behauptet zwar, die Thiere hätten keine Vernunft, erzählt aber doch, er habe folgendes gesehen: Es wären Ameisen in die Nähe eines fremden Ameisenhaufens gekommen und hätten eine todte Ameise getragen. Aus dem Haufen wären nun dem Leichenzuge Ameisen wie zur Unterredung entgegengekommen, dann wieder zurückgegangen. Dies wäre zwei- bis dreimal geschehen. Endlich hätten die Ameisen aus dem Haufen einen Wurm hervorgeschleppt und hätten ihn den Trägern der Leiche übergeben, um letztere von ihnen loszukaufen. Diese hätten den Wurm angenommen und die Leiche dagegen abgelassen. – Jedenfalls bemerkt man überall bei sich begegnenden Ameisen, wie sie die Tugend der Bescheidenheit üben, indem alle, die leer gehen, den Beladenen ausweichen; wie sie ferner Dinge, die nicht gut fortzuschaffen sind, weislich theilen, so daß die Last dann auf mehrere vertheilt werden kann. – Aratus sagt, wenn Regen bevorstände, brächten sie vorher ihre Eier an die Luft; andere aber schreiben, dies wären keine Eier, sondern Körner, die sie lüfteten, um sie vor Fäulnis zu schützen. – Auch auf eine andere Weise schützen sie mit außerordentlich kluger Berechnung die Körner vor dem Verderben: Volle Sicherheit vor Nässe können sie denselben nicht geben, und die natürliche Folge davon ist, daß sie weich werden und keimen wollen. Dem Keimen beugen sie dadurch vor, daß sie aus jedem Korne den Keim herausbeißen. – Es ist zwar unrecht, wenn man einen Ameisenhaufen öffnet und durchsucht, wie wenn man ihn anatomiren wollte, allein Leute, welche dies dennoch gethan, versichern, vom Eingange aus gehe kein gerader Weg in die inneren Gemächer, durch welchen dann auch andere [260] Thiere hineinkriechen könnten; der Weg führe vielmehr vielfach gekrümmt und gebrochen in die drei Gemächer. Von diesen sei das eine die gemeinsame Wohnung, das zweite die Vorrathskammer, das dritte die Todtenkammer. Aristoteles widmet an verschiedenen Stellen den Ameisen nur wenige Zeilen: Bienen, Ameisen, Wespen, Kraniche leben in geschlossenen Gesellschaften, die Kraniche und Bienen unter einem Oberhaupte, die Ameisen aber nicht. Sie sind theils geflügelt, theils flügellos. Sie riechen Honig von weitem. Bestreut man ihre Wohnungen mit gepulvertem Schwefel oder mit Dosten, so ziehen sie aus. Die Ameisen bringen Maden zur Welt, die anfangs klein und rundlich sind, dann sich durch Wachsthum verlängern und Glieder bekommen. Die Fortpflanzung findet vorzüglich im Frühjahre statt. Die Ameisen sind immerfort in Thätigkeit, laufen immer denselben Weg, tragen Speisen hervor oder verbergen sie, arbeiten bei Vollmond selbst in der Nacht. Sie jagen zwar nicht selbst, tragen aber zusammen, was sie finden.

Plinius (11, 30, 36) wiederholt in der Hauptsache dieselben eben vorgetragenen Ansichten und fährt dann fort: »Wie groß ist ihre Anstrengung bei der Arbeit, wie anhaltend ihr Fleiß! Und weil sie, ohne von einander zu wissen, aus verschiedenen Gegenden Waaren zusammentragen, so haben sie bestimmte Markttage, an welchen allgemeine Musterung gehalten wird. Dann wimmelt's und grimmelt's und die einander Begegnenden befragen und besprechen sich mit großer Sorgfalt. Man sieht Steine, in welche sie nach und nach Wege getreten haben und man erkennt hier aus, wie viel selbst die Emsigkeit schwacher Geschöpfe vermag. Die Ameisen sind, außer dem Menschen, die einzigen Thiere, welche die Todten begraben. In Sicilien gibt es nur ungeflügelte«. Auch Aelian betont an einigen Stellen das Eintragen von Körnern und deren Behandlung, um ihr Keimen zu verhindern.

Abgesehen von dem Begraben der Todten, welcher Irrthum möglicherweise dadurch entstanden ist, daß jede lahme oder hülfsbedürftige Ameise von den ihr begegnenden Schwestern in das Nest geschleppt und verpflegt wird, ist das Wesen der Ameisen schon von Alters her richtig erkannt und gewürdigt worden, vor allem ihre große Arbeitsamkeit, Klugheit und das Vermögen, Mittheilungen unter sich auszutauschen. Es sind in dieser Hinsicht in späteren Zeiten allerlei Ansichten laut geworden, eine Zeichensprache an verschiedenen Beispielen nachgewiesen und ziemlich allgemein angenommen, namentlich aber die Fühlhörner als das wichtigste Werkzeug zu der Aufnahme der Eindrücke von außen angesehen worden. Neuerdings meint Landois den Beweis geliefert zu haben, daß den Ameisen außerdem eine wirkliche Tonsprache zukomme, welche allerdings für das menschliche Ohr meist nicht warnehmbar sei. Nachdem bei den Spinnenameisen (Mutilla) an einigen Hinterleibsringen das Werkzeug aufgefunden worden war, mit welchem dieselben sehr wohl auch für das menschliche Ohr hörbare Töne hervorbringen können, untersuchte der genannte Forscher verschiedene Ameisengattungen und fand bei Ponera sehr entwickelte Reibleisten am zweiten und dritten Hinterleibsringe, deren Ton übrigens auch dem menschlichen Ohre vernehmbar; weniger entwickelt fanden sie sich bei anderen Gattungen, so daß der Genannte die oben aufgestellte Behauptung für gerechtfertigt hält. Wir können diesen höchst interessanten Gegenstand hier nicht weiter ausführen, durften denselben aber auch nicht ganz mit Stillschweigen übergehen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 252-261.
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