Gemeine Sandwespe (Ammophila sabulosa)

[281] Die Lebensweise dieser Wespen unterscheidet sich in nichts von der in der Regel noch häufigeren, mit ihr untermischt vorkommenden gemeinen Sandwespe (Ammophila sabulosa). Wir sehen sie in umstehender Abbildung, und zwar die eine mit der drohend emporgerichteten Keule ihres Hinterleibes, eine Stellung, welche sie bei ihren Spaziergängen sehr gern annehmen. Das erste Glied jener ist dünn und walzig, das fast ebenso lange zweite verdickt sich etwas nach hinten, und erst dann nimmt der Umfang bis zum fünften merklich zu, von wo ab eine schnelle Verjüngung nach der Spitze erfolgt. Mit einem Worte, der Hinterleibsstiel ist hier zweigliederig, sonst, besonders in der Bildung der Klauen und Flügel, welche ruhend dem Körper platt aufliegen und nur bis [281] zum Ende des Stieles reichen, wiederholen sich die Merkmale von Psammophila. Mit Ausnahme der bleichrothen Hinterleibswurzel herrscht auch hier die schwarze Farbe vor, jedoch an den Seiten des Brustkastens bildet kurzes Haar abreibbare Silberflecke. Ein schmales, silberbehaartes Kopfschild unterscheidet das Männchen leicht vom Weibchen, bei welchem jenes breiter und kahl ist.

Man trifft diese Sandwespe den ganzen Sommer hindurch an und, wie es scheint, immer lustig und guter Dinge, bald geschäftig auf dem Boden umherschnüffelnd, bald bedacht für ihr Wohl auf blühenden Brombeeren oder an anderen Honigquellen. Stunden lang wird man von diesen Thieren gefesselt und kann sich nicht müde sehen an dem geschäftigen Treiben und den eigenthümlichen Gewohnheiten der kecken Gesellen, zumal wenn sie in Masse nebeneinander wohnen und geschäftig ab- und zufliegen.


1, 2 Gemeine Sandwespe (Ammophila sabulosa). 3 Männchen der gekielten Siebwespe (Crabro striatus). Natürliche Größe.
1, 2 Gemeine Sandwespe (Ammophila sabulosa). 3 Männchen der gekielten Siebwespe (Crabro striatus). Natürliche Größe.

Nach Morgen gelegene, verfallene Abhänge eines sandigen Grabens und ähnliche, aber immer offene Stellen wählen sie besonders aus, um ihre Nester anzulegen. Wie ein Hund, welcher ein Loch in die Erde scharrt, so wirft die um die Nachkommenschaft besorgte Wespenmutter mit den Vorderbeinen den Sand zwischen ihren übrigen Beinen und unter dem Körper in einer Hast hinter sich, daß leichte Staubwölkchen um sie aufwirbeln, und summt dabei in hohem Tone ein lustiges Liedchen. Hört man diesen eigenthümlichen Ton, so kann man sicher darauf rechnen, die Wespe bei dieser Beschäftigung anzutreffen. Häuft sich der Sand beim weiteren Vorrücken in das Innere zu sehr hinter dem Loche an, so stellt sie sich darauf und fegt unter Staubwirbeln den ganzen Haufen auseinander. Kleine Steinchen, an denen es auf solchem Boden nicht zu fehlen pflegt, und der feuchte Sand werden zwischen Kopf und Vorderfüße geklemmt und herausgetragen. Die Wespe kommt rückwärts aus dem Loche hervor, nimmt fliegend einen kleinen Satz abseits von diesem und läßt ihre Bürde fallen. In demselben Augenblicke ist sie auch schon wieder in der Erde verschwunden und wiederholt dieselbe Schachtungsweise zwei-, dreimal nach einander. Dann bleibt sie, wohl der Abwechselung wegen, auch einmal vor der Oeffnung sitzen, streicht mit den Vorderbeinen über die Fühler hin, geht um ihren Bau herum, mit Kennerblick die Anlage zu mustern, in ihrem Selbstbewußtsein stolz den Hinterleib emporhaltend. Husch! und sie ist wieder im Inneren verschwunden. Je tiefer sie vordringt, desto länger dauert es, ehe sie, mit neuem Abraum beladen, sich rückwärts wieder herausdrängt, doch geschieht dies stets nach verhältnismäßig kurzer Zeit. Jetzt kommt sie heraus und fliegt fort in das Weite, sicher will sie sich nun stärken nach der [282] anstrengenden Arbeit und ein wenig Honig lecken; denn kräftigere Fleischkost nimmt sie ja niemals zu sich. Nicht minder unterhaltend wie der Nestbau ist das Herbeischaffen der Schmetterlingsraupen für die künftige Brut; denn nur solche, aber nach den verschiedenen Beobachtungen von verschiedenen Arten, wenn sie nur groß und nicht behaart sind, werden von der Sandwespe aufgesucht. Die Stelle, an welcher ich einst Gelegenheit fand, eine große Menge von Nestern zu beobachten, war nicht eben günstig für das Fortschaffen der Beute, denn die Nester befanden sich an einem Grabenhange längs eines Waldsaumes, und ein Brachacker jenseit des Grabens lieferte die Raupen gewisser Ackereulen. Ist eine aufgefunden, so werden mit ihr, der Wehrlosen, wenig Umstände gemacht; ein paar Stiche in das fünfte oder sechste Bauchglied berauben sie jeder Selbständigkeit, sie ist dadurch zum willenlosen Gegenstande geworden, nicht getödtet, damit sie nicht in Fäulnis übergehe, sondern nur gelähmt. Nun war oft erst ein weiter, wenn auch nicht gerade unebener Weg zwischen Unkraut zunächst bis zum Graben zurückzulegen, dieser zu passiren und am jenseitigen, schrägen Ufer emporzuklimmen. Fürwahr, keine Kleinigkeit für ein einzelnes Thier, eine solche Last, bisweilen zehnmal schwerer als der eigene Körper, so weite Strecken fortzuschaffen! Bei den geselligen Ameisen kommen die Kameraden zu Hülfe, wenn es Noth thut, die Sandwespe aber ist auf ihre eigene Kraft, Gewandtheit, auf ihr – Nachdenken, wenn ich mich so ausdrücken darf, angewiesen. Sie faßt die Beute mit den Zangen, zieht und schleppt, wie es eben gehen will, auf ebenem Wege meist auf ihr reitend, d.h. sie unter ihrem Körper mitschleppend in langsamem Vorwärtsschreiten. Am steileren Grabenhange angelangt, stürzten dann Roß und Reiter jählings hinab, die Wespe ließ dabei los und kam selbstverständlich wohlbehalten unten an. Die Raupe ward bald wiedergefunden, von neuem gefaßt und weiter geschleppt. Nun geht es aber bergan, die frühere Weise läßt sich dabei nicht mehr anwenden; um die höchste Kraft zu entwickeln, muß sich die Wespe rückwärts bewegen und ruckweise ihre Last nachschleppen. Manchmal entgleitet dieselbe, und alle Mühen waren vergeblich, aber solches Mißgeschick hält die Wespe nicht ab, von neuem ihr Heil zu versuchen, und zuletzt wird ihre Arbeit mit Erfolg gekrönt. Die Raupe liegt vor der rechten Oeffnung. Nicht um auszuruhen, sondern aus Mißtrauen, aus Vorsicht kriecht unsere Wespe, wie jede andere, welche in dieser Weise baut, erst allein in ihre Wohnung, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung sei. Während dieses Ganges hat sie schon wieder so viel Kräfte gesammelt, um an die Beendigung ihres schweren Werkes gehen zu können. Rückwärts vorankriechend, zieht sie die Raupe nach. Meist wird diese folgen, manchmal kann es aber auch geschehen, daß sie an einer Stelle hängen bleibt, dann muß sie wieder heraus und der nöthige Raum im Eingange erst beschafft werden. Wahrhaft bewunderns- und nachahmungswürdig ist die Ausdauer, welche wir hier, bei Ameisen und anderen in ähnlicher Weise lebenden Kerfen so häufig wahrnehmen können!

Endlich sind beide, Sandwespe und Raupe, verschwunden, und es währt lange, ehe jene wieder zum Vorscheine kommt: denn sie hat zum Schlusse noch ihr weißes, längliches Ei an letztere zu legen, aber nur eins. Jetzt endlich kommt sie wieder zum Vorscheine, aber noch ist sie nicht fertig. Sie weiß sehr wohl, daß sich in der Nähe ihres Baues kleine graue Fliegen, manche mit silberglänzendem Gesichte, und andere Faullenzer umhertreiben, welche auch ihre Eier legen möchten, aber weder Geschick noch Kraft dazu haben, es ihr nachzuthun, es vielmehr vorziehen, von anderen Seiten herbeigeschafftes Futter für ihre Zwecke zu benutzen und ihr Kukuksei daran abzusetzen. Gegen solche ungebetene Gäste sucht sich die Sandwespe zu verwahren, indem sie Steinchen, Erdklümpchen oder Holzstückchen vor den Eingang legt und auf diese Weise jede Spur vom Vorhandensein desselben verwischt. Zur Aufnahme eines zweiten, dritten und jedes folgenden Eies müssen dieselben Vorkehrungen wiederholt werden. Bei diesem mühevollen Leben, welches die Sandwespe mit so vielen ihrer Verwandten theilt, bleibt sie aber immer lustig und guter Dinge. Zu Ende des Sommers macht der Tod ihrem bewegten Dasein ein Ende. Das Ei im Schoße der Erde wird bald lebendig, die Made frißt ein Loch in die Raupenhaut und zehrt sie saugend gänzlich auf. War [283] der Vorrath reichlicher, so wird sie größer gegen ihre Schwester, welcher eine kleinere Raupe zur Nahrung diente, woraus sich die verschiedene Größe erklärt, welche man bei den verschiedenen Wespen gleicher Art wahrnehmen kann; denn sie können zwischen funfzehn und dreißig Millimeter in der Länge schwanken.

Die Larve, welche, den Eistand eingerechnet, vier Wochen bis zu ihrer Reife bedarf, spinnt ein dünnes, weißes Gewebe, innerhalb dieses ein dichteres und festeres, welches sie eng umschließt und braun aussieht. In diesem Gehäuse wird sie bald zu einer Puppe, welche nicht lange auf ihre volle Entwickelung warten läßt. Die Wespe frißt ein Deckelchen vom walzigen Futterale herunter und kommt zum Vorscheine. Möglichenfalls gibt es im Jahre zwei Bruten, besonders wenn das Wetter die Entwickelung begünstigt; die letzte überwintert als Made oder Puppe. – Im südlichen Europa leben noch einige sehr ähnliche Sandwespen; die Arten wärmerer Erdstriche zeichnen sich durch vorherrschende rothe Körperfarbe oder zahlreiche Silberschüppchen vortheilhaft von der unserigen aus.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 281-284.
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