Muschelförmige Saumzecke (Argas reflexus)

[687] Die muschelförmige Saumzecke (Argas reflexus), welche unsere Abbildung S. 688 von der Rücken- und Bauchseite vergegenwärtigt, scheint in sehr ähnlicher Weise wie die persische »Giftwanze« zu leben. Sie hält sich in den menschlichen Wohnungen auf, am Tage versteckt in Mauerritzen, und nährt sich bei Nacht vom Blute der Tauben, vorzugsweise der jungen, welche nicht selten davon zu Grunde gehen. So berichtet Latreille über diese Milbe und unabhängig von ihm ein zweiter französischer Schriftsteller, Hermann, welcher sie in seinem, »Mémoire aptérologique« (Straßburg 1808) Rhynchoprion columbae nennt und seine Verwunderung darüber ausspricht, daß sie niemand erwähnt, da sie sein Vater doch schon seit dreißig Jahren als lästigen Parasiten der Tauben kenne. Bis dahin wird Frankreich und Italien als das Vaterland der muschelförmigen Saumzecke angegeben und von anderer Seite (Herrich-Schäffer) die Vermuthung ausgesprochen, daß sie auch in Deutschland vorkommen könne. Diese Vermuthung hat sich denn auch nach und nach für verschiedene Gegenden unseres Vaterlandes bestätigt und zwar unter höchst interessanten Nebenumständen. Zu Camen in Westfalen fand sich die Zecke, nach dem Berichte des Dr. Boschulte, zu Anfang des Jahres 1859 (und auch schon in den vorangegangenen Jahren) im oberen[687] Theile eines massiven Hauses und zwar an den tapezirten Wänden verschiedener Zimmer, vorzugsweise einer Schlafkammer, welche den mittleren Theil eines gleichfalls massiven Thurmes einnahm und mittels eines Fensters bis 1857 in naher Verbindung mit einem Taubenschlage gestanden hatte. Dem weiteren Berichte zufolge saß die Zecke an den Wänden der bezeichneten Räume, so daß man zu jeder Tages- und Jahreszeit ohne große Mühe eine oder die andere sammeln konnte, und der Umstand, daß man Zecken von den verschiedensten Größen antraf, spricht für die gedeihliche Fortpflanzung derselben, obschon nur wenige Bewohner im Hause beisammen waren, keine Tauben in Verbindung mit demselben mehr standen und angeblich alle bemerkten Stücke getödtet wurden. Eine Zecke, welche sich in der Fläche der hohlen Hand nahe dem Daumen festgesogen hatte, blieb ungefähr siebenundzwanzig Minuten sitzen, nahm in merklich regelmäßigen Zügen Nahrung zu sich und ließ, nachdem sie die Dicke einer kleinen Bohne erlangt hatte, freiwillig los. Im Jahre 1863 lieferte der Prediger zu Friedeburg an der Saale zwei lebende Saumzecken auf dem hiesigen Zoologischen Museum ab, und durch seinen Bericht abermals den Beweis, in wie naher Beziehung die genannte Saumzecke zu den Tauben steht.


Muschelförmige Saumzecke (Argas reflexus), von der Rücken- und Bauchseite; stark vergrößert.
Muschelförmige Saumzecke (Argas reflexus), von der Rücken- und Bauchseite; stark vergrößert.

Bis zum Jahre 1859 war unter dem Zimmer, in welchem sich das Ungeziefer zeigte, eine Thorfahrt und an deren Wänden waren Taubenhöhlen gewesen. Seitdem hatte man die Thoreinfahrt in eine Stube umgewandelt und die darüberliegenden Räume zu Schlafstätten für die Kinder eingerichtet. Hier zeigten sich nun die Zecken, vereinzelt auch im unteren Zimmer. Bei Tage ließ sich nie eine blicken, weder am Körper, noch an den Kleidern oder in den Betten, sondern nur des Abends an den Wänden oder an der Decke. Bei jeder Annäherung des Lichtes saßen sie fest und wurden bei der Berührung wie leblos. In diesem Betragen fand man auch das einzige Mittel, sie zu bekämpfen. Vor dem Zubettegehen wurde nämlich an den Wänden umhergeleuchtet und verbrannt, so viel sich ihrer zeigten, einige wenige an jedem Abende, aber auch bis achtzehn. Es sei hierbei an das früher erwähnte Mittel erinnert, sich vor den Angriffen der Bettwanzen zu schützen, welches auch in Persien gegen die dortigen Saumzecken empfohlen wird: in einem erleuchteten Zimmer zu schlafen. Nie war zu ermitteln, woher die Zecken kamen, nie eine vollgesogene zu treffen, nie eine besonders kleine, denn sie hatten durchschnittlich alle die Größe zwischen 4,5 und 6,5 Millimeter. Die meisten Verwundungen, welche sie den schlafenden Kindern beibrachten, fanden sich an den Händen und Füßen, was darauf hindeutet, daß sie die Bettwärme nicht mit der Vorliebe unserer Wanzen aufsuchen. Die Verletzung erscheint als ein unbedeutend rothes Pünktchen ohne Hof, veranlaßt aber ein heftiges Jucken, weniger an dem Punkte selbst, als im Verlaufe der Adern. So bewirkt z.B. ein Stich zwischen den Fingern ein Jucken am ganzen Arme bis zur Schulter hinauf, ein Stich am Fuße bis zum Kreuze und Rücken hin. Durch Kratzen wird der Reiz immer heftiger und weiter verbreitet und die Umgebung der Adern entzündet, besonders bei Kindern, welche bereits mit merklicher Entzündung das Bett verlassen. Bei einem vier- bis fünfjährigen Mädchen traten an Hand, Handgelenk und Unterarm sogar blasige Anschwellungen hervor, gleich den Folgen von Brandwunden. Das Jucken hält unter Umständen acht Tage lang an. Nach alle dem dürften die Wirkungen der muschelförmigen Saumzecke für unseren gemäßigten Himmelsstrich kaum geringer sein, als die der persischen für [688] den heißeren. Vor zwei Jahren bemerkte ich an einer spanischen Wand in Eisleben eine ungemein große muschelförmige Saumzecke und erfuhr auf mein Befragen, daß diese Wand auf einem Gange ihren Aufbewahrungsort habe, unter welchem zahlreiche Taubenhöhlen angebracht waren. Außer der bereits erwähnten großen Lichtscheu sei auch einer an Trotz erinnernden Bewegungslosigkeit als auffallende Eigenthümlichkeit dieser merkwürdigen Zecken gedacht. Minutenlang liegen sie da, so daß man sie für todt halten könnte, und in Weingeist geworfen, rühren sie kein Glied bis zu ihrem Verenden, während doch sonst jedes andere Wesen seinen Körper fast verrenkt, um dem Tode durch Ertränkung zu entrinnen.

Die interessante Zecke, welche nach den mitgetheilten Erfahrungen sich mit den Tauben entschieden in noch anderen Gegenden Deutschlands finden dürfte, erscheint von oben her flach ausgehöhlt und ohne jegliche Gliederung, mit einigen schwachen Grubeneindrücken versehen, deren beide größten und ovalen etwas vor der Mitte stehen, die meisten übrigen kleineren und weißlichen auf der Hinterhälfte ein Feld kranzartig umschließen, welches von einem deutlichen, gleichbreiten Längseindrucke halbirt wird. Die Oberfläche ist rostgelb, der äußere Körpersaum, Unterseite und Beine sind gelblichweiß, sofern keine eingenommene Mahlzeit den Bauch anders färbt. Die Beine gelenken an unbeweglichen Hüften nahe bei einander ein und gehen in je zwei stark gekrümmte Klauen ohne Haftlappen aus, welche jedoch nicht dem letzten, deutlichen Fußgliede ansitzen, sondern durch zwei sehr dünne Ringe mit ihm in Verbindung stehen und hierdurch entschieden größere Beweglichkeit erlangen. Etwas vor den vordersten Hüften liegt in einer ihm dienenden Höhlung der wagerecht ausgestreckte, kurze Rüssel. Derselbe hat ganz den oben beschriebenen Bau, wenn auch die Formen der einzelnen Theile in unwesentlichen Stücken etwas abweichen, wozu die pfriemförmige Gestalt des letzten und die schuppenförmige des ersten Kiefertastergliedes gehören. Zum Gebrauche richtet er sich eben so senkrecht nach unten, wie bei den Holzböcken, deren sonstiger Bau sich auch hier zu wiederholen scheint.

Außer den beiden erwähnten Saumzecken kennt man nur noch zwei von ihnen sicher verschiedene Arten, den Argas Fischeri aus Egypten und Argas mauritianus, von der Insel, deren Namen er trägt, doch erstreckt sich diese Bekanntschaft, wie bei den meisten Milben, eben nur auf die äußere Erscheinung, und bei letzterer noch auf die Angabe, daß die Zecke auf Hühnern lebt und diese zuweilen zu Grunde richtet. Der Argas Savignyi aus Egypten ist, weil er auf der unteren Körperseite deutliche Augen aufzuweisen hat, von Koch der neuen Gattung Ornithodoros zugewiesen worden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 687-689.
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