Zweite Ordnung: Die Webspinnen, echten Spinnen [644] (Araneïda)

Das tückische Lauern auf Beute in einem verborgenen Hinterhalte und das gegenseitige Befeinden, besonders der Weibchen und Männchen, welches sprichwörtlich geworden ist, so daß »spinnefeind« den höchsten Grad der Leidenschaft zwischen zwei Menschen andeutet, charakterisiren jene kleinen Finsterlinge, welche man Spinnen nennt. Diese beiden Charakterzüge so wenig wie ihre äußere Erscheinung können sie dem Menschen lieb und werth machen. Man flieht und verabscheut sie vielmehr, jedoch mit Unrecht und aus Vorurtheil. Wenn ich jetzt versuche, als ihr Lobredner aufzutreten, so werde ich zum Theil nur dem Grundsatze gerecht, welchen mich meine unvergeßliche Großmutter lehrte, als ich noch ein Knabe war. Dieselbe ging von der Ansicht aus, daß man dem Menschen und vor allem dem Kinde jede unbegründete und darum alberne Furcht vor Ammenmärchen und besonders auch vor dem kleinen Geziefer nicht nur durch Belehrung, sondern auch durch das Beispiel benehmen müsse. Als sie einst mein Entsetzen und die Aeußerung desselben nach Kinderart bemerkte, welches eine am äußersten Zipfel meines langen Hausrockes sitzende, feiste Kreuzspinne hervorgerufen hatte, schalt sie mich nicht nur tüchtig aus, sondern suchte mir zugleich das Thörichte meines Benehmens begreiflich zu machen. Sie nahm eines dieser Thiere, die sich an der einen, rebenumrankten Wand des alten, schon einmal erwähnten Pfarrhauses zahlreich angesiedelt hatten, in ihre Hand, um mir seine Unschädlichkeit darzuthun, wies mich auf das kunstvolle Nest desselben und auf seine Jagd nach lästigen, den reifen Trauben später nachtheiligen Fliegen hin und setzte es dann wieder an seinen Platz. Möchten doch alle Erzieher und Erzieherinnen in diesem Sinne wirken, und die aus Albernheit und Unkenntnis nervengereizten Naturen, welche beim Anblicke einer Raupe, eines Maikäfers usw. in Krämpfe fallen wollen, würden seltener sein, als sie heutigen Tages leider noch sind!

Trotz ihrer rauhen und abstoßenden Außenseite, trotz einiger unangenehmer Eigenschaften, mit denen sie jedoch den Menschen keineswegs zu nahe treten, bieten die Spinnen nicht weniger im Körperbaue, als in ihren Lebenseinrichtungen des Interessanten genug, um sie der Beobachtung werth und den übrigen Gliederfüßlern ebenbürtig erscheinen zu lassen, was selbst schon von den Alten anerkannt worden ist. Nach einer griechischen Sage hatte Arachne, die Tochter des Purpurfärbers Idmon von Pallas-Athene die Kunst des Webens erlernt und sich erkühnt, ihrer göttlichen Lehrmeisterin einen Wettstreit anzubieten. Umsonst mahnte die Göttin in Gestalt einer alten Frau davon ab. Der Wettstreit begann, und Arachne fertigte ein kunstreiches Gewebe, welches die Liebesgeschichten der Götter darstellte. Athene, hierüber erzürnt, zerriß das Gewebe und Arachne in ihrer Verzweiflung erhing sich. Die Göttin gab ihr zwar das Leben zurück, aber in der Gestalt – der Spinne, damit sie nach Belieben hängen könne. König Salomo empfahl seinen Hofleuten die Spinne als ein Vorbild des Fleißes, des Kunstsinnes, der Klugheit, Enthaltsamkeit und Tugend. Auch Aristoteles, der älteste Naturforscher, schenkte den Spinnen seine Aufmerksamkeit und erzählt von ihrer Entstehung, Ernährung, Paarung, ihren Geweben und Feinden. Es sei ein Zeichen von Trübsinn, Weichlichkeit und Schwäche, schrieb Moufet im Jahre 1634, die Spinne zu verabscheuen, und eine nicht geringe Geisteskrankheit, ihre schönen Werke zu verachten und vor dem Anblicke einer so geschickten Weberin zu schaudern.

Der äußere Bau ist so weit bekannt, daß jedermann beim Anblicke der acht Beine, des in einen Vorder-und Hinterleib zerlegten, nicht weiter gegliederten Körpers, eine Spinne vor sich zu haben gewiß ist. Auf der Oberseite des Kopfbruststückes stehen, gleich gefaßten Perlen, die einfachen [644] Augen. Man hat auf ihre Anzahl, gegenseitige Stellung, Entfernung, Größe und Richtung genau zu achten, wenn man die vielen Gattungen unterscheiden will. Die Zahl der Augen beträgt bei den meisten Spinnen acht, es kommen jedoch auch sechs, in seltenen Fällen zwei und bei einigen Höhlenbewohnern (Anthrobia mammuthica, Stelita taenaria, Hadites tegenarioides) gar keine vor. Die Kieferfühler bestehen aus einem kräftigen, an der Innenseite gefurchten Grundgliede und einem klauenförmigen, einschlagbaren Endgliede, welches gleich dem Giftzahne der Schlangen durchbohrt ist. Zwei Giftdrüsen in Form länglicher Blindschläuche (siehe Fig. a) ergießen beim Bisse mit jenen Klauen eine scharfe Flüssigkeit in die Wunde. Die Kiefertaster bestehen aus sechs Gliedern und bilden in ihrem Grundtheile, wie bei den Skorpionen, den Unterkiefer selbst. An diesen Tastern kommt die eine Eigenthümlichkeit der ganzen Ordnung zur Entwickelung. Beim Weibchen enden sie stets in eine gezähnte oder ungezähnte Kralle, nur sehr selten beim Männchen, wo sich das Endglied vielmehr allmählich kolbenartig verdickt und mit einer halb durchsichtigen Flüssigkeit im Inneren erfüllt. Nach der vorletzten Häutung entstehen hier die verschieden gestalteten Uebertragungswerkzeuge des Samens und treten nach der letzten durch Spaltung der äußeren Haut zu Tage. An dieser Umwandlung nimmt das vorhergehende Glied durch Ansatz von Borsten, Stacheln, Zähnchen und anderen hornigen Gebilden mehr oder weniger Theil.


a Der linke Kieferfühler der Kreuzspinne, an der Seite aufgeschnitten, damit der Eintritt seiner Giftdrüse sichtbar wird; b die äußere Spitze eines Fußes der Hausspinne; c weibliche Kreuzspinne (a und b stark vergrößert).
a Der linke Kieferfühler der Kreuzspinne, an der Seite aufgeschnitten, damit der Eintritt seiner Giftdrüse sichtbar wird; b die äußere Spitze eines Fußes der Hausspinne; c weibliche Kreuzspinne (a und b stark vergrößert).

Welche Bewandtnis es mit dem eben genannten Werkzeuge hat, wird gleich gezeigt werden. Das nächste Kieferpaar endigt wie die eigentlichen Beine in zwei kammartig gezähnte Klauen, nimmt auch im übrigen vollkommen die Gestalt jener und Theilung in sieben Glieder an, so daß man es als Beine bezeichnet und den Spinnen ohne Weiteres acht Bewegungswerkzeuge zuspricht. Wie sich aus Figur b ergibt, steht am Grunde der beiden großen noch eine ebenso gebildete kleinere, die sogenannte Vor- oder Afterklaue, welche nur gewissen Spinnen fehlt. Am Grunde des durch ein kurzes Stielchen mit der vorderen Körperhälfte zusammenhängenden Hinterleibes befinden sich zwischen den Luftlöchern für die Lungensäcke die Geschlechtsöffnungen, welche bei den Weibchen als Querspalte die queren Luftlöcher mit einander zu verbinden pflegen.

Unmittelbar vor dem etwas röhrenförmigen After tritt in dem wunderbaren Spinnwerkzeuge die zweite Eigenthümlichkeit der ganzen Ordnung auf. In sehr mannigfaltig geformten, zwischen den Eingeweiden verschiedenartig gelagerten Drüsen, deren es nach von Siebold fünferlei gibt, entwickelt sich eine Flüssigkeit, welche unter Zutritt der Luft zu einem zähen, trockenen oder klebrigen Faden, wohl auch zu einer Art von Firnis erhärtet, in ähnlicher Weise, wie der aus der Unterlippe der Schmetterlingsraupen heraustretende Seidenfaden. Hier kommt aber der Spinnstoff aus zahlreichen mikroskopischen Löcherchen, mit denen die sogenannten Spinnwarzen wie ein Sieb übersäet sind. Meist finden sich sechs solcher Warzen und zwar paarweise, zwei vorn, zwei hinten und die beiden letzten seitwärts, aber auch weniger an Zahl und verschieden an Gestalt vor; durch die Muskelkraft können sie vor- und rückwärts, ein- und auswärts gewendet, hervorgepreßt und eingezogen werden. Bei manchen Spinnen gibt es ein Paar mehrgliederige, wie Schwänzchen über die Leibesspitze hinausstehende Spinnwarzen, welche wahrscheinlich bei der Anordnung der Fäden [645] eine Rolle spielen, aber selbst keine von sich geben. Die wahren, eigentlichen, kegelförmigen oder cylindrischen Spinnwarzen bestehen aus einem größeren unteren, von einem Hornringe umfaßten und behaarten Theile und einer etwas gewölbten Oberfläche, die wie eine Bürste mit einer großen Menge eigenthümlich geformter Spitzen, den Spinnborsten oder Spinnröhren, besetzt sind. Dieselben stehen häufig in sich einschließenden Ringen oder auch unregelmäßig, die größeren mehr vereinzelt, und bilden die Ausgänge für die Spinndrüsen, »das Sieb«. Wie sie in Weite und Anordnung abwechseln, so auch in der Anzahl nicht nur bei den verschiedenen Spinnenarten, sondern auch an den verschiedenen Warzen einer und derselben Art. Man findet in den Büchern nach Réaumurs Berechnung, welche sich auf die irrige Annahme der Gleichheit aller Warzen gründet, die Anzahl viel zu hoch angegeben. Nach Blackwalls Untersuchungen erreicht sie bei Kreuzspinnen in ungefähr tausend ihre größte Summe; Tegenaria hat nur vierhundert, Pardosa saccata nicht volle dreihundert, Segestria senoculata kaum hundert, und manche kleinere Art noch weniger. Auch darf man nicht meinen, daß bei Bereitung eines Fadens stets alle Spinnröhren in Thätigkeit sind; die Spinne hat es vielmehr in ihrer Gewalt, einzelne oder mehrere derselben wirken zu lassen, je nachdem der Faden diesem oder jenem Zwecke dient.

Die Chitinbedeckung des Spinnenkörpers zeigt sehr verschiedene Härtengrade, bei unseren heimischen Arten im allgemeinen mehr Weichheit als bei manchen ausländischen, unter welchen sehr hartschalige vorkommen; immer aber sind die Rückenplatte und das Brustbein nächst den Klauen das Festeste am ganzen Körper. Ein dünnes oder dichtes Kleid längerer und borstiger oder kürzerer, sammetartiger Haare, bisweilen auch Stacheln, bedecken die Oberfläche und tragen oft nicht wenig zum abschreckenden Aussehen der Spinne bei. Die durchschnittlich düsteren, jedoch auch nicht selten lichteren und bunten Farben und Zeichnungen eignen sich wenig zu Unterscheidungsmerkmalen, weil sie bei einer und derselben Art, besonders je nach dem Alter, sehr unbeständig auftreten.

Was den inneren Bau anlangt, so sei nur in der Kürze noch folgendes bemerkt. Ueber dem Schlunde liegt das aus zwei Nervenknoten verschmolzene Hauptganglion, welches Fäden nach den Augen und Kieferfühlern entsendet. Das Bauchmark besteht aus vier Knoten, welche die übrigen Gliedmaßen versorgen und zwei größere Fäden nach dem Hinterleibe abgeben, die sich um Eingeweide, Geschlechtstheile und Athemwerkzeuge ausbreiten. Diese letzteren gestalten sich mannigfaltiger als man ursprünglich annahm, und bei den verschiedenen Arten immer wieder anders, so daß eine Eintheilung in Lungenspinnen und Tracheenspinnen, wie sie Latreille anfangs vorschlug, unhaltbar geworden ist. In den meisten Fällen finden sich neben den Lungen auch noch Luftröhren, weshalb man geneigt ist, jene als besondere Umgestaltungen dieser anzusehen und mit dem Namen der »Fächertracheen« zu bezeichnen. Dieselben öffnen sich vorn am Bauche in zwei schrägen Schlitzen, deren Vorderrand wulstig verdickt ist. Die innere Wandung ist unmittelbar über dem Schlitze äußerst zart, weiterhin aber mit Chitinstäbchen ausgekleidet, so daß sie wie mit Sternhaaren besetzt erscheint. Der Grund des Lungensackes ist gleichfalls mit festen Stäbchen versehen, die mit flachen dreiseitigen Säckchen wechseln, bei den verschiedenen Arten in sehr abweichender Anzahl, und auf diese Weise kommt ein fächerartiges Ansehen zu Stande. Diese Athemeinrichtung liegt theils in einer seichten Vertiefung der Haut, theils ragt sie in den Fettkörper des Hinterleibes hinein. Beide Fächertracheen sind durch ein Band verbunden, an welches sich Muskeln ansetzen. Die Buschspinnen haben noch ein zweites Lungenpaar, deren Ausgänge hinter dem ersten Paare liegen, während bei allen übrigen Spinnen außer dem ersten Paare noch Luftröhren vorkommen, welche entweder ohne Verästelungen bis in die äußersten Enden des Körpers, in die Beine, Kiefer, Taster, Muskeln büschelartig einlaufen, oder baumartig verästelt bei den Thomisiden, und sich in zwei getrennten Luftlöchern, häufiger jedoch in einer gemeinsamen Querspalte, vor den Spinnwarzen nach außen öffnen. Das Rückengefäß, welches man inmitten eines blattartigen Feldes oben auf dem Hinterleibe bei manchen Spinnen durchscheinen sieht, beginnt am Anfange dieses, sendet einen Hauptstamm nach dem Vorderleibe, mehrere feinere Röhren beiderseits nach den Lungensäcken, drei größere auf jeder [646] Seite nach der Leber und läuft nach hinten in ein einfaches Rohr aus. Die Verdauungswerkzeuge beginnen mit einem oben hornigen Schlunde, dem ein Saugmagen folgt; hinter diesem theilt sich die Speiseröhre in zwei Aeste, die sich, nach vorn umwendend, in einen ringförmigen Magen vereinigen. Von dem Magen geht ein kurzer Fortsatz nach vorn aus, während vier lange, gewundene Schläuche, seitwärts bis zum Ursprunge der Beine reichend, sich hier nach unten umwenden und durch feine Verbindungsröhren wieder zusammentreten, nach hinten zwei blindsackartige Fortsätze entsendend. Durch den Hinterleib läuft ein einfacher Darm, umgeben von den zahlreichen Lappen und Läppchen einer braunen Leber, die ihre Ausscheidungen in jenen ergießt. Unter den Leberläppchen verzweigen sich harnabsondernde Röhren, welche unmittelbar vor dem After in den Blindsack münden.

Als von Kerfen jeglicher Art lebende Raubthiere können die Spinnen so wenig wie andere Räuber gesellig verkehern, sondern müssen sich vereinzeln und unter Umständen einander bekriegen. Livingstone fand zwar in Südafrika eine Art in zahlreicher Gesellschaft und ihre Nester in so bedeutender Menge beisammen, daß das Gespinst einen Baumstamm, oder die Zweige einer Hecke vollkommen unsichtbar machte. Auch Darwin erzählt von einer großen, schwarzen Kreuzspinne mit rubinrothen Flecken auf dem Rücken, welche in bedeutender Anzahl nahe bei St. Fe Bajada in den La Plata-Staaten gesellig lebe, indem sie, wie alle Kreuzspinnen, ihr Nest senkrecht baue, in einer Entfernung von etwa dreiundsechzig Centimeter eine zweite das ihrige usw., aber alle dasselbe an gewisse gemeinsame Fäden von großer Länge anlegen. Auf diese Weise fand Darwin die Spitzen einiger großen Gebüsche von ihren vereinigten Netzen umgeben und konnte dabei seine Verwunderung über dieses, von Spinnen nicht zu erwartende freundnachbarliche Beisammensein nicht unterdrücken. Wenn man indessen bedenkt, daß in jenen an Kerfen reichen Gegenden die Spinnen auch bei engerem Zusammenwohnen vor dem Hungertode gesichert sind, und daß sich bei uns zu Lande an günstigen Stellen die Nester anderer Arten bisweilen auch sehr anhäufen, so braucht in dieser Erscheinung noch nicht einmal eine Ausnahme von der neidischen Spinnenna tur erkannt zu werden.

Die Spinne gehört zu den armen Webern, und arbeitet wie diese, um sich den Lebensunterhal, zu erwerben, muß aber mit dem Rohstoffe sparsam zu Werke gehen, weil dieser ihr bei guter Kost reichlich, bei kärglicher nur sehr sparsam zufließt und der Faden, der einmal aus dem Leibe heraus ist, nicht wieder in denselben zurückgezogen werden kann. Manchmal möchte es zwar so scheinen, wenn sie nämlich an einem Faden in die Höhe klettert, und dieser dabei immer kürzer wird allein sie wickelt ihn nur auf und nimmt ihn an den Beinen mit sich fort. Wie von den verschiedenen Wespen eine jede die Baukunst in anderer Weise betreibt, so und noch weit mehr gehen die Spinnen in Bezug auf ihre Webereien auseinander. Die einen, wie die allbekannte Kreuzspinne, fertigen ein Rad, die anderen, wie die gemeine Hausspinne, dichtere Gewebe, noch andere Röhren, Säcke usw. an, und man hat ihnen hiernach Namen wie Rad-, Nest-, Sack-, Röhrenspinnen und andere beigelegt. Neben solchen Spinnen gibt es aber zahlreiche andere, welche gar keine Fallstricke auswerfen, um ihre Beute damit zu fangen, sondern frei an geeigneten Oertlichkeiten derselben auflauern und gewissermaßen in ehrlicherem Räuberhandwerke durch Nachlaufen oder im Sprunge ihr Schlachtopfer erhaschen. Eine andere Anwendung, welche die Spinnen von ihrem Spinnvermögen machen, besteht darin, daß sie sich an den Fäden herablassen und sie somit als Mittel zu einer Ortsveränderung verwerthen; ja, manche Arten fliegen an ihnen an schönen Herbsttagen weit fort durch die Luft, wovon später noch einige Worte. Alle aber ohne Ausnahme, sofern sie Weibchen sind, verwendenden Spinnstoff zum Schutze der Eier, weil sie, die sonst grausamen Geschöpfe, in der Mutterliebe den zärtlichsten Kerfen nicht nur nicht nachstehen, sondern in dieser Hinsicht als wahres Muster aufgestellt werden können. Menge, welcher das Eierlegen in zwei Fällen genauer beobachtete, schildert es der Hauptsache nach in folgender Weise. Wenn eine Mutter fühlt, daß ihre Zeit gekommen ist, so bereitet sie ein halbrundes Nestchen aus Fäden, entweder freiliegend, [647] wie die Laufspinnen, oder an dem Gewebe, oder an einem anderen, ihr geeignet scheinenden Orte. Wenn das Nestchen fertig ist, legt sie sich mit dem Hinterleibe über dasselbe, und alsbald dringen die Eier aus der Scheidenöffnung am Grunde jenes wie in einem Gusse hervor, ein rundliches Häuflein bildend. Nach wenigen Augenblicken der Ruhe zieht sie einige Fäden, doch merkt man den unsicheren Bewegungen hierbei an, daß es noch nicht in ihrer Absicht liegt, die schützende Decke über das Ganze zu weben, daß sie vielmehr noch andere wichtige Dinge vorhabe. Plötzlich legt sie den Bauch wie der über die Eier und überschüttet sie aus der Scheidenspalte mit einer klaren Flüssigkeit, welche sogleich von den Eiern aufgesogen wird, ohne das Gewebe zu benetzen. Der Körperinhalt der Eier hat sich hierdurch auf einmal so vergrößert, daß dieselben nicht mehr Platz im Leibe der Mutter haben würden. Menge ist der Ansicht, daß die Flüssigkeit aus den um diese Zeit stark ausgedehnten Samentaschen komme, mit dem männlichen Samen vermischt sei und auf diese Weise erst die eigentliche Befruchtung bewirkt werde. Zunächst bleibt die Spinne regungslos und abgemattet über den Eiern liegen, dann aber schließt sie durch ein Gespinst das Nestchen vollständig. Diese schützende Hülle ist nur einfach, aber sehr dicht bei den Laufspinnen, besteht aus zwei in der Mitte lose zusammenhängenden Halbkugeln und wird, durch einige Fädchen unterhalb des Leibes befestigt, von der Mutter mit umhergetragen; nur wenige graben eine Erdhöhlung, in welcher sie bis zum Ausschlüpfen der Jungen zubringen. Auch mehrere Arten der Netzspinnen fertigen kugelrunde Eiernestchen an, welche sie an einen sicheren Ort aufhängen und bewachen, oder mit sich herumtragen. Alle diese werden vorzugsweise mitten im Sommer gelegt und schlüpfen, begünstigt von Wärme und Feuchtigkeit der Luft, nach drei oder vier Wochen aus. Die Springspinnen, Sack-, Trichter- und Radspinnen legen ihre Eier größtentheils im Spätsommer und bringen das meist flachgewölbte, auch halbrunde Nestchen zur Ueberwinterung an geschützte Stellen. Von diesen Spinnen überwintern ausnahmsweise einzelne, die ihren Lebenszweck noch nicht erreicht haben, während von den anderen die noch nicht erwachsene Brut an den gewöhnlichen Verstecken erstarrt den Winter zubringt.

Degeer, welcher das Ausschlüpfen der Eier beobachtete, hatte nicht Unrecht, wenn er meinte, die Eischale sei die erste Haut der jungen Spinne und das Ausschlüpfen aus dem Eie deren erste Häutung; denn mit der Entwickelung des Embryo ist zuletzt der Inhalt des Eies und seine Schale die kleine Spinne selbst. Sie kann sich aber noch nicht rühren, weil sie von der umschließenden Eihaut beengt wird. Diese reißt zuletzt auf dem vorderen Rückentheile durch wiederholtes Zusammenziehen und Ausdehnen, und der mit einer neuen Haut überzogene Kopf nebst den Augen wird sichtbar, bald nachher der ganze Vorderkörper sammt den Beinen, bis zuletzt durch fortgesetzte Erweiterung des Risses sich auch der Hinterleib befreit. Er umschließt den noch übrigen Eidotter. Die neugeborene Spinne ist noch schwach und starr, streckt ihre Beine und Taster von sich, bewegt sich aber sonst nur wenig und kann weder spinnen, noch fressen; denn die Werkzeuge dazu sind mit Haut überzogen; sonst vollständig entwickelt, kann sie ihre Wiege nicht eher verlassen und der Nahrung nachgehen, bis sie eine vollständige Häutung bestanden hat, welche nach einigen, höchstens acht Tagen erfolgt und von dem größeren oder geringeren Wärmegrade in der Luft abhängt. Bis zu dieser letzten Arbeit, welche ihr das volle Leben geben soll, liegt sie unbeweglich mit ausgestreckten Beinen. Jetzt zieht sie das Kleid aus und ruht kurze Zeit, um die dabei aufgewandten Kräfte wieder zu sammeln. Einige Stunden später spaziert sie munter umher, spinnt Fäden und beginnt ihr Räuberhandwerk. Unter wiederholten Häutungen wachsen die Spinnen nun ziemlich rasch, wenn nicht der Winter einen Stillstand gebietet. Wie oft das Kleid gewechselt wird, läßt sich schwer ermitteln, weil sichere Beobachtungen nur angefangenen Spinnen angestellt werden können, die meisten aber in der Gefangenschaft bei der reichlichsten Nahrung zu Grunde gehen, wenn sie dieselbe nicht genau in der Weise erlangen können, wie es einer jeden ihrer Natur nach in der Freiheit beliebt. Im allgemeinen nimmt man an, daß mit der vierten Häutung das Wachsthum vollendet sei, also auch die Wiedererzeugung einzelner verloren gegangener Glieder ein Ende nehme.

[648] Der eigentliche Hergang bei der Begattung ist gleichfalls noch nicht vollkommen aufgeklärt. Die auf Beobachtungen gegründeten Ermittelungen bestehen der Hauptsache nach in Folgendem. Wenn sich das Männchen begatten will, so nähert es sich mit großer Vorsicht und sehr allmählich dem Weibchen, um zu prüfen, ob dieses seine Liebkosungen freundlich annehme, oder seine Person als fetten Bissen ansehen und verspeisen möchte. Dadurch, daß es sich, mit dem Bauche nach oben gekehrt, aufhängt, gibt das Weibchen seine freundlichen Gesinnungen zu erkennen, infolge dessen das Männchen herankommt und schnell hinter einander abwechselnd mit den beiden Spitzen seiner Taster, der bei den verschiedenen Arten verschieden gestalteten »Samenüberträger«, die weibliche Scheide am Grunde des Bauches berührt; dabei schwellen die Tasterspitzen merklich an. Diese Tätigkeit, während welcher beide Theile meist auf nichts in ihrer Umgebung achten, wird in kurzen Zwischenräumen mehrmals wiederholt, dann aber entfernt sich das Männchen schleunigst, um nicht das Opfer seiner Dame zu werden. So wurde der Hergang bei Rad- und Nestspinnen wahrgenommen, nicht aber, daß das Männchen mit seinen Tasterspitzen nach der Wurzel seines Bauches fasse, um sie von dort mit Samenflüssigkeit zu versorgen. Darum stellte man die Ansicht auf, daß sich an letzterer Stelle gar kein Ausgang fände, vielmehr die wenig gewundenen Samenschläuche im Bauche innerlich mit den Kiefertasterspitzen in Verbindung ständen. Indeß verhält sich die Sache doch anders, und die männliche Geschlechts öffnung fehlt an der Bauchwurzel nicht.

Man kennt zur Zeit einige tausend Spinnen, welche über die ganze Erde verbreitet sind und in einzelnen Arten (Lycosa blanda, Melanophora blanda und anderen) bis gegen dreitausendeinhundertfünfundzwanzig Meter hoch über dem Meere vorkommen, trotzdem aber in den heißen Erdstrichen sich wohler befinden, als in den kälteren, wie die Mannigfaltigkeit an zum Theil großen und schönen Spinnen in den wärmeren Ländern beweist. Entschieden erreicht die Zahl der bekannten und benannten Arten bei weitem noch nicht die der in Wirklichkeit lebenden, und die verschiedenen Zeitschriften bringen in neuerer Zeit wieder neue Arten, seitdem sich die Liebhaber dieser interessanten Geschöpfe gemehrt haben. Auch sind die Ueberreste ausgestorbener Spinnen im Bernsteine nicht unbedeutend.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 644-649.
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