Gartenluchsspinne (Pardosa saccata)

[672] Die Arten, welche eine ungezähnte Afterklaue, einen sehr schmalen und vorn hoch abgedachten Kopf haben, die Augen in der Art geordnet und eine Körperzeichnung tragen, wie die folgende Abbildung beide vorführt, hat man neuerdings unter dem Gattungsnamen Pardosa zusammengefaßt. Die verbreitetste von allen ist die Gartenluchsspinne, die Sackspinne (Pardosa [Lycosa] saccata), welche im Jugendalter zu den kühnen Luftschiffern und mit Beginn des nächsten Jahres zu den ersten Gliederfüßlern gehört, welche, aus der Wintererstarrung erwacht, an sonnigen Stellen zum Vorscheine kommen. Die Paarung muß zeitig erfolgen, denn schon in der zweiten Hälfte des Mai, wenn der Winter nicht ungewöhnlich lange anhielt, sieht man die Weibchen mit ihrem etwas platt gedrückten Eiersacke am Bauche zwischen dürrem Laube umherlaufen. Die ausgeschlüpften Jungen halten sich längere Zeit in demselben auf, kriechen auch auf dem Leibe der Mutter umher.


Gartenluchsspinne (Pardosa saccata), Weibchen mit dem Eiersacke, Augenstellung von der Hinteransicht. Alles vergrößert.
Gartenluchsspinne (Pardosa saccata), Weibchen mit dem Eiersacke, Augenstellung von der Hinteransicht. Alles vergrößert.

Als ich einst mehrere dieser Spinnen in Weingeist geworfen hatte, war ich nicht wenig erstaunt, eine große Anzahl Junger in der Flasche zu finden, welche sich im Todeskampfe aus dem Eiersacke herausgearbeitet haben mochten. Die in Rede stehende Art ist höchstens 6,5 Millimeter lang, braungrau von Farbe und hat einen gelblichen Längsfleck auf dem Rücken des Vorderleibes, einen schwarzen Gabelfleck am Grunde sowie zwei Reihen schwarzer Flecke auf dem Rücken des Hinterleibes und bräunlichgelbe, schwarz geringelte Beine. Es gibt mehrere, sehr ähnliche und ebenso lebende Arten (Pardosa montana, arenaria und andere), welche ohne umständliche Beschreibung nicht leicht unterschieden werden können, und darum von den Schriftstellern öfters mit obigem Namen belegt worden sind, ohne ihn in der That zu verdienen. Diese Sackspinnen leben an feuchten und trockenen, sonnigen Stellen, und ich wage nicht zu entscheiden, ob man nach dem Aufenthalte einen einigermaßen sicheren Schluß auf die bestimmte Art ziehen könne, glaube vielmehr, daß sie alle mehr oder weniger untermischt vorkommen.

Es dürfte schwerlich über den giftigen Biß irgend einer Spinne mehr Geschrei erhoben, mehr Unwahres verbreitet worden sein, als über den der Tarantel, einer Spinne, oder richtiger gesagt, mehrerer zur alten Gattung Lycosa gehörenden Arten. Der Name ist dem Italienischen entlehnt, wo man unter Tarantola ursprünglich eine giftige Spinne (auch Solofizzi genannt) begreift, welche vorzugsweise bei Tarent (Taranto) lebt, und deren Biß die wunderlichsten Erscheinungen zugeschrieben worden sind. Ulysses Aldrovandi, welcher in seiner Naturgeschichte der Insekten (1602) alles gesammelt hat, was bis dahin auch über die Spinnen geschrieben worden war, verbreitet sich ausführlich über die Wirkungen des Tarantelstiches und die Mittel, ihn zu heilen. Nach ihm gibt es kaum ein menschliches Gebaren, so kindisch und albern es auch sein möge, welches man nicht der Wirkung dieses Bisses zugeschrieben hätte; denn er sagt unter anderem von den Gestochenen, »Tarantulati«: die einen singen fortwährend, die anderen lachen, weinen, jammern; die einen verfallen in Schlafsucht, die anderen in Schlaflosigkeit; die meisten leiden an Erbrechen, einige tanzen, andere schwitzen, noch andere bekommen Zittern oder Herzpochen und andere werden von anderen Beschwerden befallen, zu denen auch gehört, daß sie den Anblick der schwarzen und blauen Farbe nicht ertragen können, während die rothe und grüne sie erfreut. Um die »Tarantulati« zu [672] heilen, spielt man ihnen auf irgend einem Instrumente zwei Melodien vor, die »Pastorale« und die »Tarantola«, Tänze, welche aufs sorgfältigste in den verschiedenen Werken über diesen Gegenstand aufgezeichnet sind. Darauf fängt der Kranke an zu tanzen bis heftiger Schweiß ausbricht und völlige Erschöpfung ihn zu Boden wirft. Man bringt ihn zu Bett, läßt ihn ausschlafen, und nach dem Erwachen ist er geheilt, weiß aber nichts von alle dem, was mit ihm vorgegangen ist. Es treten indeß auch Rückfälle ein, welche sich zwanzig, dreißig Jahre, ja mitunter während der ganzen Lebenszeit wiederholen. Man behauptet weiter, daß der Biß während der Hundstage am gefährlichsten sei, von der einen Spinne mehr schade, als von der anderen, daß die gefährliche Spinne von Apulien keine schädlichen Bisse austheilen könne, wenn man sie nach Rom oder noch nördlicher bringe. Solche und ähnliche Thorheiten wurden bis in dieses Jahrhundert hinein nicht nur von der Volksmenge, sondern auch von einzelnen, grundgelehrten Aerzten für wahr gehalten, hatten aber den Vortheil, daß mehr und mehr verständige Leute sich um das fabelhafte Thier bekümmerten und die Wirkungen seines Bisses auf das richtige Maß zurückführten. Ein polnischer Edelmann, von Borch, vermochte gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts einen Neapolitaner gegen ein Geschenk, sich in seiner Gegenwart in den Finger beißen zu lassen. Die Hand entzündete sich zwar, die Finger schwollen an und juckten empfindlich, aber der Kranke war bald wieder völlig hergestellt. Leon Dufour und neuerdings Joseph Erker bestätigen nach an sich selbst gemachten Versuchen die Unschädlichkeit des Tarantelbisses. Die Auffassung des auf den Sommer fallenden Taranteltanzes, il carnavaletto delle donne (kleiner Frauenfastnacht), über welchen die Nachrichten bis zu dem 15. Jahrhundert zurückreichen, wird eine wesentlich andere, wenn man die Geschichte des »Sommertanzes im Mittelalter« weiter verfolgt und erfährt, daß Dänemark, Schweden, England, Frankreich und Deutschland ganz ähnliche Erscheinungen aufzuweisen haben wie die Tarantola der Italiener. Alle Tanzzüge damaliger Zeiten werden von einem Johannistanze übertroffen, der mit dem Tarantelstiche nichts gemein hat und 1374 am Rheine, an der Mosel und in den Niederlanden sein Unwesen trieb. Jung und Alt, Männer und Frauen wurden von der Krankheit ergriffen, verließen Haus und Hof und zogen tanzend von Stadt zu Stadt. Aachen, Köln, Metz, Mastricht, Lüttich und andere Orte werden namhaft gemacht, wo man auf den Straßen, in den Kirchen und an anderen geweihten Plätzen mit wilden, rasenden Sätzen tanzte, bis man vor Erschöpfung niederfiel. Zucht und Sitten kamen bei dieser wilden Raserei vollkommen in Vergessenheit. Unter dem Namen des St. Veitstanzes trat diese Tanzseuche anderwärts und nach und nach an Ausdehnung verlierend, in späteren Zeiten, und zwar theilweise mit Wallfahrten in Verbindung, immer wieder einmal auf.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 672-673.
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