Hausspinne (Tegenaria domestica)

[661] Die in den Winkeln von Ställen, Scheunen, Kirchen und überhaupt von allen nicht öfter dem Werke der Reinigung unterworfenen Räumlichkeiten der Häuser ausgespannten dreieckigen Spinnengewebe, welche meist von darin abgelagertem Staube schwarz aussehen, kennt jedermann zur Genüge. Die verschiedenen Namen, wie Hausspinne, Fensterspinne, Winkelspinne (Tegenaria domestica), welche ihre Erbauerin führt, deuten auf deren Aufenthalt hin. Sie breitet sich nicht nur über ganz Europa, sondern auch über das nördliche Afrika aus, überwintert bei uns im Jugendalter und ist durchschnittlich im Juni, das Männchen bei einer Länge von 11 Millimeter, das Weibchen von 17 bis 19,5 Millimeter, erwachsen. Die ockergelbe Grundfarbe des Körpers erscheint durch braune Zeichnungen gescheckt. Am Vorderleibe sind der Rand und ein Mittelstreifen des durch einen Quereindruck vom Rücken abgeschiedenen Kopftheiles, Strahlenlinien und jederseits drei Mondflecke auf diesem dunkler, am Hinterleibe eine Mittellinie rostroth oder braungelb, eine Fleckenreihe jederseits daneben gelb, und dicht gedrängte Schrägstriche an den Seiten braun. Die ockergelben Beine, deren drittes Paar kürzer als die fast gleich langen übrigen ist, sind mit gezackten, dunklen Ringen geziert. Daß die oberen Spinnwarzen wie zwei Schwänzchen den ovalen Hinterleib überragen und wie die Augen sich gruppiren, erhellt aus der umstehenden Abbildung.

Will die Spinne ihr Nest anlegen, so drückt sie das Spinnfeld ihres Leibes ein paar Zoll von der Ecke entfernt gegen die Wand, spaziert im Winkel nach der anderen Wand und befestigt hier etwa in demselben Abstande den straff angezogenen Faden; er wird als der äußerste und wichtigste verdoppelt und verdreifacht, und durch fortwährendes Hin- und Hergehen auf den Fäden entstehen dicht daneben bis nach dem Winkel hin gleichlaufende, immer kürzer werdende, die alle in derselben Weise wie der erste an den beiden Wänden ihre Anheftungspunkte erhalten. Zu diesem »Zettel« fügt die Spinne durch Querfäden den »Einschlag«, und das in der Mitte etwas eingesenkte Fangnetz ist fertig, aber der ganze Bau noch nicht vollendet. Für sich selbst webt sie nun noch hinten im Winkel ein beiderseits offenes Rohr, an welchem, wie an einem kurzen Stiele, der zuerst angelegte dreieckige Zipfel sitzt. Da sie am liebsten solche Stellen wählt, wo Löcher und Risse in der Mauer vorkommen, so mündet das Rohr in eine solche Vertiefung, in welche sich die Spinne bei herannahender Gefahr zurückzieht. Vorn in dieser Röhre lauert sie auf die Beute, ergreift sofort die ins Netz gerathene Fliege oder Mücke, schleppt sie mit sich und verzehrt sie gemächlich in ihrem Hinterhalte.

Es wurde bereits oben bemerkt, daß jede Spinne mit ihrem Spinnstoffe sparsam sein müsse, weil seine Erzeugung von ihrer Ernährung abhängt und eine verhungerte weniger besitzt, als eine feiste, wohlgenährte; darum wird sie also auch nicht arbeiten, wenn Sturm und Regen ihre Arbeit sofort wieder zerstören könnten und unnütz erscheinen ließen. Hieraus folgt weiter, daß ihr die Natur ein feines Vorgefühl für das Wetter verliehen haben müsse. Daher hat man die Spinnen [661] als Wetterpropheten bezeichnet und nach ihrer Thätigkeit oder Ruhe, ihrem Hervorkommen oder Zurückziehen und ihrer Stellung im Neste überhaupt, nach der größeren oder geringeren Menge der Grundfäden bei Anlage desselben, nach dem Baue neuer oder der Vergrößerung schon fertiger Gewebe und dergleichen besondere Regeln für die muthmaßliche Witterung aufgestellt. Jedenfalls sind die Spinnen gegen Aenderung im Gleichgewichte der Luft, gegen Aenderungen in den Strömungen derselben empfindlich und zeigen diesen Wechsel, mit welchem sich sehr häufig auch das Wetter ändert, auf sechs bis acht Stunden vor dem wirklichen Eintritte an. Vorzugsweise haben sich die angestellten Beobachtungen auf die Kreuzspinne und die eben besprochene Art bezogen. Zerreißt die Kreuzspinne die Grundfäden ihres Rades nach einer bestimmten Richtung hin und verbirgt sich dann, kriechen die Hausspinnen oder Trichterspinnen usw. tief in ihre Röhre und drehen die Hinterleibsspitze nach einer bestimmten Seite: dann ist auf bald eintretenden heftigen Wind aus jener Gegend zu rechnen.


Hausspinne (Tegenaria domestica). a Männchen und darunter in Vergrößerung die Augenstellung in der Vorderansicht, b Weibchen; beide in natürlicher Größe.
Hausspinne (Tegenaria domestica). a Männchen und darunter in Vergrößerung die Augenstellung in der Vorderansicht, b Weibchen; beide in natürlicher Größe.

Befestigt erstere aber die Fäden des Rahmens wieder und nimmt eine wartende Stellung ein, kommen letztere mit vorwärts gerichtetem Kopfende zum Eingange der Röhre und strecken die Beine, wie zum Fange gerüstet, daraus hervor: so kann man die Rückkehr des Ruhestandes in der Atmosphäre annehmen. Von mancher Seite war den Spinnen eine zu übertriebene Prophetengabe beigelegt worden, weshalb man sie ihnen von anderer Seite gänzlich absprach. Da geschah es im Jahre 1794, daß sich ihr alter Ruhm, der schon verloren zu gehen schien, durch folgenden Vorfall von neuem befestigte. Der Führer der französischen Revolutionsarmee, Pichegru, war der Ueberzeugung, daß gegen das unter Wasser gesetzte Holland nichts auszurichten sei, und bereits im Begriffe, unverrichteter Sache umzukehren. In dieser bedenklichen Lage ließ ihm der von den Holländern gefangen gehaltene Generaladjutant Quatremère d'Isjonval aus dem Gefängnisse zu Utrecht die Nachricht zukommen, daß die Spinnen ihm eine binnen zehn Tagen sicher eintretende Kälte prophezeiten. Pichegru harrte aus, die Kälte trat ein, und unaufhaltsam drang die Armee auf dem Eise nach Amsterdam vor. Der befreite Verkündiger der wichtigen Kundgebungen seitens der Spinnen aber wurde im Triumphe nach Paris geführt.

Endschieden war es eine Hausspinne oder eine ihr verwandte Art, welche der unglückliche Christian II. von Dänemark im Kerker zähmte, wie sie umgekehrt nicht wenig dazu beitrug, die Leidenschaften des Tyrannen zu zügeln. Sie kannte seine Stimme und kam stets herbei, wenn er sie lockte und etwas für sie hatte. Wer ist nun wohl verabscheuungswürdiger, diese Spinne, welche einem Unglücklichen noch einiges Vergnügen bereiten kann, oder der Kerkermeister, von welchem berichtet wird, daß er sie getödtet habe, nachdem er ihre Freundschaft mit dem Gefangenen[662] entdeckt hatte? Als der König alt und schwach geworden war und nichts mehr als den Tod wünschte, behandelte man ihn schonender. Oft erzählte er dann mit Thränen der Rührung von der Freundschaft seiner Spinne, von dem Troste, welchen ihre Nähe ihm gebracht, von ihrer Anhänglichkeit und Klugheit und von dem verzweiflungsvollen Schmerze, den der gefühllose Kerkermeister durch ihre Tödtung über ihn gebracht habe.

Man hat die Gewebe und besonders die leicht zugänglichen der Hausspinnen auch zu medicinischen Zwecken benutzt. Werden dieselben auf einem Rohrstuhle oder Drahtsiebe gründlich ausgeklopft und vom Staube gereinigt, mit einem Wiegemesser fein zerschnitten, mit Butter vermengt auf Brod gestrichen und in bestimmten Zwischenzeiten genossen, so leisten sie treffliche Dienste gegen Wechselfieber. Bekannter ist die blutstillende Wirkung der auf Wunden gelegten, natürlich gleichfalls erst vom Staube befreiten Spinnengewebe. Auch hat man versucht, sie gleich den Seidenfäden zu verarbeiten; jedoch wird dieser Rohstoff, welcher von einem Raubthiere stammt, nie in solchen Mengen zu beschaffen sein, um Vortheil aus dem Industriezweige erzielen zu können.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 661-663.
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