Langfühlerige Erdassel (Geophilus longicornis)

[623] Die Erdasseln (Geophilus) sind lange, sehr schmale, fast linienförmige Hundertfüßler, die vierzig bis fünfundsiebzig Leibesringe, vierzehngliederige Fühler und keine Augen haben. Die Körperringe scheinen auf dem Rücken einzeln aus zwei ungleichen Stücken zu bestehen, während die Bauchplatten einfach bleiben. Das letzte Fußpaar endet in dem einen Falle in Krallen, in dem anderen nimmt es einen mehr tasterartigen Charakter an, und die Kralle fehlt. Einige Arten leuchten im Dunkeln mit Phosphorschein, andere, wie beispielsweise Gabriels Erdassel (Geophilus Gabrielis), ein Bewohner der Mittelmeerländer mit mehr als einhundertundsechzig Fußpaaren, sondern aus punktförmigen Drüsen der Bauchschuppen eine reichlich fließende, purpurrothe Flüssigkeit ab. Außer im mittägigen Afrika und auf Madagaskar haben sich überall Erdasseln gefunden, besonders zahlreich in Europa. Die Länge der Fühler, die Form des Kopfes, die Entwickelung der Mundfüße und die Anzahl der Körperringe bedingen allerlei Unterschiede unter den vielen, oft recht ähnlichen Arten, von welchen für Deutschland die langfühlerige Erdassel (G. longicornis) zu den gemeinsten gehört. Sie dürfte dieselbe sein, welche Linné und seine Nachfolger als die elektrische Erdassel (Scolopendra electrica) bezeichnet haben. Die feinbehaarten Fühler übertreffen den eiförmigen Kopf etwa um das Vierfache, indem ihre Glieder entschieden länger als breit, nicht wie die Perlen einer Schnur gebildet, und die drei oder vier letzten dünner als die vorhergehenden sind. Das gelbe Thierchen hat ungefähr fünfundfunfzig Paar Gangbeine und wird 7,8 Centimeter lang. Es findet sich an den Wurzeln und Knollen verschiedener Pflanzen, wie Kartoffeln, Pastinaken, Möhren, und soll nach Kirby's Beobachtungen das Absterben der letzteren veranlaßt haben, wenn es in großen Mengen vorhanden ist und in die fleischige Wurzel nach allen Seiten hin Gänge arbeitet. Dabei wird es wohl auch durch die platte Randassel und allerlei anderes Ungeziefer unterstützt, welches sämmtlich durch die minengrabende Thätigkeit und durch den Koth eine schnelle Fäulnis herbeiführt. Auch kommt unsere Erdassel wie die Regenwürmer aus den Schlupfwinkeln hervor, wenn lange Zeit alle Kreatur nach erfrischendem Naß geschmachtet hatte, und dann kann es geschehen, daß sie in ihrem Wohlbehagen oder im brennenden [623] Verlangen der vielleicht lange unthätigen Verdauungswerkzeuge über einen zehnmal größeren Regenwurm herfällt, denselben trotz allen Sträubens und krampfhaften Umsichherschlagens umwindet, wie die Riesenschlange ihr unglückliches Schlachtopfer, ihn aber nicht erdrückt, wie diese, sondern ihn zwickend, beißend und begeifernd endlich ermattet und durch ihr Gift tödtet.

Scoutetten erzählt in einer medicinischen Zeitschrift von Metz einen höchst eigenthümlichen Fall ungefähr in folgender Weise: Seit mehreren Monaten litt in der Nähe von Metz eine achtundzwanzigjährige Frau an einem sehr unbehaglichen Kribbeln in der Nase, welches mit reichlichen Schleimabsonderungen verbunden war, und später gesellte sich häufiges Kopfweh zu diesen Krankheitserscheinungen. Die anfänglich noch zu ertragenden Schmerzen wurden bald heftiger und kehrten häufig wieder. Diese Zufälle waren weder in ihrem Erscheinen noch in der Dauer regelmäßig; für gewöhnlich traten sie als mehr oder weniger heftige Stiche auf, welche die Nasenwurzel und mittlere Stirngegend einnahmen, aber auch als schneidender Schmerz, welcher sich von der rechten Stirngegend nach der Schläfe und dem Ohre derselben Seite und schließlich über den ganzen Kopf ausbreitete.


Langfühlerige Erdassel (Geophilus longicornis), einen Regenwurm bewältigend. Natürliche Größe.
Langfühlerige Erdassel (Geophilus longicornis), einen Regenwurm bewältigend. Natürliche Größe.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 623-624.
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