Ringelnatter (Tropidonotus natrix)

[364] Der allbekannte Vertreter dieser Sippe, die Ringel-, Schwimm-, Hecken- oder Wassernatter, der Unk oder Hausunk, die Wasser- oder Hausschlange, der Wurm und wie sie [364] sonst noch genannt werden mag (Tropidonotus natrix, Coluber natrix, scutatus, ponticus, minutus, niger, Natrix torquata und persa, Tropidonotus ater, persicus, scutatus, torquatus, minax und murorum), »die Schlange der Schlangen für unser Volk, der Gegenstand seiner alten Sagen und neuen Wundermären, seiner Furcht, seines Hasses, seines Vernichtungseifers«, ist die verbreitetste aller deutschen Nattern. An Länge kann sie bis 1,6 Meter erreichen, bleibt jedoch mindestens bei uns zu Lande gewöhnlich hinter diesem Maße erheblich zurück, und die Männchen sind außerdem stets kleiner als die Weibchen. Zwei weiße oder gelbe Mondflecke, erstere beim Weibchen, letztere beim Männchen, jederseits hinter den Schläfen, die Krone der Sage und des Märchens, kennzeichnen sie so sicher, daß sie niemals mit anderen Schlangen unseres Vaterlandes verwechselt werden kann; außerdem ist sie auf graublauem Grunde mit zwei längs des Rückgrats verlaufenden Reihen dunkler Flecke gezeichnet, weiter unten seitlich weiß gefleckt und auf der Bauchseite schwarz.


Ringelnatter (Tropidonotus natrix). 1/5 natürl. Größe.
Ringelnatter (Tropidonotus natrix). 1/5 natürl. Größe.

Die Färbung des Rückens fällt bald mehr ins Blaue, bald ins Grünliche, bald ins Graublaue, sieht zuweilen auch fast schwarz aus und läßt dann die dunklen Flecke beinahe gänzlich verschwinden; im übrigen aber unterscheiden sich die beiden Geschlechter und Alte und Junge sehr wenig von einander.

In dem Hügellande der Schweiz werden, nach Tschudi, zwei oder drei verschiedene, ständige Abarten beobachtet, eine olivengraue, eine mehr röthlichgraue und eine zwischen beiden stehende gefleckte; im Süden und Südosten Europas treten zu diesen zwei andere, welche früher als besondere Arten betrachtet wurden: die Trauerringelnatter aus der Wolgagegend (Tropidonotus ater oder murorum), welche überall tiefschwarz gefärbt ist und auf der Unterseite des Kopfes vereinzelt stehende helle Flecke zeigt, und die Streifenringelnatter (Tropidonotus persa), welche sich durch zwei schmale, scharf begrenzte, gleichlaufende, am Nacken beginnende und längs des ganzen Rückens bis zum Schwanze sich erstreckende Längsstreifen von gelber oder gelblich- weißer Färbung auszeichnet.

Das Verbreitungsgebiet der Ringelnatter erstreckt sich, mit Ausnahme des äußersten Nordens und der Inseln Irland und Sardinien, über ganz Europa, einen sehr beträchtlichen Theil von [365] Vorderasien und den Nordwesten Afrikas. Sie kommt in ganz Deutschland vor, in sumpfigen und wasserreichen Gegenden besonders häufig, auf trockenem Gelände seltener, ohne jedoch irgendwo zu fehlen, findet sich ebenso in der Schweiz und in den Alpen überhaupt, steigt hier bis zu eintausendsechshundertundfunfzig Meter unbedingter Höhe empor, fehlt jenseit der Alpen keinem Theile von Italien, gehört in ganz Frankreich und ebenso auf der Iberischen Halbinsel zu den gewöhnlichsten Schlangen, tritt in den Donautiefländern und auf der Balkanhalbinsel noch weit häufiger auf als bei uns, obwohl meist nur in der streifigen Abart, reicht nach Norden hin bis ins mittlere Schweden, in Rußland bis Finnland, überschreitet den Kaukasus wie den Ural, lebt daher in der Kirgisensteppe ebenso gut wie in Transkaukasien und erreicht erst in Persien und am Nordabhange des Atlas ihre südlichen Grenzen.

Umbuschte Ufer der Sümpfe und Brüche, langsam fließende Bäche und Flüsse, feuchte Wälder, das Binsicht oder Ried und der Sumpf selbst bilden den bevorzugten Aufenthalt der Ringelnatter, denn hier findet sie ihre liebste Nahrung. Doch begegnet man ihr auch auf höheren Bergen, weit von jedem Wasser und zwar, laut Lenz, keineswegs bloß zufällig, sondern jederzeit im Jahre, so daß man also mit Recht annehmen muß, sie verlasse solchen Aufenthalt nicht. Nicht selten nähert sie sich den menschlichen Wohnungen und schlägt hier in Gehöften unter Mist- und Mullhaufen, welche sie sich selbst durchlöchert, oder in den von Ratten, Mäusen und Maulwürfen gegrabenen Löchern, auch wohl in Kellern und Ställen ihren Wohnsitz auf. Als besonderen Lieblingsaufenthalt von ihr lernte Struck die Ställe der Enten und Hühner kennen und sah namentlich in denen der ersterwähnten Vögel zuweilen alte und junge Nattern zu Dutzenden. Die hier befindliche feuchte, warme Streu behagt ihnen vortrefflich. Sie leben mit den Enten, welche selbst kleine Nattern ihres Gestankes halber nicht gern antasten, in bestem Einvernehmen, legen auch ihre Eier gern unter verlassene Nester der Vögel und zwar der Enten ebensowohl wie der Hühner. Dagegen konnte der genannte Beobachter nirgends in Erfahrung bringen, daß die Ringelnatter ebenso in Kuh-und Schafställen sich einnistet, und dies erklärt sich schon aus dem Grunde, daß die Schlangen durch die Hufe der Haussäugethiere zu sehr gefährdet sein dürften. Minder oft als in Federviehställen, aber immerhin nicht selten, begegnet man Ringelnattern im Innern menschlicher Wohnungen. Lenz erzählt, daß er als Kind in einem Hause gewohnt habe, dessen Untergeschoß über ein Jahr lang von einem Paare großer Ringelnattern bewohnt gewesen sei, denen sich dann und wann auch eine Schar junger zugesellt habe. »Es war verboten, die Ansiedelung zu stören, aber auch schwer, Dienstleute zu bekommen, welche in solcher Gesellschaft aushalten wollten. Wir Kinder bewunderten die Thiere vorzugsweise, wenn sie über die Glasscherben eines großen Sammelkastens mit klirrendem Geräusche hinkrochen. Unangenehmer war die Ansiedelung einer großen Ringelnatter unter den Dielen der Wohnstube eines mir nahe verwandten Geistlichen. Ward irgend etwas stark auf die Dielen getreten, so erhob sich aus ihnen alsbald der bewußte Natterngestank. Die Dielen wurden nicht aufgerissen, weil das Haus unter der Verwaltung der Gemeinde stand. Zuletzt zog die Schlange freiwillig aus.« In den russischen Bauernhäusern kriecht die Ringelnatter, laut Fischer, sehr häufig umher, weil sie von den Landleuten gerne gesehen oder doch wenigstens geduldet und durch den Aberglauben, daß der Tod eines solchen Thieres sich räche, beschützt wird. Der Russe glaubt nämlich an ein Natternreich, welches einen Natternkönig besitzt. Er trägt eine mit Edelsteinen geschmückte, im Sonnenscheine herrlich glänzende Krone, und ihm sind alle Nattern unterthänig. Widerfährt einem seiner Unterthanen Böses, so rächt er dies, indem er über den Frevler Krankheit und Mißgeburten, Brand und andere Schäden verhängt. Daß die Ringelnatter mit so gesinnten Bewohnern eines Hauses in ein freundschaftliches Verhältnis tritt, erscheint glaublich.

Die Ringelnatter zählt zu den Kriechthieren, welche ihren Winterschlaf so viel wie möglich verkürzen. Im Herbste sieht man sie bei gutem und warmem Wetter noch im November sich sonnen; im Frühjahre kommt sie Ende März oder anfangs April wieder zum Vorscheine und erquickt sich [366] nun erst einige Wochen an der strahlenden Wärme, bevor sie ihr Sommerleben oder selbst ihre Jagd beginnt.

Wer die uns anerzogene Schlangenfurcht von sich abgestreift und die Ringelnatter kennen gelernt hat, wird sie ohne Beschränkung als ein anmuthiges und anziehendes Geschöpf bezeichnen. Sie gehört zu den bewegungsfähigsten und bewegungslustigsten Arten der Familie, reckt sich zwar ebenfalls gern im Sonnenscheine und verweilt stundenlang mit Behagen in dieser Lage, streift aber doch viel und gern umher, jedenfalls weit mehr als die tückisch lauernde, träge Giftschlange, welche selbst des Nachts sich in einem möglichst kleinen Umkreise bewegt. An bebuschten Ufern ruhiger Gewässer kann man ihre Lebhaftigkeit und Beweglichkeit leicht beobachten. Vom Ufer aus, an dessen Rande sie sich eben sonnte, gleitet sie geräuschlos in das Wasser, um entweder schwimmend sich zu erlustigen oder ein Bad zu nehmen. Gewöhnlich hält sie sich so nahe der Oberfläche, daß das Köpfchen über dieselbe emporragt, und treibt sich nun mit schlängelnden Seitenbewegungen, beständig züngelnd, vorwärts; manchmal aber schwimmt sie auch zwischen der Oberfläche und dem Grunde des Wassers dahin, Luftblasen aufwerfend und in der Nähe festerer Gegenstände mit der Zunge tastend. Erschreckt und in Furcht gesetzt, flüchtet sie regelmäßig in die Tiefe des Wassers und schwimmt hier entweder auf dem Grunde desselben oder doch dicht über ihm eine gute Strecke fort, bis sie glaubt, sich genügend gesichert zu haben, und dann wieder zur Oberfläche aufsteigt oder auch auf dem Grunde sich niederläßt und hier längere Zeit verharrt; denn sie kann stundenlang unter Wasser verweilen. »Dies habe ich«, sagt Lenz, »nicht nur draußen, sondern besser noch in der Stube beobachtet. So hatte ich sechzehn Ringelnattern in einem großen, halb mit Wasser gefüllten Fasse; auf dem Grunde des Wassers lag ein Bret, auf dem sie ruhen konnten; unter dem Brete war ein Pfahl. Da sah ich denn, daß sie oft freiwillig halbe Stunden lang unter dem Wasser verweilten, indem sie entweder unter dem Brete oder tiefer unten um den Pfahl gewunden verblieben.« Wenn sie weitere Strecken schwimmend durchmessen, beispielsweise einen breiten Fluß oder einen See durchschwimmen will, füllt sie ihre weite Lunge soviel als möglich mit Luft an und erleichtert sich dadurch bedeutend, während sie beim Niedertauchen jederzeit die Lunge erst entleert. Sie schwimmt zwar nicht besonders rasch, mindestens nicht so schnell, daß man nicht neben ihr hergehen könnte, aber sehr ausdauernd und ist im Stande, viel weitere Wasserreisen zu unternehmen, als man gewöhnlich annimmt. Unter günstigen Umständen kann man sie im Schwimmen auch weithin verfolgen. So gewahrte Struck einst eine dem Ufer entlang schwimmende Natter und ging achtzehnhundert Schritte neben ihr her, bevor sie plötzlich untertauchte und verschwand. Daß sie wirklich über weite Wasserflächen setzt, ist zur Genüge festgestellt worden. Schinz sah sie bei stillem Wetter inmitten des Züricher Sees munter umherschwimmen; englische Forscher trafen sie wiederholt im Meere zwischen Wales und Anglesea an; der dänische Schiffer Irminger fand eine sogar auf offenem Meere in einer Entfernung von dreiundzwanzig Kilometer von der nächsten Küste, der Insel Rügen. Da sie an Bord zu kommen strebte, ließ er ein Boot herab, fing sie und sandte sie an Eschricht nach Kopenhagen, welcher sie bestimmte. In Mecklenburg gilt es als allgemein bekannt, und Struck sah es mehrmals mit eigenen Augen, daß im See fischende Ringelnattern zuweilen auf dem Rücken schwimmender Enten sich lagerten, ohne Zweifel, um so Wärme, weiche Unterlage und Ruhe zugleich zu genießen. Die Enten lassen sich solche Reiter gern gefallen. Im Volke ist aus dieser Beobachtung die Meinung entstanden, daß Enten mit Nattern sich paaren, und keiner der treuen Anhänger dieses Aberglaubens würde sich beikommen lassen, jemals ein Entenei zu essen. Der Lauf der Ringelnatter, beziehentlich ihr Kriechen auf dem Boden, geht ziemlich rasch vor sich; doch kann man sie, auch ohne sich bedeutend anzustrengen, in der Ebene jederzeit einholen, während sie sich an Gehängen hernieder zuweilen mit so großer Schnelligkeit in die Tiefe stürzt, daß man sie recht gut mit einem Pfeile vergleichen darf. Auch im Klettern ist sie durchaus nicht ungeschickt, und manchmal besteigt sie ziemlich hohe Bäume. »Ich habe«, sagt Lenz, »wenn ich sie auf einem Baume bemerkte, mir das Vergnügen gemacht, sie recht [367] hoch hinaufzutreiben. Kann sie nicht mehr weiter, so schlängelt sie sich schnell an den Aesten herab oder geht, wenn es möglich ist, auf den nächststehenden Baum über und steigt durch dessen Zweige hernieder; sind aber die untersten Aeste fern vom Boden, so sucht sie nicht am Stamme hinabzugleiten, sondern plumpt herab und entwischt.«

Man nennt die Ringelnatter ein gutmüthiges Thier, weil sie dem Menschen gegenüber nur äußerst selten von ihrem Gebisse Gebrauch macht und mit anderen Schlangen oder Kriechthieren überhaupt oder auch mit Lurchen in der Freiheit und Gefangenschaft sich gut verträgt, mit Lurchen mindestens, so lange sie nicht hungrig ist. Gegen Raubsäugethiere und Raubvögel stellt sie sich allerdings zischend zur Wehre, versucht auch wohl zu beißen; wenn es aber angeht, entflieht sie vor solchen ihr gefährlich dünkenden Geschöpfen jedesmal, namentlich vor denjenigen, welche sie verfolgen und verzehren. Linck nennt sie ein so friedliches, harmloses Geschöpf, »daß man sich versucht fühlen könnte, das arglose Vertrauen, mit welchem sie sich in die Nähe menschlicher Wohnungen wagt, auf Rechnung einer Art guten Gewissens zu setzen. Der Mensch zumal hat nichts von ihrem Gebisse zu befahren und darf ohne Furcht die Hand nach ihr ausstrecken, sie fangen, ja, wenn er will, am Busen tragen. Es fehlt ihr keineswegs an Muth zu ihrer Vertheidigung; man muß jedoch zur List greifen und sie unversehens und von hinten anfassen, um sie zum Beißen zu bringen«. Nach Dursy's Beobachtungen beißt sie auch dann nicht, wenn man, hinter einem Brete oder einer Thüre versteckt, plötzlich mit der Hand in den Behälter greift. Die Angabe Lincks besteht demungeachtet zu Recht; denn Lenz versichert ausdrücklich, mitunter sehr unerwartet von Ringelnattern gebissen worden zu sein. So kam es einmal vor, daß sich eine gutmüthig fangen ließ und erst etwa sechs Minuten nachher, obgleich sie bis dahin ruhig in der Hand gelegen hatte, plötzlich mit einem kurzen Zischen zubiß und der Hand eine centimeterlange und millimetertiefe, blutende Wunde beibrachte, welche wie mit einem scharfen Messer geschnitten war und natürlich ohne üble Zufälle sehr schnell heilte. Zu ihrer Vertheidigung gegen den Menschen bedient sie sich nur ihres überaus stinkenden Unraths; großen Thieren, Raubvögeln und Raben gegenüber zeigt sie sich boshafter, zischt bei deren Annäherung sehr stark und beißt nach ihnen hin, erreicht aber nur selten ihren Feind. »Nie habe ich gesehen«, sagt Lenz, »daß sie solchen Feinden wirklich einen kräftigen Biß beigebracht hätte, obgleich sie im Stande ist, einige Tage hintereinander, wenn sie mit dem Feinde eingesperrt wurde, unaufhörlich zusammengeringelt und aufgeblasen dazuliegen und jedesmal bei seiner Annäherung zu beißen. Wird sie von dem Feinde, sei er ein Vogel oder ein Säugethier, wirklich gepackt, so wehrt sie sich nicht, sondern zischt nur stark, sucht sich loszumachen oder umwindet den Feind und läßt Mist und Stinksaft zur Vertheidigung los.« Erzählungen, welche das Gegentheil der Beobachtungen unseres Lenz zu beweisen scheinen, habe ich übrigens auch vernommen; so berichtete mir ein sonst glaubwürdiger Forstmann, daß eine sehr große Ringelnatter sich um den Hals seines Hundes geschlungen und diesen fast erdrosselt habe: eine Angabe, welche mit einer Mittheilung Tschudi's sehr wohl übereinstimmt. »Wie sich dieses unwehrhafte Thier zu vertheidigen weiß«, erzählt dieser, »zeigte im Mai 1864 ein merkwürdiges Beispiel. Das Männchen des auf dem Kirchthurme von Benken brütenden Storchpaares fing im nahen Riede eine starke Natter, welche es wahrscheinlich seiner Gattin zutragen wollte; die verwundete Natter aber schlang sich so fest um den Hals ihres Feindes, daß sie ihn erwürgte. Man fand den todten Storch von der Natter noch eng umstrickt.« Für unmöglich möchte ich diese Angaben nicht erklären, Gewicht aber kann ich ihnen unmöglich beilegen, und die Regel vermögen sie nicht umzustoßen.

Die bevorzugte Beute der Ringelnatter besteht in Fröschen, und zwar stellt sie hauptsächlich dem gemeinen Thaufrosche (Rana temporaria) eifrig nach. Den Beobachtungen unseres Lenz zufolge, scheint sie den Laubfrosch jedem anderen vorzuziehen, wenigstens hat man frischgefangene, welche andere Frösche verschmähten, durch vorgehaltene Laubfrösche öfters zum Fressen gebracht. Zu solcher Leckerei gelangt sie im Freileben aber nur während der Paarungszeit der Laubfrösche, [368] welche diese auf den Boden hinabführt, und für gewöhnlich mögen wohl Thau- oder Grasfrösche dasjenige Wild bilden, welches sie mit Leichtigkeit und regelmäßig erbeutet. Effeldts Beobachtung, daß die Wassernattern vor dem grünen Wasserfrosche zurückschaudern, bei großem Hunger zwar anbeißen, ihn aber nicht fressen, gilt wenigstens für die Ringelnatter nur bedingungsweise: sie habe ich mehr als einmal Wasserfrösche verschlingen sehen. Wenn sie Frösche nicht zur Genüge hat, vergreift sie sich auch an Landeidechsen und ebenso an Kröten; erstere findet man jedoch selten in ihrem Magen, wahrscheinlich weil sie zu schnell sind, und letztere verzehrt sie wohl nur bei sehr großem Hunger. Dagegen scheint sie Wassermolche recht gern zu fressen und weiß sich aller drei bei uns vorkommenden Arten auf dem Lande wie im Wasser zu bemächtigen. Auch am Feuersalamander vergreift sie sich, wie Sterki mir mittheilt, dann und wann einmal; doch scheint ihr solche Kost wenig zu behagen, weil sie den Salamander manchmal wieder ausspeit und ihm zunächst das Leben schenkt. Nächst den Lurchen jagt sie wie alle Verwandten mit besonderer Vorliebe auf kleine Fische, kann deshalb hier und da wirklich Schaden anrichten. Linck bezweifelt, weil er im freien Wasser Fische nie erjagen sah, ob ihr jemand, auf eigene Anschauung gestützt, die zum Fischfange nöthige Fertigkeit nachzurühmen vermöge: schon Lenz aber, dieser treue und gewissenhafte Beobachter, läßt hierüber keinen Zweifel bestehen, und mein Bruder hat den Fischfang der Kielrückennattern überhaupt so oft beobachtet, daß diese Frage als vollständig erledigt angesehen werden darf. Lenz fand in dem Magen der bei der Untersuchung getödteten Ringelnattern, daß sie vorzugsweise Schmerlen, Gründlinge und Schleien gefressen hatten, und beobachtete, daß ihm frischgefangene oft diese Fischarten vor die Füße spieen.

Lebhaft und richtig schildert Linck die Jagd einer Ringelnatter auf ein Stück ihres Lieblingswildes, einen feisten Grasfrosch. »Dieser merkt in Zeiten die Absichten der nahenden Natter, in welcher ihn Natur und je zuweilen die Erinnerung an eine glücklich überstandene ähnliche Gefahr den grimmigen Feind erkennen ließ, und macht sich sofort auf die Beine, wobei er, wie jedes gejagte Wild, um so hastiger ausgreift, je mehr der Abstand zwischen ihm und dem Feinde im Rücken sich verringert. Die Angst raubt ihm die Besinnung, so daß er selten und nur in kleinen Absätzen hüpft (obgleich ihm aus den gewaltigen Sätzen, welche er sonst wohl zu vollführen im Stande ist, noch am ersten Rettung erblühen könnte), vielmehr nur mit verdoppelter Eile und wiederholtem Purzeln durch Laufen zu entkommen sucht. Höchst seltsam klingt dabei das verzweiflungsvolle Wehegeschrei des Geängsteten, welches mit den Lauten, die wir sonst von den Fröschen zu hören bekommen, gar keine Aehnlichkeit hat und dem Nichtkundigen von jedem anderen Geschöpfe eher als von einem Frosche herzurühren scheint: fast wie ein wimmerndes, gezogenes Schafsblöken, aber gedehnter, und wahrhaft mitleiderregend dringt es in die Ohren.« Eine derartige Verfolgung, bei welcher die Schlange gegen alles andere blind zu sein scheint, währt selten lange Zeit; das Wild wird vielmehr in der Regel schon nach Verlauf einer Minute ergriffen, gepackt und dann verschlungen. Linck meint, daß an der sogenannten Zauberkraft der Schlangen doch etwas wahres sein könne, weil ihm ein glaubwürdiger Mann von einer Natter erzählt hat, welche eben einen sehr großen Frosch hinunterschlang und von einem halben Dutzend anderer Frösche umgeben war, die aus Leibeskräften wehklagten, aber keinen Versuch machten, dem Schicksale ihres Genossen zu entrinnen, so daß wirklich noch einer und ein dritter von ihr ergriffen und hinabgewürgt wurden: ich glaube bei dem früher gesagten beharren zu dürfen, schon deshalb, weil auch ich mehr als einmal die von Linck so anschaulich beschriebene Jagd auf Frösche mit angesehen habe. Auch wenn man einen Frosch mit der Ringelnatter zusammen in einen Käfig steckt, sucht dieser so eilig als möglich zu entrinnen, und erst wenn er sieht, daß ihm dies unmöglich, ergibt er sich so gut als widerstandslos in sein Schicksal.

Die Art und Weise, wie die Ringelnatter ihren Raub verschlingt, widert den Beschauer aus dem Grunde besonders an, weil sie sich nicht damit aufhält, ihr Opfer erst zu tödten, sondern dasselbe noch lebend im Innern ihres Magens begräbt. Gewöhnlich sucht sie allerdings den Frosch beim Kopfe zu packen; wenn ihr dies aber nicht gelingt, greift sie zu, wie es eben gehen will, faßt [369] beispielsweise beide Hinterbeine und zieht sie langsam in den Schlund hinab, wobei der Frosch selbstverständlich gewaltig zappelt und jämmerlich quakst, so lange er das Maul noch öffnen kann. Es verursacht der Schlange nicht geringe Mühe, das bewegliche Wild zu fesseln; demungeachtet gelingt es letzterem äußerst selten, sich von seiner unerbittlichen Feindin zu befreien; denn die Schlange folgt ihm, falls sie sich unbeobachtet sieht, sofort nach und bemächtigt sich seiner von neuem. Kleine Frösche werden weit leichter verschluckt als größere, bei denen die Arbeit oft mehrere Stunden dauert und die Ringelnatter sehr zu ermatten scheint, während sie von jenen bei regem Hunger oft ein halbes Dutzend nacheinander ergreift und hinabwürgt. Bei großem Hunger frißt sie kurz nacheinander hundert Kaulpadden oder funfzig Fröschchen, welche ihre Verwandlung eben beendet haben. Erschreckt und in Angst gesetzt, speit sie, wie andere Schlangen auch, die aufgenommene Nahrung regelmäßig wieder aus, wobei sie, wenn das aufgenommene Thier sehr groß ist, den Rachen entsetzlich aufsperren muß. Kleine Wirbelthiere der beiden ersten Klassen nimmt sie wohl nur in seltenen Ausnahmsfällen zu sich; an Gefangenen wenigstens hat man beobachtet, daß sie Mäuse oder Vögel und deren Eier regelmäßig verschmähen. Den Dotter geöffneter Eier dagegen lecken sie, wie Struck und andere beobachtet haben, anscheinend mit Behagen auf. In der Jugend mögen sie sich, wenn auch nicht vorzugsweise, so doch nebenbei, von Kerb- und Weichthieren nähren. Erber sah seine gefangenen Ringelnattern Schnecken und Raupen fressen, Struck freilebende an sonnigen Wänden nach ruhig sitzenden Fliegen, Mücken, Asseln und dergleichen schnappen.

Lange Zeit war man der Meinung, daß die Ringelnatter nicht trinke. Lenz hat niemals Wasser in dem Magen der von ihm untersuchten Nattern gefunden, obgleich er sie bei heißem Wetter lange ohne Wasser ließ, sie in dieses legte und bald darauf schlachtete. Trotzdem darf das Gegentheil nicht bezweifelt werden: ein Freund unseres eben genannten Forschers beobachtete, daß eine seiner Gefangenen, nachdem sie im Hochsommer vierzehn Tage lang gedurstet, ein mit Wasser gefülltes Näpfchen rein austrank, und auch andere Schlangenfreunde haben dasselbe erfahren. Dursy wundert sich über jeden Beobachter, welcher das Trinken der Ringelnattern nicht gesehen hat und deshalb das Gegentheil behauptet. An heißen Tagen kann man wahrnehmen, daß sie die auf den Boden herabgefallenen Tropfen begierig aufsaugen, und ebenso glückt es sehr häufig, sie in ähnlicher Weise wie die Jachschlange aus einer mit Wasser gefüllten Schüssel trinken zu sehen. Von mir gepflegte und mit anderen Schlangen in einem und demselben Käfige gehaltene Ringelnattern tranken ebenso regelmäßig wie ihre Verwandten. Außer Wasser nehmen wenigstens einzelne auch Milch zu sich, mindestens dann, wenn sie nichts anderes haben können, und wenn sie sich einmal an solche Flüssigkeit gewöhnt haben, mag es geschehen, daß sie solche vielleicht sogar gern trinken. Auf diese Wahrnehmung dürfte die allbekannte Sage sich begründen, daß die Ringelnatter am Euter der Kühe und anderer milchenden Hausthiere sauge, um sich einen für ihr Leben erforderlichen Genuß zu verschaffen. Linck findet es unbegreiflich, wie eine solche Sage selbst in den Urkunden der Wissenschaft Bürgerrecht sich erschlichen hat, »da sie doch zu den haltlosesten Ausgeburten des Afterglaubens gehört, welche hierüber aus finsterer Zeit ihre Schatten noch in den Kreis des angebrochenen Lichtes werfen. Ein Geschlecht sagts, und ein Nachbar thuts kund dem anderen, wie die Hausunken sich in die Viehställe schleichen, um eigenmündig die Euter zu entleeren, in die Keller, um die Milchnäpfe zu plündern, ein Autor, sich begnügend das Melktalent anzuzweifeln, erzählt dem anderen von der Milchgier der Schlangen, und der Unkundige baut getrost und gläubig anziehende Geschichtchen auf den Grund der viel und oft gehörten, nie bestrittenen, doch freilich auch nirgends beglaubigten Sage. Mir war längst aufgefallen, daß nicht eine einzige der vielen Ringelnattern, welche ich im Laufe der Jahre beobachtete, so manche derselben auch tapfer zugriff, wenn ich feste Nahrung bot, die mindeste Lust zeigte, den Inhalt des beigesetzten Trinkgeschirres zu kosten. Ich ließ nun Ringelnattern, welche so zahm geworden waren, daß sie Mäuse und Frösche nicht nur vor meinen Augen, sondern unmittelbar aus meinen Händen aufnahmen, erst Wochen, später Monate lang fasten; ja, ich entzog ihnen selbst die gewohnten Bäder, [370] um ihren Durst auf das höchste zu reizen. Nun bot ich ihnen Milch in allen möglichen Zuständen, warm vom Euter weg, gekühlt, gesotten, gegohren – alles vergeblich: keine erwies dem Tranke auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Mit entschiedener Gleichgültigkeit und Verdrossenheit glitten sie über die Schale hinweg, sichtlich bemüht, den Mund rein zu halten von der Flüssigkeit, welche, wie der Volksmund erfand und die Wissenschaft auf Treu und Glauben annahm, so köstlich munden soll, daß sie Freiheit und Leben wagen, um sich in den Besitz der ersehnten Leckerei zu setzen. Meine Versuche, den Mundrand der Thiere unterzutauchen, erfuhren den möglichsten Widerstand. In passenden Gaben eingegossen, wurde die Milch unter Anstrengung blasig und schäumig wieder ausgewürgt; und so oft ich die ganze Reihenfolge der Versuche wiederholte, nie stellte sich ein anderes Ergebnis heraus, nie vermochte ich einer Ringelnatter auch nur einen Tropfen Milch aufzuzwingen. Der Raum würde mir fehlen, wollte ich alle einschlägigen Versuche des genaueren beschreiben; daher nur soviel: mir steht als Ergebnis meiner Forschungen unverrücklich fest, daß die Behauptung, die Schlange säuft Milch, mit allem, was drum und dran hängt, in den Kehricht der Wissenschaft gehört, zum obstspießenden Igel, zum erbsenriechenden Aale und dem famosen Fuhrwerke, welches durch die Geschichte der Murmelthiere spukt.« Dieselben Beobachtungen hat Lenz schon dreiundzwanzig Jahre vor Linck angestellt und genau dieselben Ergebnisse gewonnen. Etwas wahres scheint aber doch an der Sache zu sein. Uebereinstimmende Beobachtungen nämlich bestätigen, daß unsere Schlangen Milch, ja sogar Milchkaffee trinken. »Auf meinen Jagden in der Umgegend von St. Petersburg«, sagt Fischer, »haben mehrere Bauern erzählt, daß eine Ringelnatter schon seit zwei Jahren täglich in einem Hause erscheine und mit dem Kinde Milch aus einer Schüssel trinke«. Auch Lenz hat eine ganz ähnliche Thatsache in Erfahrung gebracht. »In dem zu der Gemeinde Kabarz gehörigen Dörfchen Namenberg wohnte eine Ringelnatter auf dem Hofe einer Bauernfamilie unter einem Haufen halb trockenen Düngers, wurde wenig beachtet, nicht verfolgt, kam einmal bei anhaltend dürrem Wetter herbei und leckte aus einem Kaffeenäpfchen, welches das kleine, an der Erde sitzende Kind der Familie neben sich hingestellt hatte. Die Eltern bemerkten es, verhielten sich ruhig, erzählten den Nachbarn den Vorfall, und so überzeugte man sich auch in der nächsten Zeit noch einige Male, daß die Natter ebenso zutraulich zur Tränke kam. Der Hausarzt der Erziehungsanstalt Schnepfenthal ist in Kabarz geboren, kennt jene Leute und deren Nachbarn gut, hat genaue Nachrichten über den Thatbestand eingezogen und gefunden, daß dabei weder an Irrthum, noch an Unwahrheit zu denken ist.« Wenn nun auch nach diesen beiden Beobachtungen festgestellt zu sein scheint, daß unsere Schlange Milch nicht gänzlich verschmäht, so darf doch andererseits von einem Melken der Kühe oder Ziegen nicht die Rede sein. Zu einem so kräftigen Saugen wie das Melken es erfordern würde, ist keine einzige Schlange befähigt. Schon Dumeril spricht, in Würdigung der Einrichtung des Mauls und der Zähne, den Schlangen und der Ringelnatter insbesondere eine solche Fähigkeit unbedingt ab, und jeder Forscher, welcher den Bau und das Wesen der Schlange kennt, muß ihm hierin beistimmen. Ich meinestheils gebe nicht einmal die von Lenz aufgestellte Möglichkeit zu, daß hungrige Schlangen zufällig lagernden Kühen sich genähert, die Striche des Euters für eßbare Fleischstücke gehalten, ins Maul genommen und den Versuch gemacht haben sollten, sie zu verschlucken.

Wie alle Schlangen ist die Ringelnatter im Stande, monatelang ohne Nahrung auszuhalten. Hierüber hat seiner Zeit Herklotz eine Beobachtung veröffentlicht, welche wohl verdient, auch in weiteren Kreisen bekannt zu werden. »Im Jahre 1864 am neunzehnten Juni fing ich auf einem Jagdausfluge in die Sümpfe des Neusiedler Sees eine Ringelnatter und beherbergte dieselbe seit jener Zeit in einem hierzu hergerichteten Glasbehälter. Obgleich er ihr entsprechende Nahrung bot, verschmähte sie doch hartnäckig Futter und Wasser. Dieses Verhalten währte fort bis Mitte September, in welchem Monate sie ein einziges Mal Wasser trank, Futter aber noch verschmähte. Die Häutung erfolgte vollständig. Ich wurde begierig, zu erfahren, wie lange wohl das Thier werde hungern können, und verweigerte deshalb von jetzt an Futter und Wasser. Der Käfig stand in meinem [371] Zimmer; ich bewohnte dasselbe allein, und es ist außer allem Zweifel, daß niemand die Schlange fütterte. Der Winter kam heran, die Schlange aber, obwohl sie versuchte, unter den Steinen und der moosbedeckten Erde sich ein Lager zu bereiten, fiel nicht in Winterschlaf, weil die Wärme nicht unter acht bis zehn Grad Réaumur sank. Sie war zwar den Winter über nicht sehr lebhaft und lag zuweilen sogar längere Zeit dem Anscheine nach leblos da; es verrieth mir aber doch die pfeilschnelle Bewegung der Zunge, wenn ich den Käfig öffnete, daß sie noch lebe und nicht schlafe. Nur ein einziges Mal glaubte ich, sie sei gestorben und gab Auftrag, den Leichnam aus dem Käfige zu entfernen; sie belebte sich jedoch in der warmen Hand meines Sohnes wieder, fing an Schlingen zu bilden, nahm ein wenig ihr gereichtes Wasser und setzte hierauf ihre unfreiwillige Hungerkur bis zum sechsundzwanzigsten April fort. An diesem Tage war sie wieder ganz ermattet, und ich fürchtete ernstlich für ihr Leben. Da ich sie nun des ihr von mir bereiteten Schicksals halber nicht opfern wollte, brachte ich ihr zwei Wassersalamander in ihren Käfig. Sie bemerkte augenblicklich den Fraß, rollte sich auf und machte mehrere Umgänge in ihrem Gefängnisse, blieb auf einmal liegen, hob das Köpfchen und strich sich mit demselben bald auf der rechten, bald auf der linken Seite an einem Steine, wobei sie wechselsweise bald die eine, bald die andere Seite des Rachens und endlich denselben ganz öffnete und dehnte. Mit außerordentlicher Schnelligkeit stürzte sie sich hierauf auf einen Wassersalamander, verschlang denselben mit vorzüglicher Freßlust, und bald war auch der zweite in ihrem Rachen verschwunden. Seit jener Zeit hat sie nun öfter gefressen, ist ganz gesund und häutete sich vollständig am elften Mai. Trotzdem sie seit der Zeit ihrer Gefangenschaft abgemagert ist, so verräth doch kein einziges Zeichen irgend einen krankhaften Zustand, und ihr ganzes Verhalten entspricht dem anderer Stücke, welche ich ebenfalls in der Gefangenschaft hielt, ohne sie jedoch eine Hungerkur durchmachen zu lassen. Selten dürfte es sein, daß ein Thier ohne Nahrung und ohne Winterschlaf dreihundertundelf Tage zubrachte, und deshalb glaubte ich diesen Fall mittheilen zu sollen.«

Obgleich die Ringelnatter in guten Jahren, wie schon bemerkt, gegen Ende März oder Anfang April zum Vorscheine kommt und bald darauf zum erstenmale sich häutet, also gewissermaßen ihr Hochzeitskleid anlegt, schreitet sie doch selten vor Ende Mai oder Anfang Juni zur Paarung. Um diese Zeit sieht man, gewöhnlich in den Morgenstunden, Männchen und Weibchen mehrfach umschlungen in innigster Vereinigung liegen, wo immer möglich auf einer den Strahlen der Morgensonne ausgesetzten Stelle. Ihre Brunst beschäftigt sie so vollständig, daß man sich ihnen bis auf wenige Schritte nähern kann, bevor sie unter lautem Zischen, in der oben angegebenen Weise sich gegenseitig zerrend und hindernd, zu entfliehen suchen. Auf die Austragung der Eier im Mutterleibe scheint die Witterung nicht ohne Einfluß zu sein, da man frischgelegte Eier zu verschiedenen Jahreszeiten findet, die ersten Ende Juli, die letzten im August und September. Bei gefangen gehaltenen Ringelnattern kann sich das Legen so verschieben, daß die Jungen bereits im Mutterleibe sich ausbilden und unmittelbar oder bald, nachdem sie zur Welt gekommen, auskriechen. Jüngere Weibchen legen deren funfzehn bis zwanzig, ältere fünfundzwanzig bis sechsunddreißig. In Gestalt und Größe ähneln die Eier denen der Haustaube, unterscheiden sich aber, wie alle Kriechthiereier, durch ihre weiche, biegsame, also wenig kalkhaltige Schale und im Innern durch die geringe Menge von Eiweiß, welches nur eine dünne Schicht um den Dotter bildet. An der Luft trocknen sie allmählich ein und verkümmern; im Wasser gehen sie ebenfalls zu Grunde, und das eine oder das andere beeinträchtigt die Vermehrung dieser Schlangenart, welche eine außerordentliche sein müßte, wenn alle Keime zur Entwickelung kämen. Gewöhnlich wählt die Alte mit vielem Geschick die günstigsten Stellen: Haufen von Mist, Laub, Sägespänen, lockere Erde, Mulm, feuchtes Moos und dergleichen, welche der Wärme ausgesetzt sind und doch eine mäßige Feuchtigkeit längere Zeit bewahren. Sie sucht hier eine Vertiefung, bringt den After über dieselbe, biegt den Schwanz in die Höhe und läßt nun die Eier in die Mulde herabfallen. Ein Ei folgt beim Legen unmittelbar auf das andere und hängt mit dem vorigen durch eine gallertartige Masse zusammen, so daß das [372] ganze Gelege perlschnurartig verbunden ist. Diese Eier sind es, welche vom Volke als Hahneneier bezeichnet werden und in den Augen der Abergläubischen wunderbare Kräfte besitzen sollen. Drei Wochen nach dem Legen ist ihre Nachreife vollendet; das nunmehr vollständig entwickelte Junge bohrt ein Loch durch die Schale und beginnt hierauf das Leben der Eltern, falls nicht frühzeitig eintretende Kälte es zwingt, schon jetzt Schutz gegen die Witterung zu suchen, d.h. in die zur Winterherberge dienenden Löcher zu kriechen. Beim Ausschlüpfen haben die jungen Ringelnattern eine Länge von etwa funfzehn Centimeter; ihre Zähnchen sind aber bereits vorhanden, sie selbst also zu einer selbständigen Lebensweise genügend ausgerüstet. Verwehrt ihnen die Witterung, zu jagen und Nahrung zu erbeuten, so schützt sie das vom Ei mitgebrachte Fett, und ihre angeborene Zählebigkeit bis zum nächsten Frühjahre vor dem Verhungern. Die Mutter bekümmert sich nach dem Legen nicht mehr um die Brut.

In Gefangenschaft hält sich die Ringelnatter leicht, weil sie ohne weiteres an das Fressen geht. Auch eine frischgefangene läßt den ihr angebotenen lebenden Frosch nicht unbeachtet vor sich hin und her laufen, sondern macht, falls sie Hunger hat, Jagd auf ihn, fängt, packt und verzehrt ihn, befindet sich dabei, wenn man auch für Wasser zum Trinken und Baden sorgt und ihren Raum gebührend herrichtet, sehr wohl im Käfige. Anfänglich bedient sie sich ihres Vertheidigungsmittels in lästiger Weise, indem sie ihre Stinkdrüsen öfter entleert als lieb; nach und nach aber gewöhnt sie sich solche Unart ab und kann im Laufe der Zeit wirklich zahm werden. Sterki schreibt mir, daß er einzelne gepflegt habe, welche sich so wenig nach ihrer Freiheit sehnten, daß er sie ins Freie tragen und Stunden lang im Grase sich selbst überlassen konnte, ohne daß sie zu entfliehen versuchten, und ich selbst habe als Student einzelne besessen, welche mir, wenn ich ihnen Nahrung vorhielt, durch das ganze Zimmer nachfolgten. Da die Ringelnatter nur in äußerst seltenen Fällen beißt, darf man sie unbesorgt auch thierfreundlichen Kindern zum Spielzeuge geben und bereitet den Kleinen damit stets das lebhafteste Vergnügen. Mir sind Beispiele bekannt, daß Ringelnattern, denen eine besondere Pflege durchaus nicht zu theil wurde, drei und mehr Jahre lang in Gefangenschaft aushielten.

Ueber die Feinde der Ringelnatter brauche ich mich nach dem bereits gesagten nicht weiter auszulassen, will aber trotzdem nochmals um deren Schonung gebeten haben. Für die Ringelnatter selbst trete ich nicht in die Schranken, da ich sie eher für ein schädliches als für ein nützliches Thier erklären muß. Ganz abgesehen von ihren Fischdiebereien, welche da, wo man Zuchtteiche hat, wirklich fühlbar werden können, nährt sie sich, wie wir gesehen haben, nur von Thieren, welche uns durch Wegfangen schädlicher Schnecken und Kerfe unzweifelhaft Nutzen gewähren, beeinträchtigt also diesen letzteren. Demungeachtet empfehle auch ich, wie Linck, »nicht etwa bloß dem Freunde der Natur, sondern jedem Freunde vernünftiger Erziehung, neben Zimmervögeln und dergleichen, auch einem und dem anderen Kriechthiere, vor allem der Ringelnatter, Raum in seiner Umgebung zu gönnen«; denn ich stimme gedachtem Schlangenfreunde darin bei, daß hierdurch die Volksbildung entschieden gefördert und Aber- und Afterglaube geschädigt wird, da den Thatsachen, welche der Laie mit Augen sieht, mit Händen greift, selten der in geistiger Verwahrlosung festgerostete Wahn widersteht.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 364-373.
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