Erzschleiche (Seps chalcides)

[194] In Größe und Stärke kommt die Erzschleiche (Seps chalcides, Lacerta chalcides und seps, Chalcida vulgaris und tridactyla, Ameiva meridionalis, Zygnis chalcidica), Vertreterin der gleichnamigen Sippe (Seps) und mit verwandten Gruppen einer ferneren Unterfamilie (Sepina), unserer Blindschleiche ungefähr gleich, sieht dieser auch in einer gewissen Entfernung ziemlich ähnlich, unterscheidet sich aber von ihr durch ihre vier stummelhaften Füßchen und erscheint uns demnach als ein Bindeglied zwischen den Skinken und den fußlosen Glanzschleichen.


Erzschleiche (Seps chalcides). 2/3 natürl. Größe.
Erzschleiche (Seps chalcides). 2/3 natürl. Größe.

Der Kopf ist zugespitzt, der Leib rundlich und sehr gestreckt, der Schwanz bis zu seinem sehr spitzigen Ende gleichmäßig verdünnt; an jedem der vier stummelhaften Beine nimmt man drei verkümmerte, mit kaum bemerkbaren Krallen bewehrte Zehen wahr. Der Gaumen ist zahnlos, die Kiefer tragen einfache, kegelige Zähne; die platte, pfeilförmige Zunge zeigt ebenfalls schuppige Warzen. Das Kleid besteht aus sehr kleinen, dicht anliegenden, schön geformten, glänzenden Schuppen, welche auf dem Kopfe zu größeren Schildern sich umwandeln und hier einen ziemlich großen Mittelschild [194] umschließen. Ein glänzendes Bronzebraun oder Silbergrau, welches der Länge nach mit eng aneinanderstehenden, aber etwas geschlossenen Streifen gezeichnet ist, ziert die Oberseite, während die unteren Theile weißlich aussehen und perlmutterartig glänzen. Man zählt etwa ein Dutzend Rückenstreifen; doch ändert die Zahl derselben ebenso ab wie die Färbung. Erwachsene Stücke können eine Länge von dreißig Centimeter erreichen, wovon etwa die eine Hälfte auf den Leib, die andere auf den Schwanz kommt; die Beinchen sind kaum mehr als fünf Millimeter lang.

Alle Küstenländer des Mittelmeeres beherbergen die Erzschleiche. Hier und da kommt sie in sehr großer Anzahl vor, in Sardinien, wie Cetti sich ausdrückt, in so großer Menge, daß man sagen kann, »wie das vertrocknete Gras im Lande«. Zum Aufenthalte wählt sie sich vornehmlich feuchte Wiesen, aus dem einfachen Grunde, weil sie hier am ehesten ihre Beute, Kerbthiere, kleine Nacktschnecken und Würmer, findet. In ihrem Wesen ähnelt sie unserer Blindschleiche außerordentlich. Die kleinen Füßchen übersieht man leicht, und der gemeine Mann, dem nur der Leib und die schlängelnde Bewegung ins Auge fällt, macht deshalb eine Schlange aus ihr; auch bewegt sich die Erzschleiche in der That ganz so wie die Natter, und wenn sie still sitzt, wickelt sie sich ebenso wie letztere zusammen. Gleichwohl sind die Gliedstummel ihr nicht ganz unnütz; denn wenn sie sich fortbewegt, sieht man auch die kleinen Füße beschäftigt, nach Kräften mitzuwirken. Die Kälte scheut sie mehr als ihre übrigen Verwandten, sie verbirgt sich noch eher als die Schildkröten, daher bekommt man sie auch von Anfang Oktober an nicht mehr zu Gesicht, sondern findet sie höchstens bei geschicktem Nachgraben tief im Boden. Erst wenn der Frühling wirklich eingetreten ist, erscheint sie wieder, um nunmehr ihr Sommerleben zu beginnen.

Ueber die Fortpflanzung kenne ich keinen eingehenden Bericht, habe aber gelesen, daß sie wie die Blindschleiche lebende Junge zur Welt bringt.

Wie die deutsche Familienverwandte hat auch die Erzschleiche zu leiden. Ihr stellen Säugethiere, Vögel und Kriechthiere gemeinschaftlich nach, und zu dem zahlreichen Heere der Gegner, welche sie doch wenigstens fressen, also nutzen, gesellt sich als schlimmster Feind der Mensch. Ihm erscheint noch heutigentages das harmlose Geschöpf als ein äußerst giftiges Thier, welches er mit allen Mitteln bekämpfen zu müssen glaubt. Selbst die aufgeklärteren Sardinier, welche wissen, daß die Erzschleiche entweder gar nicht beißt oder, wenn sie es wirklich thut, mit ihrem Bisse keine bösen Folgen hervorbringt, sagen, daß sie, von dem Rindvieh oder von den Pferden mit den Pflanzen zugleich aufgenommen und verschlungen, diesen Nutzthieren den Bauch ungewöhnlich aufschwellen und eine ärztliche Behandlung nothwendig machen soll, weshalb auch sie die allgemeine Vernichtungswuth zu rechtfertigen suchen. Zudem verfolgen alle Marderarten und die kleinen Raubthiere überhaupt, Falken, Raben, Heher, Störche, ja sogar die Hühner, die Erzschleiche, greifen sie und verschlucken sie lebendig. Sauvage beobachtete, daß eine, welche ein Huhn hinabgewürgt hatte, lebendig wieder aus dem Mastdarme herauskroch, zum zweitenmal verschluckt wurde und wiederum auf demselben Wege zum Vorscheine kam, worauf endlich der ergrimmte Scharrvogel sie zerbiß und nunmehr sicher in seinem Magen vergrub. Sauvage meint, daß man die Erzschleiche vielleicht bei gewissen Krankheiten verwenden und durch die Därme schlüpfen lassen könne, da sie unzweifelhaft besser als Quecksilber wirken würde. So vortrefflich in seiner Art dieser Gedanke des Franzosen sein mag, fragt es sich doch sehr, ob der Arzt, welcher ein solches Heilmittel verordnen wollte, auch willige Einnehmer finden dürfte.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 194-195.
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