Erdwaran (Varanus arenarius)

[155] Schon Herodot berichtet von einem »Landkroko dile«, welches im Gebiete der libyschen Wanderhirten lebt und den Eidechsen ähnlich sieht; Prosper Alpin hält dasselbe Thier für den »Scincus« der Alten, von welchem man annahm, daß er sich von gewürzreichen Pflanzen nähre, insbesondere den Wermut liebe und dadurch stärkende Heilkräfte erhalte, während wir gegenwärtig mit demselben Namen eine andere Schuppenechse bezeichnen. Gedachtes Landkrokodil ist der Erd- oder Wüstenwaran (Varanus arenarius, Tupinambis arenarius und griseus, Varanus scincus und terrestris, Monitor scincus, Psammosaurus scincus und griseus), Vertreter der Untersippe der Sandechsen (Psammosaurus), ein Waran, welcher sich von den bisher genannten [155] hauptsächlich durch seinen runden, ungekielten Schwanz, die rundlichen, nicht eiförmigen Schuppen und die kleinen, breiten Schneidezähne unterscheidet, etwas über 1,5 Meter lang wird, oben auf hellbraunem Grunde mit grünlichgelben, viereckigen Flecken gezeichnet, auf der Unterseite einfach sandgelb gefärbt ist und auf seinem Schwanze mehrere gelbliche Ringe zeigt.

Der Erdwaran wird nur in den trockensten Theilen Nordostafrikas, des Steinigten Arabien und Palästinas, insbesondere in den Wüsten gefunden und erwählt hier, wie sein südafrikanischer Verwandter, steinige Stellen, jagt jedoch zuweilen auch auf den sandigen Ebenen, zwischen den Felsenhügeln.


Wüstenwaran (Varanus arenarius). 1/6 natürl. Größe.
Wüstenwaran (Varanus arenarius). 1/6 natürl. Größe.

Von den Arabern wird er mit Recht gefürchtet, weil er an Muth und Bosheit alle übrigen Eidechsen des Landes übertrifft, wenn man ihn im Freien überrascht, ohne weiteres sich zur Wehre stellt, mit Hülfe seines kräftigen Schwanzes meterhoch vom Boden aufschnellt und dem Menschen nach dem Gesichte oder gegen die Brust, den Reitthieren aber nach dem Bauche springt, hier sich festbeißt, Kamele, Pferde und Esel auf das äußerste entsetzt und zum Durchgehen verleitet. Seine Nahrung besteht in dem verschiedensten Kleingethiere: Wagler fand in dem Magen eines Erdwarans, welchen er untersuchte, außer zwei Kieselsteinen von Haselnußgröße, elf bis zwölf vollständige Heuschrecken, zwei Eier eines Laufvogels und einen fingerlangen, fast unversehrten [156] Skorpion.


Dickechse (Varanus albogularis). 1/7 natürl. Größe.
Dickechse (Varanus albogularis). 1/7 natürl. Größe.

Die Araber versicherten mir, daß das Thier hauptsächlich auf kleinere Eidechsen und Schlangen jage, aber auch Springmäuse und Vögel zu berücken wisse und insbesondere die Nester der letzteren arg gefährde. Auf dem Markte zu Kairo sieht man nicht selten gefangene Erdwarane in den Händen eines Haui oder Schlangenbeschwörers, welcher das den Städtern unbekannte Thier den Söhnen und Töchtern der begnadeten Hauptstadt unter großem Aufwande von Redensarten und Geberden vorführt, ihm die unglaublichsten Eigenschaften andichtet und so sein kärgliches Brod zu gewinnen sucht. Daß der kluge Betrüger dem bissigen Geschöpfe vorher die Zähne ausgebrochen, ihm überhaupt durch Mißhandlung den größten Theil seiner Kraft und Bosheit genommen hat, versteht sich von selbst; denn mit einer wirklichen Pflege seiner Thiere gibt sich der Haui nicht ab. Der Waran wie die Brillen- oder die Hornschlange werden zunächst unschädlich gemacht und hierauf so lange in Gefangenschaft gehalten, als sie letztere ertragen. Ihr Käfig oder Behälter ist ein einfacher Ledersack oder eine mit Kleie angefüllte Kiste, aus welcher sie hervorgeholt werden, wenn die Gaukelei beginnen soll. Die »Arbeitsthiere« erhalten weder zu fressen, noch zu trinken; denn der Haui erachtet es für besser, nach Bedürfnis neue einzufangen und diese abzurichten, als seine Einnahme durch Ankauf von Fleisch und anderweitigem Futter zu schmälern. Hinsichtlich des Wü stenwaran hat [157] er mit solchen Ansichten nicht ganz Unrecht, weil die gefangenen Eidechsen dieser Art selten freiwillig an das Futter gehen, also gestopft werden müssen, wenn man ihnen Nahrung beibringen will, dabei ihren Pfleger jedoch oft sehr empfindlich verwunden.

In den Augen der Beduinen gilt auch der Erdwaran, wie alle größeren Echsen überhaupt, als ein Wild, welches seines leckeren Fleisches halber gejagt wird.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 155-158.
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