Fünfte Familie: Stummelfüßler (Peropoda)

[299] Die Kennzeichen der Stummelfüßler (Peropoda), zu denen die Riesenschlangen gehören, sind folgende: Der Kopf ist gegen den Rumpf mehr oder weniger deutlich abgesetzt, dreieckig oder verlängert eiförmig, von oben nach unten abgeplattet, vorn meist zugespitzt, der Rachen mehr oder weniger weit gespalten, der Leib kräftig und muskelig, seitlich zusammengedrückt, längs der Mittellinie des Rückens oft vertieft, zu beiden Seiten, den hier verlaufenden starken Muskeln entsprechend, erhöht; der Schwanz verhältnismäßig kurz, der Stummelfuß auch äußerlich jederseits durch eine hornige, stumpfe Klaue in der Nähe des Afters angedeutet. Den Kopf bekleiden bald Tafeln, bald Schuppen, den Leib kleine, sechseckige Schuppen, den Bauch schmale, meist einfache, aber breite Schilder, welche am Schwanztheile gewöhnlich in doppelter Reihe neben einander stehen. Beide Kieferbogen, bei einer Gruppe selbst die Gaumenbeine, tragen derbe Zähne, welche in der Regel der Größe nach so geordnet sind, daß der zweite oder dritte in der Reihe der größte ist und die übrigen von ihm ab nach hinten zu an Größe abnehmen. Das verhältnismäßig große Auge zeigt einen länglichen Stern. Die Nasenlöcher öffnen sich nach oben. Beide Lungen sind ausgebildet.

Mit Ausnahme der zu unserer Familie zählenden Sandschlangen, von denen ich in der allgemeinen Schilderung gänzlich absehen werde, beschränken sich die Stummelfüßler auf die zwischen den Wendekreisen liegenden Gebiete, gehen wenigstens nicht weit über dieselben hinaus. Ob ihr Verbreitungskreis früher ausgedehnter gewesen ist oder nicht, steht dahin. Gegenwärtig bewohnen sie alle heißen und wasserreichen Länder der Alten und Neuen Welt und zwar vorzugsweise die großen Waldungen, am liebsten und häufigsten solche, welche von Flüssen durchschnitten werden oder überhaupt reich an Wasser sind; einzelne Arten von ihnen kommen jedoch auch in trockenen Gegenden vor. Mehrere sind echte Wasserthiere, welche nur, um sich zu sonnen und um zu schlafen, die Flüsse, Seen und Sümpfe verlassen, ihre Jagd aber hauptsächlich in den Gewässern oder doch am Rande derselben betreiben; andere scheinen das Wasser zu meiden und bis zu einem gewissen Grade zu scheuen. Der Bau ihres Auges läßt sie als Nachtthiere erkennen, Beobachtung gefangener hierüber keinen Zweifel aufkommen. Allerdings sieht man die Riesenschlangen in ihren heimischen Wäldern bei Tage sich bewegen und zu dieser Zeit gelegentlich auch Beute gewinnen; ihre eigentliche Regsamkeit aber beginnt mit Eintritt der Dämmerung und endet mit anbrechendem Morgen. Hierüber liegen allerdings noch keine Beobachtungen vor, aber nur deshalb, weil die von Riesenschlangen bewohnten Gegenden während der Nacht dem Menschen unzugänglich sind, und auch die Dunkelheit Erforschung des Freilebens erschwert oder verwehrt: an den Gefangenen hingegen bemerkt man bald genug, daß sie vollkommene Nachtthiere sind. So träge und ruheliebend sie sich übertages zeigen, so munter und lebhaft sind sie des Nachts. Jetzt erst beginnen sie sich zu bewegen, jetzt also würden sie im Freien ihr Gebiet durchstreifen, jetzt auf Raub ausgehen. Uebertages sieht man sie, in den verschiedensten Stellungen zusammengerollt, der Ruhe pflegen oder der Sonnenwärme sich hingeben. Einzelne wählen hierzu Felsblöcke, trockene Stellen oder über das Wasser emporragende Aeste, andere erklettern Bäume, wickeln sich im Gezweige derselben fest, verknäueln sich oder lassen den vorderen Theil ihres Leibes tief herabhängen; andere suchen eine freie Stelle im Dickichte, auf Felsgesimsen, an den Gehängen auf und legen sich hier, mehr oder weniger lang gestreckt oder in den sogenannten Teller zusammengerollt, ruhig hin. Alle bewegen sich so wenig als möglich, eigentlich nur wenn sie Gefahr fürchten und einer solchen zu entgehen suchen, oder aber, wenn sie lange vergeblich gejagt haben und nunmehr eine Beute sich ihnen darbietet. Dann löst sich plötzlich die Verknotung, und das gewaltige Thier stürzt sich mit Aufbietung seiner vollen Kraft auf das ersehene Opfer, packt es mit dem immerhin kräftigen Gebisse, umwindet es, und erstickt es unfehlbar. Ich habe den Hergang so oft beobachtet, daß ich aus eigener Anschauung schildern kann, wie die Schlange hierbei verfährt, und unser Künstler hat außerdem den glücklichen Gedanken gehabt, die Riesenschlangen, welche in den nachfolgenden Blättern besondere Erwähnung finden, in den Stellungen zu zeichnen, welche sie im Ruhen wie beim Erblicken, Beschleichen, Erwürgen und Verschlingen der Beute annehmen.

[300] Sobald eine Riesenschlange auch übertages oder in der Dämmerung eine ihr unbesorgt sich nähernde Beute gewahrt, erhebt sie den Kopf über den stumpfen Kegel, welchen sie bisher bildete, indem sie, zusammengerollt, der Ruhe sich hingab. Der im Lichte zu einem schmalen Spalte zusammengezogene Stern ihres Auges erweitert sich, die Zunge geräth in Bewegung, erscheint und verschwindet abwechselnd, dreht und wendet sich nach dieser und jener Seite, und auch die Schwanzspitze drückt jetzt, wie bei lauernden Katzen, die sich regende Raublust aus. Dies ist der Augenblick, welchen Mützel zur Darstellung der Abgottsschlange wie der Schlankboa gewählt hat. Nach sorgsältiger Beobachtung des Opfers, welche eine längere oder kürzere Zeit beanspruchen kann, entrollt sich die Schlange und beginnt nun die Verfolgung, wie auf dem Bilde der Anakonda ersichtlich ist. Langsam schiebt sich der Vorderleib über die Ringe hinweg, welche die ruhende Schlange neben- und übereinander gelegt hatte; langsam und stetig folgt mehr und mehr von dem wurmförmigen Leibe. Alle Muskeln arbeiten, alle Rippen stemmen sich gegen den Boden, um die schwere Masse vorwärts zu treiben; tastend prüft die ewig bewegliche Zunge Weg und Steg, während die Augen ununterbrochen an der Beute haften; und näher und näher gelangt das Raubthier an diese. Das Opfer ahnt nichts von der ihm drohenden Gefahr; denn es erkennt in der ihm unaufhaltsam auf den Leib rückenden Schlange den furchtbaren Feind nicht, welchem es wenige Augenblicke später rettungslos verfallen sein wird. Verdutzt über die ihm fremde und wahrscheinlich höchst auffallende Gestalt, bleibt es sitzen oder führt höchstens einige Schritte, einige Sprünge aus, als wolle es der Schlange freie Bahn geben, beruhigt sich wieder und läßt es nicht bloß geschehen, daß der mehr und mehr in Erregung gerathende Räuber unmittelbar vor ihm den Hals in Windungen legt, um die zum Vorstoße erforderliche Länge zu gewinnen, sondern bleibt gar nicht selten selbst dann noch sitzen, wenn jener soweit herangekommen ist, daß dessen Zungenspitzen seinen Leib berühren. Kaninchen beschnuppern unter solchen Umständen, wie ich wiederholt gesehen habe, auch ihrerseits neugierig die Schlange, just als wollten sie die Bezüngelung derselben erwiedern. Urplötzlich schnellt der Schlangenkopf vor, gleichzeitig, nicht früher, öffnet sich der Rachen, und ehe das Opfer noch weiß, was ihm droht, ist es gepackt und zwischen ein oder zwei Ringe des Schlangenleibes gepreßt. Dies geht so blitzschnell vor sich, daß auch der Zuschauer von dem Wie kaum die rechte Vorstellung gewinnt. Die Schlange packt das Thier, wie die Abbildung des Hundskopfsschlingers zeigt, und rollt in demselben Augenblicke das vordere Ende ihres Leibes ein, indem sie den Kopf mit der Beute nach vorwärts wendet und mit ihm und ihr ebenso viele Kreise beschreibt, als sie Schlingen um das Beutethier legen will. Aber die Sekunde, bei deren Beginn der Vorstoß erfolgte, ist noch nicht verstrichen, wenn das gepackte Opfer bereits in der tödtlichen Umstrickung sich befindet. Selten nur vernimmt man einen Aufschrei desselben, und wenn dies der Fall, wahrscheinlich nur infolge des furchtbaren Druckes, welcher die in den Lungen enthaltene Luft durch den Kehlkopf preßt. Wie unwiderstehlich dieser Druck ist, sieht man an dem Gesichtsausdrucke des eingeringelten Thieres. Aus den Höhlen treten diesem die Augen, schmerzvoll verzieht sich die Lippe, krampfhaft zucken die zufällig nicht mit eingeschnürten Hinterbeine. Schon nach wenigen Augenblicken aber schwindet die Besinnung, und je nach der Lebenszähigkeit des Thieres wird früher oder später der Herzschlag schwächer, bis er schließlich gänzlich endet und der Tod eintritt. Vergeblich würde es sein, die Schlange jetzt aufwickeln zu wollen. Ihre ungeheuere Muskelkraft spottet der Stärke mehr als eines Mannes. »Ich habe versucht«, bemerkt Hutton, »eine zwei Meter lange Riesenschlange, welche ein Rebhuhn umschlungen hatte, aufzurollen, aber auch nicht einen Schatten von Erfolg erzielt, obgleich ich alle meine Kräfte an strengte.« Die Schlange aber berechnet genau, wie viel Kraft sie anwenden muß, um eine Beute zu erwürgen, läßt diese auch niemals früher aus ihrer Umschlingung, als bis sie von dem Tode vollkommen sich überzeugt hat. Kleine Riesenschlangen umwinden auch kleine Opfer in der geschilderten Weise, große klemmen solche oft nur zwischen zwei Biegungen des Vorderleibes und erwürgen sie, indem sie sich auf dieselbe legen, also ihr eigenes Gewicht wirken lassen, wogegen sie größere Beutethiere stets so umringeln, wie es die Abbildung [301] der Tigerschlange zeigt. Daß sie zwischen verschiedener Beute genau unterscheiden, geht schlagend aus einer Mittheilung Huttons hervor. Dieser Forscher, mit dessen Beobachtungen die meinigen durchaus übereinstimmen, opferte einer von ihm gefangenen Tigerschlange einmal auch einen großen und starken Waran. Die Echse versuchte zu fliehen und sprang hierbei auf den Rücken ihres Feindes. Obwohl offenbar unangenehm berührt durch die scharfen Nägel des Waran, blieb die Schlange doch ruhig liegen, heftete aber ihre Augen fest auf den Klassengenossen. Nach geraumer Zeit verließ der Waran diese, als ob er eingesehen habe, daß der Platz übel gewählt sei, und suchte an einer anderen Stelle des Käfigs Zuflucht. Die Schlange löste ihre Schlingen und bereitete sich zum Vorstoße vor; der Waran reckte ihr sein Gesicht zu, so daß in Hutton schon die Hoffnung aufkeimte, ein Kampf werde entbrennen. Da aber stieß die Schlange vor und ringelte sich mit so außerordentlicher Schnelligkeit und Unwiderstehlichkeit um den Waran, daß der Hals desselben zweimal geknickt und die Schwanzwurzel gegen die Nasenspitze gedrückt wurde. Erstaunt, sie eine volle Stunde später noch zusammengerollt zu sehen, nahm unser Gewährsmann ein Stöckchen und versuchte, sie zu bewegen, die Beute fahren zu lassen, erkannte aber bald die Ursache der Unthätigkeit des Raubthieres. Denn noch lebte der Waran, noch bewegte er die Füße, und so zähe erwies sich sein Leben, daß die Riesenschlange nicht vor vierthalb Stunden sich entringeln konnte. Sie wußte genau, wie lange sie würgen mußte. Ein Säugethier hat in spätestens zehn, in der Regel schon in fünf Minuten ausgeathmet und wird dann auch bald verzehrt: ein Waran beansprucht eine zwanzigmal längere Kraftanstrengung und ermüdet dennoch den Räuber nicht im geringsten.

Nachdem die Schlange von dem Tode ihres Opfers sich überzeugt hat, wickelt sie sich bedächtig los und prüft nun züngelnd die Beute, in der Regel ohne sie gänzlich frei zu geben, sowie man dies auf dem Bilde der Felsenschlange ersehen kann. Niemals habe ich gesehen, daß sie vor dem Verschlingen mit ihr gespielt hätte, wie schon von den Alten behauptet und von neueren Schriftstellern wiederholt worden ist. Ihr Bezüngeln schien mir immer nur zu bezwecken, die rechte Stelle zum Angriffe beim Verschlingen herauszufinden. Diese Stelle ist der Kopf, weil der große Bissen, welcher unzerstückelt verschlungen werden muß, nur dann den geringsten Widerstand entgegensetzt, wenn die Schlange ihn zuerst in den Rachen schiebt. Nach längerem Bezüngeln faßt sie das erwürgte Thier von neuem beim Kopfe, sperrt dabei den Rachen so weit als möglich auf und beginnt nun die mühsame Arbeit des Verschlingens. Abwechselnd schiebt sie eine Kieferhälfte um die andere vor, drückt die rückwärts gekehrten Zähne jedesmal in den Bissen ein, um ihn so fest zu halten, und schiebt ihn so nach und nach weiter und weiter vorwärts. Zusehends weitet sich dabei der untere Kieferbogen zunächst hinten, sodann mehr und mehr auch vorn aus, indem die bewegenden Bänder immer weiter sich ausdehnen. Von der früheren Zierlichkeit des Kopfes bemerkt man nichts mehr; nur der obere Theil desselben behält annähernd seine Gestalt, die untere Kinnlade und die Kehlhaut erweitern sich, wie bei den Pelekanen zu einem Sacke, und gleichen zuletzt, wie die Abbildung der Assala darthut, einem weiten Schlauche mit festem Ringe an seinem oberen Ende. Die Luftröhre tritt um so weiter vor, je mehr der Unterkiefer sich ausdehnt. Alle Drüsen sondern reichlich Speichel ab und nässen Haare oder Federn des Opfers, so weit dasselbe bereits in den hinteren Theil des Maules eingetreten ist. Bei größeren Thieren verursachen die Schulterblätter, bei Vögeln die Flügel noch besondere Beschwerde. Sobald aber erst sie überwunden sind, rückt der übrige Leib überraschend schnell weiter vor, bis zuletzt auch Beine und Schwanz verschwinden. Nunmehr nimmt auch der Kopf seine frühere Gestalt wieder an. Die auseinander gezerrten Gelenke fügen sich zusammen, und nachdem die Schlange einige Male gleichsam gähnend den Rachen aufgesperrt und bewegt hat, ist alles wieder in Ordnung. Mittlerweile schiebt sich der Bissen, wie man von außen deutlich sehen kann, weiter und weiter im Schlunde hinab, bis er in den Magen gelangt ist. Noch ehe er hier angekommen, kann die Schlange, falls die einigermaßen hungrig war, ein zweites Opfer ergriffen haben, und wenn sie nach längerem Fasten über so viel [302] Beute verfügen kann, als sie will, mag es auch wohl geschehen, daß sie sechs bis acht Thiere von Kaninchen-oder Taubengröße nach einander verzehrt. Bindet man, wie dies in einzelnen Thiergärten und Schaubuden üblich ist, an das ihr vorgehaltene lebende Opfer noch zwei oder drei getödtete gleicher Größe, so verschlingt sie die ganze Reihe in einem; reicht man ihr die lebenden Thiere nacheinander, so erwürgt und verzehrt sie eines nach dem anderen. Nach jedesmaliger Bewältigung des Bissens züngelt sie behaglich und leckt sich förmlich das Maul.

Ungeachtet der außerordentlichen Schlingfähigkeit einer Riesenschlange, hat die Dehnbarkeit der Kinnladen doch ihre Grenzen. Die Schauergeschichten, welche erzählt und geglaubt werden, sind unwahr: keine einzige Riesenschlange ist im Stande, einen erwachsenen Menschen, ein Rind, ein Pferd, einen großen Hirsch zu verschlingen; schon das Hinabwürgen eines Thieres von der Größe eines Rehes verursacht auch den Riesen dieser Familie fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Im höchsten Grade abgeschmackt ist die Angabe, daß die Riesenschlange größere Thiere nur bewältige, indem sie warte, bis der Theil des Leibes, welchen sie nicht hinabwürgen kann, in Fäulnis übergegangen, ebenso die hierauf bezügliche Bemerkung, daß der Geifer der Schlange eine faulige Zersetzung des thierischen Leibes rasch herbeiführe. Bei Gefangenen, welche man nach und nach daran gewöhnt hat, auch todte Thiere zu fressen, kann es allerdings vorkommen, daß dieselben, wenn sie nicht hungrig sind, ihre Beute längere Zeit liegen lassen und dann erst verschlingen, wenn die Verwesung derselben bereits begonnen hat. Derartige Beobachtungen können jedoch unmöglich als für das Freileben des Thieres maßgebend erachtet werden. Dagegen ist es vollständig begründet, daß die Riesenschlangen, sowie alle übrigen Ordnungsverwandten, nach einer reichlichen Mahlzeit in einen Zustand bemerkenswerther Trägheit versinken, welcher so lange anhält, bis die Verdauung größtentheils beendet ist. In älteren Reisebeschreibungen wird gefabelt, daß freilebende Riesenschlangen während ihrer Verdauung auch dann noch ruhig auf einer und derselben Stelle verbleiben, wenn Menschen in ihre Nähe kommen, ja sogar gestatten, daß letztere, welche sie für einen umgefallenen Baumstamm halten, sich auf sie setzen und erst dann langsam sich fortbewegen. Derartige Erzählungen widerlegen sich selbst, und es ist mir unbegreiflich, daß man ihnen noch im Anfange, ja selbst in der Hälfte unseres Jahrhunderts Glauben schenken konnte. Eine Riesenschlange mag so viel gefressen habe, als sie wolle, so träge wird sie nie, daß sie sich die Annäherung eines Menschen ruhig gefallen ließe, ohne wenigstens einen Versuch zur Abwehr oder zur Flucht zu machen. Auf sie treten mag man können, auf sie sich niederlassen kann man gewiß nicht. Wie außerordentlich kräftig die Verdauung wirkt, kann man an Gefangenen beobachten. Spätestens nach vier Tagen ist das größte Säugethier, welches man zu verfüttern pflegt, bis auf einige Reste der Haare, welche mit dem Kothe ausgeschieden werden, vollkommen zersetzt, und von diesem Augenblicke an bekundet die Schlange wieder Freßlust. Doch schadet es ihr nichts, wenn sie wochen- und selbst monatelang hungern muß, vorausgesetzt natürlich, daß sie ein ungeschickter Pfleger nicht vorher schon zu wenig unterbrochenem Fasten verdammte.

Ueber die Paarung freilebender Riesenschlangen sind, soviel mir bekannt, noch keine eingehenden Beobachtungen gewonnen worden. Hinsichtlich der Fortpflanznng weiß man, daß die einen zu den lebendig gebärenden Kriechthieren gehören, die anderen Eier legen, aus denen nach geraumer Zeit die Jungen schlüpfen, und zwar unter reger, bei keinem anderen Kriechthiere sonst beobachteter Betheiligung der Mutter. An gefangenen hat man, wie ich weiter unten ausführlicher zeigen werde, wiederholt erfahren, daß die Mutter die von ihr gelegten Eier mit ihrem Leibe bedeckte und gewissermaßen ausbrütete; es erscheint deshalb eine Angabe zweier Indier vollkommen glaublich. »Im März des Jahres 1838«, so berichtet Abbott, »fanden besagte Indianer in der Nähe von Akyab in Arrakan unter einem Felsblocke eine große weibliche, etwa vier Meter lange Riesenschlange auf einem Neste liegend, welches achtundvierzig Eier enthielt. Die Schlange bebrütete diese offenbar, und that solches auch später in der Gefangenschaft, als ihr im Käfige die Eier wiedergegeben wurden. Während der ganzen Zeit nahm sie keine Nahrung zu sich. Nach Verlauf von [303] drei Monaten waren die Eier noch nicht ausgebrütet; bei Untersuchung des einen aber fand ich ein wohlentwickeltes, kräftiges Junges vor, welches gelebt haben würde, wenn man es nicht getödtet hätte. Ob sich die Fürsorge der Mutter auch nach dem Ausschlüpfen solcherart bebrüteten Jungen bethätigt, oder ob sie dieselben dann ihrem Schicksale überlassen, vermag ich nicht zu sagen. Diejenigen Arten, welche lebendig gebären, scheinen sich ebensowenig als andere Kriechthiere um ihre Sprossen zu kümmern, sobald sie glücklich in die Welt gesetzt worden sind. Die fast meterlangen und daumendicken Jungen beginnen nach dem Ausschlüpfen die Lebensweise ihrer Eltern, verbleiben aber anfänglich noch in einem gewissen Verbande, d.h. halten sich in kleinen Trupps noch längere Zeit an einer und derselben Stelle zusammen, diese auf dem Boden, jene im Gezweige der Bäume Herberge nehmend. Ihr Wachsthum schreitet anfänglich sehr rasch vor, verlangsamt sich jedoch später immer mehr und scheint zuletzt nicht mehr merklich zuzunehmen. In der Gefangenschaft geborene Pythonschlangen, auf welche ich zurückzukommen haben werde, wuchsen in den vier ersten Jahren ihres Lebens am schnellsten, von dieser Zeit an langsamer und vom vierzehnten Jahre an nicht mehr in erkennbarer Weise; es läßt sich also annehmen, daß Riesenschlangen von sechs bis sieben Meter Länge ein mindestens doppelt so hohes Alter haben müssen.«

Vor dem Menschen flüchten auch die Riesenschlangen in der Regel, jedoch nicht ausnahmslos. In Brasilien ist fast jedermann überzeugt, daß sie dem Herren der Erde die schuldige Hochachtung regelmäßig bethätigen, das heißt bei seinem Erscheinen eilfertig sich zurückziehen; unter Umständen kommt jedoch auch das Gegentheil vor. Denn sie sind sich ihrer Stärke wohl bewußt und reizbarer als viele andere Schlangen. So kann man angefangenen nicht selten beobachten, und gelegentlich mag dasselbe wohl ebenso in der Freiheit geschehen. Als Heuglin mit seinen Begleitern in einer dunkeln Gewitternacht durch die abessinische Steppe zog, wurde er durch eine große, mitten im Wege liegende, bei der Annäherung rasselnde und zischende Schlange, also wahrscheinlich eine Riesenschlange, genöthigt, eiligst einen kleinen Umweg einzuschlagen, da es nicht möglich war, in der dunkeln Nacht das Thier zu sehen. Die später nachfolgenden Leute fanden es noch auf derselben Stelle wie in gleicher Stimmung vor. Daß eine derartig gelaunte Schlange auch wohl einmal einen Menschen angreift, läßt sich nach den vorliegenden Berichten gewissenhafter Reisenden nicht wohl bezweifeln: »Ein Mann auf Buru, welcher in meiner Nähe wohnte«, bemerkt Wallace, »zeigte mir auf seinem Schenkel die Narben, welche er in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Wohnung von einer ihn packenden Schlange davon getragen hatte. Sie war stark genug gewesen, um des Mannes Schenkel in den Rachen zu nehmen und würde ihn wahrscheinlich getödtet und verschlungen haben, wenn nicht auf sein Geschrei die Nachbarn herbeigekommen und das Unthier mit ihren Hackmessern getödtet hätten«. Prinz Moritz von Nassau, einstmals Statthalter von Brasilien, versichert gesehen zu haben, wie eine Holländerin vor seinen Augen durch eine Schlange verschlungen worden sei, und in einer Reise nach Indien wird mitgetheilt, daß ein Matrose ein ähnliches Schicksal gehabt haben würde, wenn ihn seine Kameraden nicht rechtzeitig aus den Umschlingungen der riesigen Schlange befreit hätten. Auch Schomburgk erzählt eine ähnliche Geschichte, welche ich weiter unten wiedergeben werde, und der Bischof Pallegoix endlich berichtet, daß eine Riesenschlange ein schlafendes Kind neben dem Bette seiner Mutter verschlungen habe. Ich will letzteres ebensowenig in Abrede stellen wie Schomburgks und Wallace's Mittheilungen, bezweifle aber auf das entschiedenste alle übrigen Geschichten und solche ähnlichen Inhalts. Wenn eine Riesenschlange wirklich einen Menschen umschlingen sollte, in der Absicht, ihn zu fressen, würde derselbe, wie schon Hutton richtig hervorhebt, wohl in allen Fällen verloren sein. Denn die Kraft des sich zusammenringelnden Thieres ist so groß, daß sie Abwehr kaum ermöglicht. Was aber das Verschlingen anlangt, so erscheint mir dasselbe noch viel unwahrscheinlicher als ein Angriff in so ernstlicher Absicht. Denn die Ausdehnungsfähigkeit der Kiefer hat, wie ich schon oben bemerkte, ihre Grenzen, und keine einzige Erzählung von den vielen, welche berichten, daß die Riesenschlangen auch den Menschen als Jagdwild ansehen, ist so verbürgt, [304] daß sie glaubhaft erscheinen könnte. Jedenfalls ist so viel gewiß, daß kein südamerikanischer Jäger sie fürchtet. Man stellt ihnen eifrig nach, weil man Fleisch, Fett und Fell auf mancherlei Weise benutzt. Ersteres wird allerdings nur von den Indianern gegessen; dem Fette aber schreibt man ziemlich allgemein heilkräftige Wirkungen zu, und die Haut bereitet man zu allerlei Zierat. Die Jagd selbst geschieht gegenwärtig fast nur mit dem Feuergewehre. Ein nach dem Kopfe gerichteter Schrotschuß genügt vollkommen, um eine Riesenschlange zu tödten; denn im Verhältnisse zu ihrer Größe und Stärke besitzt sie eine ungleich geringere Lebenszähigkeit als andere Arten ihrer Ordnung.

Fast ebenso oft, als man Riesenschlangen erlegt, bemächtigt man sich ihrer lebendig und zwar ohne besondere Mühe, indem man sie entweder verfolgt und laufend einholt, oder indem man Schlingen vor ihre Schlupfwinkel legt, welche so eingerichtet sind, daß sie wohl den schlanken Kopf, nicht aber den Leib durchlassen und um so fester sich zuschnüren, je heftiger die Anstrengungen des nach Befreiung strebenden Thieres werden. Daß letzteres sich erwürgen könnte, braucht man nicht zu befürchten, da, wie oben bemerkt wurde, alle Schlangen außerordentlich lange Zeit aushalten können, ohne zu athmen. Von großartigen Veranstaltungen zum Fange, wie die Alten uns erzählen, weiß man heutigen Tages nichts; gedachte Erzählungen, welche ja doch nicht allen meinen Lesern bekannt sein dürften, sind aber zu bezeichnend für die damaligen Anschauungen, als daß ich sie gänzlich mit Stillschweigen übergehen könnte. Unter allen steht unzweifelhaft die ebenso ausführliche als lebendige Schilderung obenan, welche Diodorus Siculus uns hinterlassen hat:

»Die Leute, welche nahe den Wüsten und wilden Gegenden des Negerlandes wohnen, sagen, es gäbe dort verschiedene Schlangenarten von unglaublicher Größe. Einige behaupten sogar, dergleichen von hundert Ellen Länge gesehen zu haben. Doch scheint diese Angabe sowohl mir als anderen ehrlichen Leuten eine Unwahrheit zu sein. Sie fügen hinzu, solche Schlangen sähen, wenn sie sich zusammengeringelt, von ferne einem Hügel gleich. Sind das Uebertreibungen, so will ich doch andererseits von den großen Schlangen erzählen, welche man wirklich gesehen und in eigens dazu erbauten Behältern nach Alexandria gebracht hat. Die Sache verhält sich so:

Ptolemäus der Zweite, welcher die Elefantenjagd leidenschaftlich liebte und diejenigen reichlich belohnte, welche gewaltige Thiere einsingen, vermochte mehrere Jäger zu dem Entschlusse, ihr Leben an den Fang einer großen Schlange zu wagen und dieselbe lebendig nach Alexandria zu bringen. Die Jäger hatten eine solche beobachtet, welche dreißig Ellen lang war, an stehenden Gewässern wohnte und hier meist unbeweglich zusammengeringelt lag, bis ein Thier kam, um seinen Durst zu löschen. Dann fuhr sie plötzlich los, packte das Opfer mit dem Rachen und umschlang es mit ihren Windungen so, daß es sich nicht mehr rühren konnte. Weil nun das Thier so träge war, hofften sie sich seiner mit Stricken und Ketten bemächtigen zu können. Sie gingen nun dreist darauf los. Als sie aber näher kamen, das feurige Auge und die nach allen Seiten hin schwingende Zunge sahen, das grausenerregende Rauschen hörten, welches es mit seinen starren Schuppen verursachte, als sie die riesigen Zähne, den schrecklichen Rachen erblickten, bemächtigte sich ihrer Furcht und Entsetzen. Indessen wagten sie es doch, so ängstlich sie auch waren, ihm Stricke um den Schwanz zu werfen. Da drehte sich aber das Ungeheuer mit greulichem Zischen um, packte den vordersten mit dem Rachen am Kopfe und verschlang ihn bei lebendigem Leibe. Den zweiten umschlang es, während er floh, wickelte sich um seinen Leib und hielt ihn fest. Alle übrigen retteten sich in der größten Bestürzung durch die Flucht.

Die Jäger gaben übrigens trotz ihres mißlungenen Versuches, angespornt durch die erhoffte große Belohnung, ihr Vorhaben nicht auf. Sie versuchten nunmehr, durch List zu erringen, was mit Gewalt nicht auszuführen war. Aus dicken Ruthen flochten sie eine Reuße von solcher Geräumigkeit, daß dieselbe das ganze Ungeheuer fassen konnte. Sie hatten dessen Schlupfloch ausgekundschaftet und ebenso die Stunde, in welcher es auf Beute ging und wiederkehrte. Als sie nun ausgegangen war, verstopften sie das Schlupfloch mit großen Steinen und Erde und gruben[305] in dessen Nähe eine Höhle, in welche sie ihre Reuße so einsetzten, daß die Oeffnung nach außen gewendet war. Den Weg, auf welchem die Schlange zurückzukehren pflegte, besetzten Bogenschützen, Schleuderer, viele Reiter und was sonst zweckmäßig erschien. Als nun das Thier kam, erhob es sein Haupt höher als die Reiter waren, und niemand wagte sich in seine Nähe. Doch als von allen Seiten geschossen und geschleudert wurde, die Reiter hin- und hersprengten, eine ganze Meute von Hunden bellte, die Trompeten schmetterten: da erschrak die Schlange und schlug den Weg zu ihrem Schlupfloche ein. Je näher sie kam, um so ärger wurde der Lärm durch Waffen, Geschrei und Trompetenschall. Die Schlange fand den Eingang zu ihrer Wohnung verschlossen und floh in die Reuße; die Reiter eilten herbei und schlossen letztere, ehe die Gefangene den Ausgang wiederfinden konnte. Darauf wurde die Reuße aus der Höhle gezogen und mit Hebebäumen emporgehoben. Das Thier fauchte in dem engen Behältnisse entsetzlich, zerfetzte die Ruthen mit seinen Zähnen und tobte nach allen Seiten, so daß diejenigen, welche es trugen, jeden Augenblick das Durchbrechen erwarten mußten. Um es von den Ruthen abzuhalten, begannen nun die Jäger, es in den Schwanz zu stechen und bewirkten dadurch, daß es sich um diesen bekümmerte. So wurde endlich das seltsame Wunderthier nach Alexandria geschafft, und die Jäger erhielten vom Könige die verdiente Belohnung. Das Ungeheuer war durch Fasten ermattet und allmählich wunderbar zahm. Ptolemäus behielt die Schlange und zeigte sie Fremden, welche sein Reich besuchten, als dessen größte Merkwürdigkeit.«

Weiter unten werde ich die Schilderung des Fanges einer indischen Riesenschlange wieder zu geben haben, welche beweist, daß ein solches Thier auch heutigen Tages noch ängstliche Gemüther zu schrecken vermag, und so die köstliche Erzählung des Diodorus verständlicher erscheinen läßt.

In Südasien wie in Amerika hält man Riesenschlangen sehr häufig in Gefangenschaft und gewährt ihnen mehr oder weniger Freiheit im Hause und Gehöfte, weil man sie als geschickte Rattenfänger benutzt. Lenz erfuhr von einigen seiner Schüler, deren Väter als Kaufleute in Brasilien wohnten, hierüber das folgende. »Beim Kautschuksammeln fangen die Neger gelegentlich auch eine Boa und bringen dieselbe dann mit nach Hause. Hier steckt man sie in eine Kiste, welche übertages verschlossen wird, und gewährt ihr des Nachts die erforderliche Freiheit, welche sie zu ihrer Jagd auf Ratten und Mäuse nöthig hat. Sobald der Speicher geschlossen wird, begibt sich ein Neger in denselben, öffnet den Kasten der Schlange, holt diese heraus und läßt sie, nachdem er oft erst längere Zeit mit ihr gespielt, in dem Raume frei, reinigt sodann die Kiste, füllt das in ihr befindliche Wassergefäß von neuem, geht weg und schließt die Thüre des Speichers hinter sich zu. Hat eine Schlange den letzteren gereinigt, so schaffen die Neger, welche mit besonderer Vorliebe diese Kriechthiere pflegen, todte Mäuse und Ratten herbei, und wenn auch diese fehlen, reicht man der Schlange geschnittenes rohes Fleisch, nachdem man sie an solche Kost gewöhnt hat. Morgens, vor der Oeffnung des Speichers, begibt sich der Neger zuerst in das Innere, fängt die Schlange wieder ein und bringt sie von neuem in der Kiste unter«. Solche bereits an die Gefangenschaft gewöhnte Riesenschlangen eignen sich weit besser als frischgefangene zur Versendung nach Europa, und sie sind es auch, welche bei einigermaßen genügender Pflege viele Jahre lang in Käfigen ausdauern. In Europa wie in Nordamerika finden sie in den Thierführern jederzeit willige Abnehmer, weil eine Thierbude ohne Riesenschlange ihr hauptsächlichstes Zugmittel entbehrt. Grauenerfüllt sieht der biedere Landmann, angstvoll die wißbegierige Städterin, wie der Wärter, nachdem er einen seiner unübertrefflichen Vorträge über die gesammte Thierwelt gehalten und das unvermeidliche Trinkgeld glücklich eingeheimst, einer langen Kiste zugeht und aus derselben die in wollene Decken gehüllte Boa hervorholt, sie sich über die Achsel legt, um den Hals schlingt, überhaupt in einer Weise mit dem Scheusale umgeht, daß einzelnen Beschauern die Haare zu Berge steigen. Zum Glück für die Wärter einer Thierschaubude, welche ohne Riesenschlange auf den besten Theil ihrer Einnahme verzichten müßten, ist der Umgang mit dem »Drachen« nicht so gefährlich, als die Menge wähnt. Die Anstalten zur Unterbringung der Schlangen sind [306] in allen Thierbuden trotz der ihnen niemals fehlenden Wärmflaschen so ungenügend, und die Behandlung läßt außerdem so viel zu wünschen übrig, daß die Riesenschlangen binnen kurzer Zeit geschwächt werden und sich zuletzt in einem Zustande beständiger Abmattung befinden, daher auch alles über sich ergehen und sich, ohne Widerstand zu leisten, förmlich mißhandeln lassen. Nicht so verhält es sich, wenn man eine Riesenschlange, wie es in wohl eingerichteten Thiergärten geschieht, durch sorgfältige Pflege und Abwartung bei Kräften erhält. Hier laufen die Wärter zuweilen wirklich Gefahr, weil, wie ich schon oben erwähnte, gerade sie von den starken Thieren gehaßt und dann und wann nicht allein bedroht, sondern förmlich angegriffen werden. Dies beobachtet man gelegentlich in allen Thiergärten, und dasselbe habe auch ich von den unter meiner Obhut gepflegten Riesenschlangen erfahren müssen. Dem geübten Wärter wird solcher Angriff übrigens nie gefährlich. Er versieht sich, wenn er den Käfig einer bissigen Riesenschlange betreten muß, einfach mit einer großen, dicken Decke und hält diese der Schlange vor, wenn sie sich anschickt, nach ihm zu beißen, oder fängt sie in einen weitmündigen Käscher ein und läßt sie in dem Sacke toben, bis er seine Arbeit verrichtet hat. Eine meiner Riesenschlangen legte ihrem Wärter sogar einmal zwei Schlingen um die Beine und schnürte diese so fest zusammen, daß der Mann sich nicht zu regen vermochte und nur durch Hülfe seiner Kameraden aus der immerhin unbehaglichen Lage befreit werden konnte. Nach diesen Erfahrungen scheint es mir glaublich, daß ein von Lenz mitgetheilter Unglücksfall sich wirklich zugetragen hat, nämlich, daß ein junges Mädchen, welches als indische Göttin mit einer um den Leib geringelten Riesenschlange vor den Zuschauern zu erscheinen hatte, von der Boa erdrückt oder erwürgt wurde, weil deren Raublust durch einen freigekommenen Affen rege geworden war.

Riesenschlangen, welche nicht sehr sorgfältig gepflegt, insbesondere nicht gehörig warm gehalten und nicht oft genug in lauwarmem Wasser gebadet werden, sind vielen Krankheiten unterworfen, gehen insbesondere an der sogenannten Mundfäule zu Grunde, einer Krankheit, welche mit dem Scharbock verglichen werden darf. Die mit diesem Leiden behaftete Schlange verliert alle Freßlust, wahrscheinlich, weil ihr der Ausdehnung des Rachens heftige Schmerzen verursacht, magert ab und geht schließlich zu Grunde, wenn nicht von geschickten Händen geeignete Gegenmittel angewandt werden. Ein anderes Uebel ist eine dann und wann sich einstellende Hautkrankheit, dem Aussatze vergleichbar, bei welcher oft die ganze Haut und Lederhaut in Eiterung übergeht, selbst tiefe Löcher in den Muskeln sichtbar werden und die Schlange jede Bewegung vermeiden muß. Fleißiges Baden ist auch in diesem Falle das beste Heil- oder, was zweckmäßiger, Vorkehrmittel. Nächstdem werden die Riesenschlangen, wie auch andere Glieder ihrer Ordnung, von Band- und anderen Eingeweidewürmern geplagt, zuweilen in geradezu unglaublicher Weise, und diesen Schmarotzern ist nur dadurch beizukommen, daß man ein Opferthier mit Gegenmitteln in flüssiger Form beschmiert. Denn eingeben kann man einer Riesenschlange begreiflicherweise nichts.

So unbehaglich die Gefangenschaft einer Riesenschlange werden kann, so gedeihlich erweist sich an ihr volle Freiheit selbst in unserem kalten Klima. Hierüber danken wir Lenz eine in hohem Grade bemerkenswerthe Mittheilung. In den ersten Jahren unseres Jahrhunderts kam eine wandernde Thierbude in die hessische Stadt Schlitz. Eine in ihr befindliche mittelgroße Riesenschlange war krank, der Besitzer der Thierbude aber gerade abwesend, als der Wärter eines Abends die Schlange seiner Meinung nach todt vorfand und aus Furcht, daß ihm das Unheil zur Last gelegt werden würde, sie, nachdem er einige Stäbe des Käfigs auseinander gedrängt hatte, heimlich in das Flüßchen Schlitz warf, vorgebend, daß sie weggelaufen sei. Der Thierbesitzer ließ am nächsten Morgen die ganze Umgegend nach der vermißten Schlange durchsuchen, fand aber keine Spur mehr von ihr und zog endlich, nachdem er noch längere Zeit in dem Städtchen verweilt und seine Nachspürungen fortgesetzt hatte, seines Weges weiter. Die Schlange war jedoch nicht verschwunden, sondern hatte sich inzwischen behaglich eingerichtet. Wahrscheinlich war es eine der wasserliebenden Arten gewesen; denn sie hatte sich im Flusse selbst eingenistet, zeigte sich in warmen [307] Nächten zuweilen in ihm schwimmend und hinterließ Spuren von nächtlichen Spaziergängen, welche man am Morgen deutlich auf den Sandwegen des gräflichen Parkes bemerken konnte. Alle Versuche, die Ausländerin wieder zu fangen, waren vergeblich, und so trat endlich die kalte Jahreszeit ein. Der Flüchtling war wiederum verschwunden und galt nochmals für todt. Im nächsten Frühjahre aber erschien er, sobald das Wetter recht warm geworden war, bei Fulda im Flusse, zeigte sich hier namentlich öfters bei den Badeplätzen der Soldaten. Alle Nachstellungen fruchteten auch dort nicht. Mit dem nächsten Winter verlor sich jede Spur. Die merkwürdige Thatsache, welche Lenz durch den gräflichen Hofgärtner Wimmer in Schlitz mitgetheilt und durch andere Leute seines Alters bestätigt wurde, läßt keinen Zweifel zu.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 299-308.
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