Schlingnatter (Coronella austriaca)

[340] In ganz Europa vom nördlichen Norwegen an bis zum Süden hinab lebt an geeigneten Orten, hier und da sehr häufig, die Schling-, glatte, österreichische oder thüringische Natter, auch Jachschlange genannt (Coronella austriaca, Coluber austriacus, thuringiacus, alpinus, tetragonus, ferrugineus, ponticus, cupreus, caucasicus, laevis, maeota, paedera und nebulosus, Natrix und Coronella laevis, Tropidonotus austriacus und thuringicus, Zacholus italicus und Fitzingeri), eine der zierlichsten, beweglichsten und lebhaftesten Schlangen unseres Vaterlandes, deren Länge sechzig Centimeter, höchstens einen Meter beträgt. Die Grundfärbung der Oberseite ist gewöhnlich braun; die Zeichnung besteht aus einem großen, dunkleren Flecken im Nacken, welcher sich oft nach hinten zu in breite Streifen verlängert, und in zwei Reihen dunkelbrauner, zuweilen paarweise verbundener Flecken, welche längs des Rückens verlaufen; ein anderer dunkelbrauner Streifen zieht sich durch das Auge und an den Halsseiten hinab; der Unterleib sieht entweder stahlblau oder rothgelblich und weißlich aus, ist auch oft dunkler gefleckt. Wie bei den meisten Schlangen ändern Färbung und Zeichnung vielfach ab. Man findet Spielarten von Grau bis zu Rothbraun in allen dazwischenliegenden Schattirungen, auf den Kykladen, laut Erhard, auch eine wahrhaft prachtvoll gezeichnete, welche durch zwei vom Hinterkopfe an über den ganzen Rücken verlaufende breite, lebhaft korallrothe Linien geziert wird. Jan unterscheidet die in Italien lebende unter dem Namen girondische Jachschlange (Coronella girondica oder Coluber Riccioli) aufgestellte Verwandte als eigene Art, während er die im Kaukasus und in Egypten vorkommenden Jachschlangen (Coronella caucasica und C. aegyptiaca) als Spielarten der unserigen ansieht.

[340] In Norwegen und Schweden kommt die Jachschlange wie alle Ordnungsverwandten bloß an besonders günstigen Stellen und überall selten vor; in England findet sie sich, laut Wood, nur auf Kalkbergen, welche häufig von Eidechsen bewohnt werden; in Deutschland trifft man sie nicht selten auf dem Harze und dem Thüringer Walde, von hieraus südlich aber auf allen Mittelgebirgen an, ebenso in Oesterreich, zumal in den Alpenländern, also durch ganz Steiermark, Tirol, Kärnten, Krain, und Dalmatien. In Griechenland, Italien, Frankreich und Spanien lebt sie ebenfalls; in Rußland bewohnt sie von Kurland, Livland und Polen an erwiesenermaßen fast alle mittleren und südlichen Gouvernements, bis zum Kaspischen Meere; außerdem endlich hat man sie auch in Nordafrika beobachtet.


Schlingnatter (Coronella laevis). Natürliche Größe.
Schlingnatter (Coronella laevis). Natürliche Größe.

In den Alpen steigt sie bis zu zwölfhundert, im Kaukasus bis zu zweitausend Meter unbedingter Höhe empor.

Zu ihrem Aufenthalte wählt sie trockenen Boden, sonnige, steinige Abhänge, Berghalden, dichte bebuschte Gehänge, kommt jedoch ausnahmsweise auch im Tieflande auf moorigem Boden vor. Nach den Beobachtungen von Lenz verkriecht sie sich weit öfter als die Kreuzotter oder Ringelnatter unter glatten Steinen, versteckt sich auch so unter Moos, daß nur das Köpfchen darüber hervorsieht, höchst wahrscheinlich in der Absicht, vor ihren zahllosen Feinden sich zu verbergen. [341] Sie ist weit beweglicher, flinker und lebhafter als die Ringelnatter, was sich besonders dann zeigt, wenn man sie an der Schwanzspitze oder auf einem Stocke, um welchen sie sich gewunden hatte, emporhebt. In ersterem Falle vermag sie, sofern sie gesund und nicht mit Speise überladen ist, den Kopf rasch bis zur Hand hinaufzuschwingen, in letzterem ringelt sie sich, nach brieflicher Mittheilung Sterki's, in lebhafter Bewegung um den Stock und sucht Boden oder festes Land zu gewinnen, bleibt auch, wenn ihr solches nicht gelingt, unbedingt am Stocke haften und fällt nicht herab, wie die plumpere Ringelnatter in solchen Fällen unter allen Umständen thut. Trotz dieser Fertigkeit hat man sie, soviel mir bekannt, niemals klettern sehen. Ebensowenig geht sie freiwillig in das Wasser, schwimmt jedoch, wenn man sie in dasselbe wirft, rasch und gewandt, freilich immer so eilig wie möglich wiederum dem Ufer zu.

Ueber das Wesen der Schlingnatter sprechen sich die verschiedenen Beobachter nicht übereinstimmend aus. Mehrere von ihnen bezeichnen sie als ein sanftes, gutmüthiges Thier, während die übrigen das gerade Gegentheil behaupten, dadurch also den Sippschaftsnamen zu Ehren bringen. »Sie ist«, sagt Lenz, »ein jähzorniges, boshaftes Thierchen, welches nicht nur, wenn es frisch gefangen wird, wüthend um sich beißt, sondern auch in der Stube gewöhnlich noch mehrere Wochen, ja mitunter monatelang, sehr bissig bleibt. Wenn man ihr den Handschuh, einen Rockzipfel usw. vorhält, beißt sie sich regelmäßig so fest ein, daß sie zuweilen acht Minuten lang und länger hängen bleibt. Ihre Zähnchen sind allerdings so klein und ragen aus dem weichen Zahnfleische so wenig vor, daß man sie bei lebenden Stücken kaum sieht; sie sind aber so spitz, daß sie doch gleich einhäkeln. Die Schlange wird zwar leicht so grimmig, daß sie sich selbst, ihresgleichen, andere Schlangen usw. beißt, versucht jedoch ihre Zähne an Steinen oder Eisen, das man ihr vorhält, nicht gern. Wenn sie gereizt ist, stellt sie sich fast wie eine Kreuzotter, ringelt sich zusammen, zieht den Hals ein, breitet den Hinterkopf und sperrt beim Bisse oft den Rachen auf, so weit sie kann.« Mehrere Jachschlangen liegen sehr häufig mit einander in Fehde und beißen sich dabei oft recht heftig. Fassen sie sich zufällig bei solchen Händeln gleichzeitig am Kopfe, so verwickeln sie sich, laut Dursy, auch mitunter durch gegenseitiges Eingreifen der nach rückwärts gekrümmten Zähne, und der Kampf wird dann oft ein langwieriger, indem sie nach entgegengesetzten Richtungen rückwärts ziehen und die schwächere der stärkeren folgen muß, aber nicht gutwillig folgt. Man kann derartige Kämpfe hervorrufen, wenn man mit beiden Händen je eine Natter nahe am Kopfe faßt und sie gegen einander hält, ja bloß neckt oder plötzlich mit Wasser bespritzt. Namentlich in letzterem Falle eilen sie zornig nach allen Richtungen und packen einander in blinder Wuth. Dieses boshafte Wesen hat sie in üblen Ruf gebracht, und sie wird, weil man sie für giftig hält, sehr gefürchtet, ist auch wirklich in dem Augenblicke, in welchem sie so voll Groll um sich schnappt, leicht mit einem Kreuzotterweibchen zu verwechseln. »Mir selbst ist es begegnet«, bemerkt bereits Schinz, »daß ich eine solche Schlange für eine Viper ansah, bis ich sie genauer untersucht hatte. Wenn man freilich den Kopf in der Nähe sieht, ist die Täuschung für den Kenner bald gefunden; die großen Schilder auf dem Kopfe, der dünnere, glänzendere Körper, welcher an der Sonne verschiedene Farben zeigt, unterscheiden sie sehr leicht; ein Irrthum ist aber doch zu gefährlich, und deshalb muß man genau nachsehen.«

Wahrscheinlich lassen sich die verschiedenen Angaben leicht ausgleichen. Die Schlingnatter hat gute und schlechte Launen. »Zuweilen«, fährt Lenz fort, »zumal wenn das Wetter naßkalt ist, läßt sie sich geduldig und ohne Gegenwehr fangen; meist aber sucht sie schnell zu entwischen und ist wirklich recht flink, obschon man sie auf ebenem Boden leicht einholen kann, jedenfalls weit gewandter als die Kreuzotter und Ringelnatter. Wenn man sie an der Schwanzspitze hält, hebt sie sich sehr leicht mit dem Kopfe bis zur Hand empor.«

Nicht selten theilt sie mit anderen Schlangen, beispielsweise mit Ringelnattern und Kreuzottern, denselben Aufenthalt, verträgt sich auch in der Gefangenschaft längere Zeit mit ihnen, jedoch nur so lange, als es ihr eben behagt, und sie nicht hungrig ist. »Nur wenn man ihr eine lebende [342] Maus gesellt«, sagt Lenz, »geräth sie sicher in Aufregung und zischt, obwohl bloß abgebrochen und leise. Außerdem aber hört man sie nicht leicht zischen, es sei denn, daß man sie zu einer Zeit neckt, wo sie recht munter ist.« Auch sie zieht, wie bereits erwähnt, eine bestimmte Art von Beute, Eidechsen nämlich, jeder anderen vor, wird aber kleinen Schlangen nicht selten ebenfalls gefährlich, und verzehrt, nach Erbers Beobachtungen, sogar junge Vipern, trotz ihrer Giftzähne. Wyder scheint der erste gewesen zu sein, welcher seine Beobachtungen über die Art und Weise, wie sie sich der Beute bemächtigt, veröffentlicht hat; späteren Forschern aber verdanken wir ausführlichere Schilderungen, die beste, meiner Ansicht nach, Dursy. Läßt man, so ungefähr drückt er sich aus, einige lebende Eidechsen in den Behälter, in welchem sich Schlingnattern befinden, so erkennen dieselben sogleich die ihnen drohende Gefahr und suchen in rasendem Laufen nach allen Richtungen zu entkommen. Die ganze Gesellschaft geräth in die größte Aufregung, und in der ersten Ueberraschung suchen die Nattern sich eiligst aus dem Staube zu machen. Dabei beißen sie oft so wüthend um sich, daß sie unter einander selbst in Händel gerathen, ja mitunter gar ihren eigenen Leib erfassen. »Auf diese geräuschvolle Einleitung folgt eine peinliche Pause. Hastig züngelnd und mit erhobenem Kopfe überlegen die Schlangen ihren Angriffsplan, und mit halb geöffnetem Munde sammeln die vor Schreck festgebannten Eidechsen ihre Kräfte zur verzweifelten Gegenwehr. Plötzlich fährt eine der Schlangen auf ihr Opfer los, streckt den vorher nach hinten und seitwärts gebogenen Hals, und rasch dahingleitend, erfaßt sie mit weit geöffnetem Rachen die fliehende Eidechse. In rasendem Wirbel sich drehend, umschlingt sie mit engen Windungen den Leib der auf den Rücken geworfenen Echse, so daß nur noch deren Kopf und Schweif den dichten Knäuel überragt.

Nun folgt die schwere Arbeit des Verschlingens. Die Eidechse soll in ihrer ganzen Länge und Dicke hinabgewürgt werden, und zwar mit dem Kopfe voran: das kostet viel Zeit und Mühe. Unsere Natter hat daher auch keine große Eile damit, umzüngelt einstweilen ihr Opfer und wedelt mit dem Schwanze nach Katzenart. Jetzt aber richtet sie sich hoch auf, beschreibt mit dem Halse einen senkrechten Bogen und erfaßt mit weit geöffnetem Rachen den Kopf ihres Opfers. Allmählich lösen sich die Schlingen; es verschwindet der Kopf der Eidechse; langsam folgt ihr Leib; traurig winkt noch zum Abschied ihr Schwanz, und erst nach Verlauf einer halben Stunde oder später ist sie durch den weit ausgedehnten Schlund in den Magen der Natter eingefahren.

Nicht immer wickelt sich dieses Geschäft so glatt ab; denn auch die bis zum Halse eingeschraubte Eidechse lebt noch und hält sich mit geöffnetem Rachen zur verzweifelten Gegenwehr bereit. Faßt die Natter nicht richtig an, so erwischt die Eidechse den oberen oder unteren Kiefer der Natter, und mit krampfhaft sich schließendem Munde, mit Hülfe der ebenfalls hakenförmig umgebogenen Zähne ist sie im Stande, stundenlang den gepackten Theil ihrer Feindin zu behaupten. Umsonst sucht sich die Schlange zu befreien. Beide Thiere haben sich mit krampfhaft geschlossenen Kiefern wie Doggen in einander verbissen; wüthend wickelt die Schlange von ihrem Opfer sich los, zieht sich zurück, doch vergebens. Endlich läßt die Eidechse los, macht sich natürlich sogleich aus dem Staube und die mitunter blutende Schlange hat das Nachsehen.«

Falls ich diese lebendige Schilderung noch ergänzen soll, habe ich hinzuzufügen, daß die Schlingnatter regelmäßig drei Ringe um ihr Opfer zieht und dieselben so eng schlingt, daß sie, ohne die Haut zu verletzen, einschneiden bis auf die Knochen, und jede Regung des umfaßten Leibes, ja jeden Herzschlag fast unmöglich machen. Bei Blindschleichen, der nächst den Eidechsen am meisten beliebten Beute, legt sie die Ringe weiter auseinander, immer aber so, daß der Kopf des Opfers nach oben gerichtet ist. Eine von Günther zahm gehaltene Natter fraß nur Eidechsen, nie eine Maus oder einen Frosch, obwohl sie nach ihnen wie nach jedem anderen Thiere biß. Nachdem ihr Pfleger sie lange mit Eidechsen von gewöhnlicher Größe gefüttert hatte, gab er ihr, um ihre Kraft zu proben, eine ungemein große und starke Zauneidechse. Sie ergriff diese sogleich, änderte aber nach einem langen Kampfe, wobei die Eidechse durch die Windungen der Schlange [343] mehrmals erstickt schien und doch immer wieder ihren schon zum Verschlingen erfaßten Kopf losriß, die Art des Angriffes und packte die Eidechse am Schwanze; dieser brach ab und wurde gefressen. Von nun an begnügte sich die Schlange, immer nur den Schwanz der Eidechse abzubrechen, ohne einen weiteren Angriff auf die schwanzlosen Echsen zu machen, beachtete auch solche, welche in derartig verstümmeltem Zustande in ihren Käfig gesetzt wurden, nicht mehr. Schlegel fand in den Magen von ihm untersuchter Nattern dieser Art auch Mäuse, und Erber beobachtete sie, während sie solche fraßen; trotzdem darf man annehmen, daß sie, so lange sie Eidechsen und Blindschleichen haben, nur von diesen sich ernähren. Dem entsprechend muß man Lenz vollständig Recht geben, wenn er auch diese Natter als schädlich bezeichnet, da es ja außer allem Zweifel steht, daß die Eidechsen und Blindschleichen, welche sie vernichtet, uns nützen.

Linck behauptet, daß die Schlingnatter Feuchtigkeit verabscheut, ins Wasser geworfen, mit Aufbietung aller Kraft, leicht und gewandt über die Oberfläche gleitend, aber voll Entsetzen dem Ufer zuflieht, im Käfige, wenn sie beim Begießen des Rasenbodens auch nur ein geringes von der verhaßten Flüssigkeit trifft, verlangend nach einem trockenen Plätzchen sucht, »Trinken ihr ein Greuel« sei, und sie selbst feuchterer Luft den Zutritt in ihr Inneres zu verwehren suche, ja daß er beobachtet habe, wie eine seiner Gefangenen, welcher es nicht rasch genug gelang, auf diese Weise vor dem aufsteigenden Wasserdunste sich zu sichern, den trocken gebliebenen Leib einer Schwester in den Rachen faßte, um diesen dadurch vollständig zu schließen. Diesen Behauptungen stehen anderer Wahrnehmungen entschieden entgegen. Martin beobachtete, daß eine von ihm gepflegte Schlingnatter, welche er mit Fröschen und Mäusen zu füttern gedachte, diese nicht anrührte und, gleichsam, um ihren Hunger zu stillen, begierig Wassertropfen von dem feuchten Moose oder von dem Glasdeckel ableckte, und Dursy sagt ausdrücklich, daß die gefangene Schlingnatter, wenn man eine Schüssel mit Wasser in ihren Käfig setzt, zuweilen trinkt, dabei den Vorderkopf ganz eintaucht und deutliche Schluckbewegungen ausführt. Dieselben Beobachtungen haben neuerdings auch andere anstellen können, so daß die Frage gegenwärtig als vollständig erledigt gelten darf.

Wyder bemerkte zuerst, daß die Schlingnatter zu den lebendig gebärenden Schlangen gehört, d.h. ihre Eier soweit austrägt, daß die Jungen sofort nach dem Legen die Schale sprengen und ausschlüpfen. Lenz fand Mitte Mai bei großen Stücken die Eier funfzehn Millimeter lang und sechs Millimeter dick, schon in der letzten Hälfte des Juni aber über fünfundzwanzig Millimeter lang und etwa zwölf Millimeter breit, dann in ihnen auch weiße, dünn zusammengewundene Junge von sechs Centimeter Länge mit dicken Köpfen und großen, schwarzen Augen. Ende August oder anfangs September werden die Eier gelegt, und dann kriechen sofort die funfzehn Centimeter langen, schreibfederdicken Jungen aus, drei bis dreizehn an der Zahl, suchen sich bei gutem Wetter noch etwas Nahrung zu verschaffen und verbergen sich später in einen passenden Schlupfwinkel, um sich hier den Unbilden des Winters zu entziehen. »Niedlichere Geschöpfe, als solch ein Natterchen«, ruft Linck aus, »kann es kaum geben! Die Flecken des Rückens ziehen sich in glänzend zierlichen Reihen bis zur nadelfeinen Schwanzspitze, die Farbenzierden des etwas breiten Schädels treten klar und auffallend hervor, und mit Lust blickt das Auge auf den steten Wechsel von Arabesken, welche der Leib des unendlich gelenken Thierchens im Durchgleiten durch den Finger oder durch niederes Pflanzengestrüpp flicht«.

Derselbe Beobachter vermuthet, daß die Schlingnatter, im Widerspruche mit der allgemeinen Regel, mehr als einmal des Jahres Junge bringt. »Ich habe zu allen Zeiten«, sagt er, »der wärmeren Jahreszeit junge Schlingnattern gefunden: – erhielt ich doch sogar am dritten April 1854 am Ende eines langen, strengen Winters, wenige Tage nach dem Eintritte milder Witterung, ein solches, welches kaum eine Woche zuvor das Ei verlassen zu haben schien! War es noch im vergangenen Herbste geboren und nach wenigen Tagen seines Daseins zum Winterschlafe entschlummert? Aber seine Farben waren zu frisch und glänzend für ein verwittertes Winterkleid und zu einer zweiten Häutung das Thier noch viel zu kindlich. Oder war die Mutter vom Froste genöthigt [344] gewesen, mit geburtsreifen Eiern bebürdet in den Schoß der Erde zu flüchten und entschlüpfte mit der Mutter auch die Frucht ihres Leibes? Die Wahl unter diesen Annahmen ist schwer; jedenfalls aber legt die Sache selbst ein gewichtiges Für ein zu Gunsten der Vermuthung, daß der Geschlechtsthätigkeit sehr dehnbare Zeitgrenzen gezogen sind.«

Eine höchst auffallende Mittheilung veröffentlicht Gredler. Dr. Settari, ein ihm bekannter emsiger Beobachter und Züchter von Schlangen, welcher auch Schlingnattern jahrelang in Gefangenschaft gepflegt und zu wiederholten Malen Junge von ihnen erhalten und aufgezogen hat, schreibt folgendes: »Die Fütterung der Jungen geschieht während der ersten zwei bis drei Wochen durch die Mutter, indem sie Mehlwürmer, kleine Eidechschen usw. zuerst zu sich nimmt, dann nach einer oder zwei Stunden wieder heraufwürgt und den Jungen in den Mund steckt.« Bis jetzt hat man von keinem einzigen Kriechthiere ähnliches erfahren, und besagte Mittheilung muß daher, trotzdem sie von einem gebildeten Beobachter herrührt, zu den entschiedensten Zweifeln herausfordern.

In der Gefangenschaft wird die Schlingnatter in der Regel schon nach wenigen Tagen so zahm, daß sie ihren Pfleger nicht mehr beißt, wenn sie derselbe in die Hand nimmt oder sich in den Busen steckt, um sie zu wärmen; doch gibt es, wie bemerkt, einzelne, welche lange trotzen, bevor sie sich entschließen, mit ihrem Pfleger ein freundschaftliches Verhältnis einzugehen. Anfänglich beißen alle, und wenn auch der Druck, den die Kinnladen ausüben können, äußerst schwach ist, dringen die scharfen Zähnchen doch leicht durch die Haut und so tief ein, daß Blut fließt. Diese Bissigkeit verschwindet früher oder später gewiß, und deshalb empfiehlt sich die ebenso schöne wie zierliche und anmuthige Jachschlange um so mehr, als sie auch recht gut in Käfigen aushält, falls man auf ihre Lebenserfordernisse die gebührende Rücksicht nimmt.

»Eine Zeitlang«, erzählt Lenz, »hat man auf Anrathen eines nun verstorbenen ungarischen Arztes die Galle der Schlingnatter gegen Fallsucht gebraucht. Damals wandten sich viele Aerzte an mich, um solche Galle zu bekommen, und ich tödtete, um ihrem Wunsche Genüge zu leisten, allmählich eine Menge meiner glatten Nattern. Anfänglich steckte ich sie zu diesem Zwecke unter Wasser, aber da quälten sie sich mehrere Stunden lang, bevor sie starben. Deswegen schmierte ich ihnen späterhin immer Tabaksaft ins Maul, worauf sie Kopf und Kehle gewaltig aufbliesen, Blasen durch die Nasenlöcher trieben, taumelten und nach wenigen Minuten oder Stunden ganz todt und krampfhaft zusammengezogen waren.« Heilerfolge hat die Schlangengalle selbstverständlich nicht gehabt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 340-345.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Feldblumen

Feldblumen

Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon