1. Sippe: Klapperschlangen (Crotalus)

[490] Die bekanntesten Grubenottern sind die Klapperschlangen (Crotalus), ausgezeichnet vor allen übrigen durch das Anhängsel, welches sie am Ende ihres Schwanzes tragen, die Klapper oder Rassel, über deren Bedeutung man sich vergeblich den Kopf zerbrochen hat. Sie besteht aus einer größeren oder geringeren Anzahl ineinander steckender, leicht zusammengedrückter, Hohlkegeln vergleichbarer Hornkörper, welche auswendig drei Erhöhungen zeigen, mit der Spitze nach dem Schwanzende zu gerichtet stehen und von dem nächstfolgenden Kegel überstülpt werden; jeder einzelne Körper setzt sich auf zwei Buckeln des nach dem Leibe zu folgenden fest, verbindet sich aber nur lose mit ihm, so daß eine Bewegung aller Hornkegel und ein gegenseitiges Reiben derselben möglich wird. Diese Rassel ist offenbar ein Gebilde der Oberhaut und wahrscheinlich nichts anderes als [490] eine Reihe umgewandelter Schuppen, die richtige Bedeutung aber so schwierig, daß einzelne sie sogar als Fortsetzung der Schwanzwirbel bezeichnen konnten. Ueber ihre Entwickelung und ihr Wachsthum ist man ebensowenig im klaren. Nord- und Südamerikaner beurtheilen das Alter einer Klapperschlange nach der Anzahl der Ringe an der Rassel und glauben, daß jährlich ein neuer Ring hinzukomme. Hensel meint, daß diese Ansicht wahrscheinlich ganz richtig sei, sicherlich aber nicht auf Erfahrung beruhe. Ich muß hervorheben, daß man angefangenen und mehrere Jahre nach einander beobachteten Klapperschlangen zwar eine Zunahme ihrer Größe, nicht aber eine Vermehrung der Glieder ihrer Rassel wahrnahm, daß letztere vielmehr jahrelang nicht sich veränderten. Als gänzlich hinfällig erweist sich die Annahme einzelner Berichterstatter, daß bei jeder Häutung ein neues Glied entstehe, indem sich die auf dem Unterschwanze vor den Gliedern der Klapper gebildete Haut umstülpe, aber nicht abstreife, und von den schon vorhandenen Kegeln ihre Gestalt empfange; denn in diesem Falle müßte eine Klapperschlange alljährlich vier bis fünf neue Ringe ansetzen. Dies aber ist, wie ich nach mehrjähriger Beobachtung an Gefangenen verbürgen kann, entschieden nicht der Fall, und die Häutung hat auf die Entwickelung der Rassel nicht im geringsten Einfluß. In jedem Falle vergehen eine Reihe von Jahren, bevor die Rassel sich ausgebildet hat. Funfzehn bis achtzehn Kegel an einer Klapper werden schon sehr selten gefunden, und es bleibt fraglich, ob das Thier überhaupt, wie eine alte Abbildung uns glauben machen will, mehr dieser Gebilde ansetzt. »Betrachtet man«, sagt Geyer, »die Rassel als einen Fortsatz der Wirbelsäule, so scheint das Wachsthum derselben nur abhängig von der Nahrung und dem Wachsthume des Thieres, welches unter ungünstigen Umständen unterbrochen und im anderen Falle beschleunigt werden kann; eine bestimmte Zeit dafür ist aber nicht anzunehmen. Klapperschlangen, welche ich fünf bis sechs Jahre alt schätzte, hatten immer nur ein fertiges Rasselglied hinter der ausgerandeten Spitze und konnten noch keinen Laut damit hervorbringen. Hiernach zu urtheilen, müßte eine zwei Meter lange Klapperschlange mit elf Rasselgliedern wohl sechzig bis siebzig Jahre alt sein.« Auch diese Angabe eines sorgfältigen Beobachters, welcher Gelegenheit genug hatte, Klapperschlangen zu untersuchen, beweist, daß wir gegenwärtig über die Bildung der Klapper ebensowenig unterrichtet sind als über deren Nutzen. »Frömmelnde Bewunderer der Weisheit des Schöpfers«, so spricht sich Giebel aus, »erkennen darin eine vorsorgliche, den Menschen vor Gefahr warnende Einrichtung; aber sie sagen uns nicht, wodurch der Mensch gleich vorsorglich gegen andere, nicht minder gefährliche, tückisch im Hinterhalte lauernde Giftschlangen geschützt ist. Die Klapperschlangen greifen so wenig wie die meisten anderen Giftschlangen ungereizt den Menschen an und schlagen überdies ihr Standquartier in dürren, offenen Gegenden auf, wo der Mensch nichts zu holen hat und seinen Feind auch leichter bemerken kann als im Gebüsche und im dichten Graswuchse.« Diesen Worten habe ich nichts hinzuzufügen, weil sie auch dem Nichtdenkenden verständlich genug sind.

Neben der Klapper erscheinen die übrigen Merkmale der betreffenden Schlangen ziemlich bedeutungslos. Ihr Kopf ist oben und vorn mit mehr oder weniger großen Schildern, im übrigen der ganze obere Leib mit länglichrunden, gekielten Schuppen bedeckt, die Unterseite mit breiten Schildern bekleidet, der Hals wie gewöhnlich deutlich abgesetzt, der Leib kräftig, für Giftschlangen ziemlich gestreckt, das Giftwerkzeug so entwickelt, daß es Dumeril als das vollkommenste bezeichnet.

Klapperschlangen finden sich nur in Amerika, aber im Norden ebensowohl wie im Süden. Sie bewohnen vorzugsweise dürre, sandige oder steinige Einöden, zumal solche, welche mit niederem Gebüsch bewachsen sind, ziehen hier jedoch die Nachbarschaft der Gewässer den dürren Stellen vor. Ueber ihr Leben und Treiben wird die Schilderung der beiden bekanntesten Arten belehren; ich bin jedoch nicht im Stande zu verbürgen, ob das von mir wiedererzählte frei von jeglicher Fabelei ist.

Wie bei den meisten Verwandten hält es schwer, eine allgemein gültige Beschreibung irgend einer Art der Klapperschlangen zu entwerfen, da Färbung und Zeichnung außerordentlich wechseln. Zur Unterscheidung der einzelnen Arten hat man daher die Beschilderung des Kopfes ins Auge gefaßt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 490-491.
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