Halysschlange (Trigonocephalus halys)

[514] Die Halysschlange (Trigonocephalus halys, Coluber und Vipera halys, Trigonocephalus caraganus, Halys Pallasii), übertrifft unsere Kreuzotter nicht wesentlich an Größe, [514] da das höchste bis jetzt bekannte Maß ihrer Länge fünfundsiebzig Centimeter nicht übersteigt. Der vollkommen dreieckige Kopf ist außerordentlich flach gedrückt, an der Schnauzenspitze schief nach unten abgestutzt, auf der Oberfläche muldig ausgehöhlt und mit den gewöhnlichen neun Schildern bekleidet, der beschilderte Theil der Kopffläche jedoch klein, da wenigstens die Hälfte unbedeckt bleibt, die Beschilderung auch dadurch ausgezeichnet, daß jedes Schilderpaar oder jeder Schild in einer besonderen Ebene liegt und mit seinem Hinterrande den Vorderrand des darauf folgenden Paares oder Schildes deckt, wodurch eine mehr oder weniger deutlich ausgesprochene, dachziegelförmige Lagerung der ganzen Schildergruppen des Kopfes herbeigeführt wird. Bezeichnend für die Art sind, nach Strauch, dessen ausführliche Beschreibung ich im Auszuge wiedergebe, die schmalen, gewölbten, vorderen Stirnschilder, welche zusammen eine halbmondförmige Figur bilden und eine wulstige Erhabenheit darstellen, infolge deren die ganze Schnauze mehr oder weniger stark sattelförmig ausgehöhlt er scheint.


Halysschlange (Trigonocephalus halys). 1/2 natürl. Größe.
Halysschlange (Trigonocephalus halys). 1/2 natürl. Größe.

Der Kopf ist stets sehr deutlich von dem leicht zusammengedrückten und verdünnten Halstheile des Leibes abgesetzt, der Rumpf ziemlich lang gestreckt, in der Mitte fast drehrund, gegen den Schwanz hin etwas verdickt, der letztere sehr kurz, kegelförmig zugespitzt und am Ende mit dem bereits erwähnten hornigen, ziemlich langen, leicht gekrümmten, der Länge nach jederseits deutlich gefurchten, kegelförmigen Fortsatze bewaffnet; die Färbung der Oberseite ein auf der Rückenmitte stets dunkelndes Bräunlichgelbgrau, die der Unterseite ein mehr oder minder reines Gelblichweiß, welches auf den hinteren Schuppen eine bald mehr, bald weniger ausgedehnte, feine, schwarze Punktirung zeigt. Genau dasselbe bemerkt man auch an den Rändern der Lippenschilder. Die Zeichnung des Kopfes besteht aus einem großen Flecke von regelmäßig viereckiger Gestalt, welcher [515] auf beiden Stirnschilderpaaren steht, einer breiten, in der Mitte unterbrochenen Querbinde, welche von einem Brauenschilde zum anderen zieht, und einer sehr breiten, vom Hinterrande des Auges am Mundwinkel vorüber gegen die Halsseiten verlaufenden Schläfenbinde. Alle diese Zeichnungen haben die Färbung des Rückens und sind mehr oder weniger deutlich und vollständig gelblich gerandet. Längs des ganzen Rückens und auf der Firste des Schwanzes stehen in großer Anzahl gelbe oder gelblichweiße, schwarz gesäumte, am Vorder- und Hinterrande ausgezackte, häufig auch unterbrochene oder nur halbseitig ausgebildete, zuweilen ebenso in verschiedenartiger Weise netzartig sich verzweigende Querbinden, an welche sich auf den Rumpfseiten braune oder graubraune, meist regelmäßig, oft in zwei mehr oder minder deutlich mit einander abwechselnde Längsreihen geordnete anschließen. Der erste Fleck im Nacken unterscheidet sich von den übrigen durch hufeisenartige Gestalt. Mancherlei Abänderungen werden erklärlicherweise auch an dieser Schlange beobachtet.

Das Verbreitungsgebiet der von Pallas am oberen Jenisei entdeckten und später in der Nähe der Wolgamündung wiedergefundenen Halysschlange erstreckt sich von der Wolga ostwärts bis zum Jenisei und vom einundfunfzigsten Grade nördlicher Breite weit nach Süden hin, wie weit, ist zur Zeit noch nicht bekannt. In Europa bewohnt die Schlange nur die zwischen der Wolga und dem Uralflusse gelegenen Steppenlandschaften. Ihr wahres Vaterland ist Asien, und zwar das südliche Sibirien ebenso wie das nördliche Turkestan und die Mongolei. In der Kirgisensteppe, namentlich in den südöstlichen Theilen derselben, darf sie nächst der Kreuzotter als die häufigste aller Schlangen bezeichnet werden, und dasselbe gilt, wie aus dem bereits mitgetheilten hervorgegangen sein dürfte, auch für die Steppenlandschaften des Krongutes Altai.

Nach unseren, allerdings nur flüchtigen Beobachtungen sucht die Halysschlange kein eigentliches Versteck auf, sondern ruht übertages einfach hier und da, leicht zusammengeringelt, zwischen einigen Grasbüscheln der Steppe. Als wir mit unserer kirgisischen Begleitung durch die Steppe des Gouvernements der Sieben Flüsse, später durch die im wesentlichen gleichartige des breiten Emilthales reisten, geschah es täglich zu wiederholten Malen, daß ein Kirgise plötzlich sein breites und langes Messer zog, gleichzeitig vom Pferde sich herabbog und einen raschen Schnitt oder Streich führte. Dieser galt immer einer Giftschlange, entweder der Kreuzotter oder der Halysschlange und bewies uns deutlich, wie ungemein häufig beide Thiere in diesen Gegenden sein mußten. Auf Befragen erhielt ich von den Kirgisen vollste Bestätigung dieser Ansicht. Gedachte Wanderhirten hassen die eine wie die andere Schlange mit vollstem Rechte, weil sie nicht selten junge Schafe und Ziegen durch sie verlieren, obgleich beide Hausthiere die Schlangen kennen und meiden sollen. Ueber die Nahrung wußten mir diejenigen Kirgisen, welche ich befragte, nichts anzugeben, und ich vermag daher nur die Vermuthung auszusprechen, daß die Halysschlange ebenso wie die Kreuzotter Mäusen, kleinen Vögeln, insbesondere Lerchen, und wahrscheinlich auch den in der Steppe sehr häufigen Krötenkopfeidechsen nachstellen dürfte. Dagegen kannten die Kirgisen die Lebensweise beider Giftschlangen sehr genau, wußten, daß sie Nachtthiere sind, sagten auch ganz richtig, daß sie bei Tage schlafen und fügten hinzu, daß sie in der heißesten Zeit des Jahres nur in den Früh- und Abendstunden in der Sonne liegen, mittags aber entweder im Schatten der Gebüsche und beziehentlich unter Steinen sich bergen oder dem Wasser zulaufen und in ihm sich lagern. Ihr Biß wird sehr gefürchtet, weil man die Gefährlichkeit desselben wohl kennt und sich bewußt ist, kein eigentlich wirksames Gegenmittel zu besitzen. Zuerst schneidet man dem Gebissenen die Wunde aus, saugt auch wohl an ihr, um das Gift auszuziehen, gibt hierauf Opiumtropfen ein und taucht endlich das gebissene Glied so lange in Wasser, bis die Geschwulst wiederum etwas sich gelegt hat und mit dem Einreiben von Schlangenfett begonnen werden kann. Während der ganzen Zeit des Krankseins sagt man Stellen aus dem Koran her; da man aber aus diesem Buche in der Regel nur die erste Sure, die Fatcha, kennt, wird diese bis zum Ueberdrusse dem Kranken vorgebetet. Die Gebissenen leiden oft lange Zeit, zuweilen Monate und selbst Jahre nach einander. Auffallenderweise theilten die Russen, welche uns bei Schlangenberg Vipern und Halysschlangen fingen, die [516] Furcht der Kirgisen in keiner Weise, behandelten vielmehr die Schlangen mit einer geradezu sträflichen Nachlässigkeit. Um sie bequem und sicher zu tragen, bedienten sie sich aus biegsamen Aesten sehr geschickt hergestellter Zangen, indem sie den Ast bis zur Hälfte einschnitten und sodann in der Mitte, vom Schnitte aus nach rechts und links, spalteten, endlich aber bogen, so daß die beiden Schnittflächen auseinander gezogen wurden und so gleichsam die Schenkel einer Zange darstellten.


Mokassinschlange (Trigonocephalus contortrix). 2/5 natürl. Größe.
Mokassinschlange (Trigonocephalus contortrix). 2/5 natürl. Größe.

Zwischen letztere klemmten sie den Hals des Kriechthieres, ließen den Ast zurückschnellen und hatten dadurch die Schlange an der günstigsten Stelle so gut gefesselt, daß sie so leicht niemandem einen Biß beibringen konnte. Damit aber glaubte man auch genug gethan zu haben, nahm im übrigen auf die Giftzähne nicht die geringste Rücksicht und verfuhr mit den Thieren, als ob man gar nicht wisse, daß sie giftig seien. Wie man mir erzählte, werden in der That viele Leute von Vipern und Halysschlangen gebissen; doch glaubt man mit Ueberstreichen von Theer den Folgen des Bisses vorbeugen zu können, macht daher wenig Aufhebens von solchen Vorkommnissen.


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Nahe Verwandte der Halysschlangen sind die in Amerika lebenden, viel größeren und kräftigeren Sumpflochottern (Cenchris), welche sich von jenen hauptsächlich durch die Beschilderung und Beschuppung unterscheiden. Erstere beschränkt sich ebenfalls nur auf die vorderen Theile des Kopfes und zeichnet sich dadurch aus, daß der große Mittelschild von sechs anderen, etwa gleich großen, umgeben wird, welche vorn an die Schnauzenschilder stoßen, hinten aber von einer erheblichen Anzahl kleinerer, den größten Theil des Hinterkopfes deckender, ziemlich regelmäßiger Schilder begrenzt werden. Die Bekleidung des Leibes besteht aus deutlich gekielten, längs des Rückgrates merklich vergrößerten, länglichen, eiförmigen Schindelschuppen, welche sich in einundzwanzig bis fünfundzwanzig Längsreihen ordnen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 514-517.
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