Vierzehnte Familie: Seeschlangen (Hydrini)

[441] So schwierig es ist, die Abtheilungen der Schlangen zu begrenzen, so leicht lassen sich die Seeschlangen (Hydrini) erkennen und von allen übrigen unterscheiden: ihr Ruderschwanz ist ein so bezeichnendes Merkmal, daß sie unmöglich mit anderen verwechselt werden können. Bei roher Vergleichung scheinen sie aalartigen Fischen ähnlicher zu sein als anderen Schlangen. Ihr Kopf ist verhältnismäßig klein, der Rumpf kurz, in seinem Vordertheile fast walzig, weiter hinten seitlich zusammengedrückt, der Schwanz sehr kurz und einem senkrecht gestellten Ruder vergleichbar. Die Nasenlöcher öffnen sich auf der Oberseite der Schnauze in großen Nasenschildern; die kleinen Augen haben runden Stern. Der Kopf wird stets mit großen, unregelmäßigen Schildern, der Leib mit kleinen Schuppen bekleidet, welche auch auf der Unterseite nur ausnahmsweise zu Schildchen sich gestalten. Das Gebiß besteht aus kurzen, gefurchten Giftzähnen, an welche sich hinten noch eine Anzahl kleinerer, leicht gerinnelter Zähne reihen; den Unterkiefer waffnen seiner ganzen Länge nach feste Fangzähne.

Mit dem fabelhaften Ungethüme, welches zwar nicht im Meere, wohl aber von Zeit zu Zeit in den Köpfen der Schiffer und sodann auch regelmäßig in den Tagesblättern spukt, haben die Seeschlangen der Wissenschaft nichts gemein. Keine einzige von den funfzig unterschiedenen Arten erreicht vier Meter an Länge; solche, welche die Hälfte oder dritthalb Meter messen, zählen schon zu den seltenen Erscheinungen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Sippen sind gering, die zwischen den einzelnen Arten noch geringer.

Dem ausgezeichneten Baue entsprechen Aufenthalt und Lebensweise, so daß also diese Familie als eine in jeder Hinsicht nach außen wohl abgegrenzte erscheinen muß. Alle Seeschlangen leben, wie ihr Name sagt, ausschließlich im Meere, betreten das Land erwiesenermaßen niemals und gehen ebensowenig freiwillig in den Flüssen empor. Das Indische und Stille Weltmeer, von den Küsten Madagaskars an bis zur Landenge von Panama, insbesondere aber die zwischen der südchinesischen und nordaustralischen Küste gelegenen Theile, gewähren ihnen Herberge. In ihrem Wesen, ihren Sitten und Gewohnheiten scheinen sich alle Arten zu gleichen; unsere bisherigen Forschungen reichen mindestens noch nicht aus, etwaige Unterschiede festzustellen. Eine Schilderung ihrer Lebensweise kann sich daher nicht auf einzelne Arten oder Sippen beschränken, sondern muß die gesammte Familie umfassen.

Zur engeren Eintheilung dieser Familie benutzt man die Unterschiede, welche sich im Gebisse und in der Beschilderung des Leibes zeigen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 441.
Lizenz:
Kategorien: