Home's Gelenkschildkröte (Cinixys Homeana)

[46] Wenn auch nicht die verbreitetste, so doch die bekannteste Art der Gruppe ist die zu Ehren Home's benannte Gelenkschildkröte (Cinixys Homeana), kenntlich an ihrem länglich eirunden, auf dem Rücken flachen, seitlich gekielten, in der Nackengegend niedergedrückten, nach vorn ausgezogenen, gerändelten Panzer, welchem die Nackenplatte fehlt, und dem langen, an der Spitze nicht verhornten Schwanze. Gleichmäßiges Hellkastanienbraun herrscht auf dem Panzer vor; die Schilder, welche den Kopf, und die Schuppen, welche die Beine bekleiden, sowie die Kinnladen sind hellgelb, einige der Kopfschilder bräunlich getrübt. Die Größe ist ziemlich bedeutend: Stücke, von dreißig Centimeter Panzerlänge sind keine Seltenheit.

Das Verbreitungsgebiet dieser Art ist der Westen Afrikas. Man hat sie in Guinea, am Gabun und auf den Inseln des Grünen Vorgebirges gefunden. Wie weit das Wohngebiet in das [46] Innere des Erdtheiles sich erstreckt, ist zur Zeit noch unbekannt. Einzelne Stücke unserer europäischen Sammlungen sind auch in Britisch-Guayana erworben, dorthin aber unzweifelhaft erst von Afrika eingeführt worden.

Ueber die Lebensweise dieser und aller Gelenk schildkröten überhaupt haben wir erst in allerneuester Zeit dürftige Kunde gewonnen.


Gelenkschildkröte (Cinixys Homeana). 1/4 natürl. Größe.
Gelenkschildkröte (Cinixys Homeana). 1/4 natürl. Größe.

Bis dahin wußten wir, so viel ich wenigstens habe ergründen können, nur, daß im Nigerdelta von einem Eingeborenen, welcher sie an einem Bindfaden gefesselt hielt, eine solche Schildkröte eingetauscht, lebend nach Europa gebracht, alle zwei bis drei Wochen mit ein wenig Schiffszwieback gefüttert und trotzdem einige Jahre erhalten wurde. Neuerdings nun sind nicht allein anderweitig Gefangene, sondern auch Nachrichten über das Freileben der Thiere zu uns gelangt. Die Angaben werfen unerwartetes Licht auf die Gelenkschildkröten und beweisen die Richtigkeit der Auffassung Strauchs, daß Land- und Sumpfschildkröten nicht allein eine und dieselbe Familie bilden, sondern auch nur Glieder einer einzigen Unterfamilie darstellen. Obgleich Monteiro eine Art der Gruppe (Cinixys Belliana) als entschiedenes Landthier bezeichnet, welches nur auf Gneis oder ähnlichem, sehr trockenem Boden lebt und ausschließlich während der heißen Regenzeit zum Vorscheine kommt, während der kühlen Jahreszeit aber, vom Mai bis zum Oktober also, nach Versicherung der Eingeborenen tief eingegraben sich verbirgt, liegen doch von den beiden anderen Arten Berichte vor, welche das gerade Gegentheil jener Angabe aussprechen. Ussher erklärt die vorstehend beschriebene Gelenkschildkröte als ein im Fanti- und Auralande ziemlich häufig vorkommendes Thier, bemerkt, daß sie den Eingeborenen als Nahrung diene, deshalb von ihnen hoch geschätzt und aus demselben Grunde selten zum Kaufe angeboten werde, fügt aber wörtlich hinzu: »Sie scheint sehr lange Zeit im Wasser zu leben: eine [47] von denen, welche ich heimbrachte, hat monatelang in einem Wasserbecken sich aufgehalten«. Hiermit stimmt nun eine Mittheilung Falkensteins sehr gut überein. »Ueber die Gelenkschildkröten«, so schreibt er mir, »habe ich weder durch eigene Beobachtungen, noch aus dem Munde der Neger viel erfahren können. Das einzige, was ich weiß, ist, daß die von mir lebend mitgebrachte Art (Cinixys erosa) nicht häufig vorkommt und in oder an Flüssen bis zur Grenze des Seewassereinflusses gefunden wird. Von hier aus geht sie zum Eierablegen ans Ufer und wird dabei gefangen; zu welcher Zeit dies geschieht, weiß ich nicht genau. Ich bin überzeugt, daß sie trotz ihrer Klumpfüße eine gute Schwimmerin ist; wenigstens holten sich meine Gefangenen Futter aus ziemlich tiefen Wasserbecken heraus und tauchten, um es zu suchen, bis auf den Grund hinab.«

Das Gefangenleben der Gelenkschildkröten hat Fischer kurz geschildert und zwar nach Beobachtungen an allen drei Arten der Sippe. Sie stimmen in ihren Sitten und Gewohnheiten durchaus mit einander überein, sind sehr träge und stumpfe Tagthiere, welche kaum merklich von der Stelle zu kommen scheinen, und ihre Bewegungen so langsam wie das Rücken eines Minutenzeigers, dabei auch, beispielsweise beim Fressen, so unbeholfen, daß Fischer sich wundern mußte, sie überhaupt satt werden zu sehen. Eine, welche Effeldt pflegte, nahm nur Kirschen an; diejenigen, welche Fischer gefangen hielt, verzehrten ausschließlich Aepfel: sie fraßen aber nicht öfter als alle acht bis vierzehn Tage einmal, und manchmal vergingen drei- bis vier Wochen, bevor sich eine überhaupt dazu entschloß. Bei klarem Wetter und nach einem warmen Bade regte sich die Freßlust noch am ersten; beim Fressen aber fällt ihnen der Bissen oft aus dem Maule und sie beißen dann unzählige Male nach ihm, ohne ihn erschnappen zu können, so daß bis zu ihrer vollständigen Sättigung wohl zwei oder drei Stunden nöthig sind. Effeldt theilte mir kurz vor seinem Tode mit, daß der Gang der Gelenkschildkröten von dem aller übrigen ihm bekannten Landschildkröten sich unterscheide und ein Stelzengang im eigentlichen Sinne des Wortes sei, da die Thiere buchstäblich auf den Nägeln ihrer Vorderfüße einherschreiten, so, wie dies aus Mützels Zeichnung ersichtlich ist. Plötzlich erschreckt oder dauernd beängstigt, ziehen sie sich gänzlich in ihren Panzer zurück, klappenden beweglichen Hintertheil desselben herab und bilden dann die von Mützel ebenfalls getreulich wiedergegebene, nur vorn noch geöffnete Kapsel.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 46-48.
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