Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans)

[586] Die Sippe der Feßler (Alytes) kennzeichnet sich durch gedrungene Krötengestalt, plumpen Leib, kurze, kräftige Glieder, kurze, vierzehige Füße und dicke Schwimmhäute, warzige Drüsenhaut und feiste, am Grunde festgewachsene Zunge. Der europäische Vertreter der Gruppe, die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans, Rana obstetricans und campanisona, Bufo obstetricans und campanisonus, Obstetricans vulgaris), ein kleines Thier von etwa fünfunddreißig Millimeter Länge, sieht auf der Oberseite bläulich aschgrau, auf der Unterseite schmutzigweiß aus; die Warzen sind dunkler, die in einer vom Auge zum Hinterschenkel verlaufenden Längsreihe stehenden weißlich.

Soweit die bisherigen Beobachtungen reichen, hat man die Geburtshelferkröte nur in Mitteleuropa gefunden. Sie ist gemein in Frankreich, insbesondere in der Umgebung von Paris, ebenso in Italien, kommt aber auch in der Schweiz, hier und da in den Rheinlanden, insbesondere in Nassau, und endlich in Westfalen vor; aus letztgenannter Provinz habe ich sie durch Effeldt lebend erhalten. Ihre Aufenthaltsorte sind Höhlungen an schattigen Orten, unter Steinen, alten Baumwurzeln, Weinstöcken oder auch einfache Erdlöcher. Agassiz fand bei Neuenburg einen halben Meter unter der Oberfläche in einer Aushöhlung des Mergels etwa dreißig Stück nahe beisammen, ohne einen Eingang zu dem Kessel entdecken zu können, und nimmt deshalb, wahrscheinlich mit Recht, an, daß die Thiere besser als ihre Verwandten zu graben verstehen. Zu anderen Zeiten bemerkt man sie in offenen Höhlen, gegen Abend, bei regnerischem Wetter auch wohl in den Nachmittagsstunden, vor dem Eingange, am häufigsten in der Nähe von Gewässern. Die Bewegungen sind langsam und schwerfällig wie die unserer gemeinen Kröte. Die Stimme klingt angenehm wie ein helles Glasglöckchen.

Ihren Namen trägt die Geburtshelferkröte mit Fug und Recht. Demours legte bereits im Jahre 1778 der französischen Akademie Beobachtungen über ihr Fortpflanzungsgeschäft vor, welche [586] allgemeines Erstaunen erregten und später durch Brongniart und Agassiz vollkommen bestätigt wurden. Erstgenannter Naturforscher traf im Pflanzengarten zu Paris zwei in der Paarung begriffene Geburtshelferkröten und sah zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß das Männchen, welches auf dem Rücken des Weibchens saß, das erste der in eine Schnur gereihten Eier mit den beide mittleren Zehen des einen Hinterfußes ergriff, diesen ausstreckte und so die Eierschnur herauszog, hierauf den zweiten Fuß ansetzte und so abwechselte, bis die ganze Schnur abgegangen war.


Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans). Natürliche Größe.
Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans). Natürliche Größe.

Gleichzeitig mit dem Herausziehen wickelt sich das Männchen diese Schnur, nachdem es die Eier befruchtet, in mehrere durcheinandergeschlungene, der Zahl 8 ähnelnde Kreise um die Schenkel und trägt nun diesen Knäuel tagelang mit sich herum. Die Gallertmasse, welche die Eier verbindet, trocknet zusammen, so daß die Eier in Abständen von durchschnittlich einem Centimeter wie in einem häutigen Schlauche stecken, welcher zwischen jenen wie zu einem Faden zusammengedorrt erscheint. Die Eier sind, laut Agassiz, anfangs klein und dottergelb; oben stehen zwei schwarze Punkte wie Nadelstiche. Mit dieser zukünftigen Nachkommenschaft an den Hintersüßen vergräbt sich die Geburtshelferkröte in die Erde und verweilt hier mehrere Tage, bis die Eier eine gewisse Entwickelung erreicht haben. Das Dottergelb wird dunkler und spielt bald ins Gelbbraune; am dritten Tage bereits kann man am Keime Kopf, Rumpf und Schwanz unterscheiden; die Bewegungen werden lebhafter; man sieht deutlich den Herzschlag, Hebungen der Kiemen usw. Gegen den elften Tag hin ist die Entwickelung so weit gediehen, daß der treue Vater sich seiner Bürde entledigen kann. Um dies zu bewerkstelligen, geht er ins Wasser, schwimmt und kriecht in demselben eilfertiger als sonst hin und her und bewirkt wahrscheinlich dadurch das Auslaufen der Eier. Nachdem er die Jungen abgeschüttelt, streift er die Eihüllen von den Schenkeln los und verfügt sich wiederum auf das Trockene, ohne sich um die Larven weiter zu bekümmern. Letztere unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Gestalt wenig oder nicht von den Kaulquappen anderer Froschlurche und entwickeln sich fortan in der regelrechten Weise.

In der neuesten Zeit hat L'Isle die Beobachtungen über das Fortpflanzungsgeschäft der Geburtshelferkröte wieder aufgenommen und in ebenso umständlicher als weitschweifiger Weise hierüber berichtet. Ich will versuchen, das wichtigste seiner Mittheilungen hier wiederzugeben. Tschudi fand sechs Monate nach der Legezeit ein Männchen mit Eischnüren und glaubte deshalb, daß die Geburtshelferkröte zweimal im Jahre Eier lege: nach L'Isle's Beobachtungen aber währt der Zeitraum des Fortpflanzungsgeschäftes überhaupt sechs Monate, vom März bis zum August nämlich. Das Weibchen bringt seine Eier in drei oder vier Sätzen zur Welt. Denn, wenn man ein solches während der Legezeit untersucht, findet man noch zwei Sätze, welche, abgesehen von der Dicke der doppelten Einhüllung mit Eiweiß, genau ebenso groß sind wie die, welche eben gelegt worden, außer ihnen aber noch einen vierten Satz von Eiern, welche sich der Reife nähern. L'Isle hat Grund zu glauben, daß zwischen dem Legen der verschiedenen Sätze einige Wochen vergehen und nimmt an, daß dadurch den schleimabsondernden Drüsen Ruhe gegönnt werde. Ein vollkommen [587] ausgewachsenes Weibchen beginnt im März zu legen, fährt bis zum Mai damit fort und hat zu Ende des letztgenannten Monats nur noch den letzten Satz im Eierstocke. Jüngere Weibchen legen nur dreimal. Die Anzahl der Sätze hängt übrigens nicht allein von dem Zustande der Reife des Weibchens, sondern auch von der Nahrung, dem Klima und anderen Umständen ab. Eine Folge des in solchen Zeiträumen stattfindenden Eierlegens ist die ungleichmäßige Entwickelung der Jungen. Die, welche den im März, April und Mai gelegten Eiern entkommen, sind von Ende Juli bis zu Beginn des Oktober verwandelt.

Nach ungefähr sechsmonatlichem Schweigen erhebt die männliche Geburtshelferkröte in den letzten Tagen des Februar wiederum ihre Stimme, und von nun an vernimmt man dieselbe sechs Monate nacheinander bis zu Ende August. Anfänglich schwach und verhalten, tönt der Gesang bald laut und kaum unterbrochen. Um dieselbe Zeit beginnt auch, in der Umgegend von Nantes wenigstens, das Legen der Eier, und zwar werden im Frühjahre immer mehr Eier gelegt als später. Die eigentliche Legezeit ist zwischen die Monate März und Juni zu setzen; wenigstens findet man vom März bis zum August die meisten mit Eiern beladenen Männchen und vom Juni bis zum September bereits die Larven in vollem Zustande der Entwickelung. Die Eier werden in zwei gleichzeitig erscheinenden, rosenkranzähnlichen Schnüren abgelegt. Jede dieser Schnüre hat eine Länge von achtzig bis einhundertundsiebzig Centimeter, läßt sich aber, ohne zu zerreißen, bis zum doppelten ausdehnen. Die Eier liegen in Zwischenräumen von vier bis sieben Centimeter, und ihre Anzahl schwankt zwischen achtzehn bis vierundfunfzig. Der Eierstock enthält ihrer einhundertundzwanzig bis einhundertundfunfzig, welche in dem einen Jahre zur Reife kommen.

Während der Legezeit streiten sich die Männchen heftig um die Weibchen. Einmal sah L'Isle ihrer vier eines an das andere geklammert. Diejenigen, welche sich des Weibchens nicht bemächtigen können, weil sie keinen Platz auf dessen Rücken finden, klammern sich, so gut sie können, an der Seite an. Zürückgeworfen durch einen achtsamen Nebenbuhler, hüpfen sie zuweilen zur Seite, führen jedoch bald neue Angriffe aus. Der glücklichste oder gewandteste umarmt in der bei Fröschen überhaupt üblichen Weise das Weibchen, beginnt aber sofort mit den Hinterbeinen sehr rasche, reibende Bewegungen an dessen After auszuführen und dringt dabei mit den Daumenzehen, welche hauptsächlich benutzt werden, nicht selten in das Innere der Kloake ein. Nachdem dies Vorspiel ungefähr eine halbe Stunde gewährt, preßt es plötzlich den Leib des Weibchens zusammen und damit, wie bei anderen Froschlurchen auch, die Eier heraus. Gleichzeitig bildet es durch Zusammenfaltung seiner Hinterfüße einen Raum zur Aufnahme der letzteren und befruchtet sie, sobald sie zu Tage getreten sind.

L'Isle beschreibt nun in umständlichster Weise, wie das Männchen durch verschiedenartige und nicht immer sich gleich bleibende wechselseitige Bewegungen der Hinterfüße die bis jetzt auf seinen Fersen liegenden Eischnüre zusammendrückt und nach und nach bis auf die Höhe der Kreuzbeingegend bringt, sie hier ebenfalls noch sich zurecht legt und dann mit seiner Bürde das Weibchen verläßt, was ungefähr eine Stunde nach Beginn der Begattung zu geschehen pflegt. Im Gegensatze zu früheren Beobachtern versichert er, daß das Männchen keineswegs unter der Erde sich verberge, vielmehr mit seiner Bürde nach Belieben umherschweife und den Eiern auf dem Rücken durch Anstreifen im thaunassen Grase die nöthige Feuchtigkeit zuführe. Die Last auf dem Rücken hindert es in keiner seiner Verrichtungen, weder im Laufen und Springen, noch im Erbeuten seiner Nahrung, noch auch in anderen Geschäften. Da, wo viele Geburtshelferkröten vorkommen, entbindet ein Männchen auch wohl zwei oder selbst drei Weibchen und belastet sich mit deren Eiern. L'Isle fand mehrmals Männchen, welche sich um die Weibchen stritten, und beobachtete, daß beide bereits mit Eiern bebürdet waren, ja, daß einzelne sogar schon einen neuen Packt hinter dem alten trugen. Die Entwickelung der Larven richtet sich nach der Witterung, nimmt daher verschiedene Zeit in Anspruch, so daß ihre Dauer zwischen drei bis sieben Wochen währen kann. Zwischen dem vierten und sechsten Tage bemerkt man die erste Grundlage zum Aufbau des Knochengerüstes; zwischen [588] dem siebenten und neunten zeigen sich Anschwellungen da, wo die Kiemen erscheinen sollen; zwischen dem neunten und dreizehnten Tage sind die Kiemen bereits entwickelt, und vom siebzehnten Tage an die jungen Thierchen reif zum Ausschlüpfen. Wenn der rechte Zeitpunkt gekommen, begibt sich der sie schleppende Vater in das Wasser, und die Jungen verlassen nun mit außerordentlicher Schnelligkeit, binnen wenigen Minuten nämlich, ihre Eihüllen, welche sie durch einige Bewegungen des Schwanzes sprengen, und schwimmen nach Art anderer Quappen im Wasser frei umher, bis ihre weitere Entwickelung erfolgt. Das Männchen streift die leeren Eihüllen von sich ab und verlebt den Rest des Sommers in der Weise anderer Froschlurche.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 586-589.
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