Taschenfrosch (Nototrema marsupiatum)

[562] Wie verschiedenartig die Fortpflanzung der Baumfrösche sein kann, beweist unter anderem der in Mittelamerika heimische Taschenfrosch (Nototrema marsupiatum, Gastrotheca marsupiata), welcher die Sippe der Beutelfrösche (No totrema) vertritt.


Kolbenfuß (Hyla palmata). Natürliche Größe.
Kolbenfuß (Hyla palmata). Natürliche Größe.

In seiner Gestaltung unterscheidet sich die einzige bekannte Art der Gruppe durchaus nicht wesentlich von den bisher genannten Laubfröschen; das Weibchen aber trägt auf dem Rücken eine nach hinten sich öffnende [562] Tasche von etwa einem Centimeter Tiefe, welche in jeder Hinsicht an jene der Beutelthiere erinnert und auch wirklich dazu dient, die Eier während der ersten Zeit ihrer Entwickelung in sich aufzunehmen.


Taschenfrosch (Nototrema marsupiatum). Natürliche Größe.
Taschenfrosch (Nototrema marsupiatum). Natürliche Größe.

Dumeril kannte, als er den Taschenfrosch beschrieb, die Bedeutung des Beutels noch nicht, vermuthete aber selbstverständlich das richtige. Höchst wahrscheinlich streicht das Männchen während der Begattung die von ihm befruchteten Eier mit den Hinterfüßen in die Tasche des Weibchens, welch letztere sich, wie einige Stücke bewiesen haben, im Verlaufe der Entwickelung der Eier über den ganzen Rücken ausdehnt und dem Thiere dann ein unförmliches Aussehen verleiht. Zu welcher Zeit die sorgliche Mutter ihre Brut absetzt, ob sie dieselbe überhaupt später ins Wasser bringt oder in der Tasche die Verwandlung durchlaufen läßt, wie man beides bei anderen Froschlurchen erfuhr, konnte bis jetzt noch nicht ermittelt werden, wie denn überhaupt über die Lebensweise unseres Thieres besondere Beobachtungen nicht vorliegen.

Ueber den Keimlingszustand des Taschenfrosches hat vor einigen Jahren Weinland berichtet. Unter einer kleinen Anzahl von Lurchen, welche an das Berliner Museum entsendet wurden, befand sich einer dieser Frösche, welcher durch seinen bedeutenden Leibesumfang auffiel. Letzteres rührte, wie man schon durch Betasten wahrnehmen konnte, von vielen, mehr als erbsengroßen Eiern her, welche den Leib füllten. Schon eine solche Größe von Froscheiern im Mutterleibe war ungewöhnlich, noch mehr aber ihre Lage; denn man erkannte, daß sie nicht nur an den Seiten, sondern zum Theil auch auf der Wirbelsäule selbst lagen. Dieses merkwürdige Verhalten leitete bei näherer Besichtigung zur Entdeckung der Spaltöffnung auf dem Hinterrücken, und weitere Untersuchung ergab, daß jene Oeffnungen nach rechts und links in Säcke führten, welche [563] sich weiterhin nach den Seiten ausbuchteten, aber nicht mit der Bauchhöhle in Verbindung standen, sondern nichts anderes als eine weite Einstülpung der allgemeinen Körperbedeckung waren. In den beiden Säcken lagen die großen Eier, zu drei und vier zusammengeklebt, und in ihnen war schon deutlich die Quappe mit Augen und Schwanz zu erkennen. Die Anzahl sämmtlicher Eier betrug funfzehn. Sie standen mit der inneren Haut der weiten Säcke in keiner Verbindung, fielen durch ihre außerordentliche Größe auf, da sie fast einen Centimeter im Durchmesser hatten, und befanden sich sämmtlich auf derselben Stufe der Entwickelung. Die ganze Länge des Keimlings, dessen große Augen, Vorder- und Hinterfüßchen sowie der Schwanz bereits ziemlich entwickelt waren, betrug anderthalb Centimeter, die des Kopfes vier, der Durchmesser der Augen einen Millimeter. Dem Raume nach aber machte derselbe nur etwa ein Achtel des Raumes aus. Alles übrige war gelbe Dottermasse. Der Keimling selbst ließ eine Bildung erkennen, welche nicht weniger eigenthümlich erschien als die seiner Mutter. Zog man nämlich die Dotterhaut ab, so sah man im Nacken zwei zusammengefaltete Hautscheiben. Diese ließen sich leicht aufheben, zeigten sich aber jede durch zwei lange Stränge an die Unterseite, wie es schien, an die Kehle gebunden. Um einen Ansatzpunkt derselben zu finden, wurde der Kopf des Thierchens vom Dotter abgelöst. Da sah man die Stränge unter einem quer überliegenden Kiemendeckel verschwinden. Hob man auch diesen auf, so kamen auf jeder Seite drei Kiemenbogen nebst entsprechenden drei Kiemenspalten zum Vorscheine, und an die beiden vorderen Kiemenbogen jederseits setzten sich die Stränge an, der eine an dem ersten, der andere an dem zweiten; der dritte Kiemenbogen trug nur einen Ansatz zu Kiemenblättchen, wahrscheinlich zu den späteren inneren Kiemen. Die oben genannten, durch diese Stränge an die Kiemenbogen befestigten Hautscheiben aber entfalteten sich, im Wasser schwimmend, zu schönen, trichterförmigen Hautausbreitungen oder Glocken, welche Weinland am liebsten mit einer Windenblüte vergleichen möchte, nur daß hier der Stiel, welcher den Blütenkelch trägt, ein doppelter ist. Der Ansatzpunkt der Stränge an die Kiemenbogen wies sofort auf einen Zusammenhang mit der Athmung hin, und das Mikroskop gab die näheren Aufschlüsse. Jeder dieser Stränge nämlich ist ein Schlauch, in welchem zwei Gefäße verlaufen, die sich in der Glocke in ein dichtes Haaradernetz auflösen. Daß man hier eine Schlag- und eine Hohlader in jedem Strange vor sich hat, unterliegt keinem Zweifel; der Schlauch aber, welcher beide einschließt, besteht aus denselben Zellen, welche die allgemeine Umhüllungshaut des Keimlings zusammensetzen und auch die Glocke bilden, so weit diese nicht Gefäßnetz ist. An dem Schlauche verlaufen seiner ganzen Länge nach mehrere dicke Bündel quergestreifter Muskelfasern, welche darauf hinzuweisen scheinen, daß das Thier jene Organe noch in einem Zustande besitzt, wenn es dieselben willkürlich bewegen kann. So lange es im Ei sich befindet, dürfte dies unmöglich sein; denn Stränge und Glocke erscheinen zusammengefaltet und durch die Dotterhaut fest an den Keimling angedrückt; daß sie aber dennoch schon in Thätigkeit standen, bewies der Umstand, daß die Gefäße sowie das Haaradernetz der Glocken mit Blutkörperchen angefüllt, ja diese in dem größeren Strange so dicht angehäuft waren, daß man nur noch die Körner der Blutkörperchen sehen konnte. Diese Kiemenglocken mit ihren Strängen entsprechen jenen baumartig verzweigten Kiemen, welche die Froschlurchlarven schon im Eie und noch einige Zeit als freie Quappen im Wasser tragen, bis sie durch innere, zahlreichere Kiemenblättchen ersetzt werden. Merkwürdig war endlich, abgesehen von der außerordentlich weit vorgeschrittenen Entwickelung des im Eie befindlichen Keimlings, das Verhalten des Darmes. Bei keinem anderen Frosche fand Weinland im Eie eine so große Anhäufung von Nahrungsmasse für das Keimlingsleben. Der ganze gelbe Dotter nämlich, also sieben Achtel des Eies, ist nichts anderes als der dicht mit Dotterkuchen angefüllte, weite, in Windungen kugelig zusammengelegte Darm selbst. Dies scheint auf eine größere Entwickelung des Thieres hinzudeuten in einer Zeit, in welcher es noch nicht in der Lage ist, äußere Nahrung anzunehmen.

Der Taschenfrosch gehört zu den buntesten Arten der Familie. Die Grundfärbung der Oberseite ist ein schönes Grünblau, welches hier und da, besonders am Kopfe und auf der Rückenmitte, [564] dunkelt. Die Zeichnung besteht aus gelben Längslinien, welche bald sich nähern, bald wieder von einander entfernen und so regelmäßige Figuren darstellen; die Beine sind mit dunkleren Ringen, Bändern, Streifen, Flecken und Punkten gezeichnet. Bei einzelnen Stücken, insbesondere bei Männchen, weicht die Zeichnung des Rückens insofern ab, als die einzelnen Felder, welche von den gelben Linien umschlossen werden, kleiner und unregelmäßiger sind. Auch die Färbung scheint mannigfachem Wechsel unterworfen zu sein.


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Wollten wir auf die Verschiedenheit der Gestalt, insbesondere auf die Abweichungen, welche die Bildung der Zehen und Schwimmhäute zeigt, ausführlicher eingehen, so würde ich eine erhebliche Anzahl von Laubfröschen beschreiben müssen, über deren Leben wir nicht das geringste wissen; es mag daher genügen, wenn ich noch einige bespreche, welche entweder durch eigenthümliche Gestalt oder Absonderlichkeiten in der Lebensweise sich hervorthun.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 562-565.
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