Thaufrosch (Rana temporaria)

[577] Der Thau-, Gras-, Bach- oder Märzfrosch (Rana temporaria, muta, atra, cruenta, alpina, scotica, flaviventris, platyrhinus, oxyrhinus, arvalis, sylvatica, agilis) erreicht dieselbe Größe wie sein eben geschilderter Verwandter, unterscheidet sich von ihm aber durch Färbung und Lebensweise, so daß ihn wohl niemand mit jenem verwechseln kann. Die oberen Theile sind auf braunem oder rothbraunem Grunde mit hell- und dunkelbraunen Flecken, die Schläfe mit einem gleichfarbigen Längsstreifen gezeichnet, die Beine dunkel quergestreift, Brust und Bauch beim Männchen graulichweiß, bei dem etwas größeren Weibchen auf röthlichem Grunde braungelb marmorirt. Neuerdings hat Stenstrupp behauptet, daß die Grasfrösche in zwei Arten zerfallen, welche sich durch mehr oder weniger zugespitzte Schnauze kennzeichnen und demgemäß benannt worden sind. Der spitzschnäuzige Grasfrosch (Rana oxyrhinus) zeigt kegelförmig zugespitzten Kopf, dessen Oberkiefer über den unteren sich verlängert, einen großen, knorpelharten Höcker an der Wurzel der äußeren Zehe und Schwimmhäute, welche beim Männchen bis an das zweitäußerste Glied der längsten Zehe reichen; die stumpfschnäuzige Art hingegen (Rana platyrhinus) hat breiten, gerundeten Kopf mit stumpfer Schnauze, einen kleineren Höcker und Schwimmhäute, welche bei beiden Geschlechtern bis an das zweite Glied der längsten Zehe reichen. Bei jenen sind die Stirnbeine gewölbt und schmal, bei diesen flach, sogar ausgehöhlt und sehr breit. Angeregt durch diese Angabe des dänischen Forschers haben sich andere mit der Beobachtung des Grasfrosches beschäftigt und nicht bloß diese Unterschiede bestätigt gefunden, sondern auch wahrnehmen wollen, daß beide Arten eine verschiedene Lebensweise führen. In neuester Zeit wurde noch eine dritte, schon von früheren Forschern beschriebene Form unterschieden, weil deren Schnauze [577] ziemlich spitzig und verlängert, die Stirn breit und abgeplattet ist, die Augen nach rückwärts gerichtet sind und der Gaumen meist vier oder fünf gleichlaufende Reihen von größeren und längeren Zähnen trägt, als bei den vorstehenden beobachtet waren. Diesen wichtigsten Merkmalen gesellen sich andere hinzu: mittlere Größe, schlankerer Leib, gilbliche, selbst ins Rosenroth spielende Färbung, weiße oder gilbliche, ungefleckte Unterseite, regelmäßig quer gebänderte Beine und dergleichen mehr. Diese Form scheint, laut Schreiber, mehr auf den Süden beschränkt zu sein, findet sich namentlich in der Schweiz, in Frankreich, Dalmatien und Italien, lebt vorzugsweise in Sümpfen und erscheint und laicht später als die beiden anderen.


Thaufrosch (Rana temporaria). Natürliche Größe.
Thaufrosch (Rana temporaria). Natürliche Größe.

So verschieden die drei Formen unter sich sind, wenn man sie in ausgesuchten Stücken betrachtet, so wenig dürfen sie nach unseren heutigen Anschauungen als besondere Arten aufgefaßt werden; denn zwischen ihnen finden sich alle nur denkbaren Uebergänge. Dasselbe gilt auch für den nordamerikanischen Wasserfrosch (Rana sylvatica), welcher, laut Günther, auf den ersten Blick zwar ebenfalls wesentlich von unserem Thaufrosche sich unterscheidet, nach eingehenden Untersuchungen und Vergleichungen ganzer Reihen aller Formen des letzteren aber ebenfalls als eine Spielart des Grasfrosches sich erweist.

Ganz Europa, nach Noëls Befund vom Nordkap an bis zum äußersten Süden, ein bis jetzt noch nicht umgrenzter Theil Asiens, nach Osten hin bis Japan, und endlich der Osten der Vereinigten Staaten, von Maine an bis Virginien und vielleicht noch weiter südlich, sind die Heimat [578] des Thaufrosches, welcher auch im Gebirge bis zu zweitausend Meter unbedingter Höhe und höher emporsteigt, beispielsweise noch auf der Grimsel, neben dem Spital, oder in den oberen Alpenseen auf dem Gotthard gefunden wird, obgleich diese Seen oft bis zum Juli mit Eis bedeckt sind. Dasselbe gilt, laut Lessona und Salvadori, für die Alpen Piemonts. In der Ebene hält er sich, von den Wintermonaten natürlich abgesehen, nur während der Paarungszeit in Gewässern auf; im Hochgebirge hingegen vertritt er gewissermaßen den Teichfrosch, indem er das Wasser nach einem im ersten Jugendzustande unternommenen Ausfluge kaum wieder verläßt. Verhältnismäßige Unempfindlichkeit gegen Kälte gestattet ihm eine derartige Verbreitung. Er ist der erste von allen Froschlurchen, welcher aus dem Winterschlafe erwacht und zum Vorscheine kommt, paart sich, noch ehe die Gewässer frei vom Eise geworden, und seine Eier sind bereits ausgeschlüpft, bevor ein anderer Verwandter die seinigen gelegt hat; auch seine Larven entwickeln sich schneller als die anderer Frösche, und so wird es ihm möglich, noch in solchen Gegenden dauernd sich anzusiedeln, in denen der Sommer bloß wenige Wochen währt, wie beispielsweise in der Höhe jener Alpenseen. Der Wasserfrosch, welcher sich viel später begattet und länger im Larvenzustande bleibt, würde dort oben schwerlich zur Entwickelung gelangen; für den Thaufrosch hingegen ist der kurze Sommer lang genug, und wenn wirklich einmal früher als gewöhnlich Kälte eintritt, so überwintert auch die noch nichtumgewandelte Larve. In der Ebene beginnt die Begattungszeit schon in den ersten oder doch in den mittleren Märztagen, falls nicht ein besonders strenger Winter die Gewässer noch etwas länger unter seinem Banne hält. Die Eier gehen oft außerordentlich schnell ab, so daß nach Rösels Erfahrungen die ganze Anzahl zuweilen in weniger als einer Viertelstunde entleert und befruchtet worden ist. Die Brunst beider Geschlechter scheint besonders heftig zu sein, da man das Männchen vom Weibchen kaum losreißen kann, wenn es dieses erst einmal umschlungen hat, jenes auch nach einer gewaltsamen Trennung sofort wieder zum Weibchen zurückkehrt. Rösel beobachtete, daß ein Weibchen durch die stürmischen Umarmungen des Männchens gefährdet werden kann, da letzteres, wenn es größer ist als das erstere, durch heftigen Druck den Leib der Gattin zuweilen zersprengt, hat auch erfahren, daß man einzelnen Männchen eher den Schenkel losreißt, als sie zum Loslassen des Weibchens zwingt. Bei Mangel an Weibchen umarmen die Männchen einander, todte Weibchen, Kröten, und wenn mehrere noch unbeweibte Männchen ein vereinigtes Paar antreffen, hängen sie sich nicht selten an diesem fest, einen ungeordneten Klumpen bildend. Die Eier, welche größer, jedoch minder zahlreich als die des Teichfrosches sind, fallen nach dem Legen zu Boden; ihre Umhüllung saugt sich aber bald voll Wasser, und sie steigen dann wieder zur Oberfläche empor, hier große, dichte, schleimige Klumpen bildend. Bei der geringen Wärme, welche im Frühjahre herrscht, verlangsamt sich die Entwickelung. Erst nach vierzehn Tagen kann man die Larve deutlich wahrnehmen; drei, bei ungünstiger Witterung vier Wochen später kriecht sie wirklich aus und schwimmt umher, kehrt aber von Zeit zu Zeit zu dem verlassenen Schleime zurück, wahrscheinlich, um sich von ihm zu nähren. Von nun an beschleunigt sich ihre Entwickelung; denn schon im Verlaufe von drei Monaten haben sich die Larven in vollkommene Frösche verwandelt. Letztere verlassen hierauf das Wasser, und zwar unter günstigen Umständen in solchen Scharen, daß die alte Sage vom Froschregen eine sehr natürliche Erklärung findet.

Fortan beginnt das Thaufröschchen das Leben seiner Eltern. Abweichend von den Verwandten treibt es sich oft weit vom Wasser entfernt auf Wiesen und in Gärten, in Feldern und Wäldern, Gebüschen und auf ähnlichen Orten umher, an heißen Tagen unter Steinen, Baumwurzeln, in Erdlöchern und anderen Schlupfwinkeln sich verkriechend und mit der Dämmerung zum Vorscheine kommend, um seiner Jagd obzuliegen. Letztere gilt den verschiedensten Kerbthieren, nackten Erdschnecken und ähnlichem Kleingethier, bringt uns also nur Nutzen, wahrscheinlich weit größeren, als wir wähnen. Bei ihrem Umherhüpfen, welches gewöhnlich in kleinen Sprüngen geschieht, durchmustern die Thaufrösche ihre Umgebung, setzen sich, sobald sie ein Kerbthier gewahren, auf die Lauer und erwarten nun, mehr als sie aufsuchen, die erhoffte Beute. Kommt diese ihnen [579] nahe genug, so stürzen sie sich mit blitzschnellem Satze auf dieselbe los, schlagen die kleberige Zunge heraus und schlucken sie, falls der Fang gelang, ohne weiteres hinab, unterscheiden aber sehr wohl zwischen einer und der anderen Art, verschlucken beispielsweise Bienen, speien aber Wespen wieder aus.

In einer Hinsicht stehen die Thaufrösche hinter ihren Verwandten weit zurück: sie sind schlechte Musikanten. Nur zu gewissen Zeiten, insbesondere während der Paarung, lassen sie ein Murren oder Grunzen vernehmen, welches an Vollklang hinter dem Teichfroschgesange weit zurücksteht und von dem Weibchen fast ebensogut wie vom Männchen hervorgebracht wird. Im Gegensatze zu den Teichfröschen darf man sie wohl als stumm bezeichnen, namentlich zur Zeit der Sommermonate, während welcher sie vollkommen still und geräuschlos ihren Geschäften nachgehen.

Kein Froschlurch hat mehr, kein einziger so viele Feinde als der Thaufrosch. Ihm stellt Groß und Klein, zu Wasser und auf dem Lande, nach; er wird verfolgt in allen Lebenszuständen und ist erst dann vor Angriffen gesichert, wenn er sich zum Winterschlafe in den Schlamm zurückzieht. Alle Säugethiere, alle Vögel, welche Kriechthiere oder Lurche fressen, finden in ihm eine jederzeit leicht zu erlangende Beute; die lurchfressenden Schlangen richten ihr Augenmerk hauptsächlich auf ihn und scheinen ihn dem Teichfrosche entschieden vorzuziehen; letzterer selbst befehdet ihn, wie wir gesehen haben, wenigstens in den ersten Lebensjahren; selbst die Krebse machen zu seinem Nachtheile noch einen Unterschied zwischen ihm und dem Verwandten. Und diesem fast zahllosen Heere von Feinden schließt sich außerdem der Mensch an; denn wie der Teichfrosch, wird auch er, der feisten Schenkel halber, gefangen und geschlachtet. Außer dieser berechtigten Verfolgung trifft ihn ein Theil des Widerwillens, welcher den mit ihm sich umhertreibenden Kröten anhaftet, vergilt man ihm die Wohlthaten, welche er im stillen und geheimen wirkt auf Feldern und Wiesen, in Wäldern und Gärten mit schnödem Undank, schlägt man ihn todt aus reinem Widerwillen. Aber die tausende, welche ihr Leben verlieren, mindern glücklicherweise die Anzahl der nützlichen Thiere nicht oder doch kaum merklich: ein günstiger Frühling deckt den Verlust von zehn vorhergegangenen Jahren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 577-580.
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