Palythoa fatua

[484] Am interessantesten sind diejenigen Arten von Palythoa, welche auf bestimmten Arten von Schwämmen sich ansiedeln. Am meisten wieder unter diesen hat die Palythoa fatua von sich reden gemacht, der unausbleibliche Gesellschafter eines der merkwürdigsten Schwämme, nämlich des japanesischen Glasschopfes (Hyalonema mirabile). Ueber den letzteren haben wir an seinem Orte zu sprechen. Hier zeigen wir an einer ungefähr auf ein Drittel der natürlichen Größe verkleinerten Abbildung (S. 483), wie die Palythoa in Gestalt einer warzigen Rinde den Theil des im Schlamme wurzelnden Stieles des Schwammes überzieht, welcher über den Boden hervorragt.


Palythoa Axinellae. Etwas verkleinert.
Palythoa Axinellae. Etwas verkleinert.

Um 1860 waren in die europäischen Museen nur einzelne Exemplare des bei den Japanesen als Nippes sehr beliebten Glasschwammes gelangt, alle mit ihrem Aufwohner, der Palythoa. Die berühmtesten Mikroskopiker stritten sich darüber, ob das Ganze ein Polypenstock mit ihm angehörigen Kieselnadeln, oder ein Polypenstock, der sich auf einem künstlich zu einem Spielwerk zusammengefügten Bündel Schwammnadeln angesiedelt habe, oder endlich, ob das Ganze ein Schwamm sei, zu dem die vermeintlichen Polypen als Theile gehörten. Es bedurfte der genauesten Zergliederung durch den berühmten Mikroskopiker Max Schultze, um alle drei Annahmen als irrig zu erweisen und das Verhältnis der Palythoa zum Schwamme als »Kommensalismus« oder »Tischgenossenschaft«, wie van Beneden der Aeltere neulich es genannt hat, aufzuklären.

Fast um dieselbe Zeit hatte ich im Adriatischen Meere eine der japanesischen Art sehr nahe stehende Palythoa gefunden und zwar ausschließlich ebenfalls auf Schwämmen, zwei nahe verwandten Arten, Axinella verrucosa und cinnamomea. Unter vielen Hunderten von Exemplaren dieser Schwämme, welche damals und später durch meine Hände gegangen sind, ist kein einziges ohne seine Palythoa gewesen. Der Polyp pflanzt sich natürlich zu gewissen Zeiten durch Eier fort, die ausschlüpfenden Larven gehen aber offenbar zu Grunde, wenn sie nicht ihren Schwamm auffinden. Daß sie auf den Strecken des Meeresbodens, wo die Axinellen gedeihen, z.B. in der schönen Hafenbucht von Sebenico, massenhaft schwärmen, zeigt ihre Anwesenheit auf allen Schwammexemplaren. Wie aber finden sie dieselben und woran erkennen sie den ihrem Wohle freundlichen, gleich einer Pflanze festgewurzelten Genossen? Man wird geneigt sein, zu antworten: durch den Instinkt. Damit kommt man aber um kein Haar weiter, wenn man nicht einen bestimmten faßlichen Begriff davon sich erworben hat. Auch paßt, selbst wenn man unter Instinkt vererbte, in der Vererbung allmählich befestigte und von den Nachkommen unbewußt ausgeführte Gewohnheitsthätigkeiten versteht, eine solche Erklärung auf unseren Fall nicht. Das Auffinden und Erkennen der Axinellen durch die schwärmenden Palythoa-Larven ist nur durch ein unseren Sinnesthätigkeiten ähnliches Empfindungsvermögen erklärbar, da der Zufall aus offen daliegenden Gründen rundweg ausgeschlossen ist. Für unsere Nasen sind gerade jene beiden Axinellen sehr kenntlich, sie geben frisch, und selbst längere Zeit nachdem man sie hat eintrocknen lassen, einen ausnahmsweise guten, würzigen Geruch von sich. Hätten die jungen Palythoen etwas einem Geruchsorgane vergleichbares, so würden sie sich davon leiten lassen. Ein Etwas, das, wenn es auch weder Geruchs-, noch Geschmacks-, noch Gefühlswerkzeug nach unseren, aus der Beschaffenheit der höheren Thiere gebildeten Begriffen ist, doch in Wirkung und Nutzen mit allen diesen verglichen werden kann, müssen die Larven besitzen. Wir haben es in den Hautzellen [484] zu suchen, welche nicht bloß den schützenden Ueberzug bilden, sondern bei den niedrigsten Thieren auch die Empfindung im allgemeinsten und unbestimmtesten Sinne des Wortes vermitteln.


Antipathes arborea. Natürliche Größe.
Antipathes arborea. Natürliche Größe.

Die Palythoa ist kein eigentlicher Parasit, ich möchte sogar zurücknehmen, was ich oben von der Tischgenossenschaft gesagt. Sie nährt sich weder von den Säften und Weichtheilen des Schwammes, noch zehrt sie von dessen Nahrung. Sie verlangt von ihm nur Grund und Boden auf seinem Leibe und verspeist, was ihr von auswärts das Glück zuführt. Ob dem Polypen ein reeller Nutzen daraus erwächst, daß er von den Schwammnadeln in so unglaublicher Weise durchspickt wird, oder ob er sich nur, nach vielen Leiden seiner Vorfahren, welche anderer Vortheile willen mit ertragen wurden, daran gewöhnt hat, getraue ich mich nicht zu entscheiden.

Einige Arten von Palythoa (Epizoanthus) siedeln sich auf den von Eremitenkrebsen bewohnten Schneckenhäusern an. Sie kommen zwar nicht an den europäischen, wohl aber längs den nordamerikanischen Küsten vor, auch habe ich jüngst dergleichen von Kerguelen erhalten. Sie überziehen nach und nach das Gehäuse als eine ununterbrochene, mehrere Linien dicke Masse, über welche die einzelnen Polypen noch eben so hoch sich erheben können. Das Schneckenhaus löst sich unter dieser Decke ganz auf, und dann bildet der Polypenstock allein das Futteral für den Krebs. Der Dienst ist ein gegenseitiger; es sind nach van Beneden Mutualisten. Der Krebs wird durch den Polypen mit einem schützenden Mantel versehen, und der Polyp wird von jenem umhergefahren und mit frischem Wasser und neuer Nahrung versehen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 484-485.
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