Schwammfischerei und Schwammzucht

[532] Ehe ich zu meinen eigenen Beobachtungen über die Schwammfischerei an den dalmatinischen Küsten übergehe, will ich eine Beschreibung geben, wie sie im Griechischen Meere und an der syrischen Küste getrieben wird. Zu Anfang der sechziger Jahre reiste ein Mitglied der französischen Akklimatisations-Gesellschaft, Lamiral, nach jenen Fischereidi strikten, in der Absicht, lebende gute syrische Schwämme dort zu sammeln und sie an die provençalische Küste zu verpflanzen. Im Berichte über die Ausführung der Reise und des Projektes, welches schließlich nicht geglückt ist, findet sich folgende Schilderung: »Eine Segel- und Ruderbarke ist bemannt mit vier Fischern und einem Gehülfen. Nachdem der Taucher – Maronit, Grieche oder Muselman – sein Gebet verrichtet, stellt er sich auf das Vordertheil der vor Anker gelegten Barke. Nackt, ein Netz oder einen Sack um den Hals gehangen, hockt er sich auf die Fersen und umfaßt einen weißen, platten, an einem Ende abgerundeten Kalkstein. Derselbe bleibt durch eine feste Leine mit dem Boote verbunden. Nach langem, kräftigem Athemholen stürzt er sich kopfüber und in den vorgestreckten Händen den Stein haltend, der ihn hinabzieht. Auch mit den Füßen arbeitet er, um schneller zu tauchen. Auf dem Grunde angelangt, sucht er seine Beute«. An einer anderen Stelle des Berichtes erfahren wir, daß die Taucher in einer Tiefe von achtzehn Meter, also gegen sechzig Fuß, anderthalb bis drei Minuten aushielten, und der Taucher, welcher dies höchste Maß [532] leistete, behauptete im Laufe der Sommerzeit allmählich seine Fähigkeit, unter Wasser zu bleiben, auf vier Minuten bei einhundertundfunfzig Fuß Tiefe zu entwickeln. »Der Gehülfe, der mit ausgestrecktem Arme die Leine führt, an welcher der weiße Stein angebunden ist und welche auch der Taucher in der Hand behält, folgt allen Bewegungen desselben. Kann es letzterer nicht mehr aushalten, so gibt er durch einen Ruck ein Zeichen, und nun ziehen zwei Kameraden so emsig, daß sie den Taucher mit halbem Körper über das Wasser bringen. Ganz erschöpft klammert er sich an den Bord der Barke, und einer der Anderen reicht ihm zur Unterstützung die Hand, während ihm aus Mund, Nase und Ohren Wasser ausfließt, nicht selten mit Blut untermischt. Er braucht einige Augenblicke, um zu sich zu kommen. Und da die vier Fischer, welche der Reihe nach tauchen doch Zeit mit den Vorbereitungen dazu hinbringen, so kommt jeder in der Stunde ein-bis zweimal daran.

Diese Leute rudern bei Sonnenaufgang nüchtern aufs Meer und kommen erst eine bis zwei Stunden nach dem Verlassen der Fischereiplätze zurück, gewöhnlich zwischen zwei und drei Uhr nachmittags. Bei gutem Wetter und mittlerer Tiefe und auf günstiger Stelle kann jeder Taucher fünf bis acht Schwämme heraufbringen. Die Viere verständigen sich im Voraus über ihren Antheil; der Gehülfe erhält Tagelohn, auf die Barke kommt der fünfte Theil des Ertrages.«

An der dalmatinischen und istrischen Küste, wo ich mich sehr genau mit den Verhältnissen der Schwammfischerei bekannt gemacht, bemächtigt man sich der Schwämme nicht durch Tauchen, sondern mit der langen vierzinkigen Gabel, welche wir auf alten Bildwerken als Wahrzeichen des Neptun erblicken. Nur die Bewohner der kleinen Insel Krapano liegen diesem Gewerbe ob, und ihre dreißig bis vierzig Barken suchen während der guten Jahreszeit die zerrissene und inselreiche Küste ab. Je zwei Mann befinden sich auf einer starken Barke, deren Vorderdeck einen viereckigen Ausschnitt hat. In diesen stellt sich der die Gabel führende Mann, um über Bord gebeugt den Oberkörper sicher balanciren zu können. Der Stiel der Gabel ist zwanzig bis vierzig Fuß lang; eine Reservegabel und Stangen liegen immer auf einem am Borde angebrachten Gestelle. Der zweite Mann führt die Ruder, deren Ruhepunkte auf einem die Bordseite überragenden Balken liegen, wodurch die nothwendigen feinen Bewegungen des Bootes leichter und sicherer werden. Während er nun das Boot hart am Felsenufer über einem Grunde von zwölf bis vierzig Fuß Tiefe langsam hintreibt, späht jener scharfen Auges nach den durch ihre schwarze Haut sich kenntlich machenden Schwämmen. Am günstigsten ist natürlich völlige Windstille. Ist das Meer leicht erregt, so wird es mit Oel beruhigt. Zu diesem Ende liegt immer auf der Spitze des Bootes ein Haufen glatter Kiesel, und daneben steht ein Gefäß mit Oel. Der Fischer taucht einige der Steine mit der Spitze in die Flüssigkeit und wirft sie einzeln in einem Halbkreise um sich. Die Wirkung ist eine wundersame: die unmeßbar feine Oelschicht, die sich über mehrere Quadratklafter ausdehnt, reicht hin, um die kleinen Wellen zu besänftigen, das Auge wird nicht mehr durch die sich kreuzenden Spiegelungen und Brechungen gestört. Der Fischer aber muß die Schwämme nicht bloß mit den Augen erspähen; da sie am liebsten gedeckt wachsen, muß er mit der Gabel zwischen und wo möglich unter die Felsen tasten, und sicher ist ein großer Theil der gesuchten Beute dieser Art der Fischerei gar nicht zugänglich. Nachdem mit der Arbeit des Aufsuchens Schicht gemacht ist, werden die Schwämme am Ufer so lange getreten, geknetet und mit den Händen ausgedrückt und wiederholt gewaschen, bis die schwarze Oberhaut und alle zwischen den Fasern enthaltene Substanz verschwunden. Sie bedürfen, um vollkommen gut zum Gebrauche zu sein, nur einer nochmaligen Reinigung in lauem süßen Wasser. Ganz so werden die feinen syrischen und griechischen Schwämme von den dortigen Fischern behandelt.

Dem widerspricht nun, wird man mir mit Recht einwerfen, die tägliche Erfahrung, daß man jeden neu gekauften Schwamm mit vieler Mühe von dem feinen, zwischen den Maschen enthaltenen Sande befreien muß. Nun, die Sache ist sehr einfach. Die von den Fischern fast vollkommen rein aufgekauften Schwämme werden in den Magazinen der Großhändler – man sollte es kaum [533] glauben! – künstlich mit Sand beschwert, indem man sie mit Sand durcheinander schaufelt. Es wird kaum eine andere Waare geben, die man auf so verrückte Weise behandelt. Der Einzelverkauf geschieht bekanntlich nach dem Gewichte, da aber jedermann mit dem Händler weiß, daß eine gehörige Portion Sand mit ins Gewicht fällt, so ist trotz des Gewichtskaufes die Form des Schwammes und die Güte des Gewebes maßgebend.

Als ich natürlich gleich bei Beginn meiner wissenschaftlichen Studien meine Blicke auf die Schwammfischerei in den adriatischen Gewässern gelenkt hatte, machte ich Fischer und Behörden aufmerksam, daß der Ertrag durch eine vernünftige Regelung der Fischerei erheblich gesteigert werden müßte, wenn man sich z.B. dahin einigte, daß höchstens jedes dritte Jahr eine und dieselbe Lokalität abgesucht werden und die kleinen, im Handel fast ganz werthlosen Exemplare gar nicht gesammelt werden dürften. Diese Vorstellungen sind bisher an der Unvernunft der Fischer völlig gescheitert. Einen anderen Weg, die Produktion zu steigern, habe ich durch die künstliche Schwammzucht eingeschlagen. Die in den Jahren 1863 bis 1872 fortgesetzten Versuche und Unternehmungen haben von Seite der österreichischen Regierung und der Börsedeputation in Triest die nachhaltigste Förderung erfahren.


Pferdeschwamm (Euspongia equina), Durchschnitt. Natürliche Größe.
Pferdeschwamm (Euspongia equina), Durchschnitt. Natürliche Größe.

Ich schloß aus der Natur dieser niederen Organismen überhaupt und nach Erfahrungen, die einzelne Naturforscher, besonders Lieberkühn, bei der wissenschaftlichen Beobachtung an gebräuchlichen Schwammarten gemacht, daß, wenn man einen frischen Badeschwamm in passende Stücke theilen und dieselben geschützt und leicht erreichbar wieder ins Meer senken würde, diese anwachsen und sich zu neuen vollständigen Schwämmen entwickeln müßten. So ist es denn auch gekommen, das Princip hat sich vollkommen bewährt, und nach vielerlei praktischen Mißgriffen, die bei einem solchen Unternehmen nicht ausbleiben konnten, hatte ich mit meinem Freunde und Arbeitsgenossen, dem Telegraphenbeamten Buccich in Lesina die Freude in der schönen Bucht von Socolizza eine Zucht von 2000 Exemplaren aufzuweisen.

Die zur Zertheilung bestimmten Schwämme wurden in nächster Umgebung oder auch in Entfernung einiger Seemeilen aufgesucht und in einem durchlöcherten Kasten befestigt, daß sie sich nicht beschädigen und drücken konnten, nach der Zuchtstation gebracht. Dort wurden sie zertheilt, was bei der Zähigkeit des Schwammes und der Leichtigkeit, mit der die flüssige Sarcode ausfließt, mit sehr scharfem Messer zu geschehen hat, dann die Theilstücke von einem bis drei Kubikzoll entweder mittels hölzerner, oben mit einem Knopfe versehener Nägel an einem kastenähnlichen Gestell befestigt, oder sie wurden zu zwei und drei auf Stäbchen oder sogar auf, mit Kautschuk überzogenen Kupferdraht aufgereiht. Die Hauptbedingung für das Fortkommen ist, daß die Stücke nicht direktes Licht empfangen, auch wenn sie zwanzig bis dreißig Fuß tief versenkt sind. Durch geschickte Handgriffe, welche Herr Buccich bei der Anpflanzung anwendete, kam er so weit, daß von den auf den Stäbchen und dem Draht befestigten Stecklingen nur ein Procent mißrieth, und alle Schwämme unserer Anlage hatten eine schöne schwarze glänzende Farbe, die natürliche. Auch auf losen Steinen wurde eine Partie von Theilstücken befestigt, und sie sind in kürzester Zeit darauf angewachsen.

So konnte das Unternehmen, das seiner Zeit von der wissenschaftlichen und merkantilen Welt mit Interesse verfolgt wurde, damals, als es auf der Stufe eines gelingenden Versuches stand, [534] auch für die Zukunft als gesichert erscheinen. Und doch ist es gescheitert. Natur und Menschen haben das ihrige dagegen gethan. Die erstere sendete einen furchtbaren Feind in Gestalt des Pfahlwurmes (Teredo, s. oben S. 376), der alles Holzwerk der Anlagen zu zerstören begann, schließlich auch nicht die mit Steinkohlentheer imprägnirten Breter und Balken verschmähte. Unsere und ihre eigenen schlimmsten Gegner waren aber und sind geblieben die Küstenbewohner selbst und die Schwammfischer.

Anfangs verlachten sie mich. Als ich sie dann einmal eingeladen hatte, sich die Zucht zu besehen, erschienen vier Mann, Hohn und Spott in den Mienen. Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als ein Gestell nach dem anderen gehoben wurde und die in voller Lebenskraft daran befindlichen Schwämme ihnen zu Gesicht kamen. Sie bekreuzten sich wiederholt, denn es schien ihnen nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Trotzdem ist keiner der dalmatinischen, auf die Hantirung an der Küste und den Fischereierwerb angewiesenen Eingeborenen zu bewegen gewesen, auch nur den mindesten Versuch zum Betriebe einer Schwammzucht zu machen.


Nierenförmiger Lederschwamm (Chondrosia reniformis), aufgeschnitten. Natürliche Größe.
Nierenförmiger Lederschwamm (Chondrosia reniformis), aufgeschnitten. Natürliche Größe.

Im Gegentheile, die Anlagen wurden wiederholt zerstört, unsere gezogenen Stücke trotz einer Wache gestohlen. Da hat denn auch endlich im Kampfe gegen die Unvernunft mein treuer Genosse Buccich den Muth verloren. Das Rationelle und der volkswirtschaftliche Nutzen einer künstlichen Schwammzucht sollte nicht nur darauf beruhen, daß mit dem Aufgeben eines vorläufigen, aus dem Erlöse der zu zertheilenden Exemplare sich ergebenden Vortheiles derselbe nach drei bis vier Jahren versechsfacht sein kann, sondern hauptsächlich auf der allmählichen Regelung eines gewissen Verdienstes unter Minderung der Arbeit und Schonung des Naturproduktes. Das Raubsystem, welches die dalmatinischen Schwammfischer befolgen, muß allmählich den Ruin des Gewerbes mit einer Erschöpfung des natürlich wachsenden Schwammvorrathes herbeiführen. Bis jetzt haben diese auf einer sehr niedrigen Bildungsstufe stehenden Leute dafür noch kein Verständnis, und nachdem jene Vier ihre Verwunderung über das Gedeihen der Anpflanzung durch Bekreuzen und lebhafte Ausrufe ausgedrückt, fuhren sie davon, um auch künftig ganz in der alten, durch die Jahrhunderte geheiligten Weise planlos und sinnlos der Fischerei obzuliegen.

Die Fortpflanzung des Badeschwammes durch freie, aus Eiern sich entwickelnde Larven findet nach meinen Beobachtungen in Neapel im März und April, vielleicht auch später statt. In den Umgebungen der Wassergänge bilden sich zahlreiche Haufen von Embryonen ganz auf die Weise, wie im vorstehenden Durchschnitt eines Pferdeschwammes zu sehen. Es ist mir jedoch noch nicht gelungen, die weitere Entwicklung, das Durchbrechen nach außen, das Schwärmen und Ansetzen dieser gebräuchlichen Hornschwämme zu verfolgen. Die Anzahl der Nachkommen eines mäßig großen Badeschwammes ist eine außerordentliche. Wenn trotzdem die Klagen der Schwammfischer über schlechten Ertrag ihres mühsamen Gewerbes laut und die Schwämme immer theurer werden, so ist damit die von mir wiederholt hervorgehobene Nothwendigkeit von Schonzeiten bewiesen. Denn schon in den ersten Frühlingswochen beginnen die Schwammfischer ihre Raubzüge; sie vertilgen also Jahr für Jahr ungezählte Millionen ungeborener Brut.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 532-535.
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