Edelkoralle (Corallium rubrum)

[500] Mit der Gattung Isis, deren Stock aus mit einander abwechselnden Stücken von horniger und rein kalkiger Beschaffenheit besteht, ist der Uebergang zu der wichtigen, nur eine Art aufweisenden Edelkoralle, (Corallium rubrum) gegeben. Der Stamm oder die Korallenaxe besteht aus zahlreichen feinen Kalkschichten von so bestimmter mikroskopischer Struktur, daß der Kenner dieser Verhältnisse leicht an jedem Stückchen die Echtheit oder den Betrug nachweisen kann. Die noch frische, weder künstlich geglättete noch im Meere abgeriebene Axe ist mit feinen Längsfurchen bedeckt, in welchen die unterste Schichte der oben berührten Nahrungssaft führenden Kanäle verläuft. Die Naturgeschichte und Anatomie der Edelkoralle ist in erschöpfender Weise bei einem wiederholten Aufenthalte an der afrikanischen Nordküste von Lacaze-Duthiers studirt worden. Er fand, daß die Stöcke in der Regel entweder bloß männliche oder bloß weibliche Individuen enthalten, daß aber mitunter beiderlei Polypen auf einem Stocke gemischt vorkommen, ja daß sogar hermaphroditische Individuen unterlaufen. Die beistehende Abbildung (1) zeigt mäßig vergrößert einen Zweig eines Stockes mit mehreren geschlossenen und zwei aufgeschnittenen Kelchen. In dem oberen sieht man Eier, o, in dem unteren, t, eine größere Samenkapsel, und daneben ein Ei, o. Mit Besiegung vieler Hindernisse gelang es dem französischen Forscher, das Ausschlüpfen der Larven sowie deren Festsetzen und die weitere Entwickelung des Stockes Schritt für Schritt zu verfolgen. Die einen bis zwei Millimeter langen gewimperten Larven verlassen das Ei in der gefächerten [500] Leibeshöhle, Fig. 2, B, ihrer Mutter. Sie sind länglich wurmförmig, und wir sehen in unserem Bilde in dem Polypen mit eingezogenen Fühlern zwei solcher Larven, f g, durch die zarten Körperwandungen. Die mittlere Polypenzelle ist abgeschnitten; auch sie enthält zwei Larven. Aus der Mundöffnung der oberen, b, ist eine Larve, a, sich zu entwinden im Begriffe.

Das Vorkommen der Edelkoralle ist auf das Mittelmeer und Adriatische Meer beschränkt. Im letzteren reicht sie bis oberhalb Sebenico und wird an einigen Stellen der albanesischen Küste und zwischen den Jonischen Inseln schon häufiger gefunden. In diesem ganzen Gebiete wird sie bis jetzt nur von den Bewohnern der Insel Zlarin bei Sebenico gesucht. Ihre ziemlich starken, halbgedeckten Barken gehen bis zu den Jonischen Inseln und kehren nach mehrmonatlicher Abwesenheit im September heim. Der Ertrag ist im Verhältnisse zu dem der Korallenfischerei an der tunesischen und algerischen Küste unbedeutend. An diesen letztgenannten Gestaden, auf Bänken, die sich bis auf einige Seemeilen vom Ufer entfernt hinziehen, und bei einer Tiefe zwischen vierzig und hundert Faden, seltener darunter oder darüber, ist die Korallenfischerei am lohnendsten.


Orgelkoralle. Natürliche Größe.
Orgelkoralle. Natürliche Größe.

Sie wird vorzugsweise von Fahrzeugen mit italienischer Bemannung, weniger von Spaniern und Franzosen betrieben und ist ein hartes Gewerbe. Die Fahrzeuge variiren von sechs bis etwa sechzehn Tonnen Gehalt und vier bis zwölf Mann Besatzung, und danach richtet sich auch die Größe und Schwere des Gestelles und Netzes, womit die Korallen vom Grunde abgelöst werden. Ersteres besteht aus zwei über Kreuz gelegten und stark verfesteten Balken, bei den großen Fahrzeugen gegen drei Meter lang und an der Kreuzung mit einem Steine, besser mit einem Eisen beschwert. Daran hängen vierunddreißig bis achtunddreißig Bündel grobmaschiger Netze in Form von Beuteln oder Wischern, wie sie auf Schiffen zum Reinigen des Bodens gebraucht werden. Dieser an einem starken Seile befestigte Apparat wird nun geschleppt und je nach der Größe mit einer auf dem Hintertheile des Fahrzeuges befindlichen Winde oder mit der Hand aufgezogen und auf den Grund gelassen. Da die Korallen nur auf unebenem Felsenboden leben, am liebsten gedeckt unter Vorsprüngen, unter welche die Arme des Kreuzes eindringen sollen, so gehört das Festsitzen des Schleppapparates zu den täglichen und stündlichen Ereignissen und das fortwährende Flottmachen desselben zu den anstrengendsten und aufreibendsten Arbeiten, zumal die Fischerei unausgesetzt während der heißen Jahreszeit betrieben wird.

Die gewonnenen Korallen variiren als Rohmaterial ungemein an Güte und Werth. Von den von den Felsen abgerissenen, oft von Würmern und Schwämmen durchbohrten Korallenwurzeln kostet das Kilo (zwei Zollpfund) fünf bis zwanzig Franken. Der Preis der regelmäßig guten Waare schwankt zwischen fünfundvierzig und siebzig Franken das Kilo. Für das Kilo ausgewählter dicker und besonders rosenroth (peau d'ange) gefärbter Stücke werden vierhundert, ja fünfhundert und mehr Franken gezahlt. Die Stücke, welche entweder nur bis zu einer gewissen Tiefe oder durch und durch schwarz sind und als »schwarze Koralle« gesondert zu zwölf bis funfzehn Franken das[501] Kilo verkauft werden, kommen nicht etwa von einer besonderen Art, sondern waren längere Zeit vom Schlamme bedeckt und haben durch eine Art von Verwesungsproceß und noch unbekannte chemische Einwirkungen die Farbe geändert. Die obigen Angaben von Lacaze-Duthiers ergänzen wir durch eine statistische Uebersicht der Korallengewinnung aus dem Jahre 1875. Es liefen in diesem Jahre aus den Häfen des Marinebezirkes von Neapel vierhundertundsechzehn Barken aus, wovon zweihundertvierundsechzig an den italienischen Küsten ihrem Gewerbe oblagen, die übrigen sich nach den anderen Korallengründen des Mittelmeeres begaben. Sie fischten 23,000 Kilo erster Sorte, das Kilo zu hundertundzwanzig Franken, 20,000 Kilo zweiter Sorte zu fünfundsiebzig Franken und 67,436 Kilo zu sechs Franken, was im ganzen ein Erträgnis von 4,664,616 Franken gibt. Zieht man davon an Ausrüstung, Löhnen und Verköstigung 1,966,800 Franken ab, so bleibt ein Reingewinn von 2,697,816 Franken, welcher hauptsächlich den Korallenfischern von Torre del Greco zufällt. Die Verarbeitung zu Bijouterien und Schmuck geschieht zu Paris und Marseille, besonders aber in Neapel, Livorno und Genua.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 500-502.
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