Korallenriffe und Koralleninseln

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Korallenriffe und Koralleninseln

Der Bau und das Leben der Polypen als Einzelthiere und in Kolonien oder Stöcken, wie wir bisher an ausgewählten Sippen und Arten schildern konnten, bieten sicher genug des Wissenswürdigen und Fesselnden. Die Bedeutung des Polypenlebens ist aber eine weit allgemeinere. Viele tausende von Thiergeschlechtern kommen und gehen und verschwinden unmittelbar nach dem Tode spurlos. Sie lösen sich freilich nicht in Nichts auf, sondern ihre elementaren Bestandtheile kehren nur in den ewigen Kreislauf des Stoffes zurück. Sie hinterlassen jedoch nichts für das Auge. Die Polypen dagegen, wenigstens jene zahlreichen Formen, welche man zusammen als riffbauende Korallen bezeichnet, errichten sich Denkmäler für hunderttausende von Jahren, und der Einfluß auf das Körperleben und die Entwickelung des Menschengeschlechtes ist der wichtigste Punkt, auf den sich schließlich die Betrachtung des Polypenlebens zu koncentriren hat.

Welchen Zauber der bloße Anblick eines seichten Korallenriffes ausübt, hat kürzlich Haeckel nach einem Besuche der arabischen Küste des Rothen Meeres geschildert. Er ist aus dem Hafen von Tur hinausgesegelt, »wo wir die vielgerühmte Pracht der indischen Korallenbänke in ihrem vollen Farbenglanze schauen. Das krystallklare Wasser ist hier unmittelbar an der Küste fast immer so ruhig und bewegungslos, daß man die ganze wunderbare Korallendecke des Bodens mit ihrer mannigfaltigen Bevölkerung von allerlei Seethieren deutlich erkennen kann. Hier, wie im größten Theile des Rothen Meeres, zieht parallel der Küste ein langer Damm von Korallenriffen hin, ungefähr eine Viertelstunde vom Lande entfernt. Diese Dammriffe oder Barrierriffe sind wahre Wellenbrecher. Der Wogenandrang zerschellt an ihrer unebenen, zackigen Oberfläche, welche bis nahe unter den Wasserspiegel ragt; und ein weißer Schaumkamm kennzeichnet so deutlich ihren Verlauf. Auch wenn draußen auf dem Meere der Sturm tobt, ist hier in dem durch das Riff geschützten Kanale oder Graben das Wasser verhältnismäßig ruhig, und kleinere Schiffe können darin ungestört ihre Fahrt längs der Küste fortsetzen. Nach außen gegen das hohe Meer fällt das Korallenriff steil hinunter. Nach innen gegen die Küste dagegen flacht es sich allmählich ab, und meist bleibt die Tiefe des Kanales so gering, daß man die ganze Farbenpracht der Korallengärten auf seinem Boden erblicken kann.

Diese Pracht zu schildern vermag keine Feder und kein Pinsel. Die begeisterten Schilderungen von Darwin, Ehrenberg, Ransonnet und anderen Naturforschern, die ich früher gelesen, hatten meine Erwartungen hoch gespannt; sie wurden aber durch die Wirklichkeit übertroffen. Ein Vergleich dieser formenreichen und farbenglänzenden Meerschaften mit den blumenreichsten Landschaften gibt keine richtige Vorstellung. Denn hier unten in der blauen Tiefe ist eigentlich alles [503] mit bunten Blumen überhäuft und alle diese zierlichen Blumen sind lebendige Korallenthiere. Die Oberfläche der größeren Korallenbänke, von sechs bis acht Fuß Durchmesser, ist mit tausenden von lieblichen Blumensternen bedeckt. Auf den verzweigten Bäumen und Sträuchern sitzt Blüte an Blüte. Die großen bunten Blumenkelche zu deren Füßen sind ebenfalls Korallen. Ja sogar das bunte Moos, das die Zwischenräume zwischen den größeren Stöcken ausfüllt, zeigt sich bei genauerer Betrachtung aus Millionen winziger Korallenthierchen gebildet. Und alle diese Blütenpracht übergießt die leuchtende arabische Sonne in dem krystallhellen Wasser mit einem unsagbaren Glanze!

In diesen wunderbaren Korallengärten, welche die sagenhafte Pracht der zauberischen Hesperidengärten übertreffen, wimmelt außerdem ein vielgestaltiges Thierleben der mannigfaltigsten Art. Metallglänzende Fische von den sonderbarsten Formen und Farben spielen in Scharen um die Korallenkelche, gleich den Kolibris, die um die Blumenkelche der Tropenpflanzen schweben. – Noch viel mannigfaltiger und interessanter als die Fische sind die wirbellosen Thiere der verschiedensten Klassen, welche auf den Korallenbänken ihr Wesen treiben. Zierliche durchsichtige Krebse aus der Garneelengruppe schnellen haufenweise vorüber, und bunte Krabben klettern zwischen den Korallenzweigen. Auch rothe Seesterne, violette Schlangensterne und schwarze Seeigel klettern in Menge auf den Aesten der Korallensträucher; der Scharen bunter Muscheln und Schnecken nicht zu gedenken. Reizende Würmer mit bunten Kiemenfederbüschen schauen aus ihren Röhren hervor. Da kommt auch ein dichter Schwarm von Medusen geschwommen, und zu unserer Ueberraschung erkennen wir in der zierlichen Glocke eine alte Bekannte aus der Ostsee und Nordsee, die Qualle.

Man könnte glauben, daß in diesen bezaubernden Korallenhainen, wo jedes Thier zur Blume wird, der glückselige Friede der elysischen Gefilde herrscht. Aber ein näherer Blick in ihr buntes Getriebe lehrt uns bald, daß auch hier, wie im Menschenleben, beständig der wilde Kampf ums Dasein tobt, oft zwar still und lautlos, aber darum nicht minder furchtbar und unerbittlich. Die große Mehrzahl des Lebendigen, das hier in üppigster Fülle sich entwickelt, wird beständig vernichtet, um die Existenz einer bevorzugten Minderzahl zu ermöglichen. Ueberall lauert Schrecken und Gefahr. Um uns davon zu überzeugen, brauchen wir bloß selbst einmal unterzutauchen. Rasch entschlossen springen wir über Bord und schauen nun erst, von wunderbarem grünem und blauem Glanze umgossen, die Farbenpracht der Korallenbänke ganz in der Nähe. Aber bald erfahren wir, daß der Mensch ungestraft so wenig unter Korallen als unter Palmen wandelt. Die spitzen Zacken der Steinkorallen erlauben uns nirgends, festen Fuß zu fassen. Wir suchen uns einen freien Sandfleck zum Standpunkte aus. Aber ein im Sande verborgener Seeigel (Diadema) bohrt seine fußlangen, mit feinen Widerhaken bewaffneten Stacheln in unseren Fuß; äußerst spröde zersplittern sie in der Wunde und können nur durch vorsichtiges Ausschneiden derselben entfernt werden. Wir bücken uns, um eine prächtige smaragdgrüne Actinie, vom Boden aufzuheben, die zwischen den Schalenklappen einer todten Riesenmuschel zu sitzen scheint. Jedoch zur rechten Zeit noch erkennen wir, daß der grüne Körper keine Actinie, sondern der Leib des lebenden Muschelthieres selbst ist; hätten wir es unvorsichtig angefaßt, so wäre unsere Hand durch den kräftigen Schluß der beiden Schalenklappen elend zerquetscht worden. Nun suchen wir einen schönen violetten Madreporenzweig abzubrechen, ziehen aber rasch die Hand zurück, denn eine muthige kleine Krabbe (Trapezia), die scharenweise zwischen den Aesten wohnt, zwickt uns empfindlich mit der Schere. Noch schlimmere Erfahrung machen wir bei dem Versuche, die daneben stehende Feuerkoralle (Millepora) abzubrechen. Millionen mikroskopischer Giftbläschen entleeren bei der oberflächlichen Berührung unsere Haut, und unsere Hand brennt, als ob wir glühendes Eisen angefaßt hätten. Ebenso heftig brennt ein zierlicher kleiner Hydrapolyp, der höchst unschuldig aussieht. Um nicht auch noch mit einem brennenden Medusenschwarme in unliebsame Berührung zu kommen oder gar einem der nicht seltenen Haifische zur Beute zu fallen, tauchen wir wieder empor und schwingen uns in die Barke.

Welche fabelhafte Fülle des buntesten Thierlebens auf diesen Korallenbänken durch einander wimmelt und mit einander ums Dasein kämpft, davon kann man sich erst bei genauerem Studium [504] ein annäherndes Bild machen. Jeder einzelne Korallenstock ist eigentlich ein kleines zoologisches Museum. Wir setzen z.B. einen schönen Madreporenstock, den eben unser Taucher emporgebracht hat, vorsichtig in ein großes, mit Seewasser gefülltes Glasgefäß, damit seine Korallenthiere ruhig ihre zierlichen Blumenkörper entfalten. Als wir eine Stunde später wieder nachsahen, ist nicht nur der vielverzweigte Stock mit den schönsten Korallenblüten bedeckt, sondern auch hunderte von größeren und tausende von kleineren Thierchen kriechen und schwimmen im Glase herum: Krebse und Würmer, Kanker und Schnecken, Tascheln und Muscheln, Seesterne und Seeigel, Medusen und Fischchen; alle vorher im Geäste des Stockes verborgen. Und selbst wenn wir den Korallenstock herausnehmen und mit dem Hammer in Stücke zerschlagen, finden wir in seinem Inneren noch eine Menge verschiedener Thierchen, namentlich bohrende Muscheln, Krebse und Würmer verborgen. Und welche Fülle unsichtbaren Lebens enthüllt uns erst das Mikroskop! Welcher Reichthum merkwürdiger Entdeckungen harrt hier noch zukünftiger Zoologen, denen das Glück beschieden ist, Monate und Jahre hindurch an diesen Korallenküsten zu verweilen!«

Nach dieser ersten äußerlichen Bekanntschaft mit den uns Europäern am nächsten liegenden Korallenriffen muß sicherlich das Verlangen steigen, tiefer in die Eigenthümlichkeiten dieser Bildungen einzudringen und sie in ihrer allgemeinen Verbreitung kennen zu lernen. Wir halten uns an die Führung Dana's, die er in dem früher citirten Werke: »Korallen und Koralleninseln« niedergelegt hat. Wir werden die betreffenden Kapitel theils im Auszuge wiedergeben, öfters auch, wo es passend ist, wörtlich übersetzen, ohne immer wieder den ein für allemal genannten und anerkannten Gewährsmann zu nennen.

Alle riffbildenden Korallenarten leben in den Meeren der heißen Zone, wo die Abkühlung des Wassers selbst während des Winters nicht unter sechzehn Grad Réaumur herabgeht. Die höchste Sommerwärme im Stillen Oceane beträgt vierundzwanzig Grad Réaumur. Zwei Linien nördlich und südlich vom Aequator, welche die Orte jener gleichen Wintertemperatur verbinden und je nach den Strömungen vielfach ein- und ausgebuchtet sind, umschließen die Zone der Korallenriff-Meere. Schon unsere gewöhnliche Schulgeographie hat uns belehrt, daß zwar rings um die Aequatorialzone Riffe vorkommen, daß ihre Vertheilung aber äußerst verschieden ist.

Die von uns oben in Uebersicht gebrachten stockbildenden Korallen haben zum allergrößten Theile ihre eigentliche und ausschließliche Heimat zwischen diesen Grenzen. Erinnern wir uns nur an das spärliche Vorkommen von Korallen in dem sonst dem Thierleben so günstigen Mittelmeere. Riffbauer sind also alle Asträen, fast alle Pilzkorallen, die Madreporen und Poriten und die meisten Arten aus allen übrigen Familien und Sippen. Die größte Mannigfaltigkeit herrscht natürlich in dem mittleren heißesten Gürtel, zwischen funfzehn bis achtzehn Grad nördlich und südlich des Aequators, wo die Temperatur nicht unter 181/2 Grad Réaumur fällt. In diese Region fallen die Fidschi-Inseln, deren Riffe ein Beispiel außerordentlicher Fülle an Korallen geben. Asträen und Mäandrinen erreichen hier ihre höchste Entfaltung. Madreporen erscheinen als blütenbedecktes Strauchwerk, als große Becher und Blätter, welche letztere bis fast auf zwei Meter sich ausbreiten. Viele andere in ähnlicher Fülle und Ausdehnung. Die Hawaii-Inseln im nördlichen Theile des Stillen Oceans, zwischen neunzehn und zwanzig Grad, liegen außerhalb dieses heißesten Gürtels; ihre Korallen sind deshalb weniger üppig und artenreich. Es fehlen die Madreporen, und nur wenige Asträen und Fungien finden sich, während die weniger empfindlichen Poriten und Pocilloporen in großer Menge dort gedeihen.

Die Korallengattungen von Ostindien und dem Rothen Meere sind wesentlich dieselben, wie im Centraltheile des Stillen Oceans, ebenso die der Küste von Sansibar. Auch bei den Pomatus, den östlichen pacifischen Koralleninseln ist die Mannigfaltigkeit der Sippen und Arten sehr groß, aber nicht so groß, als westwärts.

Der Golf von Panama und die benachbarten Meerestheile nördlich bis zur Spitze der kalifornischen Halbinsel und südlich bis zu Guayaquil liegen auch noch in dem heißen Gürtel, aber in der [505] kühleren Zone desselben. Die Polypenarten von dort haben durchweg den pacifischen Charakter und sind gänzlich von den westindischen verschieden. Es sind deren nicht viele und auf eine geringe Anzahl von Gattungen beschränkt. Es läßt sich das aus der Beschaffenheit und Richtung der oceanischen Ströme längs der Westküste von Amerika erklären, welche die Linien gleicher Meerestemperatur sowohl von Norden als von Süden weit gegen den Aequator zurückdrängen und sowohl durch ihre niedrige Temperatur als durch ihre Richtung, indem sie sich westwärts wenden, die Wanderung von Arten aus dem mittleren Theile des Stillen Oceanes gegen Panama zu aufhalten und verhindern.

Obgleich die westindischen Riffe innerhalb des heißesten Gürtels liegen, sind sie doch im Verhältnisse zu denen des centralen pacifischen Meeresarm an Arten und Sippen. Wir finden dort einige große Madreporen, so Madrepora palmata, welche sich flächenhaft bis auf zwei Meter ausbreitet, dann die baumförmige Madrepora cervicornis, die eine Höhe von über vier Meter erreicht. Unter den wenigen Asträen sind die Mäandrinen am bemerkenswerthesten. Merkwürdigerweise lebt, nach Professor Verylls Beobachtungen, keine westindische Korallenart drüben an der Küste von Panama, und überhaupt scheint keine dieser westindischen Arten im Stillen oder Indischen Oceane vorzukommen. Auch aus der Vergleichung der Arten anderer Klassen geht hervor, daß mit der Aufrichtung der Landenge von Panama eine Isolirung eintrat, seit welcher die Artumbildung auf beiden Seiten unabhängig vor sich ging. Die nördlicher, aber im Striche des Golfstromes gelegenen Bermudas haben ihre wenigen Korallen von Westindien empfangen. Auch die Korallen der brasilischen Küste südlich vom Kap Rock ähneln im ganzen denen von Westindien, obschon die besonders charakteristischen Gattungen, Madrepora, Maeandrina, Oculina und andere fehlen.

Als Reinhold Forster mit seinem Sohne Georg vor hundert Jahren mit Cook die Koralleneilande der Südsee entdeckte, bildete er sich die Ansicht über ihre Entstehung, daß die riff- und inselbauenden kleinen Thierchen von unergründlichen Tiefen aus allmählich mit ihren Stöcken und Ablagerungen bis an den Wasserspiegel heran kämen, daß also dieselben Arten ihre Lebensbedingungen in den verschiedensten Tiefen fänden. Wir haben nun zwar durch die neueren Tiefsee-Forschungen in sichere Erfahrung gebracht, daß auch die tiefsten mit den Apparaten zum Heraufholen von Bodenproben erreichbaren Abgründe, eine Tiefe von einer geographischen Meile, noch einzelne, in manchen Strecken der Oceane sogar zahlreiche Thierarten der verschiedensten Klassen beherbergen. Aber was in solchen Tiefen lebt, hat sich den besonderen Verhältnissen der Tiefe mit der kolossalen Steigerung des Druckes, der Aenderung von Licht und Wärme, von Gasaustausch so akkommodirt, daß es oben nicht bestehen kann. Die Zahl der Tiefseepolypen ist nun überhaupt auffallend gering, und darunter findet sich keine Art, welche in einer größeren Tiefe riffbauend auftritt, geschweige denn, daß solche Bauten im Laufe der Jahrhunderte bei gleichbleibendem Spiegel des Grundes endlich zum Riffe oder zur sichtbaren Insel würde.

Die französischen Naturforscher Quoy und Gaimard, welche die Expedition des Admirals d'Urville nach der Südsee begleiteten, schlossen, daß die untere Grenze, bis zu welcher die Korallen lebten, mit fünf bis sechs Faden, also zehn bis zwölf Meter erreicht sei, eine Behauptung, welche von Ehrenberg nach seinen Untersuchungen im Rothen Meere bestätigt wurde. Doch zeigten sichere Messungen in der Südsee, daß noch bei zwanzig Faden Tiefe ein reiches Korallenwachsthum stattfinde. So beobachtete Darwin an den Riffen von Mauritius in dieser Tiefe Madreporen und Astraeen, und lebende Korallen wurden bis zu dieser Grenze von ihm und anderen an verschiedenen anderen Riffen der Südsee gefunden. Auch Ehrenbergs Angaben wurden erweitert und im Rothen Meere Lager lebender Korallen bei fünfundzwanzig Faden Tiefe entdeckt. Endlich bestimmte Pourtalés die Tiefe des Korallenlebens auf den Floridariffen mit funfzehn Faden; und so sind alle neueren Forscher darüber einig, auch Dana nach seinen reichen Erfahrungen, daß lebende riffbauende Korallen nur in verhältnismäßig geringer Tiefe und innerhalb schmaler [506] Höhenzonen vorkommen. Ueberall, wo man tiefer sondirt und mit Anker oder Schleppnetz vom Korallenboden Stücke abreißt, trifft man Korallentrümmer oder mehr oder minder verschonte, vom Sande bedeckte todte Stöcke. Eine der Ursachen dieser geringen Verbreitung in die Tiefe ist jedenfalls die Temperatur, welche die Vertheilung alles Lebens über den ganzen Ocean nach Breite und Tiefe so sehr beeinflußt. Sie kann jedoch unmöglich die einzige Ursache sein. Wie erwähnt, ist eine Wärme zwischen vierundzwanzig und achtzehn Grad dem Gedeihen der meisten riffbildenden Korallen zuträglich; und doch ist die Wassertemperatur in hundert Fuß Tiefe im mittleren Theile des Stillen Oceans meist über achtzehn Grad Réaumur.

Sehen wir uns nun die lokalen Ursachen an, von welchen das Wachsthum der Riffkorallen abhängt. Vor allen Dingen verlangen sie reines Seewasser, und sie gedeihen am besten in den breiten Binnenkanälen zwischen den Riffen, in den weiten Lagunen und im seichteren Wasser nach der Brandung zu. Es ist also ganz falsch, wenn man allgemein behauptet, daß in den Lagunen und Kanälen nur kleine Korallen wüchsen; das gilt nur für enge Lagunen und Kanäle und für solche Theile der breiteren Kanäle, welche unmittelbar an den Mündungen frischer Gewässer liegen. Unzweifelhaft verlangen gewisse Arten das offene Meer; wenn man aber die speciellen Verhältnisse untersucht oder die außen an der Brandungsseite gesammelten Polypen mustert, überzeugt man sich, daß die Thatsachen fehlen, um eine Liste solcher Arten zusammenzustellen. Von den massenhaften Asträen, Mäandrinen, Poriten und Madreporen zu schließen, die von den Wogen auf die Außenriffe geworfen werden, sind diese Sippen nach der offenen Seeseite zu sehr gut vertreten. Auf den Pomatu-Inseln findet man an der Küste einzelne Stöcke von Porites von zwei bis zwei und einem halben Meter im Durchmesser.

Arten derselben Sippe wachsen oben auf den Riffen, und einige sind dieselben, die auch in größeren Tiefen vorkommen. Zahlreiche Astraeen, Mäandrinen und Madreporen leben an der Außenseite der Riffe, wo die Wogen mit voller Kraft anprallen. Dort trifft man auch zahlreiche Milleporen, sowie einige Poriten und Pocilloporen. Die zarteren Montiporen aber, die inkrustirenden Arten ausgenommen, leben im ruhigen Wasser. Die genannten Arten wachsen nun auch im seichten Wasser innerhalb der Riffe. So sind Asträen, Mäandrinen und Pocilloporen hier nicht ungewöhnlich, verlangen aber reines Wasser. Einzelne Madreporenarten kommen jedoch noch im unreinen Wasser fort, ebenso gewisse Poriten; diese wachsen hier und da einige Centimeter über den Strich des niedrigen Wassers heraus, wo sie der Sonne und dem Regen ausgesetzt sind. An den im unreinen Wasser an den Küsten wachsenden Poriten macht sich der Einfluß von dem vom Lande abgeschwemmten Absatz so geltend, daß die Korallenstöcke sich nur flach ausbreiten, indem die höheren Theile durch den Absatz getödtet werden; und ganz allgemein: wo Flüsse oder Bäche Absatz herbeiführen, kommen Korallen nicht fort. Wir finden deshalb auch nur wenige Polypen an sandigen oder schlammigen Küsten. Auch in solchen Lagunen, welche nicht hinlänglich von dem Meere aus mit frischem Wasser gespeist und wegen starker Verdunstung zu salzig werden, finden sich keine Korallen; endlich kann Ueberhitzung des Lagunenwassers zum Aussterben der Polypen führen.

Ueber die unglaubliche Fülle von Lebensformen, welche sich auf und in den Korallenstöcken ansiedeln, diese wesentlich zerstören, aber doch auch, soweit sie harte Theile absondern, ihr Theil zum Baue der Riffe beitragen, hat uns schon Haeckel erzählt. Aehnlich berichtet L. Agassiz nach seinen Untersuchungen der Floridariffe: Unzählige bohrende Thiere siedeln sich in den todten Theilen der Stöcke an, höhlen sie inwendig nach allen Richtungen aus und lösen ihre feste Verbindung mit dem Boden; auch dringen sie bis in die, die lebenden Polypen enthaltende Außenschicht vor. Diese zahllosen bohrenden Thiere gehören sehr verschiedenen Klassen an. Zu den thätigsten gehören die Meerdattel (Lithodomus), verschiedene Stein- und Felsbohrmuscheln (Saxicava, Petricola), Archenmuscheln (Arca) und zahlreiche Würmer, unter denen die Serpula die größte und gefährlichste ist, indem sie regelmäßig durch den lebenden Theil der Stöcke vordringt, besonders in Madreporen. [507] Am freien unteren Theile einer Mäandrine, nicht ganz zwei Drittelmeter im Durchmesser, zählte Agassiz funfzig Höhlungen der Meerdattel außer hunderten von kleinen Wurmlöchern. Alle diese Zerstörungen sind aber nichts gegen die von den Bohrschwämmen verursachten. Wir werden dieselben mit den übrigen Schwämmen näher kennen lernen. Hier wollen wir aber noch Darwin hören, der in seinem bahnbrechenden Buche über den Bau und die Verbreitung der Korallenriffe folgendes vom Keeling-Atoll erzählt: »An der Außenseite des Riffes muß durch die Thätigkeit der Brandung auf die herumgerollten Bruchstücke von Korallensubstanz viel Niederschlag gebildet werden; aber in den ruhigen Wässern der Lagunen kann dies nur in einem geringen Grade stattfinden. Es finden sich indessen hier andere und unerwartete Kräfte in Thätigkeit; große Scharen zweier Arten von Papageifischen, die eine die Brandung außerhalb des Riffes und die andere die Lagunen bewohnend, leben gänzlich vom Abweiden der Polypenstöcke. Ich öffnete mehrere dieser Fische, welche sehr zahlreich und von beträchtlicher Größe sind, und fand ihre Eingeweide durch kleine Stücke von Korallen und fein zermalmte kalkige Substanz ausgedehnt. Diese muß täglich als feinster Niederschlag von ihnen abgehen. Auch leben die Holothurien von lebendigen Korallen; und das eigenthümliche knochenartige Gebilde innerhalb des vorderen Endes ihres Körpers scheint sicherlich diesem Zwecke gut angepaßt zu sein. Die Zahl der Arten von Holothuria und der Individuen, welche auf jedem dieser Korallenriffe herumschwärmen, ist außerordentlich groß; und wie bekannt ist, werden jährlich viele Schiffsladungen nach China mit Trepang verfrachtet, welches eine Art dieser Gattung ist. Die Menge von Korallen, welche jährlich durch diese Geschöpfe und wahrscheinlich noch durch viele andere Arten verzehrt und zu dem feinsten Schlamme gemahlen werden, muß ungeheuer sein. Diese Thatsachen sind indessen von einem anderen Gesichtspunkte noch bedeutungsvoller, da sie uns zeigen, daß es für das Wachsthum der Korallenriffe lebendige Hindernisse gibt, und daß das beinahe ganz allgemeine Gesetz des ›Verzehrens und Verzehrtwerdens‹ selbst für die Polypenstöcke gilt, welche diese massiven Bollwerke bilden, die im Stande sind, der Macht des offenen Oceans zu widerstehen«.

Auf der anderen Seite dringen Röhrenwürmer und gewisse Rankenfüßer (z.B. Creusia) in lebende Korallen, ohne ihnen zu schaden. Sie heften sich beim Uebergange aus dem Larvenzustande auf der Oberfläche des Stockes an und werden von den wachsenden Polypen allmählich in den Stock eingebettet, ohne ihn zu verunstalten oder sein Wachsthum zu stören. Manche Serpeln halten im Wachsthume gleichen Schritt mit dem Stocke, und ihre Röhre reicht dann tief in die Korallenmasse hinein. Entfalten sie zwischen den Polypenkelchen ihre Kiemen, so gibt das einen prächtigen Anblick.

Dana hat in seinem Werke ein besonderes Kapitel den Beobachtungen über das Wachsen der Korallen gewidmet, das heißt der Wachsthumsverhältnisse einzelner Arten, nicht der Riffe, welche von ganz anderen und komplicirten Bedingungen abhängen. Schon 1830 stellte ein Dr. Allen an der Küste von Madagaskar Versuche darüber an. Er brach im December eine Anzahl Korallenstücke aus, versenkte sie auf einer seichten Bank bis einen Meter unter dem Ebbespiegel, und fand im Juli, daß sie fast die Oberfläche erreicht hatten und im Boden ganz festgewachsen waren. Die Erzählung, daß im Persischen Golfe der Kupferbeschlag eines Schiffes im Laufe von zwanzig Monaten mit einer zwei Drittelmeter dicken Kruste von Polypen bedeckt worden, wird von Darwin als verdächtig bezeichnet. Bei einer anderen Angabe, daß nämlich auf einer etwa zweijährigen Auster eine Pilzkoralle von 11/4 Kilogramm gefunden worden sei, weiß man unglücklicherweise nicht, ob die Auster lebte, oder ob die Koralle Zeit hatte, auf der todten Schale zu wachsen.

Weinland sah in einer kleinen seichten Bucht in Hayti mehrere Aeste der Madrepora cervicornis sieben bis zwölf Centimeter über den Spiegel herausragen. Die Polypen waren auf allen der Luft ausgesetzten Theilen abgestorben. Das war im Juli. Und da im Winter das Wasser an jener Küste einen bis zwei Meter höher als im Sommer steht, so ist der Schluß gerechtfertigt, daß der Polypenstock in den drei Wintermonaten sieben bis zwölf Centimeter wächst. Andere sichere Beobachtungen anderer Forscher haben ergeben, daß ein Stock von Maeandrina labyrinthica [508] dreißig Centimeter im Durchmesser und zehn Centimeter hoch in zwanzig Jahren gewachsen war. Wir übergehen verschiedene andere Nachrichten und theilen nur noch die sehr interessanten Beobachtungen über die Inkrustirung eines Schiffes mit, welches 1792 an der amerikanischen Küste scheiterte und dessen Wrack in einer Tiefe von etwa vier Faden 1857 untersucht wurde. Es fand sich, daß eine Madrepore während der vierundsechzig Jahre die Höhe von fünf Meter erreicht hatte, also durchschnittlich acht Centimeter jährlich gewachsen war, während massige Polypenstöcke, welche sich daneben angesiedelt hatten, ein verhältnismäßig weit langsameres Wachsthum zeigten. Alle diese Angaben rühren von gelegentlichen Beobachtungen her, und es mangelt ebenso für die Polypen wie für die anderen wirbellosen und die meisten höheren Thiere an planmäßigen Versuchen.

Wir treten nun nach diesen vorbereitenden, das Leben der riffbildenden Korallen betreffenden Untersuchungen, an das eigentliche Thema dieses Abschnittes heran.

Korallenriffe und Koralleninseln sind Bildungen derselben Art, aber unter etwas verschiedenen Verhältnissen. Eine Koralleninsel ist unter allen Umständen einmal eine lange Zeit hindurch ein Riff gewesen und ist es noch zum großen Theile. Doch bedeuten die Namen etwas verschiedenes. Koralleninseln sind isolirt im Meere stehende Riffe, welche entweder nur bis zum Wasserspiegel reichen und halb untergetaucht sind, oder bedeckt mit Pflanzenwuchs. Korallenriffe aber, außerdem daß sie eine allgemeine Bezeichnung sind, nennt man im besonderen die Korallenbildungen längs der Küsten hoher Inseln und des Festlandes.

Wir beginnen mit den letzteren. Die Korallenriffe sind also Bänke von Korallenfelsen im Meere längs der Küsten tropischer Länder. Im Stillen Oceane sind diese Landmassen, mit Ausnahme von Neu-Kaledonien und einigen anderen, Inseln vulkanischen Ursprunges, oft von Gebirgshöhe. Die sie umgürtenden Riffe sind bei Flut gewöhnlich ganz unter Wasser. Zur Ebbezeit aber bieten sie sich dem Blicke als breite, flache, nackte Felsenflächen dar, gerade über dem Wasserspiegel, sonderbar abstechend von den jähen Abhängen der von ihnen umfaßten Insel.

Nähert man sich in einem Schiffe einer Korallenküste, so ist, wenn gerade Flut, das erste Zeichen eine Linie schwerer Brandung, oft meilenlang und in großer Entfernung vom Lande. Kommt man etwas näher heran, so unterscheidet man wohl einzelne Stellen des Riffes, wenn gerade eine Woge zurückläuft; aber im nächsten Augenblicke ist wieder alles ein Wassergewoge. Ein Glück ist es für das kreuzende Schiff in unbekannten Riffregionen, wenn die brandenden Wellen ununterbrochen die Rifflinie bezeichnen. Denn mitunter tritt eine trügerische Ruhe ein, welche tiefes Wasser vermuthen und das Fahrzeug arglos vorwärts gehen läßt, bis es bald über Korallenmassen schleift, dann schwer in kurzen Zwischenpausen aufstößt und einige Augenblicke später hülflos auf dem Riffe gescheitert ist. Bei Ebbe besänftigt die Brandung sich oft ganz oder fast ganz. Aber dann ist das Riff meist in voller Sicht, und bei aufmerksamer Wache, günstigem Winde und vollem Tageslichte die Schiffahrt verhältnismäßig sicher.

Die beifolgende Skizze gibt eine Vorstellung von einer so eingefaßten tropischen Insel. Das Riff zur rechten Seite bildet einen Gürtel unmittelbar um die Küste und erscheint als eine Fortsetzung des Landes. Es findet sich dieses Gürtelriff (Strandriff, Küstenriff, Saumriff) auch auf der linken Seite, aber außerhalb desselben, getrennt durch einen Kanal, ist noch ein Barrierriff oder Dammriff. An einer Stelle ist die Insel von einer Steilküste begrenzt, und hier, infolge des Absturzes und der Tiefe, fehlt das Riff. Das Barrierriff ist von einem Eingange durchbrochen, welcher in einen Hafen führt, wie deren sich oft an solchen korallenumgebenen Inseln finden. Während manche Inseln nur schmale Gürtelriffe haben, sind andere zum großen Theile oder ganz durch den Damm umzäunt, welcher das Land wie ein künstlicher Hafenmolo vor den Angriffen des Meeres schützt. Das Dammriff ist mitunter zehn bis funfzehn Meilen vom Lande entfernt und umschließt nicht nur eine, sondern mitunter mehrere hohe Inseln. Von Riffen von so großem Umfange bis zu den einfachen Gürtelterrassen gibt es alle möglichen Uebergänge.

[509] Der Binnenkanal ist bei Ebbe oft kaum tief genug für Boote, kann auch mitunter ganz trocken liegen. Dann wieder ist er nur eine enge, verschlungene Passage, in welcher große Korallenklötze die Schiffahrt gefährden. Und wiederum zeigt er meilenlange Strecken offenes Wasser, worin ein Schiff gegen den Wind bei zehn, zwanzig und vierzig Faden laviren kann; doch fordern verborgene Untiefen zur Vorsicht auf. Ausbreitungen von lebenden Korallen von wenigen Quadratfuß bis auf mehrere (englische) Quadratmeilen sind über die breite Bodenfläche innerhalb der weit vorgeschobenen Barriere zerstreut. Alle diese mannigfaltigen Formen kann man an einer einzigen Inselgruppe finden, den Fidschi.

Es versteht sich von selbst, daß die oben beschriebenen Gürtel- und Dammriffe nicht für sich allein das ganze Korallenriff ausmachen; es sind eben nur die Bestandtheile, welche bis an den Wasserspiegel reichen. Zwischen ihnen und außerhalb des Dammriffes finden sich unterseeische Bänke im Zusammenhange mit den höheren Theilen, und alle zusammen bilden den Korallenriffgrund einer Insel.


Hohe Insel mit Barriere- und Gürtelriffe.
Hohe Insel mit Barriere- und Gürtelriffe.

Auch ergibt sich aus dem Angeführten eine große Verschiedenheit in der Ausdehnung der Riffgründe. An manchen Küsten finden sich nur zerstreute Gruppen von Korallen oder einzelne hügelartig auftauchende Bildungen, oder bloße Spitzen von hervorragenden Korallenfelsen. Dann wieder, z.B. westlich von den beiden großen Fidschi-Inseln, breitet sich etwa eine Strecke von gegen dreitausend (englischen) Quadratmeilen Riffgrund aus. Das Dammriff von Vana Levu allein ist über hundert (englische) Meilen lang. Neu-Kaledonien wird längs seiner ganzen westlichen Küste, 2,50 (englische) Meilen, von einem Riffe begleitet, das sich noch hundertundfunfzig Meilen nach Norden fortsetzt. Das große australische Dammriff bildet sogar eine unterbrochene Linie von eintausendzweihundertundfunfzig Meilen Länge.

Bei einer näheren Untersuchung und Beschreibung der Riffbildungen hat man zu unterscheiden: 1. die Außenriffe, gebaut von Korallen, welche dem offenen Meere ausgesetzt sind. Alle eigentlichen Dammriffe und die nicht von solchen geschützten Gürtelriffe gehören hierher. 2. Binnenriffe, welche in ruhigem Wasser zwischen einem Damme und der Küste einer Insel sich befinden. 3. Kanäle oder Seeflächen innerhalb der Dammriffe, welche den verschiedenen von den Küsten oder den Riffen abgelösten Absatz aufnehmen. 4. Strand und Strandbildungen, nämlich Anhäufungen von Sand und Korallen an den Küsten, verursacht durch Wellen und Winde. Die genauere Schilderung dieser Verhältnisse würde uns jedoch hier zu weit führen, und verweisen wir die Leser, welche sich specieller unterrichten wollen, auf Dana's Werk. Aber was er über den Nutzen der Korallenriffe sagt, wollen wir hier einschalten.

Alle von Korallen umgebenen Küsten, und besonders diejenigen von Inseln mitten im Ocean, haben große Vortheile von ihren Riffen. Die ausgedehnten Korallenbänke und die hinter ihnen liegenden Kanäle erweitern außerordentlich den zu den Inseln, welche sie umgürten, gehörigen Bezirk. Abgesehen davon, daß sie Mauern bilden gegen den Ocean, sind sie zugleich Deiche, welche den von den bergigen Küsten herabgeschwemmten Boden ansammeln. Sie veranlassen die vom [510] Lande herabkommenden Gewässer, den Schlamm, welchen sie mit sich führen, abzusetzen und erhalten ihn so dem Lande. Sie verhindern also die Zerstörung, welche an allen Küsten ohne solche Schutzdämme vor sich geht.


Koralleninsel oder Atoll.
Koralleninsel oder Atoll.

Denn der Ocean frißt nicht nur an den ungedeckten Küsten, sondern verschlingt auch alles, was die Flüsse ihm zuführen. Das Rewa-Delta von Viti Levu, gebildet vom Absatze eines großen Flusses, bedeckt fast sechzig (englische) Quadratmeilen. Das ist allerdings ein extremer Fall in der Südsee, wo nur wenige Inseln jenen Umfang erreichen, also auch Flüsse von solcher Stärke selten sind. Nicht oft aber wird man eine von Rissen umgebene Insel finden ohne einige Landvergrößerungen dieses Ursprunges. Und auf diesem Schwemmlande pflegen die Dörfer der Eingeborenen zu liegen. So finden sich solche Ebenen rings um Tahiti, eine halbe bis drei Meilen breit, und gerade auf ihnen gedeihen die Kokos- und Brodfruchthaine am freudigsten.

Die Riffe erweitern auch die Fischergründe der Eingeborenen und locken reichlich Fische an, fast die einzige Fleischnahrung jener. Die von ihnen eingeschlossenen Gewässer fordern zur Schiffahrt auf und erleichtern die Verbindung zwischen den Niederlassungen. Die Eingeborenen pflegen dann auch besonders unternehmend zu sein, da jene Umstände die Erbauung großer Segelboote begünstigen, in welchen sie über ihr eigenes Land hinaus gehen und oft Reisen auf hunderte von Meilen unternehmen. Während die reinen Felsenküsten, wie St. Helena, hafenlos und dünn bevölkert zu sein pflegen, sind die Korallenkü sten bis an den Strand mit Vegetation bedeckt und weite Ebenen mit Brodfrucht-Bäumen und anderen tropischen Gewächsen bestanden. Aus denselben Ursachen öffnen sich sichere Häfen; manche Inseln zählen ein Dutzend, während die ungeschützten Küsten kaum einen einzigen guten Ankerplatz aufweisen. Sogar zum Welthandel liefern die umfangreicheren Riffregionen ihren Beitrag: außer Perlen, jene »Trepang« genannten eßbaren Holothurien, von denen tausende von Centnern jährlich von den ostindischen und australischen Riffen und von den Fidschi nach China eingeführt werden.

Den eben beschriebenen Korallenriffen ähneln die Koralleninseln sehr; es sind Riffe, welche eine Art von See, die Lagune, einschließen. Der Streifen, welcher sich um das eingeschlossene Wasser zieht, ist gewöhnlich nur hundert bis zweihundert Meter breit, an einzelnen Stellen so niedrig, daß die Wogen noch darüber hin in die Lagune schlagen, an anderen von reicher Tropenvegetation bedeckt; selten erhebt er sich mehr als zehn bis zwölf Fuß über die Fluthöhe.

Vom Borde eines Schiffes von ferne gesehen, erscheint die Koralleninsel als eine Reihe sich vom Horizonte abhebender dunkler Punkte. Sie verwandeln sich in die fiedrigen Gipfel von Kokosbäumen, und eine grüne, da und dort unterbrochene Linie zieht sich am Wasserspiegel hin. Dann, in nächster Nähe, breitet sich die Lagune mit ihrem grünen Gürtel vor den Augen aus, ein Anblick, wie man ihn wunderbarer sich nicht vorstellen kann. Außen, längs des Riffes, die brüllende schwere Brandung, drinnen der weiße Korallenstrand, das dichte Grün und der eingeschlossene See mit [511] seinen winzigen Inselchen. Die Farbe des Lagunenwassers ist oft dasselbe Blau, wie das des offenen Meeres bei einer Tiefe von zehn bis zwölf Faden; aber grüne und gelbe Tinten sind dazwischen, da wo Sandgrund und Korallen nahe an die Oberfläche steigen. Das Grün ist ein zartes Apfelgrün, ganz unähnlich der gewöhnlichen unreinen Schattirung seichten Gewässers.

Obgleich der Gürtel von Vegetation mitunter die ganze Lagune rings umsäumt, ist er doch gewöhnlich durch Barrenriffe von verschiedener Ausdehnung in einzelne Inselchen getheilt; und oft finden sich in einem oder mehreren dieser Zwischenräume schiffbare Kanäle, welche den Eingang in die Lagune gestatten. Die größeren Koralleninseln pflegen so eine Reihe von Inselchen längs einer Linie von Riffen zu sein. Man nennt nach einem Maldivischen Worte diese Laguneninseln Atolls.

Was den Bau derselben anbetrifft, so stimmen sie wesentlich mit den Außenriffen überein, welche hohe Inseln umgeben; in beiden Fällen sehen wir nach und nach Land auftauchen und die von den Wogen bespülte weiße Strandbildung in die von ewigem Grün bedeckten höheren Stellen übergehen. Auch der Vergleich der Lagune mit den Kanälen hinter den Außenriffen ergibt sich von selbst.

Wir haben, wenn auch nur sehr obenhin, die äußeren thatsächlichen Verhältnisse der Riffe und Atolls kennen gelernt, und können nun auf die Art und die Ursachen ihrer Bildung und ihrer Erscheinung eingehen.

In der Schilderung aus dem Rothen Meere hat Haeckel von der Pracht der »Korallengärten« gesprochen. Dana, der vorzugsweise die Riffe der Südsee im Auge hat, sagt, daß die Worte »Korallenpflanzung« und »Korallenfeld« geeigneter seien, den Eindruck der Oberfläche eines wachsenden Riffes wiederzugeben. Gleich einer Strecke wilden Landes, das hier mit verschiedenem Gesträuche bedeckt ist, dort auf unfruchtbaren Sandflächen nur einzelne grüne Fleckchen trägt, hier einen Haufen Bäumchen, dort einen Teppich bunter Blumen – so sieht die Korallenpflanzung aus, über die man nochmals einen Blick werfen muß, ehe man an ihre Erklärung geht. Verschiedene niedere festsitzende Thiere wachsen über die Oberfläche zerstreut, wie Pflanzen auf dem Lande; aber während große Flächen dicht damit besetzt sind, tragen andere weite Gründe nichts. Aber kein grüner Rasen, sondern Sand und Bruchstücke von todten Korallen und Korallenfelsen füllen die Zwischenräume zwischen den blühenden Gebüschen aus, und wo die Polypen dicht gedrängt wachsen, finden sich tiefe Höhlen zwischen den steinigen Stämmen und Blättern.

Diese Felder lebender Korallen breiten sich auf den untermeerischen Gründen aus, an den Küsten von Inseln und Festland, aber nicht tiefer als ihre Eigenthümlichkeiten es verlangen, genau so, wie Pflanzen so weit gehen als ihrer Natur zusagt. Die schwärmenden Larven setzen sich in irgend einem geschützten Winkelchen an einem Felsen, einem todten Korallenstocke oder sonst einer Unterlage fest, und von da erhebt sich der Baum oder eine andere Form des Korallengewächses. Der Vergleich mit dem Wachsthume der Pflanzen läßt sich noch weiter führen. Bekanntlich tragen die Trümmer und Abfälle des Waldes, Blätter und Stämme, auch thierische Ueberreste, zur Bildung des Bodens bei; und in Sümpfen und Mooren nimmt die Anhäufung solcher Ueberreste unaufhörlich zu und bilden sich tiefe Schichten von Torf. Aehnlich ist die Entstehungsgeschichte der Korallenmatten. Fortwährend häufen sich größere und kleinere, sandartige Bruchstücke der auf den Riffen lebenden Polypen, von Mollusken, und überhaupt Ueberbleibsel von Organismen an; und so bildet und verfestigt sich eine Schicht von Korallentrümmern. Diese Trümmer füllen die Zwischenräume zwischen den mit Korallen bestandenen Flecken und die leeren Stellen zwischen den einzelnen lebenden Stöcken aus und bilden auf diese Weise den Riffabsatz, bis endlich die Schicht noch unter Wasser fest geworden ist. Dieser Art des Aufbaues und Wachsthumes des Riffes sind die Wachsthumsverhältnisse der Polypen auf das genaueste angepaßt, oder, wie man umgekehrt sagen kann, das Wachsen des Riffes hängt von dem eigenthümlichen Wachsen der Polypenstöcke ab: die Stöcke sterben unten ab, während sie oben wachsen, und nur die todten Theile werden von den Anhäufungen der Trümmer bedeckt.

[512] An der Herbeischaffung dieser Trümmer hat nun die Arbeit der Ströme und Wogen den größten Antheil. Wir haben gesehen, daß die riffbauenden Polypen mitten in den Wellen gedeihen und selten tiefer als dreißig Meter hinabsteigen, zu einer Tiefe, die noch durchaus im Bereiche der mächtigeren Bewegungen des Meeres liegt. Was diese Wogen leisten, kann man an den großen Felsblöcken sehen, die an vielen Küsten von ihnen ans Ufer geworfen worden sind. Sie werfen also auch an den Riffen schwere Stöcke auf und rollen sie über die Riffe hin, wie sie kleinere Fragmente vor sich her treiben und Sand anhäufen. Durch das fortwährende Wälzen und Waschen wird endlich auch das feinste Material gewonnen, was den Hauptbestandtheil des als Kitt dienenden Kalkschlammes ausmacht. Die Zertrümmerung und Zerkleinerung hört nicht auf; ein Theil der Trümmer wird von den Wellen über das Riff hinweg in die Lagune oder die Binnenkanäle geworfen, ein anderer füllt die Räume zwischen den Korallen längs des Randes des Riffes aus, ein anderer bleibt auf der Oberfläche liegen. Das Lager todten Korallenfelsens, welches den Grund des Riffes bildet, ist umsäumt von lebenden Korallen, dehnt sich also am Rande sowohl durch das Wachsthum der Thiere als durch die dazwischen sich fortwährend absetzenden Trümmer aus.


Durchschnitt eines Riffes.
Durchschnitt eines Riffes.

Aber außer kleineren Stücken werden auch größere Massen durch die stärkeren Wogen auf das Riff geworfen, und damit beginnt die Erhöhung desselben über den Spiegel und jene Blöcke sind die Anfänge der Bildung trockenen Landes. Später, bei weiterer Anhäufung groben und feinen Korallenmateriales, vervollständigen sich die Inselchen und erheben sich so hoch aus dem Wasser, als die Wellen heranreichen, nämlich drei Meter ungefähr bei einem Unterschiede der Gezeiten von einem Meter, und gegen fünf bis sechs Meter bei einem Flutunterschiede von zwei bis zwei und einem halben Meter.

So ist der Ocean der Baumeister, dem die Korallenthiere das Material zum Baue liefern; und wenn alles fertig, besäet er das Land mit Saat, von fernen Küsten hergebracht, und bedeckt es mit Grün und Blumen. Der Aufbau des Atolls ist von dem der Riffe kaum verschieden.

Noch ein Punkt aus der Bildung der Atolle und Riffe ist zu berühren. Der beistehende Durchschnitt des die Lagune (nach n hinliegend) umgebenden Landes zeigt uns bei m den Abfall nach dem offenen Oceane. Zwischen bc und de liegt der nach außen steile, nach innen sehr allmählich geneigte Abhang vom niedrigen Wasser bis zur Landhöhe. Diese Neigung setzt sich nach der Lagune oder dem Kanale zu fast in demselben Winkel fort, dn, indem das ruhige Wasser das langsame Aufschütten und Wachsen dieses Binnenufers nicht stört. Ganz anders die Außenseite, wo eine breite horizontale Terrasse (ab), welche bei der Ebbe gerade frei wird, das dem Meere entstiegene Land umgibt. Diese Bildung ist aber nicht bloß den Korallenbauten eigenthümlich, sondern kommt häufig und immer an solchen Küsten vor, wo ein leichter zerstörbares Gestein von den Wogen und der Flut angegriffen wird. Ein treffliches Beispiel gibt uns Helgoland, dessen westliche schmälere Küstenterrasse von den Badegästen zur Ebbezeit wegen der vielen zurückbleibenden oder in den Vertiefungen fest angesiedelten Thiere und Algen fleißig besucht wird, während der viel ausgedehntere nordöstliche Theil bei Sturm so oft das ängstliche und schreckliche Schauspiel sich in Gefahr befindender oder scheiternder Schiffe bietet. Die speciellere Erklärung dieses Terrassenbaues als einer allgemeineren Erscheinung würde uns zu weit führen.

Wir müssen aber noch einige Ursachen erwähnen, durch welche Form und Wachsthum der Korallenbauten modificirt werden. Im allgemeinen kann man das Vorhandensein [513] von Häfen an Riffen und Atolls auf die Thätigkeit der Gezeiten oder örtlicher oceanischer Strömungen zurückführen. Man findet gewöhnlich starke Flutströme durch die Kanäle und Rifföffnungen, welche von Form und Richtung der Küstenlinien abhängen, auch davon, daß über die niedrigen Theile der Riffe fortwährend Wasser in die Kanäle und die Lagune geworfen wird, welches sich der Flut entgegen als Unterströmung einen Ausweg sucht, oder die Ebbeströmung verstärkt. Diese und ähnliche Wasserbewegungen führen viele Korallentrümmer mit sich, und der Boden, wo dies geschieht, ist für das Ansetzen von Polypen völlig ungeeignet. Ist eine solche Strömung irgend stark, so reinigt sie fortwährend die Kanäle und hält sie offen. Die Thätigkeit der Seeströmungen wird oft durch die aus den Inseln kommenden Gewässer verstärkt, und so findet man sehr häufig die Häfen an der Mündung von Thälern und deren Bächen und kleinen Strömen. Der Einfluß des Süßwassers an sich auf das Vorkommen der Polypen ist nicht so groß, als man gewöhnlich annimmt, vornehmlich weil es, leichter als das Salzwasser, auf demselben abfließt und die etwas tiefer sitzenden Korallenthiere wenig oder nicht berührt. Eine vielleicht noch größere Einwirkung auf die Gestaltung der Riffe hängt aber von den Verhältnissen des rifftragenden unterseeischen Landes und der Beschaffenheit des Grundes ab.


Schematischer Durchschnitt einer Insel mit Riffen.
Schematischer Durchschnitt einer Insel mit Riffen.

Wo tiefere Einriffe, unterseeische Klüfte sind, welche unter jenes den Polypen zusagende Niveau gehen, fällt die Ansiedelung von Korallenstöcken weg, wie auch da, wo fester Untergrund mit Sand und Schlamm wechselt. Alle Unregelmäßigkeiten des Umrisses der Riffe und Atolle, alle Hafenbildungen an den Koralleneilanden finden so ihre einfache Erklärung.

Die wichtigste, noch zu erläuternde Frage ist diejenige nach den Ursachen der Entstehung der Dammriffe und der Atollform der Koralleninseln. Nichts hat uns in den bisherigen Erörterungen Aufschluß darüber gegeben, warum diese Bildungen die Inseln in gewisser Entfernung gürtelförmig umgeben oder hunderte von Meilen weit das Land, welches sie schützen, begleiten, oder warum sie eine Lagune umschließen. Es war die Frage, welche sich am ersten den Entdeckungsreisenden aufdrängte, und man war einmal geneigt, einen Instinkt anzunehmen, der die Thierchen anweist, den Bauten diejenige Form zu geben, welche der Macht der Wogen den größten Widerstand leiste. Nach einer anderen Theorie sollten die Korallenbauten die Spitzen von Vulkanen einnehmen, deren Krater der Lagune entspreche, während die Eingänge durch die Riffe die Stellen bezeichneten, wo der Kraterwall von Lavaausbrüchen zerstört sei. Schon vor einigen Jahrzehnten hat Darwin diese, bei oberflächlicher Betrachtung ganz ansprechende Annahme als hinfällig nachgewiesen. Die vorausgesetzten vulkanischen Kegel mußten entweder einst auf Land gestanden haben und später versunken sein, oder sie hatten sich untermeerisch gebildet. Im ersten Falle würde beim allmählichen Versinken der Krater fast immer zerstört worden sein; bei untermeerischen Ausbrüchen ist aber die Kraterbildung und die Erhebung vulkanischer Kegel überhaupt kaum denkbar. Außerdem aber verlangt die Hypothese, daß die Vulkane in einer auf dem Lande unerhörten Menge auf beschränkten Strecken entstanden feien und, was noch unerhörter, sich fast gleich hoch erhoben hätten, da ja die Korallenthiere nur von etwa zwanzig Faden an unter der Oberfläche fortkommen. Man müßte ferner Krater von fünfundsiebzig Kilometer im Durchmesser voraussetzen, und daß solche von dreißig bis vierundvierzig Kilometer nicht selten gewesen seien. Aus diesen und einigen anderen Gründen muß die Annahme der Betheiligung von Vulkanen bei den Korallenbauten zurückgewiesen werden. Und auch die Hypothese, daß nichtvulkanische Berggipfel [514] und Bänke von gleicher Höhe die Grundlage für die Ansiedelungen der Korallen seien, verdient nach dem Vorausgegangenen keine weitere ernstliche Widerlegung.

Darwin hat zuerst nach naturwissenschaftlicher Methode die verschiedenen Arten der Korallenbauten, die Gürtelriffe, Dammriffe und Atolls studirt und mit einander verglichen, und dann seine Ansicht über ihre Entstehung nach den Thatsachen entwickelt. Sie ist die noch heute gültige und wurde in allen wesentlichen Punkten von Dana bestätigt.1

Nach einer genaueren und im großen Maßstabe gezeichneten Karte des Fidschi-Archipels mag man die Eilande Goro, Ango, Nairai und Nanuku überblicken. Man wird bemerken, daß das Riff von Goro sich eng an das Land anlegt, auf dessen untermeerischer Küste es erbaut ist. Das Riff der zweiten der genannten Inseln ist von derselben Beschaffenheit, steht jedoch etwas von der Küste ab und bildet das, was wir ein Dammriff genannt haben. Der Name bezeichnet eben nur eine Verschiedenheit der Lage, nicht der Beschaffenheit. Bei dem letzten der genannten Eilande umschließt das Dammriff ein weites Stück Meer, und die Insel darin ist nichts als ein felsiger Berggipfel. Können wir nun diese Verschiedenheit in der Lage der Dammriffe erklären? In der That gibt Darwins Annahme einen Schlüssel für diese Erscheinungen. Wenn z.B. die Insel Ango ganz allmählich versänke, würde zweierlei eintreten: die Binneninsel würde nach und nach verschwinden, während das immer nach aufwärts wachsende Riff sich an dem Wasserspiegel erhalten würde, sofern nur die Geschwindigkeit des Sinkens nicht einen gewissen Grad überschritte. Wenn diese Senkung so weit ginge, daß nur noch der letzte Berggipfel über Wasser geblieben, würde dann nicht ein Nanuku entstanden sein? Auch für die Zwischenstufe, die bei der Senkung erreicht wird, wo nur noch ein einzelner Bergrücken und einige isolirte Gipfel über dem Wasser hervorstehen, gibt ein Theil der Fidschigruppe, die Forschungsinseln (Exploring Islands), uns die Anschauung. Nach dieser Voraussetzung entsteht also ein Riff, das einen einzelnen Felsen in weitem Umkreise einschließt, durch allmähliche Senkung einer Insel, welche von einem einfachen Gürtelriff umgeben war.

Daß große Strecken von Ländern, wie Schweden und Grönland, in Senkung begriffen, ist eine bekannte Thatsache; es läßt sich aber auch der direkte Beweis führen, daß die Riffe mit ihren Inseln sich gesenkt haben. Die Tiefe der Riffe läßt sich in den meisten Fällen, wenn nicht direkt messen, doch annähernd abschätzen, und muß in manchen Fällen auf mindestens dreihundert Meter bestimmt werden. Da nun der lebendige Theil des Korallenriffes nicht unter achtzehn bis zwanzig Faden reicht, kann die Tiefe von dreihundert Meter, bis zu welcher das Riff sich erstreckt, nur durch allmähliche Senkung des Landes, auf welchem es steht, erklärt werden. Es versteht sich von selbst, daß einmal gebildete Riffe durch spätere Hebungen wieder hoch über den Wasserspiegel heraussteigen können; man kennt deren von einhundert Meter Höhe. Sie beweisen und verlangen eine vorangegangene Senkung, sobald ihr Höhendurchmesser das bekannte Maß der Tiefenzone der lebenden Korallen übersteigt. Die Annahme, daß viele Riffbildungen die Folge einfacher Senkungen sind, scheint daher vollkommen gerechtfertigt.

Wir können uns an dem beistehenden schematischen Durchschnitte einer Insel und seiner Riffe die Wirkung einer allmählichen Senkung vergegenwärtigen. Bei der Wasserlinie I hat die Insel, z.B. Goro, ein einfaches Gürtelriff, f f, eine schmale Felsenterrasse am Wasserspiegel, welche außen zuerst unter sehr schiefem Winkel, dann steiler abfällt. Angenommen, die Insel hätte sich bis zur Wasserlinie II gesenkt, was würde geschehen sein? Das Riff hat sich im Verhältnisse zur Senkung gehoben, und sein Aussehen an der Oberfläche wird durch b' f' b' f' bezeichnet. Man sieht ein Gürtel- und ein Dammriff mit einem schmalen Kanale dazwischen. b' ist der Durchschnitt des Dammes, e' des Kanales und f' des Gürtelriffes. Bei einer weiteren Senkung bis zu III hat sich [515] der Kanal e'' sehr verbreitert. Auf der einen Seite, f'', ist das Gürtelriff erhalten, auf der anderen ist es verschwunden, wozu verschiedene Verhältnisse, wie Strömungen, beigetragen haben können. Bei der Wasserlinie IV endlich sieht man zwei kleine Felseneilande in einer weiten Lagune mit zwei Riffinselchen, i''' i''', da, wo eben zwei andere Bergspitzen unter den Spiegel tauchen. Der Korallenriffelsen hat eine große Mächtigkeit erreicht und bedeckt fast die ganze frühere Insel.

Die Uebereinstimmung solcher idealen Durchschnitte mit wirklichen Inseln und ihren Riffen ist eine vollständige. Der nebenstehende Umriß gibt die Insel Aiva aus der Fidschigruppe. In der Lagune befinden sich zwei Berggipfeln gleichende Inselchen, genau wie oben; und obschon wir keine Messungen der Gipfel oder Sondirungen der umgebenden Gewässer besitzen, geben doch die anderwärts gemachten Beobachtungen die Sicherheit, daß der senkrechte, durch die Linie b b b' b' gelegte Durchschnitt der Wirklichkeit vollkommen entspricht. Er bedarf keiner weiteren Erklärung.


Umriß der Insel Aiva, mit projicirtem Durchschnitte.
Umriß der Insel Aiva, mit projicirtem Durchschnitte.

Man hat gegen die Theorie geltend gemacht, daß sie nicht erkläre, wie es komme, daß die Binnenkanäle entständen, da man vielmehr erwarten sollte, ihr Raum würde beim allmählichen Sinken von Riffmaterial ausgefüllt. Man darf aber nicht die Frage so stellen, sondern muß von der unbestreitbaren Thatsache ausgehen, daß die Senkung stattfindet und daß bei den sinkenden Inseln jene Eigenthümlichkeit hervortritt. Die Kanäle hinter den Dammriffen sind eine Folge der Senkung, und man muß den Ursachen dieser Erscheinung nachspüren. Es bieten sich dann auch Erklärungen dar, welche den beobachteten Thatsachen sich so anschließen, daß das Vorhandensein der Binnenpassagen als eine nothwendige Eigenthümlichkeit der Korallenbauten erscheint.

Es ließ sich zeigen, daß das Meer an dem Aufbaue der Riffe einen bedeutenden Antheil hat, und daß die seiner Bewegungen und seines reinen Wassers theilhaftigen Außenriffe schneller wachsen, als die inneren, auf welche Meer- und Süßwasserströmungen und das von denselben mitgeführte Geröll und der Absatz einwirken. Sobald ferner das Dammriff sich abgelöst hat, ist es auf beiden Rändern mit lebenden, wachsenden Korallen bedeckt, während das Gürtelriff nur auf einer Seite wächst. Auch wird ein großer Theil des Gerölles und der Trümmer der Außenriffe vom Meere her und von innen auf ihnen selbst abgesetzt, wogegen ein großer Theil des Materiales der inneren Riffe zur Ausfüllung der weiten Kanäle beiträgt. Jedenfalls ist dieser Beitrag von Seite der Binnenriffe verhältnis mäßig größer, als von den Dammriffen. Und die Ausdehnung von Riffboden innerhalb eines Dammes, welcher sich zu gleicher Zeit mit den Riffen erhoben hat, [516] ist oft funfzigmal so groß als die Oberfläche des Dammes selbst. Bei solchen Wachsthumsverhältnissen kann schließlich das Dammriff zweimal so schnell wachsen als die Binnenriffe. Die letzteren werden unter Umständen schneller sinken, als sie nachwachsen können und müssen schließlich verschwinden. Aus dem Vorhandensein von Kanälen und weiten offenen Wasserstrecken hinter den Riffen, läßt sich also nicht nur kein Einwurf gegen die Theorie begründen, sie sind im Gegentheil unzertrennbar von der Annahme und ein Beweis mehr für die Theorie.

Aus diesen und ähnlichen Erwägungen ergibt sich, daß ein Dammriff ungefähr die ehemaligen Grenzen des umschlossenen Landes bezeichnet.

Es bedarf kaum der besonderen Bemerkung, daß die Senkung, welche das Dammriff verursachte, beim weiteren Fortschreiten zur Entstehung einer Laguneninsel Veranlassung geben würde. Tritt nach einer Periode der Senkung, während welcher das Riff oder das Atollriff sich ungefähr am Wasserspiegel erhielt, eine Periode der verminderten Geschwindigkeit der Senkung oder der Ruhe ein, so muß sich trockenes Land bilden und es stellt sich Pflanzenwuchs ein. Während einer solchen Zeit des Stillstandes kann die Lagune mehr und mehr eingeengt werden; und umgekehrt, wenn die Senkung des Meeresbodens beschleunigt wird, kann der Atoll allmählich unter dem Wasserspiegel verschwinden. Schon Darwin hat eine Reihe solcher im Sinken begriffener Korallenbauten beschrieben und sie »todte Riffe« genannt.

In Anbetracht der angeführten Thatsachen – so schließt Dana sein lehrreiches Kapitel über die Riff-und Atollbildung – ist es klar, daß jede Koralleninsel einst ein Gürtelriff um eine hohe Insel war. Aus dem Gürtelriff wurde ein Dammriff, als die Insel sank; es wuchs weiter, als das Land allmählich verschwand. Ueber die eingeschlossene Wasserfläche ragt schließlich der letzte sinkende Berggipfel hervor. Noch eine Zeit, und auch dieser ist verschwunden; von der ganzen versunkenen Insel gibt nur noch das Dammriff Zeugniß. Das Korallenband, das einst zur Zierde und zum Schutze sich um das luftige Eiland schlang, ist später zu seinem Denkmal geworden und die einzige Erinnerung an sein früheres Dasein. Der Pomatu-Archipel ist ein großer Inselkirchhof, wo jeder Atoll den Begräbnisplatz einer Insel angibt. Ueber den ganzen südlichen Ocean sind diese einfachen Denksteine zerstreut, die glänzendsten Punkte in dieser Wasserwüste.

Das Vorkommen der Korallenbauten hängt, wie wir sehen, von einem Zusammentreffen günstiger Verhältnisse ab. Die Westküste Amerikas besitzt sie nicht, vielleicht weil der Polarmeeresstrom die ganze Küstenregion zu sehr kältet. Erst bei der Insel Ducie beginnt die große Korallenregion des pacifischen Oceans, die sich auf der Südseite des Aequators bis zur Ostküste Neuhollands erstreckt, nördlich vom Aequator aber in dem Archipel der Karolinen ihre größte Entwickelung erreicht. Reich an Korallenriffen ist die Umgebung der Marianen und Philippinen. Weiter westlich heben wir die merkwürdige Reihe der Malediven und Lakediven hervor, die zahlreichen Riffe um Mauritius und Madagaskar und überhaupt vom Nordende des Kanals von Mosambik an bis ins Rothe Meer. Die Westküste Afrikas zeigt gar keine bemerkenswerthen Riffe. Im Bereiche der Neuen Welt endlich ist das Antillenmeer von Martinique und Barbados an bis zur Spitze von Yukatan, der Küste von Florida und den Bahamas der Schauplatz der stillen, aber so erfolgreichen Thätigkeit der Korallenthiere.

Fußnoten

1 Daß gewisse Erscheinungen der Pelew-Inseln sich nicht oder nicht allein durch die von Darwin und Dana in den Vordergrund gestellten Senkungen und Hebungen erklären ließen, die Hauptursachen zu denselben vielmehr in Regen und Meeresströmungen zu suchen seien, behauptet Semper nach seinen an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen (Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, 1863), auf welche näher einzugehen wir uns versagen müssen.


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 502-518.
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