Comatula mediterranea

[446] Von den die Urmeere einst in größter Mannigfaltigkeit bevölkernden Crinoiden hat nur eine eine einzige Gattung sich sozusagen modernisirt, nur in ihrer Entwickelung und Verwandlung ein Stückchen vom alten Zopfe an sich tragend. Das ist Comatula, der Haarstern im engeren Sinne, von dem gegen vierzig Arten aus allen Meeren bekannt sind. Im Atlantischen Oceane lebt Comatula rosacea (auch Antedon rosaceus genannt), im Mittelmeere die Comatula mediterranea. Ein Blick auf das Thier zeigt die nahe Verwandtschaft mit Pentacrinus; hier wie dort ein kelchförmiger Körper, dessen Wand aus mehreren Kreisen von Kalkplatten besteht und dessen Deckel von weicher Beschaffenheit ist. Die Mundöffnung nimmt die Mitte dieses Deckels ein; excentrisch auf dem Gipfel einer schornsteinförmigen Erhebung befindet sich der After. Fünf sich gleich an ihrem Ursprung gabelnde Arme gehen von der Rückenseite aus, so daß man von der Mundseite her zehn Arme erblickt. Diese sind mit zwei Reihen einander gegenüber und abwechselnd gestellten Fortsätzen versehen, die sogenannten Pinnulä, und gleichen zierlichen gefiederten Ranken, indem sie schön gebogen oder spiralig eingerollt getragen werden. Bis hierher und noch in weiteren Einzelheiten stimmt die Beschreibung fast genau mit der des Pentacrinus überein; aber da, wo am Rücken des letzteren sich der Stiel anfügt, findet sich bei der Comatel ein Knopf, umgeben von einem Kreise feiner Ranken, deren jede mit einer kalkigen Klaue endigt. Die Beobachtung des lebenden Thieres lehrt sogleich, wozu diese Rückenranken mit ihren Haken dienen.

Man hatte, ehe man die schön roth, karmoisin, braun, blau oder gelb gefärbten Comateln in den Aquarien hielt und ehe englische und französische Naturforscher sie lebend beobachteten, von ihrer Lebensweise eine ganz verkehrte Vorstellung; man meinte, daß sie auf dem Schlamme säßen und kröchen, den Mund nach abwärts gekehrt, gleich den Seesternen. Da ich in der Nähe von [446] Zara an der dalmatinischen Küste mit dem Schleppnetze hunderte vom schlammigen Grunde gehoben, wo nur spärlich Tange und Schwämme zu finden sind, war auch ich in diesem Irrthume befangen und meinte, daß sie sich von den im Schlamme enthaltenen organischen Stoffen nährten.


Mittelländischer Haarstern (Comatula mediterranea), auf Sabella unispira sitzend. Natürliche Größe.
Mittelländischer Haarstern (Comatula mediterranea), auf Sabella unispira sitzend. Natürliche Größe.

Ich hatte eben nicht erkennen können, daß das Netz sie in einer Tiefe von zwölf bis zwanzig Faden von den Seegewächsen abstreifte. Unterdessen schon von anderer Seite eines Besseren belehrt, sah ich sie endlich selbst in Neapel bei Dohrn als vollendete Kletterer, welche, in Massen sich auf den verschiedensten Gegenständen anheftend, einen entzückenden Anblick gewähren.

In Gefäße gethan, wo die Gelegenheit fehlt, sich so anzusetzen, daß sie rings von Wasser umspült sind und die Arme ganz frei ausstrecken zu können, versuchen sie wiederholt, durch höchst zierliches Rudern mit je fünf Armen, sich zu erheben, sinken jedoch, da sie keinen Vorsprung oder Ast erfassen können, immer wieder zu Boden und verharren dann so in zusammengekrümmter Lage, die ihnen aber unnatürlich ist und ihr Absterben beschleunigt. Thut man mehrere in einen glatten Behälter, so klammern sie sich aneinander an und brechen sich gegenseitig die leicht abspringenden Arme ab. Ihr Rudern und Schwimmen bezweckt also nur das Auffinden eines Gegenstandes, an welchem sie sich festhalten können. Dies geschieht vermittels jener klauentragenden Ranken des Rückens, die ihnen Füße und Klammerwerkzeuge ersetzen. Von der Fähigkeit, schwimmend oder kletternd den Ort zu wechseln, machen sie jedoch nur geringen Gebrauch, nachdem sie einmal einen bequemen Platz gefunden, wo [447] sie, die Mundfläche nach der Seite oder nach oben gewendet und die Arme leicht gebogen, der Nahrung harren.

Um die Art, wie die Comatula und überhaupt alle Haarsterne sich ernähren, zu begreifen, bedarf es einer genaueren Untersuchung der Mundseite. Auf unserer Abbildung des Thieres, noch deutlicher auf derjenigen des Pentacrinus (b), sieht man fünf vom Munde ausgehende Furchen, die sich alsbald nach den zehn Armen gabelig spalten. Es enthält also jeder Arm eine solche Rinne, welche sich bis an seine Spitze fortsetzt. Indem nun dieser Halbkanal mit Flimmern tapeziert ist, welche einen Wasserstrom nach dem Munde zu erzeugen, genügt die bloße Ausbreitung der Arme, um die an und in die Rinnen gerathenden mikroskopischen Thierchen, welche zur Nahrung geeignet sind, dem Munde zuzutreiben. Je stiller die Comatel sitzt, um so sicherer und regelmäßiger geht die Nahrungsaufnahme vor sich. An Myriaden mit bloßem Auge unsichtbarer Thierchen und Thierlarven ist an den Stellen, wo die Crinoiden leben, nie Mangel, und daß ein solches unerschöpfliches mikroskopisches Leben sich auch in den reicher ausgestatteten Aquarien sehr bald einstellt, davon kann man sich überall, wo größere derartige Institute sind, überzeugen. Zur Kontrollirung der Nahrungszufuhr kommt unseren Thieren die außerordentliche Empfindlichkeit der Arme zu statten, indem die tausende von Fiederfortsätzen oder Pinnulä, welche den Armschaft in zwei Reihen besetzen, Tastwerkzeuge feinster Art sind. Jede Pinnula trägt auf der Spitze einige Tasthärchen; sobald daher irgend ein dem Gemeingefühle fremdartiger Körper den Arm berührt oder ein gröberer Gast ins Gehege fährt, legen sich die Pinnulä über der Flimmerrinne zusammen, und der Arm rollt sich ein. Damit ist natürlich eine Austreibung der der Comatel unangenehmen Eindringlinge verbunden.

Ueber das Vorkommen der Comatula an ihren natürlichen Standorten hat Lacaze-Duthiers die ausführlichsten Mittheilungen gemacht. Er stellt uns den sammelnden und beobachtenden Zoologen und die Lebensverhältnisse der Strandzone wieder so anschaulich vor Augen, daß wir ihn, mit einigen nothwendigen Kürzungen, selbst reden lassen. Wir befinden uns in Roscoff, an der Küste der Bretagne, Weymouth gegenüber, wo der sandige, allmählich abfallende Strand von größeren und kleineren granitischen Felsen und Inselchen durchbrochen wird. »Zwischen allen diesen Riffen und im Kanale kommen bei Ebbe ausgedehnte schöne Wiesen von Seegras (Zostera) und Sandbänke, mit Steinen bedeckt, zum Vorscheine, welche beide von zahlreichen Thierarten bewohnt werden. Da gibt es alle möglichen einfachen und zusammengesetzten Ascidien, Moosthiere, Sertularien (Quallenpolypen, siehe unten), Schwämme, besonders Kalkschwämme, Stachelhäuter, Synapten, Lucernarien (siehe unten), zahlreiche Actinien (siehe unten), Planarien, nackte und beschalte Mollusken, welche den Zoologen für die Mühe des Sammelns reichlich entschädigen.

Die beiden, gewöhnlich von den Algen eingenommenen Zonen, die obere mit dem Blasen- und Sägetange (Fucus vesiculosus und F. serratus), die andere mit Laminaria, werden in Roscoff sehr scharf durch die Himanthalia lorea geschieden, jene Alge, welche man als Dünger für die Gemüse gebraucht. Ihr Gürtel wird zur Zeit der Gleichen bloßgelegt, ganz frei wird er aber nur bei den tiefsten Ebben, wenn auch die Laminarien darunter zugänglich sind. Man muß diese Dinge wissen, weil man sich keine Vorstellung machen kann von den Schwierigkeiten, die man hat, wenn man versucht, zwischen den Felsen zu sammeln, während diese unter Wasser sind, und man zwischen den langen Bündeln der kleberigen und schlüpfrigen Bänder der Himanthalie herumsteigt, welche die Höhlungen der Steine bedecken und sich einem um die Beine wickeln. Man findet dann fast nichts; das Sammeln ist nicht nur außerordentlich schwer, sondern auch gefährlich, weil man jeden Augenblick hinstürzt. Dagegen ist das Sammeln in der Laminarien-Zone sowohl leichter, als ergiebiger. Am wichtigsten aber hinsichtlich des Zieles, welches wir hier verfolgen, ist das Vorkommen von Sargassum in dieser Zone, einer Alge, die gewöhnlich auf tieferem Sandboden lebt, unter bestimmten, gleich näher zu bezeichnenden Umständen aber ziemlich hoch herauf steigt.

Zur Zeit der tiefsten Ebben reißt das Meer, indem es sich zurückzieht, Gräben in den sandigen Boden und in die Tangwiesen. Es laufen alsdann in diesen Vertiefungen mehrere Bäche ab. In [448] ihnen siedeln sich die Sargassen an und steigen höher hinan, und an ihnen findet man die jungen und alten Comateln. Da die Stämme von Sargassum sehr ästig sind, verflechten sich die Zweige mit einander und bilden eine Art von Strauchwerk, zwischen welchem die Comatula vorzugsweise lebt. Auch die Ascidien, Schwämme, Quallenpolypen und Moosthiere sind darin so zahlreich, daß jeder Sargassumstamm eine ganze Sammlung an sich trägt. Die Comatel findet sich daran manchmal in solchen Mengen, daß sie die Aeste fast völlig bedeckt.«

Diese Art, sich an wenigen Tagen des Jahres des Haarsternes mit der Hand zu bemächtigen, ist natürlich nur an Küsten mit hoher Flut und Ebbe ausführbar, also weder im Adriatischen noch im Mittelmeere.

Wir haben bisher nur das bescheidene Dasein der erwachsenen Comatel beobachtet. So blumenhaft sie auch aussieht, hält sie doch den näheren Vergleich mit einem Seegewächse nicht aus, der für die anderen, die gestielten Haarsterne, sich von selbst ergibt. Aber jede Comatel macht in ihrer Jugend die bleibende Stufe des Pentacrinus durch und verweist damit auf ihre Abstammung von gestielten Formen. Den Aus gang der Entwickelung hat sie mit ihren Klassengenossen gemein. Aber auf einer bestimmten Stufe, nachdem der Darmkanal entstanden, verlängert sich das Hinterende und das Thierchen heftet sich mit demselben an irgend einen Gegenstand an. Sie haben zunächst das Aussehen einer kleinen kurzstieligen Keule, so winzig, daß sie kaum mit unbewaffnetem Auge zu entdecken sind. Man kann diese erste Zeit, wo noch die Arme nicht entstanden sind, mit der Stufe der Puppe des Schmetterlings vergleichen, da der anfänglich vorhanden gewesene Mund der jungen Comatel jetzt von einer Hautschicht überwachsen ist, unter welcher die uns bekannte Mundscheibe des fertigen Thieres ihre definitive Gestalt annimmt. Allmählich brechen die Arme durch, unter fortschreitendem Wachsthume des Stieles, welcher wesentlich dem Stiele des Pentacrinus gleicht. So gleich ist überhaupt jetzt die gestielte Comatel dem zeitlebens an seinen Stiel gefesselten Pentacrinus, daß die Vorstellung, die Comatel stamme von pentacrinusartigen Vorfahren ab, für den denkenden Naturforscher unabweisbar erscheint. Sie erhebt sich über den einst stabilen Zustand, indem sie zu freiem Leben vom Stiele sich ablöst, nachdem am Rücken die oben beschriebenen, mit Klauen versehenen Ranken hervorgetreten sind.

Man findet die gestielten jungen Comateln überall, wo die Erwachsenen in größerer Menge sich aufhalten. Ich entdeckte sie in unzählbaren Mengen auch in Dohrns Aquarium. Unter anderem heften sie sich auf den Röhren der Spirographis (oder Sabella unispira) an, wie unser Bild (Seite 447) deren vier zeigt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 446-450.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristoteles

Nikomachische Ethik

Nikomachische Ethik

Glückseligkeit, Tugend und Gerechtigkeit sind die Gegenstände seines ethischen Hauptwerkes, das Aristoteles kurz vor seinem Tode abschließt.

228 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon