2. Sippe: Dendritina

[563] Sehr zierliche Formen ergeben sich durch spiralige Anordnung nach Art der Nautiliten und Ammoniten, wie solches beispielsweise die ebenfalls fossile Dendritina zeigt. Auch diese Sippe gehört zu der Abtheilung mit einer Oeffnung in der letzten Kammer. Zahlreich sind aber solche, wo die Wände aller Kammern von feinen Löchern durchbohrt sind, aus denen die veränderlichen [563] Fortsätze durchtreten und von welcher Eigenschaft der ganzen Abtheilung auch der Name Foraminiferen (von foramen, Oeffnung, Loch) gegeben ist.

Löst man die Kalkschale vorsichtig in sehr verdünnter Säure auf, so gelingt es mitunter, den Weichkörper in vollständigem Zusammenhange zu erhalten. Mein Kollege F. E. Schultze in Graz hat mich mit einem ausgezeichneten Präparate beschenkt, welches nach der Zeichnung des Professor Götte uns vorliegt. Das Protoplasma füllt, wie wir sehen, alle Kammern aus, und Fortsätze und feine Fäden erstrecken sich von Kammer zu Kammer. In einer Kammer ist auch ein deutlicher Kern enthalten. In anderen Fällen wurden mehrere Kerne beobachtet. Das Ganze ist nicht als eine einem Polypenstocke vergleichbare Kolonie, sondern als ein Organismus, eine Person anzusehen. (Die Abbildung auf S. 566.)

Wenn von diesen Polythalamien sechszehnhundert bis achtzehnhundert Arten beschrieben sind, fossile und lebende, so wird man künftig diese Zahl bedeutend reduciren können und müssen, indem sich schon jetzt herausgestellt hat, daß viele der vermeintlichen selbständigen Arten und Schalenformen sich in Reihen ordnen mit ganz allmählichen Uebergängen.


Guttulina communis. a, b, c von verschiedenen Seiten. Vergrößert.
Guttulina communis. a, b, c von verschiedenen Seiten. Vergrößert.

Dendritina elegans. a von der Seite, b von vorn. Vergrößert.
Dendritina elegans. a von der Seite, b von vorn. Vergrößert.

Dendritina elegans. a von der Seite, b von vorn. Vergrößert.


In der Größe wechseln diese Geschöpfe von 1/10 Millimeter Durchmesser bis zu dem eines Zweithalerstückes. Diese größeren Formen gehören jedoch alle nur einer vorweltlichen Familie, den Nummuliten, an.

Ueber Fundorte und Vorkommen der lebenden Mono- und Polythalamien sagt Max Schultze: »Die erstaunungswürdige Menge von Rhizopodenschalen im Meeressande mancher Küsten hat schon viele Bewunderer gesunden. Janus Plancius zählte im Jahre 1739 mit Hülfe schwacher Vergrößerungen sechstausend in einer Unze Sand von Rimini am Adriatischen Meere, und d'Orbigny gab die Zahl derselben in der gleichen Menge Antillensand auf 3,840,000 an. Von einem an kleineren Schalen äußerst reichen Sande von Molo di Gaeta schied ich mittels eines feinen Siebes alle über eine Zehntellinie großen Körnchen ab. Das Zurückgebliebene bestand, wie die mikroskopische Untersuchung zeigte, etwa zur einen Hälfte aus wohlerhaltenen Rhizopodenschalen, zur anderen aus Bruchstücken mineralischer und organischer Substanzen, ein Verhältnis, wie es auch nach d'Orbigny's Angaben kaum irgendwo günstiger gefunden wird. In einem Centigramm dieses feinen Sandes zählte ich fünfhundert Rhizopodenschalen, das sind auf die Unze, zu dreißig Gramm gerechnet, 1,500,000. Die Zahl d'Qrbigny's ist demnach als weit übertrieben zu beseitigen«.

»Hat man den Reichthum des Küstensandes an Polythalamienschalen erkannt, so liegt es nahe, unfern der Küste auf dem Grunde des Meeres nach lebenden Exemplaren zu suchen. Bei Ancona, wo im Hafen, wie längs der nördlichen flachen Küste ein stellenweise an solchen Schalen sehr reicher Sand den Meeresboden bedeckt, habe ich bis zu zwanzig Fuß tief an vielen Stellen kleinere Mengen desselben gesammelt und in Gläsern längere Zeit aufbewahrt; jedoch nie erhob sich aus dem Bodensatze ein lebendes Thier an der Glaswand kriechend, und die Untersuchung des Sandes zeigte, daß nur wenige der zahlreich vorhandenen Schalen noch Reste einer organischen Erfüllung enthielten. Als ich jedoch auf einer mit Algen bedeckten kleinen Felseninsel südlich vom Hafen nur wenige Fuß unter der Oberfläche des Wassers, ja selbst an Stellen, die zur Zeit der Ebbe fast trocken lagen, mit einem feinen Netze schabend fischte, dann durch Schlämmen des erhaltenen Gemisches von thierischen und pflanzlichen Theilen das leichter Suspendirbare entfernte und [564] den übrigen Sand im Glase ruhig stehen ließ, sah ich schon nach einigen Stunden zahlreiche Rhizopoden an den Glaswänden in die Höhe kriechen, und die Untersuchung des Bodens zeigte fast sämmtliche Polythalamien mit organischer Erfüllung und lebend. Aehnliche Erfahrungen machte ich auch bei Venedig. Die Untersuchung des Lidosandes führte mir, auch wenn derselbe in einiger [565] Entfernung von der Küste gesammelt war, nie ein lebendes Exemplar in die Hände, während der mit Algen durchwachsene Lagunenschlamm, nachdem er von den leicht zersetzbaren organischen Resten gereinigt war, mir zahlreiche lebende Rotalien, Milioliden und Gromien lieferte.


Polystomella strigillata. 200mal vergrößert.
Polystomella strigillata. 200mal vergrößert.

Die Rhizopoden des Meeres scheinen demnach zu ihrem Aufenthalte am liebsten solche Stellen zu wählen, wo ihnen durch eine reiche Vegetation Schutz vor dem Andrange der Wellen, und ihren zarten Bewegungsorganen eine sichere Stütze zum Anheften geboten ist. Hier finden sie zugleich an den, den größeren und kleineren Seepflanzen stets anhaftenden Diatomen und Infusorien eine reichliche Nahrung.« Der Lieblingsaufenthalt sehr vieler Polythalamien sind Schwämme aller Art, wo ihnen Schutz und Nahrungszufuhr in noch höherem Maße gewährt sind.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 563-566.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon