5. Sippe: Orbulina

[566] Die neueren sorgfältigen Untersuchungen über die Tiefen und die Beschaffenheit des Tiefbodens haben die außerordentliche Betheiligung der Polythalamienschalen an der Bildung des Tiefseeschlammes von den arktischen bis zu den antarktischen Zonen bestätigt. Außer anderen Gattungen, die einen geringeren Procentsatz liefern, kommen besonders Globigerina und Orbulina in Betracht, die ersteren aus Kugeln von zunehmender Größe zusammengesetzt, letztere eine einzige regelmäßige Kugel bildend. Ihre Schalenreste kommen über tausende von Quadratmeilen des Meeresgrundes in solchen Massen vor, daß sie einen charakteristischen Hauptbestandtheil des Schlammes bilden, so daß man schlechthin von »Globigerinen-Grund« und »Globigerinen-Schlamm« spricht.

Die Naturforscher der Challenger-Expedition haben diesem außerordentlich wichtigen und interessanten Gegenstand ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet, und so verdanken wir den Bemühungen besonders der Herren Murray und W. Thomson die Aufschlüsse, über die der letztere der Versammlung der englischen Naturforscher im Herbst 1876 Mittheilung machte. Wir lassen Thomson etwas weiter ausholen; er berichtet:

»Die mittlere Tiefe des Oceans beträgt etwas über zweitausend, wahrscheinlich gegen zweitausend fünfhundert Faden. Ein großer Theil des Meeres ist etwas weniger tief, und eine Tiefe von zweitausend Faden scheint häufig zu sein. Wo sie auf zweitausendfünfhundert bis dreitausend Faden sich beläuft, hat man sich wohl unterseeische Thalmulden zu denken, mit Ausnahme des nördlichen Theiles des pacifischen Oceans, wo sich ungeheuere Strecken Tiefwassers von oft über dreitausend Faden befinden. Ein großer Theil des Nordens des Atlantischen Oceans besitzt eine Tiefe von etwa zweitausend Faden; doch erstreckt sich ein mittlerer Rücken von Südgrönland an, zu welchem die verschiedenen Inselgruppen und Eilande bis zu Tristan d'Acunha und wahrscheinlich darüber hinaus gehören. Im Südatlantischen Ocean fällt dieser Rücken, die sogenannte Dolphin-Bank (Dolphin Rise), zu Ehren des amerikanischen Schiffes, welches sie zuerst vermaß, jederseits zumeist[566] über dreitausend Faden ab, und diese Vertiefungen laufen deutlich den Axen von Südamerika und Afrika parallel. Nun ist dieser in allgemeinsten Umrissen nach seiner Tiefe charakterisirte Meeresboden mit gewissen Ablagerungen bedeckt. Der gesammte Seeboden, soweit wir ihn haben kennen lernen, empfängt allmählich gewisse Anhäufungen und diese vergrößern sich zu Bildungen, die als die Felsschichten der Zukunft anzusehen sind.


Globigerina und Orbulina. Vergrößert.
Globigerina und Orbulina. Vergrößert.

Die Geologie hat uns gelehrt, daß das gesammte trockene Land von heute, mit Ausnahme gewisser vulkanischer Gesteine, aus geschichteten, einst am Boden des Meeres abgesetzten Lagern besteht. Wir wissen, daß die Bestandtheile dieser Schichten bis zu einem gewissen Maße von der allmählichen Zerstörung des Landes herrühren, und wir betrachten den Ocean als den großen Bewahrer und Wiederhersteller des Materials, welches künftig Inseln und Festlande bilden wird, wenn der Meeresboden sich einst einmal über den Meeresspiegel erheben wird. Die gesammte Fläche des Seegrundes empfängt solche Ablagerungen, und es war eine der großen Aufgaben der Challenger fahrt, festzustellen, aus was jene Absätze bestehen, unter welchen Bedingungen sie vor sich gehen, und in welchem Verhältnisse diese neueren Ablagerungen zu den alten stehen, welche die festen Eindrücke bilden. Mit Rücksicht auf die angedeuteten allbekannten Erscheinungen waren wir nicht erstaunt, zu finden, daß die Landwürmer sich einige hundert (engl.) Meilen weit hinein in das Meer erstreckten. Wir fanden also lehmartige Schichten und verschiedene Ablagerungen, welche sich nach dem Materiale, von welchem sie herkamen, unterschieden und die Ueberreste von solchen Thieren enthielten, die an den Stellen leben, wo die Ablagerungen zu Boden gesunken waren. Kurz, wir fanden bis zu einer gewissen Entfernung vom Lande solche Ablagerungen, welche zum größten Theile aus jenem bestimmten Küstenmateriale bestehen.

Schon vor vielen Jahren, noch vor der Sondirung behufs der Legung des atlantischen Kabels, hatte man in Erfahrung gebracht, daß ein großer Theil des Bodens des nördlichen Theiles des Atlantischen Meeres aus einer Ablagerung bestände, die wir jetzt unter dem Namen des Globigerinen-Schlammes kennen. Sie wird gebildet aus den Schalen kleiner Foraminiferen, vorzugsweise der einen Gattung Globigerina gehörig. Im trockenen Zustande hatte der Schlamm ungefähr das Aussehen eines feinen Sago, und die kleinen, sich von einander ablösenden Schalen zeigten, daß die Ablagerung fast ausschließlich aus ihnen gebildet wurde. Wenn man durch eine besondere Vorrichtung etwas tiefer liegende Bodenmasse herauf holte, fand es sich, daß die Globigerinenschalen zerbrochen und so aneinander gebacken waren, daß sie einen fast gleichförmigen Schlick bildeten. Darin waren jedoch noch viele unversehrte Schalen und erkennbare Schalenstücke. Die ganze Masse bestand fast nur aus kohlensaurem Kalk, und das einzige, möglicherweise daraus hervorgehende Gestein könnte nur ein Kalk sein. Man schloß also, daß über eine weite Strecke des nordatlantischen Gebietes und über viele andere Theile der Erdoberfläche solcher Kalkstein abgelagert worden sei. Andere Beobachtungen zeigten, daß die Kreide aus fast demselben Material zusammengesetzt sei, und die Uebereinstimmung zwischen der noch jetzt fortdauernden Ablagerung [567] und der Kreide erschien unabweislich. Wir hatten während der Reise des Challenger oft Gelegenheit, diese Kreide von heute herauf zu holen, und die uns immer beschäftigende Frage war eine von denen, welche schon vor unserer Abreise aufgestellt worden waren.

Wo leben diese Geschöpfe? Leben sie auf dem Seegrunde oder leben sie an der Oberfläche, von wo nach ihrem Tode die Schalen auf den Boden fallen? Bis in die neuere Zeit hatte man nur einige wenige dieser Wesen an der Oberfläche lebend gefunden, und der allgemeine Eindruck war, daß sie am Grunde lebten, wo man ihre Schalen fand. Einer meiner Reisebegleiter, Murray, wendete seine besondere Aufmerksamkeit der Beschaffenheit des vom Meeresboden heraufgeholten Materiales zu, seiner Zusammensetzung und der Erforschung der Quellen, von denen es herrührt. Er arbeitete sowohl mit dem Schleppnetze wie mit dem Sondirungsapparat und kam zu einem bestimmten Schlusse, einem Resultate, in welchem wir vollständig mit ihm übereinstimmen. Zieht man das Netz an der Oberfläche hin, und noch mehr, wenn man es einige Faden, ja sogar bis auf hundert Faden sinken läßt, so fängt man eine ungeheure Menge solcher lebender Foraminiferen, welche den Globigerinen-Schlamm bilden. Die Globigerinen selbst sind in vielen Meeren äußerst häufig, und ihr charakteristisches Aussehen ist völlig verschieden von dem der am Grunde liegenden Schalen, so daß nach meiner Ansicht nicht der geringste Zweifel sein kann, daß diese Foraminiferen in der Nähe der Oberfläche leben, und daß die ganze den Boden zusammensetzende Schalenmasse von oben stammt. Die Schalen, wie wir sie am Grunde finden, sind kleine aneinander backende Kügelchen, mit rauher Oberfläche und mit mikroskopischen Löchern durchbohrt. Ihre Höhlung enthält eine röthliche Masse, die man für den Ueberrest des thierischen Leibes zu halten geneigt war. An der Oberfläche gefangen, hat die Globigerine zwar dieselbe Form der Schale, letztere aber ist nicht weiß und undurchsichtig, sondern vollkommen farblos und durchsichtig. Jede Pore ist von einem sechsseitigen kleinen Wall umgeben, auf dessen Ecken je ein langer Stachel sich erhebt, so daß die Schale nach allen Richtungen von Stacheln starrt, die in dem Mittelpunkte jeder Kammer zusammentreffen. Das Protoplasma, die lebende Substanz der Globigerinen, dringt aus den Oeffnungen heraus und läuft längs der Dornen bis zu deren Enden, wo es die ihm begegnenden Nahrungstheilchen in sich aufnimmt. Die Globigerinen scheinen gerade so schwer als das Wasser zu sein, indem ihr Gewicht durch Oeltröpfchen in ihrem Inneren ausgeglichen wird. Sie schwimmen in Myriaden an der Oberfläche, während die absterbenden Individuen zu Boden sinken. Weil man sie also in so ungeheueren Mengen lebend in der Nähe des Wasserspiegels findet, während nie eine in diesem Zustande am Boden angetroffen wird, kann wohl nicht daran gezweifelt werden, daß der Globigerinen-Schlamm lediglich eine Anhäufung todter Schalen der an der Oberfläche oder in mäßiger Tiefe lebenden Wesen ist. Wenn sich dies so verhält, sollte man erwarten, daß die von ihnen herrührende Ablagerung sich so weit erstrecke, als sie selbst vorkommen. Sonderbar genug ist dies nicht der Fall, und dies ist eine der merkwürdigsten durch die Challenger-Expedition festgestellten Thatsachen. Gehen wir bis zu einer Tiefe von gegen zweitausend Faden, so finden wir, daß die Schalen wie angefressen und gelblich aussehen, sie sind nicht mehr so weiß und durchscheinend wie von seichterem Grunde, und bei einer Tiefe von zweitausendfünfhundert Faden und darüber findet man gar keine Schalen mehr, sondern der Boden besteht aus einem gleichförmigen rothen Schlamm oder Schlick, der keinen kohlensauren Kalk enthält. Da nun ein sehr großer Theil des Oceans über zweitausend Faden tief ist, so ist auch wahrscheinlich der bei weitem größte Theil des Meeresgrundes mit dem rothen Schlick und nicht mit jenen Kalkbildungen bedeckt. Es entsteht nun die Frage, wie ist es möglich, daß die Kalkablagerung bei einer gewissen Tiefe dem rothen Schlicke Platz machte. Ohne Zweifel hat die Kalkablagerung nicht stattfinden können, indem der kohlensaure Kalk der Globigerinen-Schalen auf die eine oder andere noch nicht klare Weise aufgelöst wurde. Dies findet beim Ueberschreiten einer gewissen Tiefe statt, und wir haben nun den rothen Schlick. Woher kommt nun aber der letztere? Der rothe Schlick besteht aus kieselsaurem Thon und Eisen. Diese Körper finden sich in dieser eigenthümlichen Zusammensetzung [568] durchaus nicht in anerkennenswerther Menge in den Schalen.« Doch wir gerathen hier in chemische Untersuchungen, welche uns zu weit von unserem Thema abführen, und die wir um so weniger verfolgen wollen, als die Ursachen dieser Erscheinung noch lange nicht aufgehellt sind. Nur so viel sei angedeutet, daß bei der Bildung des Schlickes die gleichfalls kolossalen Mengen von Bimssteinen betheiligt zu sein scheinen, welche von den Naturforschern des Challenger an der Oberfläche aller von ihnen befahrenen Oceane angetroffen wurden. Wir selbst sind diesen Bimssteinen in unserem Werke auch schon begegnet, im Meerbusen von Neapel, wo wir sie fast alle mit Entenmuscheln besetzt fanden (S. 61).

Was die englischen Naturforscher hinsichtlich der Betheiligung der Foraminiferen an der Schichtenbildung der Erde in großartigem Maßstabe nachgewiesen, ist eigentlich nur eine Bestätigung und Erweiterung der schon oben erwähnten Entdeckungen unseres Ehrenberg. Schon er erkannte die große Uebereinstimmung vieler jetzt lebender Foraminiferen mit denjenigen, welche das Material zu den Kreideablagerungen geliefert und sprach von »lebenden Kreidethierchen«. Das war in den dreißiger Jahren eigentlich ein Paradoxon, ein revolutionärer Gedanke, heute sind wir durch die Entdeckung der lebenden Pentacriniten und Glasschwämme (S. 446) ganz befreundet mit ihm. Wir haben gesehen, wie der Löwenantheil an diesem Verlängern der Kreidezeit bis in die Gegenwart hinein unseren Polythalamien gebührt, welche zum Aufbau der Erdrinde mehr beigetragen haben, als alle übrigen Pflanzen und Thiere zusammengenommen. Die mächtigen Kohlenlager, die Korallenriffe und Atolle und die Knochenlager an der fibirischen Küste sind bei diesem Ausspruche nicht vergessen. Denn nicht nur von den silurischen Kalken an bis zur Kreide haben sie sich an der Fabrikation des Materiales der Erdveste betheiligt. Ebenso beträchtlich oder noch beträchtlicher »pflegt ihre Menge bei deutlicher Erhaltung in den eocänen (unteren) Tertiär-Gesteinen zu sein, wobei man im Pariser Becken einen Milioliten-Kalk, in Westfrankreich einen Alveolinen-Kalk und endlich in einer langen und breiten längs beiden Seiten des Mittelmeeres bis in den Himalaya fortziehenden Zone den Nummuliten-Kalk nach Rhizopoden-Geschlechtern unterschieden hat, deren Schalenreste sie großentheils oder, den letzten insbesondere, mitunter ganz allein in einer Mächtigkeit von vielen hundert Fußen zusammensetzen.« (Bronn.)

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 566-569.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon